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Niger nach dem Putsch

Sollte Europa mit den Militärs zusammenarbeiten?

Fast drei Monate nach dem überraschenden Putsch in Niger haben die Militärs ihre Macht in dem Sahelland gefestigt. Die westafrikanische Staatengemeinschaft ECOWAS hat es nicht geschafft, die Generäle mit Sanktionen und der Androhung einer Militärintervention zum Einlenken zu bringen. Europa zögert noch, die neue Regierung dieses auch für Europa so wichtigen Landes im Kampf gegen Dschihadisten und die Eindämmung der illegalen Migration anzuerkennen. Das gibt Russland die Chance, sich als neuer Partner anzubieten.

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Der Chef der Präsidialgarde, Abdourahmane Tiani, stürzte Ende Juli den gewählten Präsidenten Mohamed Bazoum. Die genauen Umstände sind immer noch unklar. Einige Analysten und Diplomaten in Niamey sehen den Coup mittlerweile als „Unfall“. Tiani habe sich gegen seine bevorstehende Absetzung durch Bazoum gewehrt, dann sei die Lage in dem fragilen Land eskaliert. Angeblich war auch Bazoums Vorgänger Issoufou im Spiel, da er sich zum Unwillen Bazoums immer wieder in die Politik eingemischt hatte, heißt es in Niamey. Issoufou hatte den Putschisten Tiani einst als Kommandeur der Garde eingesetzt und lehnt es bis heute ab, den Coup eindeutig zu verurteilen. Die chaotische Gemengelage des Putsches hat Tiani geschickt genutzt, um Stimmung gegen die ECOWAS und die ehemalige Kolonialmacht Frankreich zu machen und um die Bevölkerung auf seine Seite zu ziehen. Andere Armee-Einheiten, die zunächst nicht hinter ihm standen, schlossen sich ihm nach einigem Zögern in den ersten Tagen des Coups doch noch an.

Für Europa steht viel auf dem Spiel. Niger ist als Haupttransitland für Migranten zur Mittelmeerroute und Partner des Westens im Kampf gegen Dschihadisten im Sahel strategisch noch wichtiger als Burkina Faso und Mali, die im Chaos versinken und sich außerdem mit Russland verbündet haben. Niger war bislang relativ stabil, aber die Lage wird zunehmend kritisch. ECOWAS hat schwere Wirtschaftssanktionen verhängt und die Grenzen zu Niger geschlossen. Der Nachbar Nigeria hat zudem Stromlieferungen eingestellt. Die Lebensmittelpreise explodieren und Bargeld wird knapp, da Nigers Zentralbank-Reserven als Teil der Währungsunion CFA im Ausland blockiert sind. Die Regierung hat Schwierigkeiten, die Gehälter im öffentlichen Dienst zu zahlen. Nun verschlechtert sich auch noch die Sicherheitslage, weil die Militärregierung Kräfte in der Hauptstadt zum Eigenschutz zusammenzieht und die westlichen Staaten die Zusammenarbeit eingefroren haben. Das nutzen die Dschihadisten, die in den letzten Wochen im Grenzgebiet zu Mali und Burkina Faso mehrfach die Armee angegriffen haben.

 

Unterstützung des Putschs durch die nigrische Bevölkerung

Wie es weitergeht, ist völlig unklar. Es gibt keine Gespräche zwischen den Putschisten und der ECOWAS, seitdem der Block-Präsident - der nigerianische Präsident Bola Ahmed Tinubu - zu Beginn des Putsches mit einem Militärschlag gedroht hatte, sollte Bazoum nicht innerhalb einer Woche wiedereingesetzt werden. Dies war ein taktischer Fehler, da ECOWAS nach Meinung von Sicherheitsexperten gar nicht die Fähigkeiten für eine solche Militäroperation hat. Dementsprechend verpuffte die Frist ergebnislos. Die Putschisten sowie pro-russische „Influenzer“ in den sozialen Medien griffen die Drohung auf und verbreiteten das Gerücht, dass Frankreich gemeinsam mit der ECOWAS Niger angreifen wolle. Viele Menschen, darunter auch Bazoum-Anhänger, glaubten an den bevorstehenden Angriff und stellten sich hinter die Putschisten. Viele Nigrer hatten ohnehin die enge Kooperation Bazoums mit Frankreich und die Verlegung französischer Truppen ins eigene Land nach dem Abzug aus Mali 2021 abgelehnt. Als die Militärregierung dann den Abzug der 1.500 französischer Truppen (einige Schätzungen von Diplomaten gehen deutlich höher) und des französischen Botschafters forderte, traf er  bei vielen Nigrern einen Nerv. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron heizte die Stimmung zusätzlich an, als er sich wochenlang weigerte, dieser Forderung nachzukommen. Die Folge: Die Stimmung im Land wandelte sich immer mehr zugunsten der Putschisten. Ein Protest-Camp vor der französischen Basis am Flughafen Niamey etablierte sich und nannte den Platz davor spontan in „Place de la Resistance“ (Platz des Widerstands) um. Die Putschisten sitzen nun fest im Sattel, und selbst Anhänger Bazoums fordern nicht mehr dessen Rückkehr. 

 

Russland versucht seinen Einfluss auszudehnen

Seitdem hat sich Tiani in seinem Palast verschanzt, in dem auch Bazoum in einem anderen Flügel mit seiner Familie festgehalten wird – als Faustpfand der Militärregierung für künftige Verhandlungen und als Garantie gegen eine ECOWAS-Militärintervention. Inhaltlich kommt wenig von diesem General, der kaum Reden hält und wenige Besucher empfängt. Eine Ausnahme machte er für den russischen Botschafter und für den pro-russischen „Influencer-Star“ Kemi Seba, ein Beniner mit französischem Pass, der auf einer Kundgebung öffentlich gegen Frankreich und den Westen wetterte. Moskau hofft, mit Niger einen weiteren Sahelstaat aus dem ehemals französischen Lager in seinen Einflussbereich zu bringen.

Moskau bietet nach Angaben von Diplomaten Verträge für Waffen und Wagner-Söldner an, wie schon in Mali. Auch russische Stipendien für nigrische Studenten hatte der Botschafter im Gepäck. Russland folgt damit der gleichen Strategie wie schon nach den Putschen in Mali und Burkina Faso. Es gibt keine Hinweise auf eine direkte Beteiligung Moskaus an dem Putsch in Niger, aber vom ersten Tag an – als Bazoums Schicksal noch unklar war – unterstützen Seba und andere „Influencer“ die Putschisten in den sozialen Medien, indem sie die Offiziere als anti-koloniale Bewegung und Befreier von Frankreich darstellten. Eine pro-russische Organisation verteilte während des Putsches die obligatorischen russischen Fahnen vor der französischen Botschaft – einige waren so schnell zusammengeschneidert, dass sie die falsche Farbenreihenfolge hatten. Russland half auch bei der Gründung einer Verteidigungsallianz mit Mali und Burkina Faso, die direkt nach dem Besuch eines russischen Vize-Verteidigungsministers in Bamako zustande kam. Tiani und sein Amtskollege aus Burkina, Präsident Ibrahim Traoré, blieben allerdings der Zeremonie in Mali fern und unterzeichneten das Dokument aus Sicherheitsgründen in ihren jeweiligen Hauptstädten.

 

Weitere Zusammenarbeit mit Europa vorerst unklar

Für Europa und die Vereinigten Staaten war Niger bis zum Putsch praktisch die letzte Hoffnung auf ein Mindestmaß an Stabilität im Sahelraum. Das Land machte unter Bazoum - auch dank vieler Kooperationen mit westlichen Armeen - Fortschritte im Kampf gegen Dschihadisten. Die Sicherheitslage war zwar auch hier schwierig, aber dennoch deutlich besser als in Mali und Burkina Faso, wo die Gewalt seit den Putschen explodiert ist. Doch seit dem Coup liegt die Zusammenarbeit auf Eis. Die EU folgt Frankreichs Linie, das den Verlust seines Hauptverbündeten im Sahel nur schwer verkraftet. Es finden keine offiziellen Gespräche statt, auch wenn einige EU-Botschafter auf informellem Weg den Austausch mit dem Ministerpräsidenten und verschiedenen Ministern gesucht haben. Gerade Europas südliche Länder wie Italien drängen auf eine Wiederaufnahme der Beziehungen – sie fürchten, Niger könnte den Pakt gegen die illegale Migration nicht weiterführen. Das Land hatte 2015 auf Druck der EU die Durchgangssroute nach Libyen geschlossen und dafür umfangreiche Hilfen bekommen. Im Norden Nigers, in dem früheren Schmugglerhub Agadez, entsteht nun Druck, die Route wieder zu öffnen, weil viele Nigrer mangels wirtschaftlicher Alternativen wieder zum Menschenschmuggel tendieren.

Die Militärregierung lehnt deutlich jegliche Zusammenarbeit mit Paris ab – zu groß ist der Druck in der eigenen Bevölkerung. In inoffiziellen Gesprächen ließ die Nummer zwei der Junta, Verteidigungsminister Salifou Mody, aber durchblicken, dass andere EU-Länder wie Deutschland weiter willkommen seien. Diplomaten setzen auf Mody, weil er ein alter Bekannter aus der Zeit der engen militärischen Kooperation mit den Europäern ist. Er war direkt in den ersten Tagen des Coups nach Bamako geflogen und hatte dort neben Malis Militärführung angeblich auch Vertreter der Söldnerfirma Wagner getroffen. Die Junta sei aber immer noch zurückhaltend, mit Russland „viel zu machen“, heißt es bei Diplomaten und Experten. Die Initiative für die „Verbrüderung“ zwischen Niger, Mali und Burkina ginge eindeutig von den beiden letzteren aus – deren Staatschefs Goïta und Traoré hatten zuvor in St. Petersburg den russischen Präsidenten Wladimir Putin getroffen. Waffen, Munition und Hubschrauber hatte Niger zwar auch zuvor von Russland gekauft, sonst gibt es aber wenig bilaterale Verbindungen. Das Land war immer mit Frankreich verbündet. Es gibt nicht einmal eine russische Botschaft in Niamey und keine langjährige Militärkooperation wie mit Mali.

 

ECOWAS-Embargo mit sozialer Sprengkraft

Ein Grund, warum die Generäle zögerten, mit dem Westen zu brechen, liege an den Sanktionen und der rasant steigenden Inflation, sagen Experten in Niamey. Die Militärführung hat sich durch das Ausweisen Frankreichs erst einmal Luft verschafft und lässt sich dafür feiern. Doch diese positive Wahrnehmung kann schnell verpuffen, falls sich die Wirtschaftskrise verschärft und wenn die Regierung in ein paar Wochen die Gehälter des öffentlichen Dienstes nicht mehr zahlen kann. Projekte der internationalen Entwicklungszusammenarbeit liegen auf Eis – es braut sich also schon jetzt viel sozialer Sprengstoff zusammen. Das Embargo der ECOWAS von Flug- bis zum Handelsverbot ist zudem härter als das gegen Mali im Jahr 2021, weil der Import von Lebensmitteln und Medikamenten diesmal nicht ausgenommen ist. Mali konnte damals außerdem auf die Häfen von Guinea und Mauretanien zurückgreifen, die nicht von dem Embargo betroffen waren. Diese Option hat Niger nicht: Das Land ist zwar mit Burkina Faso verbündet, das sich nicht an das ECOWAS-Embargo hält, aber die Sicherheitslage dort ist so dramatisch, dass der Transit von Gütern durch das Land zu gefährlich ist. Niger hängt deswegen für dringend benötigte Importe von Benin mit seinem Hafen Cotonou ab, welches aber die Grenze zu seinem nördlichen Nachbarn geschlossen hat.

 

Nord-Mali explodiert – droht Niger das gleiche Schicksal?

Dass Niger zögert, mit dem Westen zu brechen, hat sicherlich auch damit zu tun, dass man die Lage im Nachbarland Mali sehr genau beobachtet – und hier spitzt sich die Situation seit dem Ende der militärischen Zusammenarbeit mit westlichen und internationalen Akteuren drastisch zu.

Fast täglich gibt es im Norden Kämpfe zwischen Regierungstruppen, Tuareg-Rebellen und Dschihadisten, die alle versuchen, ein Vakuum auszufüllen, das durch den Abzug der Blauhelm-Mission MINUSMA (zu der auch die Bundeswehr gehört) entsteht. Mali hat die MINUSMA bis Ende Dezember 2023 zur Ausreise aufgefordert. Die Blauhelm-Truppe hatte seit 2013 einen brüchigen Frieden gehalten, nachdem die französische Armee Dschihadisten aus dem Norden vertrieben hatte. Die Blauhelme waren immer wieder als wenig effektiv kritisiert worden, aber nun zeigt sich, dass die MINUSMA als neutrale Institution mit ihren Stützpunkten einen spürbaren Beitrag zu Sicherheit geleistet und die Konfliktparteien zumindest auseinandergehalten hat. Jetzt versuchen Rebellen und Armee, die bereits verlassenen Stützpunkte zu übernehmen. Die malische Armee hat bereits mehrere Rückschläge erlitten, versucht aber derzeit mithilfe von Wagner-Söldnern, die Tuareg-Hochburg Kidal einzunehmen. Es ist unwahrscheinlich, dass die malische Armee diese abgelegene Stadt langfristig kontrollieren kann, ohne Kräfte an anderer Stelle abzuziehen. Keine Seite kann den Konflikt im Norden gewinnen, aber die Kämpfe werden neue Flüchtlingswellen nach Niger bringen. Die damit einhergehenden Konflikte drohen, das Nachbarland weiter zu destabilisieren.

Auf der anderen Seite der gemeinsamen Grenze mit Mali haben Dschihadisten in Niger seit dem Putsch ca. zwölf Angriffe gegen die Armee verübt und dabei mehr als 100 Soldaten getötet – dies liegt daran, dass die Militärregierung in Niamey und an der Grenze zu Benin (wegen der Drohung einer ECOWAS-Intervention) Einheiten zusammenzieht und Frankreich seine Soldaten aus Niger abzieht. Dies Franzosen hatten etwa Luftunterstützung und taktische Ratschläge gegeben. Diplomaten gehen davon aus, dass die Gewalt in Niger in den nächsten Monaten noch zunehmen wird, da die westliche Kooperation eingestellt ist und die Regierung das eigene Überleben zur Priorität macht.

 

Vermittlungen durch Algerien und schwierige Entscheidungen für den Westen

Westliche Staaten hoffen, dass Nigers nördlicher Nachbar Algerienmit den Putschisten verhandelt, damit sie diese einer Transition und Rückkehr zu einer Gewählten Regierung zustimmen. Die Regierung in Algier hat traditionell gute Kontakte zu Armee und Politik in Niger und zunächst einmal eine Transitionsphase von sechs Monaten vorgeschlagen. Algerien hatte sich auch gleich zu Beginn des Putsches gegen eine Militärinvention durch die ECOWAS ausgesprochen. Zuletzt waren die bilateralen Beziehungen allerdings gestört. Algerien schiebt sehr viele Migranten über die südliche Landgrenze nach Niger ab - auch solche, die gar nicht über das Land eingereist sind, wie etwa Malier. Niger hat deswegen erst einmal zurückhaltend auf Algeriens Vermittlungsangebot reagiert, aber Gespräche nicht grundsätzlich abgelehnt. Das nordafrikanische Land ist auch deswegen glaubwürdig, weil es Frankreich nicht nahesteht.

Je länger die Krise in Niger sich hinzieht, desto größer ist die Gefahr, dass das Land und weitere Teile der Sahelregion zunehmend destabilisiert werden. Das würde mit Sicherheit neue Migrationsbewegungen auf der Mittelmeerroute auslösen. „Es geht jetzt viel um Psychologie. Wir müssen der Junta eine Brücke bauen, wieder das Gespräche mit ECOWAS zu suchen,“ sagt ein westlicher Diplomat in Niamey. „Wir haben noch ein kleines Zeitfenster, uns mit den neuen Machthabern zu arrangieren. Oder wir verlieren ein weiteres Sahelland an Russland.“ Experten der Entwicklungszusammenarbeit weisen außerdem darauf hin, dass in Mali und Burkina Faso Projekte nicht vollständig eingefroren wurden, wie es jetzt in Niger der Fall ist. Das Land war die letzten Jahre Schwerpunkt deutscher und europäischer Entwicklungszusammenarbeit. Projekte sind meist auf viele Jahre ausgerichtet und waren noch nicht abgeschlossen, als der Coup dazwischen kann – Gelder, etwa für die Bezahlung von Baufirmen, wurden eingefroren und Bauprojekte gestoppt. Um die Arbeit der letzten Jahre nicht zunichtezumachen, haben einige europäische Länder wie Deutschland und Belgien nun die nach dem Coup evakuierten Teams nach Niamey zurückgeholt, um wenigstens die fast fertiggestellten Projekte zu Ende zu bringen. Dies ist ein richtiger Schritt – mehr Armut in Niger würde zu noch mehr Migration in die Nachbarländer und nach Europa und auch zu mehr Radikalisierung führen. Es gibt keine einfachen Antworten auf die komplizierte Lage in Niger, aber Europa sollte jetzt flexibel sein, damit das Land – und die Region – nicht völlig in Instabilität abdriftet.

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Ulf Laessing

Ulf Laessing

Leiter Regionalprogramm Sahel

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