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Künstler auf der Suche nach Identität

Ein Blick nach Kassel und Basel

Ein Bericht zur Documenta 11 in Kassel und der Art Basel.

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Viel Politik, weniger Kunst: Kassel als politisches Statement

Schon am Anfang eher nebulös: "Den Horizont der kritischen Diskussionen im gegenwärtigen Kunstdiskurs zu erweitern" und "den Ort der Kultur und ihre Schnittstellen mit anderen komplexen globalen Wissenssystemen zu beschreiben" - dies sind die Ziele von Okwui Enwezor, dem künstlerischen Leiter der Documenta 11. Die Documenta - das ist in diesem Jahr ein intellektuelles und vor allem: ein politisches Projekt. Unmissverständlich hat Enwezor die eigentlichen Ausstellungswochen in ein umfangreiches Netz aus fünf Plattformen eingewoben, das sich über die ganze Welt spannte - seien es das karibische Santa Lucia, Lagos oder eben: Kassel. Die Diskussionsforen, die sich etwas vage mit der Demokratie als unvollendetem Prozess oder der Kreolisierung beschäftigten - zum Teil unter Ausschluss der Öffentlichkeit -, ließen bereits ahnen, dass sich die Kunst ausschließlich über ihre politische Dimension definieren wird. Gleichzeitig kündigte sich die Gefahr an, dass Kunst damit fast gänzlich aus dem Sichtfeld verschwindet - einer Gefahr, der Enwezor zu großen Teilen auch erlegen ist.

Tatsächlich stellt sich für den Betrachter an den unterschiedlichen Schauplätzen der Documenta in Kassel häufig die Frage, worin sich der künstlerische Anspruch verschiedener Arbeiten begründet. Zahlreiche Künstler präsentieren gänzlich unbearbeitetes oder nur minimal verändertes Material. Viel erfährt man etwa über den Völkermord in Ruanda durch den Dokumentarfilmer Eyal Sivans (*1964) in einem Film von 1996 - einer Arbeit, die allerdings auch auf den dritten Programmen der ARD hätte gezeigt werden können. Der Fotojournalist und Dokumentarfotograf Seifollah Samadian (*1954) zeigt eine Arbeit, die aus einem Teheraner Hochhaus aufgenommen ist. Die Kamera wird bewegungslos auf eine Frau im Schneesturm gehalten - ein ambitionierter Film für einen Themenabend auf "arte". Dass hoch politische Werke ihren künstlerischen Wert gleichwohl nicht verlieren müssen, beweist dagegen wieder einmal mehr die Iranerin Shirin Neshat (*1957), die in ihrer Videoarbeit das Motiv des Gartens und die Frage nach den Geschlechterrollen in der islamischen Gesellschaft umsetzt. Schnitt, Ton und eine radikale Bildregie lassen enorm suggestive, beinahe theatralische, in jedem Falle bewegende Bilder entstehen. Der Raum, in dem Neshats Arbeit gezeigt wird, blieb bei der Eröffnung durchgehend überfüllt.

Ähnlich suggestiv, aber mit dem bewusst eingesetzten Kalkül des Schocks arbeitet die Kubanerin Tania Brugueras (*1968). Der Besucher tritt in einen Raum und verliert durch das blendende Licht die Orientierung; erfahrbar sind zunächst nur die Schritte einer patrouillierenden Person und das Geräusch eines immer wieder nachgeladenen Gewehrs. Das Werk verweist sowohl auf die bedrängende Situation eines vom Militär bewachten politischen Gefängnisses, als auch auf den Rüstungsindustriestandort Kassel und seine bedrohte Grenzlage in Zeiten des Kalten Krieges.

Globalisierung, Kolonialismus und Postkolonialismus, Rassendiskriminierung, Unterdrückung, Migration - dies sind die Themen Enwezors, der an die Documenta 5 von 1972 und die Dominanz der konzeptuellen Kunst anknüpfen möchte. Die Stringenz der damaligen Furore machenden politischen Schau kann er gleichwohl nicht erreichen. Dies gilt um so mehr, als die Präsentation längst vertrauter Positionen von Dieter Roth oder Hanne Darboven und den Bechers wirklich nicht mehr auf die Documenta gehören. Ein schlecht bespieltes Fridericianum, eine völlig missratene Documenta-Halle und ein eher langweiliger Kulturbahnhof lassen die Präsentationen in der Binding-Brauerei in den berechtigten Mittelpunkt des Interesses rücken.

Die Documenta 11 endet am 15. September.

Von Kassel nach Basel

Die Art Basel ist zweifellos die prestigeträchtigste und zugleich größte kommerzielle Kunstmesse der Welt, ein Treffpunkt für Künstler, Galeristen, Kuratoren - und vor allem der kaufkräftigen Sammler. Das merkte man der 33. Art Basel, die vom 12. bis 17. Juni dauerte, an: Die renommiertesten Galerien hatten ihre Programme mit Blick auf die Käufer den erfolgreichen internationalen Schauen angepasst und positionierten die auf der Documenta und den großen Ausstellungen vorgestellten Stars. Die Kulturkarawane, die von der Documenta anreiste, traf daher in den Kojen auf noch frische Eindrücke der Kasseler Leistungsschau zeitgenössischer Kunst oder bekam einen Vorgeschmack auf bevorstehende Kunstevents des Sommers.

Die Zahlen

Allein schon die Zahlen kündigten Gigantisches an: 900 Galerien aus Australien, Nord- und Lateinamerika, Asien und Europa bewarben sich um die begehrte Koje auf der Messe für die Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts, 262 wurden ausgewählt, 5000 Werke von 1000 Künstlern wurden gezeigt, weit über 50.000 Besucher drängelten sich durch die Hallen. Die Galerien aus Deutschland setzten sich mit 63 quantitativ an die Spitze; ein Drittel davon aus Berlin. Die deutsche Hauptstadt nahm damit eine herausragende Position ein und vertrat die klassische Moderne (Schuhmacher und Hoehmer bei Nothelfer; Dalí, Arp, Ernst, Magritte bei Brusberg) ebenso überzeugend wie die junge Fraktion im zeitgenössischen Sektor (Breuning, Calle, Hirschhorn bei Arndt und Partner, Rauch und die Nicolais bei EIGEN+ART).

Im Focus der Galeristen: Moden, Stars, Fotografie, Dekoratives und Realismus

Die Galerien blieben nicht davon verschont, in Windeseile Moden des Kunstbetriebs aufzunehmen und sich dabei der Gefahr der Austauschbarkeit auszusetzen. Die allerorts gefeierte Kara Walker (zur Zeit u.a. Guggenheim, Berlin) ist die Patin endloser Schattenrisse und Scherenschnitte, die das spielerische Medium für das Thema Rassismus nutzt. Die Künstlerin hat ganz offenbar eine Lust an der Silhouette initiiert, die nun mit geballter Kraft marktgängig polyglott vertrieben wird. Dies geschah auch in Basel: u.a. bemalter Holzschnitt bei Reu Rongs "Plant People" (Art Beatus/Hong Kong); ebenso ermüdend in ihrer All-Präsenz Licio Fontanas aufgeschlitzte Leinwände (u.a. bei Sperone Westwater/New York und Karsten Greve/Köln). Unbefangen wurden auch wieder dekorative Bilder, die schwarzweiße, schematisierte Landschaftsidyllen zeigen (Paul Morrison bei Michael Janssen, Köln) oder einfach nur dekorative Muster präsentieren (Teresita Fernández und Jean-Marc Bustamente bei Helga de Alevar, Madrid), angeboten. Es gibt ganz offenbar auch eine neue Lust am Gefälligen.

Mit Blick auf den Wunsch der Sammler, in die richtigen Namen zu investieren, wurden dem finanziell potenten Publikum die "big shots" schmackhaft gemacht: So zeigte die Ikone der New Yorker Galeristinnen, Barbara Gladstone, spektakuläre Matthew-Barney-Fotos und entsprechende Requisiten seines "Cremaster"-Zyklus. Matthew Barney wird gerade mit einer großen Schau seiner Cremaster-Serie (1994-2002) im Museum Ludwig geehrt. Der Sinn seiner opulent-barocken, nicht selten auch blutigen und obszönen Inszenierungen bleibt der Kritik immer noch verschlossen, was sie gleichwohl nicht daran hindert, das Augenmerk auf diesen schwer einzuordnenden Künstler zu richten.

Wie im letzten Jahr blieben Bernd und Hilla Becher (u.a. bei Sonnabend/New York) mit ihren ebenso erfolgreichen Schülern und vergleichbar lancierter Fotokünstler stark vertreten und hochpreisig: Andreas Gursky (u.a. bei Sprüth und Magers/München und Köln), Thomas Struth, dessen großformatige Urwälder gleich in mehreren Kojen platziert waren (u.a. bei Ropac/Paris und Hetzler/Berlin), ebenso wie die häufig wiederkehrenden Winter(ski-)Szenen von Walter Niedermayr (u.a. bei Nordenhake/Berlin). Überhaupt bleibt Fotografie präsent, vorzugsweise in endlosen Porträt-Reihungen (etwa Jitka Hanzlova bei Gasser und Grunert/New York und Adrian Piper bei Barbara Gladstone/New York und Enni Fontana/Mailand) oder in ebenfalls nur minimal variierten Landschaftsserien. So zeigte Fiedler/Köln Frank Breuers Computerprints, die farblose Lagerhallen in ländlicher Tristesse abbilden; Wasser und Fels dagegen - aber auch hier in mehreren Fassungen - von Paola Pivi bei De Carlo/Mailand. Rudolf Kickens Haus, das sich nun auch in Berlin zur ersten Adresse in Sachen Fotografie entwickelt hat, führt Helmut Newton und Lázlo-Nagy. Blickfangend wie subtil sind seine auf der Messe gezeigten Damenstrumpf-Variationen von Otto Umbehr, die etwa 1950 entstanden und die Transparenz der frühen "silk stockings" in feinster Schwarzweiß-Arbeit spürbar werden lassen; ganz so, als sähe man Röntgenbilder.

Zum dritten Mal eröffnete die Art Unlimited die Messetage in Basel. Das ehemalige Experiment der Art Basel für sehr große Arbeiten ist zum unentbehrlichen Magneten für die Kunst- und Kulturschaffenden geworden. Nur hier ist es möglich, unabhängig von technischen Voraussetzungen, außergewöhnliche, räumlich und akustisch platzgreifende Arbeiten zu zeigen. Dominiert wurde dieser Teil der Messe zweifellos von Skulptur/Installation, Performance und Video. Auch die Art Unlimited glänzte mit den großen Namen; u.a. Doug Aitken (Video), Mario Merz (Skulptur), Pipilotti Rist (Videoinstallation), Richard Serra (Skulptur), Lawrence Weiner (Textinstallation).

Spektakulär inszenierte sich Skip Arnold, indem er sich auf dem Messeplatz bäuchlings nackt in ein mit Sand ausgefülltes, sehr knapp bemessenes Loch legte und unter einer Glasplatte "begraben" ließ. Die Eröffnungsbesucher liefen stundenlang über ihn hinweg: ein gewagtes Bild der mit Füßen getretenen und geschundenen menschlichen Kreatur; der Titel der Arbeit am Eingang der Messe eher zynisch "Grüezi".

Auf Museumsstatus setzte auch Marian Goodman/New York und zeigte den gerade im MOMA geehrten Gerhard Richter, dessen Retrospektive im Spätsommer Berlin erreicht. Richter dürfte schon zu den modernen Klassikern gezählt werden, die in Zeiten eher zurückhaltenden Kaufinteresses als sichere Anlagen gelten, zumal das Angebot rarer wird. Der große Erfolg der New Yorker Richter-Schau setzte auch die Koordinaten für das deutlich wiedererkennbare Faible für fotorealistische Malerei. Der beinahe akademische Realismus ist dabei nicht unbedingt Indiz für das Zurückgreifen auf Bewährtes, sondern eine Antwort auf Entwicklungen in der Fotografie, im Film und im Internet/PC-Bereich, der (die Realität imitierenden) special effects und der virtual reality. Die Visualisierung der Welt bestimmt sich durch diesen (scheinbaren) Realismus. Der 11. September mit seinen unauslöschlichen Fernsehbildern hat die Dimensionen der veränderten Wirklichkeitsperzeption drastisch "vor Augen" geführt.

"Allerorten": Identitätssuche

Es ist nicht zuletzt diese Konzentration auf das Figurative und den Hyperrealismus, die den Menschen und seine Identität erkennbar (!) in den Mittelpunkt rückt und sich dabei einer (wieder) vertrauten Ästhetik bedient. Die individuellen Umsetzungen fallen freilich sehr unterschiedlich aus: Gilles Barbier (*1965) zeigte in seiner hyperrealistischen skulpturalen Wachsfiguren-Installation die skurrile Belegschaft eines Altersheims: Sechs alte Menschen in lächerlichen Comicstrip-Kostümen. Die der Unsterblichkeit von Superman und Catwoman Nacheifernden sind indes vor dem Fernsehgerät des Altenheims eingeschlafen (oder zu Tode erstarrt). Die Arbeit mit dem Titel "L'Hospice" wurde für 70.000 angeboten (bei Vallois/Paris). John Currins realistisch gearbeiteten Portraits, die der Rückkehr der Malerei Rechnung tragen, beziehen sich auf den ebenfalls allseits vermittelten Jugendlichkeitswahn und bilden gealterte Gesichter auf magersüchtigen Körpern in jugendlichen Posen ab (bei Rosen/New York und Sprüth und Magers/München und Köln).

Mehr als andere Medien ist die Fotografie bevorzugte Technik für das Thema Identität. Die fotografischen Charakterstudien waren nicht zu zählen. Herausragend immer noch die Schwarzweiß-Fotografien von John Coplans (bei Nordenhake/Berlin und Rosen/New York), die das Gesicht aussparen und einzelne Gliedmaßen "porträtieren", die in ihrer Addierung oder Aneinanderreihung aber keinen nahtlosen Corpus ergeben.

Mut zum Risiko beweisen die jüngeren Künstler, deren Validität in Basel als bewusster Schwerpunkt des Messeprofils im Mittelpunkt stand. Zahlreiche Documenta-Künstler wurden daher nachhaltig in Szene gesetzt: Der Filmemacher Isaac Julien (*1960) etwa, der in Kassel mit seiner für drei Leinwände konzipierten Videoarbeit "Paradise Omeros" vertreten ist, wurde in Basel mit Stills (Fotos von Filmarbeiten) dieser sehr politischen Arbeit vorgestellt. Die Galerie Miro/London trug damit der Schwierigkeit Rechnung, dass sich private Sammler nur selten entschließen, große Videoarbeiten anzukaufen. Juliens Filmarbeit wurde allerdings von der New Yorker Bohen-Foundation in Kommission genommen. Die Bohen-Foundation zeigt im Herbst den zweiten Teil des Werks, das auf Walcott-Gedichte Bezug nimmt und die Rassendiskriminierung im Kontext der Suche nach einem neuen Leben im Westen thematisiert.

Auch die kopflosen, in bunten exotisch-afrikanischen Stoffen gekleideten Schaufensterfiguren von Yinka Shonibare (*1962) tauchen in Basel wieder auf (bei Friedman Stephen/London). Die Stoffe sind zu viktorianischen Kostümen verarbeitet und kleiden jetzt die junge Aristokratie, die in den Arrangements von Shonibare exzessiv und hemmungslos ihren diversen Begehren nachgeben. Die Komplexität der Genreszenen wird deutlich, wenn man berücksichtigt, dass die "afrikanischen" Stoffe tatsächlich in Indonesien entstanden, dann in den Niederlanden und England gefertigt und seit dem 19. Jahrhundert überhaupt erst nach Afrika exportiert wurden.

Auch Lorna Simpson (*1960) begegnet wieder (bei Sean Kelly/New York). Gezeigt werden (auch hier statt Video wie auf der Documenta) die berühmten Fotoarbeiten, die sich sowohl mit der Rassendiskriminierung wie den tradierten Geschlechterrollen auseinandersetzen. Die Kombination aus Fotografie und Text steigern die poetische Kraft dieser Arbeiten.

Kulturelle Verknüpfungen, Fehleinschätzungen, Vorurteile oder Verklärungen werden in der jungen Generation - vor allem, wenn sie nicht aus Westeuropa oder den Vereinigten Staaten kommt - von allen Seiten beleuchtet. Dabei lässt sich die allgemeine Beobachtung bestätigen, dass der allerorts (auch in den Bereichen Architektur, Design und Mode) erkennbare Trend zu dem, was als "Ethno" bezeichnet wird, aus dem Wunsch nach Einordnung in historische und folkloristische Strukturen resultiert. Das Bedürfnis nach Einordnung (und damit nach Halt und Sicherheit) dokumentiert sich auch in den zahlreichen arglosen Szenen einer neuen Genre-Malerei, die beschwörend Unbefangenheit festhält (Karen Kilimnik bei Hauser und Wirth/Zürich) und dem unübersehbaren Motiv des Sammelns und Archivierens, das an Adalbert Stifters Idee von der Ordnung und Sicherung der (eigenen) Welt anknüpft. Dies wird auch schon auf der Documenta deutlich, wo Jef Geys 36-stündiger F ilm in langsamer Kamerafahrt sein vierzigjähriges Oeuvre zeigt und damit sein eigenes Leben archiviert. Dazu zählen auch die Datenlistungen des Japaners On Kawara, die persönliche und künstlerische Produktion nicht mehr voneinander trennen lassen. Auch die zahlreichen Reihungen und Serien, auf die für die Fotografie schon verwiesen wurde, gehören in diesen Kontext.

Alles schaut auf junge Kunst und Kultur

Die Konzentration auf die jüngere künstlerische Produktion wird auf der sogenannten "Liste" (Liste 02) deutlich, die sich auch mit ihrem siebten Auftritt in Basel ausschließlich der Förderung junger und jüngster Kunst widmet und am Vorabend der Art Basel eröffnet wird. Fast alle vertretenen Künstler sind unter 40 Jahre alt. Viele von den in den vergangenen sieben Jahren aufgetretenen Kreativen haben den Sprung in die "high class" geschafft und über eine entsprechend prominente Galerienvertretung den Zuschlag für die Art Basel erhalten. In diesem Jahr war die Eröffnung hoffnungslos überfüllt. Die Massen schoben sich durch die engen Räume des Warteck, das sich zum "hippen" Szenetreffpunkt entwickelt hat. Die 46 Galerien aus 15 Ländern zeigten ein Programm, das in diesem Jahr weniger überzeugen konnte als im Vorjahr. Thematisch kreisten auch hier die Arbeiten um das Thema Identität und das heißt vor allem: Identitätssuche - mehr noch: Identitätsverlust. Da werden angesichts austauschbarer Gene Geschlechtsmetamorphosen durchlaufen, provozierend und mit Tabus spielend (Erik van Liehout bei Stella Lohaus/Antwerpen), es werden Fragen nach Einordnung in nationale und internationale Geschichte gestellt (Stefan Wengen zeigt historisierende Indianeraufnahmen bei Frehrking Wieshöfer/Köln) oder die innere Isolation in der urbanen Welt dokumentiert (Jonah Freeman zeigt bei Edward Mitterand herausragende Fotoarbeiten, die in ihrer Ästhetik an Edward Hoppers Bilder der traurig-stillen Anonymität der Menschen in den amerikanischen Großstädten erinnern; das Kaleidoskop seelenloser Urbanität. Veränderungen der Technik und die daraus resultierenden Visionen, Illusionen oder Ängste der Allmachbarkeit verändern das Lebensgefühl radikal. Der Wendepunkt wird spürbar, die Künstler tasten suchend die zerfasernde Welt ab. Weniger subtil dagegen zeigt Rachel Laurent bei Loevenbruck/Paris großformatige bunte Fotoarbeiten von den Müllkippen der Überflussgesellschaft; schockierend die im Müll vergrabenen Sexpuppen, die auf den Verlust von Intimität und Humanität verweisen. Auch Anna Jemolaewa (bei mezzanin/Wien) verweist auf diesen Verlust menschlich bewahrter Erotik - allerdings humorvoller. In einer Videoarbeit lässt sie einen Spielzeug-Porsche in rasanten Schnitten über nackte Arme, Beine, Kniebeugen und Rücken sausen und springen: Das Fetischobjekt Auto hat den Menschen "überrollt".

Deutlicher Trend auch auf der Liste 02: Die Hinwendung zu figurativer Malerei und Zeichnung. Amerikanische Kunden kauften Trine Bosens Personendetails in Kohle, Filzstift u.a., die noch den Atem der fast schon überholten Trash-Kultur atmen (bei Enja Wonneberger/Kiel). Ähnliche Aufmerksamkeit galt Dawn Meliors Frauenfiguren bei Drantmann/Brüssel. Auf marktgängige Entwicklungen springen auch die jungen Künstler auf. Die allgegenwärtigen Scherenschnitte der umjubelten Kara Walker, auf die schon für die Art Basel verwiesen wurde, grüßten auch hier aus den gelackten Schnittarbeiten, die Francesca Kaufmann/Mailand anbot.

Erfolg für die Konrad-Adenauer-Stiftung

Für die Konrad-Adenauer-Stiftung erfreulich der sensationelle Erfolg von Albrecht Schäfer (bei Joana Kamm/Berlin)! Schäfer war bereits zweimal in der Stiftung zu sehen, zuletzt in der Gruppenausstellung  -"Ortsbestimmung Berlin"- . Die technisch meisterhaften Zeichnungen und Fotomontagen eines fiktiven Malewitsch-Museums in Biberach, das nach dem Zweiten Weltkrieg Arbeiten des russischen Avantgardisten angeboten bekam, diese aber abgelehnt hatte, waren komplett ausverkauft. Schäfers künstlerische Vita verweist auf beide Auftritte in der KAS.

Videoarbeiten

Von den ungezählten Videoarbeiten überzeugten in Basel zwei Werke, die in sehr unterschiedlicher Weise gegenüber den vielen dokumentarischen, kargen oder offensiv-gewalttätigen Arbeiten abstachen. Die Irin Theresa Hubbard (*1965) und der Schweizer Alexander Birchler (*1962) inszenierten in einem fließend geschnittenen Film mit dem Titel "Eight" den Kindergeburtstag einer Achtjährigen. In strömendem Regen serviert das Mädchen im Garten auf der offenbar panisch verlassenen Tafel seinen Geburtstagskuchen trotzig-traurig ganz allein - scheinbar unbemerkt von denen, die sich (nur durch Stimmengewirr identifizierbar) ins Haus zurückgezogen haben; das klassische reinigende Regenbild als Initiationsmotiv - Selbstfindung als einsame Abkoppelung. 13.000 kostete das dreieinhalb Minuten dauernde Werk. Sehr humorvoll die nur knapp länger dauernde Videoarbeit von Salla Tykkä (*1973) aus Finnland (bei Yvon Lambert/Paris). Tykkä zeigt ein Mädchen, das ihren Freund in dessen Zuhause abholen möchte - dieser aber nicht öffnet. Der Gang um das Haus und der Blick durch das mit Lamellen verhängte Fenster gibt den Blick auf den jungen Mann frei: Dieser springt wie besessen ohne Unterbrechung durch ein von ihm virtuos geworfenes Lasso. Zu dieser wilden Choreographie erklingt die theatralische Musik des Kultwesterns "Spiel mir das Lied vom Tod". Dem ergriffenen Mädchen laufen die Tränen über das Gesicht - der (lächerliche) Held bleibt hinter der Scheibe unerreichbar und in seinem Ego gefangen.

Am Rande notiert

Dass gegenständliche Arbeiten nicht banal sein müssen, bewies der Koreaner Kwang - Ho Cheong (*1959) mit atemberaubend schönen filigranen Skulpturen "The Leaf" und "The Pot". In über drei Meter hohen und tiefen Metallgeweben formte er die Figuren eines tausendfach geäderten Blattes und eines ebenso oft gesprungenen Topfes; fast kontemplative Positionen, die den Blick auf die zerbrechliche Schönheit von Natur (Blatt) und Kultur (Topf) richten. Die koreanische Arbeit ist ein schönes Beispiel dafür, wie es Kunst vermag, den Betrachter auf phantasievolle Reise zu schicken und das zuzulassen, was jüngst Hanno Rauterberg in der "ZEIT" als "Denken im Konjunktiv" bezeichnet hat.

Resümee

Die Documenta enttäuscht. Sie zeigt keine Trends auf, mehr noch: wichtige Entwicklungen wie die Hinwendung zur Malerei in der jungen Generation werden ignoriert. Viele Arbeiten verlieren in einer radikalen (und thematisch verengten) Politisierung ihren künstlerischen Anspruch und damit paradoxerweise auch wieder ihre (politische) Sprengkraft: Kunst und Kultur vermögen eben mehr, als nur Abbild zu sein. Auch wenn Enwezor keine Trends in der Kunst aufzeigen wollte - die Documenta in Kassel bleibt nun einmal die Ortsbestimmung zeitgenössischer Kunst. Diese Ortsbestimmung konnte Enwezor am Ende nicht vornehmen.

Die Liste 02 in Basel, als junge "Gegenmesse" zur offiziellen Art Basel initiiert, konnte ihrem Anspruch in diesem Jahr ebenfalls nicht gerecht werden. Die Arbeiten setzen zu sehr auf marktgängige Moden oder gezielte, eher ärgerliche Tabubrüche. Viel von dem, was man sah, ging über noch studentisches (oder studierendes) Niveau nicht hinaus.

Die deutliche Themensetzung einer auf Identitäts- und Wertefragen konzentrierten zeitgenössischen Kunst, die merklich spürbar auf gesellschaftspolitische Wendepunkte rekurriert, blieb am Ende der großen Art Basel vorbehalten. Um so mehr wird man im Herbst auf die Entwicklungen des ART FORUM in Berlin gespannt sein dürfen.

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お問い合わせ Dr. Hans-Jörg Clement
Dr. Hans-Jörg Clement
Stellv. Leiter der Hauptabteilung Begabtenförderung und Kultur / Leiter Kultur und Kurator / Geschäftsführer EHF 2010
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