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Neuerscheinungen der KAS-Literaturpreisträger zur Herbstbuchmesse

de Prof. Dr. Michael Braun

Bücherlandschaften und Kursächsische Postmeilensäulen

Die Frankfurter Herbstbuchmesse präsentiert sich zur 75. Ausgabe in aller Reichhaltigkeit, vom Buch im Regal bis zum BookTok in der Hosentasche, mit Promi-Gästen und dem jungen Gastland Slowenien. Auch die Literaturpreisträger der Konrad-Adenauer-Stiftung spielen, wie könnte es anders sein, eine Rolle. Eine aktuelle Auswahl von Neuerscheinungen sei hier vorgestellt:

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Der Landschafter: Nachgelassene Prosa von Wulf Kirsten

Vor seinem Tod 2022 hat Wulf Kirsten (Literaturpreis der KAS 2015) dem Verleger Jens-Fietje Dwars ein Konvolut mit autobiographischen Erzählungen übergeben. Jetzt sind sie in einer schönen, mit Kaltnadelradierungen von Susanne Theumer ausgestatteten Ausgabe erschienen. Der Band enthüllt die prosaische Seite des Werkes von Wulf Kirsten, der vorrangig durch seine Lyrik bekannt wurde, versammelt unter dem Titel „Erdlebenbilder“. Doch für den Dichter sind die Gattungen wahlverwandt. Auch in Kirstens Erzählungen gibt es dichte Beschreibungen der Landstriche in Thüringen, wo Kirsten seit 1965 lebte, und der Ortschaften in Sachsen südlich von Meißen, wo er herkam. Seine Geschichten dokumentieren die Lebensfahrt des „vielleicht letzten Augen-, Ohrenzeugen und Chronisten“ (Jan-Volker Röhnert) zu seinem Wurzeln. Wir können lesen, wie Kirsten 1942/43 unerbetener Zuhörer eines Gesprächs seiner polnischen Tante mit seiner Mutter wurde, in dem die Tante von dem nationalsozialistischen Massenmord an Juden in Kutno berichtete. Eine andere Erzählung verfolgt recherchierend das Schicksal eines zwangsweise zu den Werwölfen abkommandierten Hitlerjungen. Und wer wissen will, was dem 1952 über die nächtliche Autobahn von Berlin nach Dresden radelnden Wulf Kirsten widerfuhr und wie er zum Bergsteigen und Schluchtenklettern in Sachsen kam, der lese die Titelerzählung „Nachtfahrt“ und die mehrteiligen „Elbsandsteinexkursionen“. Ostdeutsche Landschaftserzählungen mit zeithistorischer Tiefe.

 

Die Jean d’Arc Sachsens: Ein aktueller historischer Roman von Hans Pleschinski

In die umgekehrte Richtung führt die Reise, von der Hans Pleschinskis Roman „Der Flakon“ erzählt: von Dresden nach Leipzig. Dort hält der preußische König Residenz, dort empfängt er die Dichter Gellert und Gottsched. Aber die Frauen in der holprigen Postkutsche haben nicht bloß Kulturelles im Sinn. Reichsgräfin Maria Anna Franziska von Brühl, Gattin des sächsischen Premierministers, und ihre Kammerdame Luise von Barnhelm, begleitet von einem preußischen Offizier, wollen die Dichter bitten, ihnen beim Attentat auf Friedrich II. zu helfen. Der ist im August 1756 mit seiner Armee in Sachsen eingefallen, ohne Kriegserklärung, ein „Nimmersatt und Brandstifter im Herzen Europas“, wie es im Roman heißt. Aufgrund genauer historischer Recherchen, die auch das „Lexikon Kursächsische Postmeilensäulen“ einbezieht, inszeniert Hans Pleschinski (KAS-Preisträger 2020) den Widerstreit zwischen nihilistischem Militarismus und kultureller Aufklärung, zwischen Kommandoton und Laissez-Faire. Im Mittelpunkt des Geschehens: die Reichsgräfin von Brühl, eine mutige Frau ihrer Zeit, geleitet von ihrem Gerechtigkeitsgefühl und ihrer europäischen Freiheitsidee. Der Roman ist ungemein spannend erzählt, ein historischer Abenteuerroman. Grund genug, den eisernen Vorhang vor der Goethezeit zu lüften und eine bislang vernachlässigte Story aus dem Schatzhaus der Aufklärungsgeschichte zu bergen.

 

Sprechende Bäume: Cees Nootebooms Denkbilder über das Gespräch der Künste

Cees Nooteboom (KAS-Preisträger 2010), der wie Louis Begley (Preisträger 2000) in diesem Jahr seinen 90. Geburtstag feierte, hatte einmal mit Giuseppe Penoni in einer Preis-Jury gesessen. Der italienische Künstler, der berühmt wurde durch seine handgefertigten Skulpturen aus Stein und Holz, hatte für den Katalog einer Werk-Ausstellung im Museum Voorlinden in Wassenaar bei Den Haag den Schriftsteller um begleitende Gedichte gebeten. Grund für Nooteboom, eine Hommage an den Dialog der Künste zu schreiben. Entstanden ist ein langer Bild-Essay. In seinem Domizil auf Menorca, der mit gigantischen Steinwällen vernetzten Insel, macht sich Nooteboom Gedanken über das Schreiben, über die Entstehung von Kunstwerken, über Wechselwirkungen des Materials und die Diversität beim Anschauen von Bild und Text: Was geschieht, wenn man ein Gedicht pflanzt? Wie trifft ein Bild den Dichter? Welche Sprache sprechen Steine? Wozu ist ein „Denken ohne Baum“ nutze? Und kann man eigene Gedichte überhaupt ohne Bilder Anderer verstehen? Leitmotiv dieser fragenden, oft weisen Überlegungen ist der Baum, der sich (der Titel geht auf einen Vers in Paul Celans Gedicht „Corona“ zurück) angesichts von Klimawandel und Anthropozän zu blühen bequemen muss. Ein Buch, das Lesen lehrt: „Schauen heißt […]: sehen, wie ein anderer denkt und was er daraus gemacht hat.“

 

Politik in der Literatur: Herta Müllers Essays über Menschenwürde und Heimweh nach Zukunft

Die Nobelpreisträgerin Herta Müller (Preisträgerin der Stiftung 2004) hat in ihren Essays den Stein der Freiheit auf dem stolprigen Weg von der Diktatur zur Demokratie ins Rollen gebracht. Der aktuelle Band beginnt mit einem Aufsatz, der die „Würde“ im ersten Artikel des Grundgesetzes würdigt: als innere Würde, unabhängig von Schärpen und Schleppen, Ornaten und Orden. Herta Müller schreibt über die Würde der Sinti und Roma, der homosexuellen und der ins Exil vertriebenen Deutschen, die so lange angetastet wurde, wie die Opfergeschichten dieser ‚Minderheiten‘ nicht akzeptiert wurden. Aus Beschweigen und Verschweigen, Geschichtsverdrehung und Unterdrückung im poststalinistischen Rumänien hat die Autorin gelernt, was Freiheit und Würde wert sind. Sie sind das unsichtbare Gepäck, das sie in den anderen Essays entfaltet: über Heinrich Bölls Suche nach einer bewohnbaren Sprache, über das Ausblenden des Exils im Film-Klassiker „Casablanca“ 1952 bis 1975, über die französische Umgebung als „Heimwehschutz“ für den heute 95-jährigen Georges-Arthur Goldschmidt. Würde, das hat vor allem Herta Müllers bildgenaue Sprache, ihr Ausdruck von literarischer Freiheit.

 

Literatur:

  • Wulf Kirsten: Nachtfahrt. Autobiografische Prosa aus dem Nachlass. Bucha bei Jena: Edition Ornament, 2023.
  • Herta Müller: Eine Fliege kommt durch einen halben Wald. München: Hanser, 2023.
  • Cees Nooteboom: In den Bäumen blühen Steine. Die erdachte Welt von Giuseppe Penone. Aus dem Niederländischen von Helga van Beuningen. Berlin: Suhrkamp, 2023
  • Hans Pleschinski: Der Flakon. Roman. München: Beck, 2023.s

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Referent Literatur

michael.braun@kas.de +49 30 26996-2544

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