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Indien: Gujarat nach der Landtagswahl

Автор: Dr. Helmut Reifeld
Schon seit langem hat eine Landtagswahl in Indien nicht mehr so viel internationale Aufmerksamkeit gefunden wie die in Gujarat vom 12. Dezember 2002. „The year 2002 was that of Gujarat“, so schrieb am Jahresende K. K. Katyal in der angesehenen Tageszeitung „The Hindu“.

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Den Hintergrund für soviel Aufmerksamkeit bildeten die pogromartigen Übergriffe gegen Muslime in Gujarat während der ersten Jahreshälfte 2002, denen offiziellen Angaben zufolge mindestens 1.000, inoffiziellen Schätzungen nach bis zu 3.000 Menschen zum Opfer fielen. Darüber hinaus haben weit über 100.000 Muslime die Sommermonate in Lagern verbracht, und teilweise trauen sie sich bis heute nicht zurück in ihre früheren Wohngegenden. Ausgelöst wurde diese Serie von Morden, Verbrennungen, Vergewaltigungen und Hinrichtungen unterschiedlichster Art durch den Brandanschlag vom 27. Februar auf einen Zug in Godhra, der vollbesetzt war mit „kar sevaks“, den „Kämpfern“ der Hindutva, von denen 59 ums Leben kamen. Die Identität derjenigen, die für diesen Überfall verantwortlich sind, ist bis heute ungeklärt.

Das Neuartige an diesen gewalttätigen Ausschreitungen war nicht so sehr die Art der Grausamkeiten, sondern das Ausmaß, in dem diese von Seiten politischer Institutionen gedeckt, unterstützt und kaschiert wurden. Vom ersten Tag an haben die Schutzkräfte Partei ergriffen; Polizisten, die versucht hatten, sich „neutral“ zu verhalten, wurden bald darauf versetzt. Unter dem Vorwand, sie beschützen zu wollen, wurden Muslime dem Mob in die Arme getrieben.

Nicht einmal einem Mitglied des Parlaments gelang es, rechtzeitig Hilfe zu bekommen. Statt dessen halfen Behörden den fanatisierten Massen, die Häuser von Muslimen zu identifizieren, obwohl kein Zweifel daran bestehen konnte, dass diese anschließend in Flammen aufgehen würden. Es handelte sich nicht um einmalige, unkontrollierte Eskalationen, sondern um ein systematisches Vorgehen, hinter dem einigen Beobachtern zufolge eine langfristige, hinter das Attentat von Godhra zurück reichende Planung erkennbar war.

Diese Ausschreitungen haben während des gesamten Jahres 2002 und bis zum Wahltag das politische Klima in Gujarat bestimmt und dessen Bild in Indien und weltweit geprägt. Gujarat ist der einzige der 28 indischen Bundesstaaten, in dem die hindunationalistische Bharatiya Janata Party (BJP), die auch die Regierungskoalition in Delhi anführt, nach wie vor über eine absolute Mehrheit verfügt. Nicht nur deren Image, sondern auch deren faktische Macht und die Aussichten auf künftige Wahlerfolge wurden im zweiten Halbjahr 2002 maßgeblich von der Entwicklung in Gujarat geprägt. Während bereits die Entscheidung für die Landtagswahl sehr umstritten war, war es die Wahl selber aufgrund ihres plebiszitären Charakters noch viel mehr, da ein Wahlerfolg für die BJP als eine Zustimmung der Bevölkerung für die gewaltsame Ausgrenzung der Muslime und damit als ein Zeichen für den künftigen inneren Frieden in Indien bewertet wurde.

Die reguläre fünfjährige Wahlperiode für den Bundesstaat Gujarat wäre im März 2003 ausgelaufen. Seit dem Frühsommer 2002 schätzte die Parteiführung der BJP die Stimmung im Land so ein, dass sie sich von vorgezogenen Wahlen erhebliche Vorteile versprach, während die Opposition versuchte, für Gujarat einen Ausnahmezustand („President's Rule“) zu erwirken. Die Gratwanderung bestand jedoch darin, einerseits die Notwendigkeit von Wahlen und andererseits deren Durchführbarkeit zu begründen.

Anstatt nach der Sommerpause den Landtag wieder einzuberufen, löste Ministerpräsident Modi ihn am 15. Juli auf und bat die nationale „Election Commission“ (EC) um einen Wahltermin innerhalb von drei Wochen. Die EC, die in jedem Fall über die Durchführbarkeit und Durchführung von Wahlen entscheidet, beriet zu diesem Zeitpunkt gleichzeitig über die Situation in „Jammu and Kashmir“, wo die Landtagswahl in ihrer Durchführbarkeit ebenfalls äußerst umstritten war.

Eine zentrale und ausschlaggebende Rolle spielte in beiden Fällen der „Chief Election Commissioner“ (CEC), James Michael Lyngdoh, der im Falle von Gujarat zunächst gegen, im Falle von „Jammu and Kashmir“jedoch von Anfang an für die Durchführung der jeweiligen Landtagswahl plädierte.

Nach der Auflösung des Landtages in Gandhinagar ließ die EC zwischen dem 31. Juli und 11. August eine gründliche und umfassende Analyse der Lage in Gujarat erstellen. Diese führte zu dem Ergebnis, dass 154 der insgesamt 182 Wahlkreise von den Ausschreitungen betroffen waren, darunter 151 Städte sowie 284 der insgesamt 464 größeren Polizeistationen des Landes.

Auf dieser Grundlage entschied der CEC am 16. August, dass zwar kein Ausnahmezustand beantragt werden müsse, sondern die Regierung von Ministerpräsident Modi bis auf weiteres im Amt bleiben und innerhalb von sechs Monaten Wahlen durchgeführt werden sollten.

Nachdem die EC den Wahltermin auf den 12. Dezember festgesetzt hatte, versuchte die BJP noch vergeblich, diesen auf den 6. Dezember, den zehnten Jahrestag der Zerstörung der Babri Moschee in Ayodya, vorzuziehen. „Having undermined democracy“, so urteilte Rajeev Dhavan, Richter am Supreme Court in Delhi, „the BJP should not be allowed to undermine the patient wisdom of the rule of law“.

Der Wahlkampf der BJP in Gujarat war vor allem von einer ambivalenten Doppelstrategie der Bedrohung gekennzeichnet. Auf der einen Seite identifizierte sie die Muslime als eindeutige Bedroher, sei es im eigenen Land oder in Pakistan. Auf der anderen Seite präsentierte sie sich selber gerne als Repräsentant der bedrohten Mehrheit, welche die Bevölkerung Gujarats nur mit Mühe gegen aggressive Minderheiten verteidigen kann.

Aus dieser Perspektive sind es nicht nur die stets potentiell terroristischen Muslime und die konvertierenden Christen, durch die sie sich in eine Opferrolle gedrängt weiß. Es ist darüber hinaus die liberale, englischsprachige und westlich orientierte Presse, die durch ihr fortwährendes „Hindu bashing“ dem Congress in die Hände arbeitet und die wahre Identität des eigenen Landes in Frage stellt.

Besonders umstritten waren die Wahlkampfplakate der BJP, auf denen immer wieder der brennende Zug in Godhra gezeigt wurde, teilweise sogar umrahmt von Portraits der Opfer. Die Überschrift forderte dazu auf, die Wahl zum Kampf gegen den „Jehad“ werden zu lassen, da nur so verhindert werden könne, dass jedes Dorf ein weiteres Godhra und Gujarat ein zweites Kaschmir würden.

Außer dem brennenden Waggon zeigten Plakate auch die beiden von Terroristen überfallenen Tempel von Ashardham und Raghunath, die gemeinsam zu Symbolen eines pauschal als aggressiv dargestellten Islam wurden. Wieder andere Plakate zeigten auf der rechten Seite das Bild von Narendra Modi, dem unangefochtenen Spitzenkandidaten der BJP, und auf der linken das des pakistanischen Ministerpräsidenten Musharraf, überschrieben mit der Aufforderung an die Wähler, sich zwischen beiden zu entscheiden.

Im Kern reduzierte die BJP ihren gesamten Wahlkampf auf die Alternative: regionaler Chauvinismus hier in Gujarat versus terroristische Muslime, unterstützt von den „Pseudo-Säkularisten“ von außerhalb. Es war die hinduistische Mehrheit hier, belagert von einer feindlichen religiösen Minderheit.

Um die ökonomischen Probleme Gujarats ging es unter diesen Umständen so gut wie gar nicht. Weder die BJP noch der Congress waren bemüht, ökonomische Reformkonzepte anzubieten. Die Klein- und Mittelstandsbetriebe, die im allgemeinen der BJP keineswegs abgeneigt gegenüberstehen, beklagten sich sogar darüber, dass die ausschließliche Konzentration auf die Bedrohung durch den Islam und die dadurch verbreiteten Angstpsychosen dem wirtschaftlichen Aufschwung des Landes keineswegs zuträglich seien.

Die Congress Partei, die nach der Unabhängigkeit über vierzig Jahre lang in Gujarat regiert hatte, hat diesmal vor allem darin versagt, ihre eigenen Stärken auszunutzen. Ihr Spitzenkandidat, Shankarsinh Waghela, hob sich zu wenig von Narendra Modi ab, und seine Form von „soft Hindutva“ bot keine Alternative. Waghela, ein früheres Mitglied der hindunationalistischen Basisorganisation RSS, hatte sich lediglich deshalb dem Congress angeschlossen, weil die BJP ihm zuvor den Laufpass gegeben hatte. Er erweckte nicht den Eindruck, als ob es ihm um Sachfragen ginge, sondern allein um Machtgewinn.

Doch zu diesem Zweck erwies sich die Strategie des Schweigens als ungeeignet. Er hatte von Anfang an die vorangegangenen Ausschreitungen als Sachverhalt akzeptiert und damit zugleich die Einschätzung der BJP übernommen, als ob die Mehrheit der Bevölkerung in Gujarat aus fanatischen, wenn nicht gar aus gewalttätigen, die Muslime hassenden Hindus bestünde.

Eine breit angelegte Analyse des Wählerverhaltens, die während des Wahlkampfs von dem angesehenen „Centre for the Study of Developing Societies“ (CSDS) durchgeführt worden war, hatte das Ergebnis sehr präzise vorausgesagt. Demnach war das Ansehen der alten Regierung unter Modi in der gesamten Bevölkerung beachtlich. Selbst unter den Stammwählern des Congress waren 12% mit den Leistungen der alten Regierung „sehr zufrieden“ und weitere 31% „zufrieden“. 46% der Wahlberechtigten hielten Modi für einen effizienten Ministerpräsidenten, der das Ansehen Gujarats erhöht und vor allem den Bau des Narmada Staudamms vorangetrieben habe. Sogar unter den Wählern des Congress hielten 14% Modi und nur 32% Waghela für den besseren Kandidaten, während mehr als ein Drittel unentschieden waren.

Aufgrund der außerordentlich aktiven Basisarbeit der BJP und der sie unterstützenden rechtsradikalen Gruppen in Gujarat während der vergangenen zehn Jahre betrachten sich bereits 40 Prozent der Bevölkerung als „traditionelle“ BJP-Wähler, nur noch 30% als Stammwähler des Congress und 27% als Wechselwähler.

Auf der Wohlstandsskala zwischen Arm und Reich sind die jeweiligen Sympathien genau gegenläufig: Demnach stimmen 66% der Reichen für die BJP (25% für den Congress), in der gehobenen Mittelklasse sind es noch 61 (bzw. 26)%, in der unteren Mittelklasse 49 (37)%, unter den Armen 45 (41)% und erst unter den „very poor“ hat die BJP mit 41% weniger als der Congress mit 44%.

Maßgeblich zum Wahlausgang beigetragen hat zum einen, dass unter den Wechselwählern die latenten Sympathien für die BJP wesentlich größer waren als für den Congress, und zum anderen, dass die jeweiligen Stammwähler von der BJP wesentlich intensiver mobilisiert wurden als vom Congress.

Wie die Studie des CSDS belegt und wie auch von den Medien immer wieder betont wurde, traten die Veränderungen im Hinblick auf den sogenannten KHAM-Faktor in Gujarat stärker in Erscheinung als irgendwo sonst zuvor. „KHAM“ sind die vier Initialen für: Kshatriya, Harijan, Adivasi und Muslim (also für die „Kriegerkaste“, die traditionell gemischt-religiös zusammengesetzt ist, für die Unberührbaren, die Ureinwohner und die Muslime). Diese vier Bevölkerungsgruppen machen zusammen mehr als ein Drittel der Stimmen aus und bilden das traditionelle Rückgrat des Congress.

Obwohl sich die BJP primär auf die Unterstützung der Oberschichten und der höheren Hindukasten verlassen konnte, ist es ihr gelungen, darüber hinaus auch in diese Hochburg des Congress einzudringen. Hierfür gab es verschiedene Ansatzpunkte. Unter den Adivasis zum Beispiel besteht sehr viel Ressentiment gegenüber den Muslimen, von denen sie sich übervorteilt fühlen. Deshalb wurden die anti-muslimischen Pogrome unter ihnen vielfach sehr positiv aufgenommen und bewirkten einen Wechsel zur BJP.

In diesen Zusammenhang gehört auch, dass die zahlreichen Quotenregelungen, die vor allem von Congress-Regierungen eingeführt worden sind, viel von ihrer Attraktivität verloren haben. Theoretisch sollten sie diese Gruppen begünstigen, praktisch aber haben sie zu sehr komplexen Rivalitäten zwischen ihnen geführt.

Was die Nominierung von Kandidaten für die jeweiligen Wahlkreise betrifft, gab es zwischen der BJP und dem Congress deutliche Unterschiede. Da der spätere Anteil an Sitzen für Dalits und Adivasis ohnehin gesetzlich festgelegt ist und keine der beiden Parteien darüber hinaus ging, wurde besonders aufmerksam beobachtet, wie stark die anderen Gruppen der Gesellschaft repräsentiert sind.

Zwar ist die Politik der Quotenregelungen sowohl unter Politikern als auch in der Bevölkerung sehr umstritten, aber praktisch lässt sie sich kaum umgehen. Stark zugenommen hat demgegenüber die Einbindung der übrigen, sozial benachteiligten Gruppen, die als „OBCs“ (Other Backward Classes) bezeichnet werden.

Um dem intensiven Bemühen des Congress um diese Gruppen begegnen zu können, hatte die BJP ihren Anteil an OBC-Kandidaten um 40% erhöht. Die insgesamt fünf muslimischen Kandidaten traten ausschließlich für den Congress an. Personen, die ihre Kandidatur persönlichen Beziehungen zu verdanken hatten, gab es in beiden Parteien.

Eine große Mehrheit der Bevölkerung lehnt die gewalttätigen Ausschreitungen gegen Muslime im ersten Halbjahr 2002 ab. 73 Prozent der BJP Wähler und 76% der Congress Wähler halten diese Form kommunaler Gewalt für „absolut ungerechtfertigt“. Aber auch die indirekten, teilweise latenten Einschätzungen des sozialen, inter-religiösen Zusammenlebens verdienen hervorgehoben zu werden.

Demnach fordern 48 Prozent ein Verbot für Konversionen, 47% möchten inter-religiöse Heiraten verbieten und 31% halten die Zerstörung der Babri Moschee von 1992 für gerechtfertigt. Eine der aufschlussreichsten Fragen war wahrscheinlich, wie hoch der Anteil der Muslime an der Bevölkerung Gujarats eingeschätzt wird. Nur jeder fünfte nannte eine Zahl in der Nähe des tatsächlichen Anteils von neun Prozent. Drei Viertel der Befragten schätzten ihn wesentlich höher ein.

Von der formalen Durchführung her kann die Landtagswahl in Gujarat vom 12. Dezember 2002 als demokratisch eingestuft werden. Um so schwerer fiel es den Medien und der politisch interessierten Öffentlichkeit, den überwältigenden Wahlsieg der BJP als authentischen Ausdruck des Volkswillens zu akzeptieren. Dem offiziellen Endergebnis zufolge wird die BJP im neuen Landtag mit 126 von insgesamt 181 Sitzen vertreten sein, der Congress hat 51 Sitze, vier fielen an andere Kandidaten. Zwar stimmen die meisten Kommentatoren darin überein, dass der sogenannte Hindutva-Faktor ausschlaggebend war für diesen Wahlerfolg, doch wäre es übereilt, von den Pogromen auf den Wahlsieg zu schließen.

Offensichtlich haben die Pogrome zum Erfolg beigetragen, auch wenn sie nicht allein dafür ausschlaggebend waren. Darüber hinaus wäre es sachlich falsch, praktizierende Hindus automatisch für BJP Wähler zu halten, auch wenn sie zweifellos die große Mehrheit bilden. Interessanterweise fielen aber gerade die Wahlkreise, in denen drei der populärsten hinduistischen Pilgerzentren liegen, nämlich Somnath, Dwarka und Ambaji, an den Congress.

Eines der verblüffendsten Ergebnisse war jedoch, dass die BJP ihre größten Erfolge gerade in den Distrikten verzeichnen konnte, in denen Anfang des Jahres die h eftigsten Ausschreitungen kommunaler Gewalt stattgefunden haben.

%

Von den 65 Delegierten aus diesen Gebieten gehören jetzt 53 der BJP an. Dies umfasst auch 24 der 28 Sitze, die sie gegenüber der letzten Landtagswahl 1998 neu hinzu gewonnen hat. Damit stammen 73 ihrer insgesamt 126 Sitze aus den Wahlkreisen in Zentral- und Nord-Gujarat. Elf Sitze verloren hat die BJP demgegenüber in den Regionen Saurashtra und Kutch, wo sogar elf Minister der vorangegangenen Regierung ihre Sitze nicht behaupten konnten. In 36 Wahlkreisen gewann die BJP nur mit einer hauchdünnen Mehrheit gegenüber dem Congress. Mehrere Wahlkreise wären an den Congress gegangen, hätte sich dieser zuvor mit den Splitterparteien verständigt.

Proportional gesehen, basiert der „Erdrutschsieg“ der BJP auf lediglich 49,79% der Stimmen (im Vergleich zu 44,81% 1998), während der Congress knapp 40% errungen hat. Andersherum formuliert, hat sich die Hälfte der Bevölkerung auf die extrem propagierte Polarisierung zwischen den Kräften der Hindutva auf der einen und den sogenannten „Preudo-Säkularisten“ und Minderheiten auf der anderen Seite zugunsten der Hindunationalisten eingelassen. Unter den jungen Erwachsenen hat die BJP mehr Stimmengewinne zu verzeichnen als der Congress, während Frauen im Durchschnitt dem Congress mehr die Treue halten als Männer. Auffallend ist ferner, dass auch große Teile der oberen Mittelschicht und der Bildungselite des Landes der BJP ihre Stimme gaben.

Darüber hinaus sollte festgehalten werden, dass es die erste Wahl war, die von der Hindutva-Bewegung ohne maßgeblichen Einfluss der Parteiführung aus Delhi durch Premierminister Vajpayee und Innenminister Advani gewonnen wurde. Im wesentlichen haben Narandra Modi selber und seine Freunde aus der rechtsradikalen VHP, der Bajrang Dal, die vor allem durch ihre Angriffe auf Christen bekannt geworden ist, und anderen gewaltbereiten Gruppierungen in Gujarat diesen Sieg erzielt.

Die Wahl in Gujarat wurde primär von Narendra Modi und Praveen Togadia gewonnen. Ihr Mittel war kein Programm, sondern ein Pogrom, und wenn sie vom „enemy“ sprachen, meinten sie in der Regel die Muslime. Keineswegs nur radikale Hindutva-Aktivisten, sondern auch durchschnittliche BJP Politiker der situierten Mittelklasse sprachen im Wahlkampf von den Muslimen als „kachra“, also als "Abfall", den es zu beseitigen gilt. Gleichzeitig herrscht unter den Christen in ganz Gujarat, aber auch in anderen Teilen Indiens betretenes Schweigen, weil sie keinen Zweifel daran haben, dass sie (wie bereits im Winter 1998/99) jederzeit wieder in die gleiche Sündenbock-Rolle geraten können.

Die meist diskutierte Frage nach der Wahl lautet nunmehr, ob es der BJP möglich sein wird, den Erfolg von Gujarat auch in anderen Bundesländern zu erzielen, von denen mindestens sechs 2003 ebenfalls Landtagswahlen abhalten sollen. Bereits Anfang September nannte Ashok Singhal, Präsident der VHP, das Blutbad von Gujarat ein „successful experiment“. Es sei ein Sieg für die hinduistische Bevölkerung Indiens, wenn es jetzt in den Dörfern Gujarats keine Muslime mehr gebe.

Die Drohung von BJP Präsident Venkaiah Naidu, seine Partei plane „to replicate the Gujarat experience everywhere“, hat nicht nur den Congress aufgeschreckt. Bereits während des Wahlkampfes fragten sich viele, ob der politische Gewinn, den die BJP offensichtlich aus dem Blutbad in Gujarat ziehen konnte, als ein erfolgreiches „Experiment“ bewertet werden könne.

Vertreter der BJP wie auch ihre politischen Gegner sprachen vom „laboratory of Hindutva“. Andere wiederum weisen auf den homogenen Charakter der Gesellschaft in Gujarat hin, auf umgekehrte Erfahrungen in anderen Bundesländern sowie auf den Effekt des Mehrheitswahlrechts und bezweifeln, dass sich der „Erfolg“ der BJP dort auf andere Bundesländer übertragen lasse.

Rajni Kothari, einer der namhaftesten Politikwissenschaftler Indiens, sieht in dem Erfolg von Modi und Togadia, dem internationalen Präsidenten der VHP, hingegen die demokratischen Traditionen Indiens auf den Kopf gestellt. Für ihn bildet die ideologische Rechtfertigung von Gewalt, die er das „Togadia phenomenon“ nennt, eine einschneidende Veränderung der politischen Kultur in Indien, die alles übertrifft, was die BJP bisher politisch durchzusetzen versucht hat.

Viele Autoren zogen immer wieder Parallelen zum Antisemitismus und der Judenvernichtung durch den Nationalsozialismus in Deutschland. Eine „Modi-fied Hindutva“, so urteilt Harish Khare, einer der Herausgeber der anspruchsvollen Tageszeitung „The Hindu“, zeichne sich vor allem durch drei Merkmale aus: erstens durch Intoleranz gegenüber Andersdenkenden, zweitens durch staatliche Gewalt, die Minderheiten in die Schranken weist, und drittens durch ihre Wertschätzung für Fremdenfeindlichkeit. Sollte dieses Konzept Schule machen, könnte das für Indien einen „permanent civil war“ zur Folge haben, aber nicht die erhoffte weltpolitische Führungsrolle im 21. Jahrhundert.

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