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Nigeria und die Qual vor der Wahl

Автор: Dr. habil Klaus Paehler
Demokratisierungsbemühungen zwischen Kidnapping und öldurstigen Supermächten

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Deutscher entführt

Nigeria ist immer gut für schlechte Nachrichten, darin steht es dem Sudan oder Kongo nur wenig nach. Flugzeugabstürze, blutige Unruhen und Geiselnahmen im Nigerdelta und die allgegenwärtige Korruption waren die Hauptthemen der letzten Monate. Nach einem Jahr in Nigeria hat man sich fast daran gewöhnt. Die Ermordung eines in der Ölindustrie arbeitenden US-Amerikaners auf offener Strasse und eine Autobombe in Port Harcourt ragten dann aber doch ein wenig aus dem Alltagsgeschehen heraus.

Ein täglicher Produktionsausfall von mindestens 500.000 Barrel des hochwertigen nigerianischen Rohöls, ein fünftel der Kapazität, ist damit bereits durch Anschläge stillgelegt worden. Weitere Verluste entstehen dadurch, dass Pipelines illegal angezapft werden und das gestohlene Öl auf dem Schwarzmarkt verkauft wird. So starben etwa 200 Menschen, als es beim versuchten Ölraub in der Nähe von Lagos zu einer Explosion kam. Der Ölmarkt ist nervös, da weitere Anschläge angedroht werden und auch die Situation in Iran oder die beschädigte Pipeline in Alaska Befürchtungen auslösen.

Wird dann noch ein Landsmann entführt, wie soeben in der „Öl- und Kidnappinghauptstadt“ des Landes, Port Harcourt geschehen, an einem Ort, den man kürzlich ebenfalls im Auto besucht hatte, muss man seine Fähigkeiten, Gefahren zu verdrängen, allerdings noch ein wenig verstärken. Sicherheitskreise sind aber optimistisch, dass auch diese Geiselnahme glimpflich verlaufen wird.

Die Geiselnehmer verlangen diesmal u. a. die Freilassung des ehemaligen Gouverneurs von Bayelsa State. Er war von der Zentralregierung abgesetzt worden und steht jetzt unter Anklage (natürlich wegen finanzieller Delikte). Dies ist die sehr nigerianische Vorgeschichte: Der Gouverneur war kürzlich mit sehr viel Bargeld sehr unklarer Herkunft in London festgenommen, aber gegen Kaution wieder freigelassen worden. Als Frau verkleidet gelang ihm mit eigens aus Nigeria eingeflogenen gefälschten Dokumenten („no problem“ ist eine der wichtigsten nigerianischen Redensarten) sehr zum Verdruss von Scotland Yard die Flucht zurück nach Nigeria.

Dort wurde er von seinen Anhängern gefeiert. Er erzählte ihnen, er habe sich keinesfalls (als Frau, wie schändlich!) verkleidet sondern sei abends in London ganz normal zu Bett gegangen und am nächsten Morgen in Nigeria aufgewacht. Dies sei das Werk einer von ihm verehrten Stammesgottheit gewesen, deren Name uns entfallen ist. Dieses Verschwinden und Wiederauftauchen ist für Nigerianer nichts Ungewöhnliches. Besonders größeren Geldbeträgen widerfährt dergleichen hier regelmäßig. Letztenendes wurde der Gouverneur aber doch von der nigerianischen Bundesregierung seines Amtes enthoben und verhaftet.

Schuldenerlass und Devisenreserven

Aber es gibt auch gute Nachrichten. Ein wichtiger internationaler Erfolg für Nigeria ist zum Beispiel, dass es als erstes afrikanisches Land gegenüber dem Pariser Club schuldenfrei geworden ist. Man mag gegenüber Schuldenerlassen u. a. wegen des damit verbundenen „moral hazard“ ja verschiedener Meinung sein (soeben berichtete die Weltbank, dass mehrere Länder, denen Schuldenerlass gewährt wurde, wieder ziemlich genauso hoch verschuldet sind, wie vor dem Erlass), aber dass Nigeria unter Lob von IMF und Weltbank für seine wirtschaftlichen Reformen einen Schuldenerlass von ca. 18 Mrd. USD erlangen konnte und im Gegenzug nur ca. 12 Mrd. USD tilgen musste, spricht zweifellos für seine zunehmende internationale Glaubwürdigkeit, die sich langsam auch in verbesserten Ratings der Agenturen niederschlägt (Fitch z. B. BB-).

Die Devisenreserven belaufen sich inzwischen auf ca. 35 Mrd. USD. Innenpolitisch wird die Regierung Obasanjo allerdings sowohl für die Schuldentilgung als auch die Ansammlung der Reserven kritisiert. Man solle diese Mittel lieber in die Infrastruktur des Landes investieren. Diese Argumentation setzt allerdings voraus, dass sie dann auch tatsächlich für die Infrastruktur verwendet würden, im korrupten Nigeria allenfalls eine vage Hoffnung. Viel wahrscheinlicher wäre es, dass die Mittel in den üblichen dunklen Kanälen verschwinden würden und das Land dann weder schuldenfrei wäre, noch Devisenreserven, noch eine deutlich bessere Infrastruktur hätte.

Volkszählung am geographischen Mittelpunkt der Erde

Dass Nigeria sich nach langen Jahren Militärherrschaft nun auf seine dritten demokratischen Wahlen in Folge im Frühjahr 2007 (nach 1999 und 2003) vorbereitet, ist eine weitere gute Nachricht. Hohe amerikanische Sicherheitskreise wie etwa der Sicherheitsdirektor John Negroponte stufen diese Wahlen als die am afrikanischen Horizont mit Abstand wichtigsten Wahlen ein. Ihre Vorbereitung, ihr Verlauf, ihre Glaubwürdigkeit und ihr Ergebnis werden weit über das Land hinaus Signalfunktion haben. Sind sie erfolgreich, kommt es zum ersten friedlichen Machtwechsel von Zivilregierungen seit Ende der Militärherrschaft - die Möglichkeit, seine Regierung auf unblutige Weise loszuwerden ist nach Popper ein Schlüsselmerkmal für Demokratie. Wird es dann im zusammen mit Südafrika wichtigsten Land südlich der Sahara endlich stabile demokratische Verhältnisse geben, die die Hoffnung zulassen, dass sich der schwarze Riese langsam in die richtige Richtung bewegt?

Nigeria ist das mit Abstand volkreichste afrikanische Land und wird auf 120 bis 140 Millionen Einwohner geschätzt. Ca. 20 % aller schwarzen Menschen der Welt leben hier. (Knapp 10% davon sind nach einem neuen Bericht des World Food Programms unterernährt, für Afrika gar nicht einmal schlecht.) Die Bevölkerung wurde soeben neu gezählt, viele organisatorische Pannen und der "Nigeriafaktor" machten die Zählung zum Ereignis. Unter anderem wurde der Posten des "Zählers" unter der Hand weiterverkauft, viele Zähler erhielten dann aber doch nicht die ihnen zugesicherte Vergütung. Arbeitsmaterial für die Zähler fehlte und schließlich wurden weite Teile des Landes (besonders die Wirtschaftsmetropole Lagos) für Tage einfach stillgelegt, da die Menschen ihre Häuser nicht verlassen durften, bevor sie gezählt waren. Gelegentlich erhielt man eine SMS mit dem Hinweis, sich nicht zählen zu lassen sei strafbar, sich mehrfach zählen zu lassen auch.

Wie nahe an der Wirklichkeit das Ergebnis sein wird, ist schon jetzt umstritten. In einem Land mit mehreren hundert ethnischen Gruppen und verschiedenen Religionen hat Bevölkerungsstatistik natürlich auch politische Bedeutung. Sie dient der Durchset¬zung von Machtansprüchen und soll Forderungen nach regionaler Umverteilung der Erlöse aus dem Ölgeschäft begründen helfen. Auch wirtschaftliche Kenngrößen - wie etwa das Pro-Kopf-Einkommen und internationale Einstufungen - hängen von der Bevölkerungsstatistik ab.

Auch der Anteil der großen Religionen Christentum und Islam ist hier am westlichen Ende des islamischen Halbmonds, der sich von Westafrika über den Mittleren Osten, den indischen Subkontinent und Indonesien bis hin in die südlichen Philippinen zieht, von mehr als nur symbolischer Bedeutung.

Allerdings wurden Religionszugehörigkeit und ethnische Merkmale nach kontroversen Diskussionen nicht erhoben. Zu genau will man es dann vielleicht doch nicht wissen. Ethnizität, Religion und die Verteilung der Öleinkünfte sind die drei wichtigsten Konfliktursachen Nigerias. All dies hat um so mehr Bedeutung, als das Land ohne Zweifel politisch und militärisch die Vormacht am Golf von Guinea ist, der sich von Côte d'Ivoire bis nach Gabon erstreckt (und als geographisches Zentrum der Erde gilt, weil sich hier der Äquator und der Meridian von Greenwich schneiden).

China in Afrika

Nicht nur geographisch, auch politisch ist der Golf in exponierter Lage. Nicht ganz so ölreich wie der persische Golf, finden sich hier aber dennoch riesige Öl- und Gasreserven, die weder die USA noch China gleichgültig lassen. Das nigerianische Öl ist besonders hochwertig („light and sweet“) und dient dadurch z.B. zur Veredelung venezolanischen Öls. Seine Bedeutung ist daher größer als es die rein quantitative Angabe zu erkennen gibt.

Deutlich spürbar ist die chinesische Präsenz in Nigeria bereits, ein Staatsbesuch des chinesischen Präsidenten Hu Jintao auf dessen Rückreise aus den USA ist ein deutlicher Indikator für die chinesischen Interessen. Er traf mit Präsident Obasanjo zusammen und sprach vor beiden Häusern des Parlaments. Themen waren die chinesisch-afrikanischen Beziehungen und Chinas Afrikapolitik.

Die beiden Länder haben seit 1971 diplomatische Beziehungen und pflegen aus offizieller chinesischer Sicht eine fruchtbare Zusammenarbeit auf Gebieten wie Landwirtschaft, Bau von Infrastruktur, Energieerzeugung und Telekommunikation. Der bilaterale Handel im Jahr 2005 erreichte 2.83 Milliarden U.S. und lag damit 29.6 % über dem des Vorjahres. Beide Länder arbeiten außerdem bei der Terrorbekämpfung und bei Friedensmissionen zusammen. Bei dem Besuch wurden Verträge in Milliardenhöhe abgeschlossen, die China u. a. Zugang zu nigerianischen Ölreserven sichern.

Nigeria und Afrika sind für China aber nicht nur wichtige Rohstofflieferanten sondern auch ein wichtiger Absatzmarkt. Hier kann es auch seine Ausschussware, die es auf anspruchsvollen Märkten nicht los wird, zum Niedrigpreis absetzen und nebenbei die konkurrierenden einheimischen Hersteller aus dem Markt drängen. Weitere hochrangige chinesische Delegationen haben inzwischen weite Teile Afrikas bereist. In politischen Magazinen wird China schon als der „beste Freund Afrikas“ gehandelt.

Der Zugang zu Ressourcen und Absatzmärkten ist ein wichtiges Element im Wettbewerb zwischen existierenden und kommenden Supermächten im Rahmen der Globalisierung. China befolgt dabei offensichtlich eine rein pragamatische Interessenpolitik, die weder zwischen Reichen des „Bösen“ noch des „Guten“ unterscheidet und der auch ethische Mindeststandards bei Arbeitsbedingungen oder Ökozertifikate wenig bedeuten. Vermutlich wird China auch nicht den Fehler wiederholen, den es im 15. Jahrhundert begangen hat. Der grosse Seefahrer Zheng He (oder Cheng Ho) hatte mit seiner riesigen Flotte Afrika und Europa erreicht. Nach seinem Tod änderten die Ming-Kaiser dann ihre Seefahrtspolitik, womöglich aus (für uns) abergläubigen Motiven: Aussenhandel wurde untersagt, der Bau von Schiffen mit mehr als drei Masten mit dem Tode bestraft...vermutlich handelte es sich um frühe Globalisierungsgegner.

Geostrategische Gesichtspunkte

Vor diesem komplexen geostrategischen und nationalen Hintergrund muss man die Präsidentenwahl 2007 sehen. Der überwiegend islamische Norden des Landes fordert zum Beispiel mit Nachdruck, der nächste Präsident müsse aus den Reihen seiner Politiker kommen – der gegenwärtige Präsident Obasanjo ist Christ aus dem Süden. Das Bevölkerungsverhältnis zwischen Moslems und Nichtmoslems und damit begründete Machtansprüche in Nigeria könnten also weitreichende Bedeutung haben. Sollte bei den anstehenden Wahlen 2007 ein Moslem nigerianischer Staatspräsident werden, könnte dies mittelfristig durchaus eine Abkühlung des Verhältnisses zu den Vereinigten Staaten bedeuten. Zwar ist hier kein auffälliger Antiamerikanismus zu beobachten - und ganz offensichtlich sind die Vereinigten Staaten wie in vielen anderen Teilen der Welt auch für junge Nigerianer das Vorbild für Lebensstil. Auch sind viele herausragende islamische Politiker des Landes Freunde der Vereinigten Staaten. Aber es gibt doch einen nicht unerheblichen Einfluss aus dem Nahen und mittleren Osten der in Nigeria von traditionellen Führern ausgeübt und verbreitet wird. Angesichts der volatilen Lage im Nahen Osten - Irak, Iran und jetzt auch noch Libanon - könnte eine antiamerikanische Stimmung bei den Moslems des Landes aber durchaus angeheizt werden. Die hier durch die dänischen Karikaturen ausgelösten Gewaltakte belegen die leichte Irritierbarkeit vieler Nigerianer. Auf dem jüngsten Treffen islamischer Staats-und Regierungschefs der Organization of the Islamic Conference (OIC) in der Nähe von Kuala Lumpur warnten sogar so besonnene politische Führer wie der indonesische Staatspräsident Susilo Bambang Yudhoyono vor möglichen globalen Auswirkungen der Libanonkrise. Auch die historischen Erfahrungen mit anderen, früher durchaus amerikafreundlichen Ölstaaten wird niemand vergessen haben.

Um Abnehmer für seine Ölvorräte und zunehmend auch für das bisher einfach abgefackelte Gas bräuchte sich auch ein weniger westlich orientiertes Nigeria angesichts astronomischer Ölpreise und chinesischen Energiebedarfs keine Sorgen zu machen. Der Wettbewerb zwischen den zwei Supermächten der nächsten Dekaden wird auch deutlich spürbar in Afrika - vor der europäischen „Haustür“ - ausgetragen. Dies sind Gründe, die es auch aus europäischer und deutscher Sicht ratsam erscheinen lassen, die Vorgänge in Nigeria aufmerksam zu verfolgen.

Verfassungsänderung und „dritte Amtszeit“

Bis vor kurzem wurde hier lange und heftig eine Verfassungsänderung diskutiert, die dem gegenwärtigen Präsidenten Olusegun Obasanjo (oft als OBJ abgekürzt) eine dritte Amtszeit ermöglicht hätte. Die gegenwärtige Verfassung von 1999 begrenzt die Amtszeit des Präsidenten und der Gouverneure auf zwei Legislaturperioden.

Hitzig umstritten war, ob OBJ eine dritte Amtszeit überhaupt wollte, ob er dafür die notwendigen Mehrheiten bekommen würde und ob eine dritte Amtszeit gegen den Geist der Verfassung und die Grundprinzipien von Demokratie und Rechtsstaat verstößt. Die Antwort auf die erste Frage liegt im Dunkeln, der Präsident hat sich selbst nicht so verbindlich geäußert, dass man ihn darauf festlegen könnte. Immerhin hat er verlauten lassen, Gott sei kein Gott unvollendeter Projekte und Gott sei die letzte Entscheidungsinstanz. Die Frage, wie dessen Wille ermittelt und politisch implementiert werden soll, blieb natürlich offen.

Die Frage, ob OBJ die notwendigen Mehrheiten gegebenenfalls erhalten würde, wurde lange unterschiedlich eingeschätzt, ist inzwischen aber eindeutig entschieden: Beide Häuser des Parlaments haben die Gesetzesvorlage zu Fall gebracht, durch die eine dritte Amtszeit möglich geworden wäre. Der Präsident hat diese Entscheidung akzeptiert und sie als Resultat eines demokratischen Prozesses anerkannt. Dieser „Prozess“ kann hier unmöglich umfassend nachgezeichnet werden und verlief zum Teil sehr erstaunlich.

Viele Nigerianer, besonders auch politisch engagierte, argumentierten eher normativ-postulierend, dass nicht sein könne was nicht sein darf. Sie schlossen aus der bestehenden Verfassungsregelung darauf, dass auch in Zukunft eine dritte Amtszeit des Präsidenten ausgeschlossen sei. Sie führten aus - unter Berufung auf Fußballregeln zum Beispiel - dass während eines Spieles die Regeln nicht geändert werden dürfen. Das stimmt zwar für den Fußball, aber nicht für die nigerianische Verfassung. Sie kann geändert werden, wenn auch unter re cht strengen Voraussetzungen.

Eine im Verfahren entscheidende Abstimmung wurde per "voice vote" durchgeführt. Dies ist ein Abstimmungsverfahren, bei dem der Versammlungsleiter mit Hilfe seines eigenen Gehörs die Lautstärke feststellt, mit der Anhänger und Gegner eines Antrages sich für bzw. gegen diesen aussprechen (nein, das ist kein Übersetzungsfehler). Auch andere recht abenteuerliche Vorkommnisse gab es im Umfeld dieser Beratungen. So hatte ein High Court in Abuja eine einstweilige Verfügung erlassen, die der Verfassungskommission die Arbeit untersagte. Die Kommission vereitelte aber die Zustellung dieses Beschlusses durch den Gerichtsdiener, indem es diesen aus dem Tagungsgebäude verwies. Dieser warf daraufhin voller Wut den Beschluss auf den Boden. Die Richterin des High Court erklärte später, sie habe gar kein Verbot für die Arbeit dieser Kommission beschlossen...

Gegner einer dritten Amtszeit warfen dem Präsidenten vor, sich die erforderliche Mehrheit kaufen zu wollen. Die unterschiedlichsten Summen von etwa 30.000 - 250.000 EURO für einen Abgeordneten wurden lanciert. Durchaus seriöse Quellen, die sich für Insider halten, berichteten mir persönlich, Augenzeugen von Geldübergaben gewesen zu sein.

Interessant und nicht unwichtig ist auch die Rolle der Gouverneure, für die ebenfalls eine Amtszeitbegrenzung gilt. Viele von ihnen wurden daher schon aus diesem Grund als natürliche Verbündete des Präsidenten angesehen. Diejenigen Gouverneure, deren zweite Amtszeit im nächsten Jahr abläuft, wollten begreiflicherweise ebenfalls von einer dritten Amtszeit profitieren. Außerdem forderten viele von ihnen Immunität - auch über ihre Amtszeit hinaus. Eine aus Sicht von Kleptokraten absolut verständliche Forderung. Eine weitere Amtszeit für manchen dieser Gouverneure wäre wahrscheinlich der schädlichste Nebeneffekt einer Amtszeitverlängerung für den Präsidenten gewesen.

Amtszeitbegrenzung

Ob es gegen den Geist von Demokratie und Rechtsstaat verstößt, wenn ein Staatspräsident, ein Premierminister oder ein Kanzler mehr als zwei Amtszeiten im Amt bleibt, ist weder abstrakt theoretisch noch empirisch-historisch leicht zu beantworten. Um mit letzterem anzufangen: Die Welt wäre sicherlich ein besserer Platz, wenn die Amtszeiten von Stalin, Hitler oder Mao auf acht Jahre begrenzt geblieben wären.

Andererseits waren Konrad Adenauer, Helmut Kohl oder - was vielleicht nicht so allgemein bekannt ist - Franklin D. Roosevelt länger in ihren Ämtern. Fidel Ramos, philippinischer Staatspräsident, wollte keine Verfassungsänderung ad personam und schied nach zwei Perioden aus. Für die Philippinen wäre es vermutlich besser gewesen, er wäre länger im Amt geblieben - seine beiden Nachfolger Joseph Estrada und Gloria Arroyo-Macapagal haben das Land nicht wirklich erfolgreich weiterführen können. Die historische Evidenz ist also ambivalent. Eine Vorhersage, welche politische Auswirkungen eine Verfassungsänderung in Nigeria hätte, ist vor allem angesichts der in Afrika verbreiteten Neigung zur „Herrschaft auf Lebenszeit“ kaum möglich. Staatsphilosophisch ist es daher vermutlich richtig, dass die Häuser des Parlamentes es vorgezogen haben, eine allgemeingültige Verfassung nicht zugunsten einer ad hoc Regelung mit fraglicher Kosten-Nutzen-Bilanz zu ändern.

So abstrakt wird in Nigeria aber natürlich nicht argumentiert. Die „Seele Nigerias“, „sterben“ für oder gegen eine Verfassungsänderung, Gott, alle Werte des Abend- und Morgenlandes wurden in rhetorischen Sintfluten auf die armen Zeitungsleser ausgeschüttet - über Monate hinweg in miserabel strukturierten Artikeln, die keinen Regeln irgendeines bekannten Logiksystems folgten. Es stellte sich dabei heraus, dass die nigerianische Presse zwar qualitativ verbesserungsfähig, aber doch erstaunlich frei ist: Vergleiche des amtierenden Staatsoberhauptes mit Idi Amin und anderen Schreckensgestalten blieben straf- und zivilrechtlich ungeahndet. Ungestraft konnte auch die angebliche Absicht des Präsidenten, sich eine dritte Amtszeit zu verschaffen, als „teuflisch“ bezeichnet werden. Dabei hatte er selbst sich niemals öffentlich zu einer solchen Agenda bekannt.

Auch bei gewöhnlich gut informierten ausländischen Beobachtern gehen die Meinungen auseinander, ob die Frage einer dritten Amtszeit für OBJ wirklich erledigt ist. Manche wollen taktische Spiele nicht ausschließen, die dem Präsidenten doch noch eine Amtsverlängerung verschaffen: von Manipulationen des Wahltermins über eine Interimsregierung bis hin zur bewussten Schaffung von gewalttätigen Krisensituationen, die die Verhängung des Notstandes erlauben würde, ist die Rede. Der Berichterstatter teilt diese Ansicht nicht, wollte sie wegen des Gewichts seiner Quellen aber nicht unerwähnt lassen.

Politische Umbrüche

Inzwischen verändert sich die politische Geometrie des Landes. Etablierte Parteien stürzen in tiefe Krisen (PDP, ANPP) zahllose neue entstehen (gewichtig davon ist einstweilen nur ACD). Das Verhältnis des Präsidenten zu seinem Vizepräsidenten Atiku Abubakar gilt als unheilbar zerrüttet. Nach lange schwelenden, aber immer wieder dementierten Konflikten eskalierte die Situation, als die Polizei eine Versammlung in einem Hotel in Abuja vereitelte, in der der Vizepräsident mit Gegnern einer dritten Amtszeit zusammentreffen wollte. Der Vizepräsident (ein Moslem aus dem Norden), der eigene Ambitionen auf das höchste Amt hat, drohte dem Präsidenten, "auszupacken", wenn dieser sich nicht mäßige.

Eine tiefgreifende Kabinettsumbildung hat stattgefunden, deren jüngstes und prominentestes Opfer die Finanzministerin Ngozi Okonjo-Iweala geworden ist. Zwar wurde sie zur Aussenministerin „befördert“, hat dann aber wohl die Demütigung nicht hinnehmen können, während einer wirtschaftspolitisch wichtigen Auslandsreise auch noch des Vorsitzes des „Economic Team“ des Präsidenten enthoben worden zu sein. Frau Okonjo-Iweala war früher Vizepräsidentin der Weltbank und hat ganz zweifellos einen sehr grossen Anteil an den oben geschilderten ökonomischen Fortschritten des Landes, auch wenn nimmersatte nigerianische Kritiker ihr natürlich vorwerfen, nicht sofort alles erreicht zu haben. Ihr Ausscheiden bedeutet nichts Gutes.

Die Wahlkommission INEC versucht unterdessen tapfer, die Wahlen im April 2007 (Präsident, Gouverneure, Parlamente) solide vorzubereiten. Wenige Beobachter zweifeln jedoch daran, dass es in den Monaten bis zur Wahl zu zahlreichen Gewaltausbrüchen kommen wird. Gewalttaten kann man hier für wenig Geld anzetteln. Auftakt dazu und besonders krasses Beispiel war die soeben mit starker Symbolwirkung, ohne jegliche Vorspiegelung nicht-politischer Motive vollzogene Ermordung eines Gouverneurskandidaten aus Lagos durch politische Gegner.

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Hildegard Behrendt-Kigozi

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