Die indisch-russischen Beziehungen
Die non-Alignment-Politik der Inder ist eine dezidiert interessengeleitete Außenpolitik, die allein die indischen Belange im Blick hat. Die Enthaltung in der UN-Vollversammlung zur Verurteilung der russischen Invasion aus dem Jahr 2022 war ein praktischer Ausdruck dieser Politik. Mehr als „This is not the era of war”[1] wird man aus Neu Delhi nicht hören. Für Indien sind die Beziehungen zu Russland wichtiger, als das Schicksal der Ukrainer. Indien bezieht sowohl Rüstungsimporte aus Russland, als auch günstiges Öl. Auf beides will man nicht verzichten müssen.
Die öffentliche Meinung ist ambivalent, so dass man in den Zeitungen deutliche Kritik sowie Zustimmung lesen kann. Es gibt nur eine einzige repräsentative Datenbasis darüber, wie der Krieg in der Ukraine in der indischen Bevölkerung wahrgenommen wird, was bereits Rückschlüsse darauf zulässt, wie gering das Interesse ist. Addiert man die Befragten zusammen, die entweder keine Meinung oder keine Kenntnis von dem Krieg haben, kommt man auf 40 Prozent der Befragten. Blickt man auf den restlichen Anteil der Bevölkerung, ergibt sich ein klares Bild. 27 Prozent der Befragten halten die russische Invasion für gerechtfertigt. 34 Prozent halten sie hingegen für ‚unjustified‘, also nicht begründbar bzw. zu rechtfertigen. Das ist ein bemerkenswertes Ergebnis. Es zeigt, dass eine klare Mehrheit in der indischen Bevölkerung den Krieg ablehnt. Gleichzeitig steht dies im Kontrast zu der Perzeption der indisch-russischen Beziehung. 74 Prozent der Inder halten Russland für einen engen bzw. sehr engen Freund Indiens. Das heißt, dass von den 34 Prozent der Befragten, die den Krieg für ‚unjustified‘ halten, jeder Vierte Russland gleichzeitig für einen Freund Indiens hält[2].
Mit Anti-Putin-Demonstrationen ist nicht zu rechnen. Es ist nicht zu erwarten, dass die indischen Gastgeber den russischen Machthaber öffentlich düpieren werden. Das ist eher eine kulturelle als eine politische Frage. Narendra Modi selbst ist für das exzessive Umarmen ausländischer Gäste bekannt. Mit dieser Bildsprache signalisiert er, dass er überall in der Welt gerne gesehen ist und verkörpert so als Regierungschef die Rolle, die er für Indien in der Welt sieht. Bei der Bevölkerung kommt das gut an und so macht es keinen Unterscheid, ob der indische Premierminister Putin, Macron oder den Papst auf großer Bühne umarmt. Das ist der Modus Vivendi für Modi und so kann auch Putin auf entsprechend herzliche Bilder hoffen. Sie werden einen Beitrag dazu leisten, der eigenen Bevölkerung vor Augen zu führen, dass Russland nicht isoliert ist. Indien spielt dabei eine Schlüsselrolle, weil es kein Land wie Iran, Eritrea oder Nordkorea ist und weil Modi selbst international hohes Ansehen genießt. Doch Abseits der öffentlichen Freundschaftsbekundungen wird es auch handfeste Themen zu besprechen geben.
Öl-Importe
Indien hat sich an keinerlei Sanktionen gegenüber Russland beteiligt und nach Kriegsbeginn sogar noch die Importe von russischem Öl deutlich erhöht. Der Anteil Russlands stieg auf 40 Prozent, obwohl Indien vor dem Krieg fast keinerlei Öl aus Russland importiert hatte. Indien zog auf den ersten Blick einen wirtschaftlichen Vorteil aus dem Kriegsbeginn, denn Russland musste sein Öl zu einem niedrigeren Preis verkaufen, da die zahlungskräftigere Kundschaft aus Europa weggefallen war. Indien war und ist volkswirtschaftlich nicht in der Lage, als Nettoenergieimporteur Sanktionen auf russische Energieträger mitzutragen. Hätte die Regierung darauf 2022 insistiert, wäre das Land in eine erhebliche wirtschaftliche Schieflage geraten. Dies hätte die Regierung 2024 sogar die Wiederwahl kosten können. Das relativiert die indische Rolle auf dem Ölmarkt nach Kriegsausbruch, ebenso wie die Tatsache, dass russisches Öl über Indien auch weiterverkauft wurde. Hier kann jedes Land der Ukraine-Kontaktgruppe sich selbst ehrlich machen, ob es sichergestellt hatte, dass es nicht über Indien russische Energieträger konsumierte.
Überraschend war Trumps öffentliche Kritik an Indiens Öl-Importen und die darauffolgenden Maßnahmen[4]. Die Auswirkungen für die indische Volkswirtschaft waren erheblich. Es gab starke Kurseinbrüche am indischen Aktienmarkt und einen massiven Kapitalabfluss. Die Rupie verlor stark an Wert. Die Panik an den Märkten ist durchaus berechtigt gewesen, immerhin umfasst der Export in die USA rund 45 Mrd. USD im Jahr, was etwa 18 Prozent aller indischen Exporte sind. Die Sanktion treffen mit etwas Verzögerung. Der größte Konzern Indiens, ‚Reliance‘, wird ab 1.Dezember kein russisches Öl mehr verarbeiten[4]. Die bereits bestellten und auf dem Weg befindlichen Lieferungen laufen aus und die Zurückhaltung der Raffinerien ist groß[5]. Es gibt Schätzungen, dass der November-Wert von 1.87 Mio. bpd auf 600-650.000 einbrechen könnte[6]. Das Thema Öl-Import wird die erste Seite in Putins Terminvorbereitung sein.
Su-57
Russland bietet Indien eine eigene Produktion der Sukhoi-57 mit vollständigem Techniktransfer an. Damit würde die Rüstungskooperation zwischen Neu Delhi und Moskau eine ganz neue Ebene erreichen, doch es bleibt abzuwarten, ob Indien das großzügige Angebot annimmt. Die Su-57 wurde bisher nur in sehr geringer Stückzahl gefertigt und wird lediglich von der russischen Luftwaffe geflogen. Unter indischen Militärs fragt man sich, warum das modernste Kampfflugzeug des Kremls nicht im Krieg zu sehen ist. Die stealth capabilities werden mit der bereits von Indien genutzten Su-30MKI verglichen[7]. Nicht nur die große Radarsignatur für einen Jet der 5.Generation ist ein Manko, sondern auch die supercruise capabilities sind ein Thema. Selbst wenn diese, wie vom Hersteller angegeben, ohne Nachbrenner bei Mach 1,3 liegen sollte, wäre dies weniger als bei Rafael und Eurofighter, die deutlich älter sind. In indischen Fachkreisen weiß man, dass die Su-57 ein zweitklassiges Produkt ist. Aus technischer Perspektive macht es mehr Sinn, das eigene 5th Gen Fighter Project: AMCA voranzutreiben, anstatt die Su-57 zu produzieren[8]. Die Hoffnung, an die sich Moskau klammert, ist, dass Pakistan zeitnah 40 chinesische J-35 in den Dienst stellt und Indien sich zu einem Kauf der Su-57 genötigt sieht. Wenn Indien das Angebot final ablehnt, wäre dies eine Blamage für den Kreml. Am wahrscheinlichsten ist es, dass Indien andere Rüstungsgüter bestellen wird, so dass bei dem Besuch etwas unterzeichnet werden kann.
Inder in der russischen Armee
Zuletzt am 3. November 2025 versammelten sich Angehörige indischer Staatsbürger, die sich derzeit in Russland aufhalten, vor der russischen Botschaft. Die Angehörigen berichten, dass ihre Verwandten von Vermittlungsagenturen angeworben wurden[9]. Die genauen Umstände sind nicht in allen Fällen nachvollziehbar, doch vielfach wussten die Betroffenen scheinbar nicht, dass sie in ein Kriegsgebiet verlegt werden sollten und verfügten auch über keinerlei militärische Vorkenntnis[10]. Das indische Außenministerium geht aktuell von über 40 Fällen aus[11]. Die indische Regierung warnte öffentlich eindringlich davor, auf Angebote zum Eintritt in die russische Armee einzugehen und betonte, dass man die Problematik auch gegenüber der russischen Regierung angesprochen habe[12]. In der Darstellung der Betroffenen werden diese meist zuerst in die Golf-Region verbracht und dann gezwungen einen Vertrag in russischer Sprache zu unterscheiben, der sie schließlich an die Front bringt[13]. Im Oktober 2025 erklärte der russische Botschafter in Neu-Delhi, Denis Alipov, dass Russland die Rekrutierung bereits seit März 2025 eingestellt habe[14]. Zwar leugnen die Russen, dass sie die Menschen täuschen oder zwingen, doch sie bestreiten die Rekrutierung selbst nicht. Die Rekrutierung von Indern gegen ihren Willen ist an Respektlosigkeit gegenüber der indischen Regierung kaum zu überbieten, aber scheinbar für Neu Delhi kein Grund für nennenswerte Verwerfungen in den Beziehungen.
Abseits der großen Gesten
Indien sollte nicht in einem Atemzug mit Russland und China genannt werden, weil es die Invasion der Ukraine nicht aktiv unterstützt. Gleichzeitig hat Indien auch kein strategisches Interesse daran, dass dieser Krieg einen guten Ausgang für Russland nimmt. In Neu Delhi glaubt niemand, dass das Ziel der russisch-chinesischen Disruption eine multipolare Weltordnung ist. Es wird wahrgenommen, dass Russland immer stärker in den Orbit Chinas gerät und dass China mittelfristig eine bipolare Weltordnung anstrebt, in der Indien keine Rolle über die einer Mittelmacht hinaus zugedacht ist.
Umgekehrt können die Inder es Europa durchaus vorhalten, dass das in Indien raffinierte Öl scheinbar Abnehmer findet, wobei die Rhetorik aus Europa sehr moralisierend wirkt.. In Indiens außenpolitischer Community wird zudem auf die lang andauernde Verbindung zu Moskau hingewiesen und die Sprunghaftigkeit Europas. Noch zu gut erinnert man sich auch an Deutschlands Haltung gegenüber Russland vor Februar 2022, als die Krim schon acht Jahre lang annektiert war. Es besteht die Befürchtung, dass man sich von den USA und ihren Alliierten zu einer Beschädigung der indisch-russischen Beziehungen drängen lässt und ein paar Monate später Trump mit Putin einen Deal vereinbart. In so einem Fall bleiben die Inder mit ihrem Scherbenhaufen alleine.
Dass Putin in Neu Delhi empfangen wird, ist für sich genommen schon ein politisches Signal. Der internationale Haftbefehl wird in Indien nicht einmal diskutiert. Das Bekenntnis zur regelbasierten Internationalen Ordnung ist gering ausgeprägt und wird den indischen Interessen untergeordnet. Hier sollte sich niemand Illusionen machen, dass Neu Delhi Ambitionen hätte, sich als Hüter des Völkerrechts zu inszenieren oder einen nennenswerten Beitrag zu einer Verhandlungslösung leisten möchte. Für Indien ist dieser Krieg wenig relevant und Indien ist für den Krieg noch weniger relevant.
Für Europa gilt es, sich auf die zielführenden Maßnahmen in Hinblick auf die Ukraine zu konzentrieren: Entscheidend ist, dass Putin keinen Weg findet die Sanktionen zu umgehen und sein Öl weiter in Indien abzusetzen. Der Rest ist sekundär, so wie Indiens Rolle in diesem Konflikt.
[1] Lau, S., & Saeed, S. (2022, September 16). India’s Modi tells Putin: This is ‘not the era for war’ POLITICO. https://www.politico.eu/article/narendra-modi-tells-vladimir-putin-war-has-no-place-in-todays-era/
[2] Konrad Adenauer Stiftung India. (7 C.E.). Indian perceptions of Europe and Germany (CSDS Lokniti, Ed.). Retrieved December 1, 2025, from https://www.kas.de/documents/264392/0/Indian+Perceptions+of+Europe+and+Germany.pdf/22a484a2-e4a0-c83d-61a4-7fd7311ea1a6?version=1.0&t=1750234525713
[3] https://www.reuters.com/world/india/trumps-doubling-tariffs-hits-india-damaging-ties-2025-08-27/
[4] Business Insider Deutschland. (2025, November 28). Putin droht Rückschlag: Indien wendet sich von Öl-Importen aus Russland ab. Business Insider. https://www.businessinsider.de/wirtschaft/putin-droht-rueckschlag-indien-wendet-sich-von-oel-importen-aus-russland-ab/
[5] Reuters. (2025, November 25). India’s Russian oil binge to end in December as sanctions bite, sources say. The Economic Times. https://economictimes.indiatimes.com/industry/energy/oil-gas/indias-russian-oil-binge-to-end-in-december-as-sanctions-bite-sources-say/articleshow/125560262.cms?from=mdr
[7] Philip, S. A., & Philip, S. A. (2025, September 23). India takes a relook at Russian Su-57, but not for its stealth. Here’s why. ThePrint. https://theprint.in/defence/india-takes-a-relook-at-russian-su-57-but-not-for-its-stealth-heres-why/2748520/
[8] Baidya, S. (2025, August 5). Neither F-35 nor SU-57: Why India is taking its time on 5th-Gen fighter jets. News18. https://www.news18.com/india/neither-f-35-nor-su-57-why-india-is-taking-its-time-on-5th-gen-fighter-jets-ws-dkl-9485005.html
[9] https://www.thehindu.com/news/cities/Delhi/families-of-indians-fighting-russias-war-with-ukraine-protest-demand-safe-return-of-kin/article70236949.ece oder https://indianexpress.com/article/cities/chandigarh/days-sending-sos-jalandhar-youth-trapped-russia-10357800/
[10] https://www.theguardian.com/world/2024/mar/07/he-had-no-idea-he-was-being-sent-to-a-war-zone-the-indian-and-nepalese-men-on-frontlines-in-ukraine oder https://www.thehindu.com/news/cities/Delhi/families-of-indians-fighting-russias-war-with-ukraine-protest-demand-safe-return-of-kin/article70236949.ece
[11] Government of India. (2025, November 7) Official Spokesperson Shri Randhir Jaiwal on Indian Nationals in Russian Armed Forces. https://www.google.com/search?client=safari&rls=en&q=Mr.+Jaiswal++moscow+indians+fighting&ie=UTF-8&oe=UTF-8#fpstate=ive&vld=cid:a2f039c7,vid:_OUNwiFj1MI,st:0 ; Government of India. (2025, September 11) Official Spokespersons’s response to media queries on Indians recruited into the Russian army. https://www.mea.gov.in/response-to-queries.htm?dtl/40125/Official_Spokespersons_response_to_media_queries_on_Indians_recruited_into_the_Russian_army#:~:text=We%20have%20seen%20reports%20about,and%20cautioned%20Indian%20citizens%20accordingly
[12] QUESTION NO-399 INDIAN CITIZENS FIGHTING IN THE RUSSIA-UKRAINE WAR. (n.d.). Ministry of External Affairs, Government of India. https://www.mea.gov.in/rajya-sabha.htm?dtl/38979/QUESTION+NO399+INDIAN+CITIZENS+FIGHTING+IN+THE+RUSSIAUKRAINE+WAR
[13] Horn, C. (2025, August 13). Wie Nepalesen und Inder wider Willen russische Söldner werden. tagesschau.de. https://www.tagesschau.de/ausland/asien/inder-nepalesen-soldaten-russland-100.html
[14] Padmanabhan, K., & Padmanabhan, K. (2025, October 29). Stopped recruiting Indians for Russian military, some who remain there are Russian citizens, says envoy. ThePrint.
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