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Vorbereitungen auf die Parlamentswahlen in Zeiten der Krise

Situation in Venezuela immer dramatischer

Am 22. Juni verkündete Tibisay Lucena, Vorsitzende der Nationalen Wahlkommission (CNE), den Termin für die Parlamentswahlen 2015. Am 6. Dezember sind die Venezolaner dazu aufgerufen, die 167 Abgeordneten der Nationalversammlung zu bestimmen.

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Die späte Ankündigung des Wahltermins hat zu scharfer Kritik im In- und Ausland geführt. Die inhaftierten Oppositionspolitiker Leopoldo López und Daniel Ceballos beendeten ihren Hungerstreik, nachdem ihre zentrale Forderung – die Verkündung des Wahltermins – erfüllt wurde. Sowohl das Oppositionsbündnis „Mesa de Unidad Democrática“ (MUD) als auch die Regierungspartei „Partido Socialista Unidado de Venezuela“ (PSUV) haben bereits Vorwahlen abgehalten, in denen die meisten Kandidaten gewählt wurden. Die übrigen Kandidatenplätze werden in beiden Lagern per Konsens vergeben. Während sich Venezuela auf die Wahlen vorbereitet, nimmt die wirtschaftliche und soziale Krise im Land immer dramatischere Ausmaße an.

Als am 22. Juni die CNE den Termin für die Parlamentswahlen verkündete, wurde die Nachricht mit großer Erleichterung aufgenommen. Noch nie hat sich die Wahlkommission so lange Zeit gelassen, um einen Wahltermin festzusetzen. Den Parteien und Kandidaten bleiben weniger als sechs Monate, um sich auf die Wahlen vorzubereiten. Da die PSUV bereits Monate zuvor den Termin ihrer Vorwahlen festlegte und die CNE von ihr dominiert wird, konnte die Opposition davon ausgehen, dass erstens die Wahlen stattfinden würden und zweitens sie aus logistischen Gründen frühestens im Oktober abgehalten werden könnten. Ein später Termin, wie der am 6. Dezember, wurde von den meisten erwartet, dennoch sorgte die Gewissheit für große Erleichterung im Oppositionslager.

Oppositionsführer Leopoldo López im Hungerstreik

Der Verkündung des Wahltermins gingen wochenlange Spekulationen voraus, ob Wahlen überhaupt abgehalten werden würden oder nicht. Der seit Februar 2014 inhaftierte Anführer der Oppositionspartei Voluntad Popular (VP) Leopoldo López nahm die Situation zum Anlass, mit einem ins Gefängnis geschmuggelten Mobiltelefon ein Video aufzunehmen, in dem er einen Hungerstreik verkündete und zu einem Massenprotest aufrief. Er stellte dabei drei Forderungen auf: Erstens die Bekanntgabe des Termins für die Parlamentswahlen. Zweitens die Freilassung aller politischen Gefangenen, etwa 80 an der Zahl. Drittens internationale Wahlbeobachtung bei den Parlamentswahlen, namentlich der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) und der Europäischen Union (EU). Die Regierung reagierte nicht auf den Hungerstreik. In dem Oppositionsbündnis „Mesa de Unidad Democrática“ (MUD) hingegen sorgte López‘ Aufruf zu einer Massenkundgebung für viel Unruhe. Viele hielten den Aufruf für eine Wiederholung der ihrer Ansicht nach verfehlten Taktik vom Februar 2014, als Sozialdemokrat López zusammen mit der konservativ-liberalen Oppositionspolitikerin Maria Corina Machado (Partei Vente) und dem mittlerweile unter Hausarrest stehenden sozialdemokratischen Oberbürgermeister von Caracas, Antonio Ledezma, unter dem Schlagwort „La Salida“ über Massendemonstrationen die Regierung zum Rücktritt bewegen wollten. Außerdem erfolgte López‘ Vorstoß erneut ohne Abstimmung mit den MUD-Führern, so die interne Kritik. Andere Stimmen in der MUD hielten dem entgegen, dass man dem Aufruf von López unmöglich nicht folgen könne, da sich somit eine Spaltung innerhalb der MUD offenbaren würde und die Regierung gestärkt wäre. Letztlich folgte die MUD dem Aufruf zur Demonstration, jedoch nicht mit großer Überzeugung, dafür hingegen mit einer indirekten Kritik an López in einer öffentlichen Erklärung.

Dem Aufruf von Leopoldo López folgten schließlich abertausende Venezolaner im ganzen Land, die friedlich für die von ihm formulierten Forderungen auf die Straße gingen. Aus Sicht der Opposition kann der Protest angesichts der Umstände als erfolgreich verbucht werden, wenn auch in der Folge nichts weiter passierte. Eine andere Konsequenz des Hungerstreiks ist jedoch, dass sich eine Vielzahl von Menschen – hauptsächlich Studenten – dem Hungerstreik anschlossen. Zwischenzeitlich sollen sich bis zu hundert Personen in Hungerstreik befunden haben. Anders als in anderen Ländern reagierte die venezolanische Gesellschaft eher zurückhaltend auf die Hungerstreikwelle. Die Gründe können vielschichtig sein. Möglicherweise glauben viele nicht an einen „echten“ Hungerstreik. Ebenso gibt es Stimmen, darunter der Vorsitzende der Katholischen Bischofskonferenz Kardinal Urosa, die der Meinung sind, der Hungerstreik diene nicht der Sache. Nachdem die CNE-Vorsitzende Lucena den Wahltermin ankündigte, wurde der Hungerstreik beendet, obwohl nur eine der drei Forderungen erfüllt wurde.

MUD bestimmt Kandidaten per Vorwahl und Konsens

In Erwartung und Hoffnung darauf, dass die Parlamentswahlen stattfinden würden, führte die MUD ihre offenen Vorwahlen bereits am 17. Mai durch. Dabei schnitten die führenden Parteien Primero Justicia (PJ, Mitte-rechts), gefolgt von Voluntad Popular (offiziell sozialdemokratisch, Mitglied der Sozialistischen Internationalen) erwartungsgemäß am besten ab. Gute Ergebnisse erzielten die sozialdemokratischen Parteien Acción Democrática (AD) und Un Nuevo Tiempo (UNT). Die restlichen Direktkandidaten entfielen auf Splitterparteien bzw. regional verankerte Parteien. Die ehemals große christdemokratische Partei COPEI erhielt zwar insgesamt am viertmeisten Stimmen, jedoch traten auch sehr viele Kandidaten für die Partei an, von denen sich nur eine am Ende durchsetzen konnte, die zudem als AD-Mitglied nach Absprache für COPEI antrat und bei einem Sieg des Direktmandats der AD-Fraktion zugerechnet werden dürfte. Eine weitere große Verliererin der Vorwahlen ist die rechtskonservative Partei Proyecto Venezuela (PV), hinter der der ehemalige Präsidentschaftskandidat Salas-Römer steht. Keiner der PV-Kandidaten konnte sich in der Vorwahl durchsetzen. Rund 570.000 Venezolaner beteiligten sich an den Vorwahlen der MUD, was 7,6 Prozent der Wahlberechtigten entsprach. Die Wahlbeteiligung, die auch als Stimmungstest und Gradmesser des Mobilisierungspotenzials gilt, ist als positiv zu bewerten und rief bei der MUD entsprechenden Enthusiasmus hervor.

Ergebnisse der Vorwahlen der MUD:

Primera Justicia 11 Kandidaten

Voluntad Popular 8 Kandidaten

Acción Democrática 7 Kandidaten

Un Nuevo Tiempo5 Kandidaten

Cuentas Claras 3 Kandidaten

Avanzada Progresista 1 Kandidat

COPEI 1 Kandidatin

La Causa R 1 Kandidat

Vente 1 Kandidat

Insgesamt 38 Kandidaten

Ähnlich wie bei dem deutschen Wahlsystem wählen die Venezolaner mit der Erststimme einen Direktkandidaten und mit der Zweitstimme eine geschlossene Parteiliste in jedem Gliedstaat. Der Direktkandidat gewinnt mit der einfachen Mehrheit. Dem prozentualen Anteil der Zweitstimmen entsprechend erringen die Kandidaten der Parteiliste ein Mandat. In einigen Wahlkreisen werden aufgrund der Bevölkerungsgröße zwei oder mehrere Abgeordnete direkt gewählt.

In den Vorwahlen der MUD wurden „nur“ 38 Kandidaten in 33 Wahlkreisen bestimmt. Die verbliebenen Kandidaten werden per Konsens unter den Mitgliedsparteien der MUD intern bestimmt. Ursprünglich wollte die MUD die verbliebenen Kandidaten wenige Tage nach den Vorwahlen benennen, doch verzögerte sich der interne Abstimmungsprozess um einen Monat und ist immer noch nicht gänzlich beendet. So gab die MUD zwischenzeitlich 51 weitere Kandidatennamen bekannt. Die Einigung auf die verbliebenen 79 Kandidaten der MUD steht noch aus. Das umständliche Auswahlverfahren, wonach ein Teil der Kandidaten per Vorwahl und ein anderer Teil per Konsens ermittelt werden, ist auf die internen Meinungsverschiedenheiten innerhalb der MUD sowie die Tatsache zurückzuführen, dass die MUD gar nicht die logistischen und finanziellen Möglichkeiten hat, im ganzen Land Vorwahlen durchzuführen.

CNE erlässt Frauenquote

Die Kandidatenermittlung innerhalb der MUD wird durch eine neue Regelung der CNE erschwert, nach der mindestens 40 Prozent der Kandidaten weiblich sein müssen. Zunächst war dabei unklar, ob sich die Quote jeweils auf die Kandidaten und die Stellvertreter oder auf beide zusammen bezieht. Die CNE erklärte nach längerer Zeit des Schweigens, dass man die Vorwahlergebnisse der PSUV und der MUD akzeptiere und die Quote nur auf die noch nicht nominierten Kandidaten- und Stellvertreterplätze anzuwenden seien. Die meisten Oppositionsvertreter gehen davon aus, dass es sich bei der Neuregelung um einen taktischen Schachzug der Regierung handele, um den hart errungenen (Teil-)Konsens der MUD zu unterminieren. Da die Mehrheit des CNE-Führungsgremiums als regierungstreu gilt und die PSUV für gewöhnlich einen höheren Anteil weiblicher Kandidaten ins Rennen schickt, liegt dieser Verdacht nahe. Zudem ist die Regelung nicht verfassungskonform, weil die Verfassung eine Änderung des Wahlmodus weniger als sechs Monate vor der Wahl verbietet. Nichtsdestotrotz wird aufgrund der bestehenden Machtverhältnisse im Land der MUD nichts anderes übrig bleiben, als die Frauenquote zu berücksichtigen. Aus Oppositionskreisen ist gar zu hören, dass es einige der Vorsitzenden der Frauenorganisationen der Oppositionsparteien selbst waren, die der CNE im März den Vorschlag einer Frauenquote bei den Parlamentswahlen unterbreiteten.

CNE verbietet vereinzelte Kandidaturen Oppositioneller

Vermutlich um der Opposition weitere Hindernisse in den Weg zu legen, verboten Gerichte zahlreichen Kandidaten für ein Parlamentsmandat zu kandidieren. In den vergangenen Wochen wurde mindestens fünf Kandidaten das passive Wahlrecht entzogen, darunter die bekannten Oppositionspolitiker Maria Corina Machado, Enzo Scarano, Daniel Ceballos und Raúl Baduel. Gegen die betroffenen laufen Verfahren, die als politisch motiviert gelten. Obwohl es keine Verurteilung gab und vielleicht nicht geben wird, lässt die Nationale Wahlkommission eine Kandidatur mit Verweis auf das Verfahren nicht zu. Durch die Eröffnung willkürlicher Verfahren durch die Staatsanwaltschaft ist es möglich, unliebsame Kandidaten von der Wahl auszuschließen.

Fragwürdige Wahlbeteiligung bei den Vorwahlen der PSUV

Die PSUV hielt am 28. Juni in 87 Wahlkreisen Vorwahlen ab, bei denen 98 der insgesamt 113 Direktkandidaten gewählt wurden. Die verbliebenen Direktkandidaten und die Listenkandidaten werden intern bestimmt. Dabei werden auch Kandidaten anderer regierungsnaher Parteien berücksichtigt, die zusammen mit der PSUV im Bündnis „Gran Polo Patriótico Simón Bolívar“ (GPPSB) zusammengeschlossen sind.

Über die Basisorganisationen der PSUV, auch „Kampfeinheit Bolívar Chávez“ („Unidad de Batalla Bolívar Chávez“ - UBCH) genannt, wurden zuvor die Kandidaten ermittelt. In den 87 Wahlkreisen wurden zwölf Vorwahlkandidaten aufgestellt und je zwölf weitere in den Wahlkreisen, in denen es bei der Parlamentswahl drei Direktkandidaten gibt. Die PSUV stattete die Vorwahlkandidaten mit Wahlkampfressourcen aus. Zudem mussten die Kandidaten sich den Werten der Partei und der sozialistischen Revolution verpflichten. Auf diese Weise sucht man Linientreue durchzusetzen. Verschiedene Quellen und öffentliche Aussagen der Parteiführung selbst bestätigten jedoch, dass es Präferenzkandidaten der Partei gab. Interne Unruhestifter und kritische PSUV-Mitglieder blieben chancenlos in den Vorwahlen, so dass die Folgsamkeit innerhalb der PSUV gewährleistet bleibt.

Die PSUV war darauf erpicht, den eigenen Wahlprozess „demokratischer“ und „transparenter“ als den der MUD darzustellen. Immerhin gelang es der PSUV durch ihren Wahlmodus einen lokal verankerten Kandidaten aufzustellen, der im Wahlkreis gut vernetzt ist. Durch den zeitlichen Vorteil konnte die Parteiführung außerdem das Vorwahlergebnis der MUD berücksichtigen und gemäß des Profils des jeweiligen MUD-Wahlkreiskandidaten einen passenden Konkurrenten aufstellen.

Laut Parteiangaben beteiligten sich über drei Millionen Wahlberechtigte an den Vorwahlen der PSUV. Um den angeblich großen Ansturm bewältigen zu können, wurden kurzerhand die Öffnungszeiten die Wahllokale von 18 auf schließlich 22 Uhr verlängert. Diverse politische Beobachter halten die Zahlen allerdings für grob übertrieben und keinesfalls glaubwürdig. Augenzeugenberichten zur Folge wurden viele Wahllokale den gesamten Wahltag über kaum besucht.

Die wirtschaftliche Krise spitzt sich zu

Die Parlamentswahlen werden vor dem Hintergrund eines drohenden wirtschaftlichen Kollapses abgehalten werden. Die Venezolaner spüren die wirtschaftliche Krise immer stärker. Die Versorgungslage mit Nahrungsmitteln, Produkten des täglichen Bedarfs oder Ersatzteilen wird fortwährend schlechter. Entsprechend steigen die Schwarzmarktpreise, die für die meisten Venezolaner unerschwinglich hoch sind. Die Regierung ist nach wie vor nicht in der Lage oder gewillt, die notwendige Abwertung des heimischen Bolivar vorzunehmen, da dies mit hohen politischen Kosten verbunden wäre. So flüchtet sie sich weiterhin in Schuldzuweisungen, Durchhalteparolen oder Ablenkungsmanöver. Der Kurs des Schwarzmarktdollar beträgt mittlerweile rund 670 Bolivares für einen US-Dollar und somit mehr als das 100-fache (sic!) des festgelegten Wechselkurses von 6,30 Bolivares pro 1 US-Dollar. Seit Dezember 2014 hat die Zentralbank (BCV) keine Inflationszahlen mehr veröffentlicht. Ökonomen gehen für 2015 von einer Rate zwischen 120 bis 220 Prozent aus. Damit hat Venezuela die höchste Inflationsrate der Welt. Laut der größten Online-Zeitung des Landes „La Patilla“ ist die Notenpresse der BCV an ihre Grenzen gestoßen. Dem Vorschlag der Bankenvereinigung, eine 500- und 1000-Bolivares-Note einzuführen, erteilte sie aber eine Absage. Somit bleibt die 100-Bolivar-Note mit dem Schwarzmarktwert von derzeit 0,13 Euro die Banknote mit dem größten Nominalwert. Dies führt zu großen Problemen im Zahlungsverkehr mit Bargeld, vor allem angesichts der hohen Alltagskriminalität, aufgrund derer vom Mitführen von Bargeld selbst bei geringen Summen abzuraten ist.

Der Schwarzmarkt ist wichtige Einkommensquelle für Millionen von Venezolanern – am meisten für Regierungsangehörige

Die enorme Differenz zwischen den Wechselkursen hat zur Folge, dass Unternehmer, die Zugang zu Wechselkursgeschäften mit der Regierung haben, enorme Gewinnspannen erzielen, sofern sie nicht zu dem Wert, den sie umtauschen, auch entsprechend Waren importieren und zu dem festgelegten Kurs verkaufen. Unterschlagung und Korruption ermöglichen gigantische Gewinnmargen und dürften Grund dafür sein, wieso die Profiteure des Wechselkurssystems anscheinend erfolgreich gegen eine Reform intervenieren. Oft sind es Regierungsangehörige, Militärs oder die sogenannten „Enchufados“, d.h. Günstlinge oder Personen mit Regierungsverbindungen, die von Tauschgeschäften mit Regierungsdollars profitieren. Darüber hinaus erzielen Schmugglerbanden große Gewinne, die Produkte günstig zu Bolivarpreisen horten können und anschließend in Fremdwährung im Nachbarland veräußern. Mittlerweile leben Millionen von Venezolanern vom Schmuggel oder vom Erwerb und Weiterverkauf knapper War en, deren Preise reguliert sind.

Diese systembedingten Auswüchse erhöhen nur die Warenknappheit. Die Regierung reagiert hingegen mit stärkerer Kontrolle. Um den Schlangen vor den Supermärkten und anderen Einzelhandelsgeschäften Herr zu werden, dürfen regulierte Produkte nur noch zweimal pro Woche an Kunden verkauft werden, entsprechend der Endziffer der Personalausweisnummer. Dieses Verkaufssystem wird schrittweise durch ein alternatives Modell ersetzt, das die biometrischen Daten der Kunden und ihrer Einkäufe flächendeckend erfassen wird. Freilich führen derlei Maßnahmen nur zu einer Erhöhung der Schwarzmarktpreise und keineswegs zu einer besseren, geschweige denn gerechteren Versorgung der Bevölkerung.

Die Grundversorgung bricht zusehends zusammen

Mittlerweile erreichen die desolaten Umstände die Grenzen des Erträglichen. Immer wieder kommt es zu spontanen Demonstrationen, Protesten und Plünderungen. Zuletzt streikten vor allem die Angestellten und Unternehmer im Transportsektor, da Ersatzteile nicht mehr verfügbar oder erschwinglich sind und es somit zu Verdienstausfällen kommt. In den Grenzregionen, in denen logischerweise am meisten Kraftstoff in die Nachbarländer geschmuggelt wird, ist der Transportsektor zudem von dem Mangel an Benzin und Diesel betroffen. Auch die Luftfahrt ist stark betroffen. Internationale Fluglinien verkaufen nur noch Flugscheine in Fremdwährung, da die venezolanische Regierung bei den Airlines angehäufte Schulden nicht begleicht. Einheimische Fluglinien können hingegen den Flugbetrieb nur noch beschränkt aufrechterhalten, da wegen fehlender Ersatzteile viele Flugzeuge nicht einsatzfähig sind.

Eine weitere Streikwelle erfasste den Bildungssektor. An sämtlichen Universitäten legten Professoren die Arbeit nieder, da ihr Gehalt mittlerweile unter dem Mindestlohn von rund 7000 Bolivares pro Monat liegt, nach dem Schwarzmarktkurs rund zehn Euro (sic!). Auch die Schullehrer streikten zeitweise für eine bessere Besoldung.

Für Unruhe sorgen ferner Gerüchte, nach denen die größte Nahrungsmittel produzierende Unternehmensgruppe Venezuelas, Empresas Polar, von der Regierung enteignet werden soll. In den letzten Jahren wurden hunderte von Unternehmen enteignet, die in der Folge unproduktiv und oft geschlossen wurden. In dem privaten Unternehmen Polar arbeiten rund 20.000 Beschäftige, die in zwei Gewerkschaftsvereinigungen organisiert sind, die regierungstreu bzw. unternehmensnah sind. Die letztere und größere Gruppe macht gegen eine drohende Enteignung mobil, die die Versorgungslage verschärfen würde. Die Regierung könnte wiederum das Interesse verfolgen, Nahrungsmittel im Wahlkampf kostenlos zu verteilen.

Im ganzen Land kommt es wegen der prekären Versorgungslage zunehmend zu Demonstrationen, von denen die staatlichen Medien kaum berichten und die somit nicht entsprechend umfassend wahrgenommen werden (können). Manchmal führen wiederkehrende Stromausfälle oder die Unterbrechung der Wasserversorgung zu spontanen Kundgebungen. Manchmal protestieren Bürger gegen die unzumutbare Sicherheitslage, die immer größere Ausmaße erfasst.

Kriminalität nimmt ungeahnte Ausmaße an

Experten gehen davon aus, dass in Venezuela etwa 18.000 kriminelle Banden aktiv sind, davon wenden schätzungsweise 12.000 Gewalt an. Die Kriminalpolizei CICPC geht von 70 Megabanden aus, die sich durch einen hohen Grad an Bewaffnung und Organisation auszeichnen. Oft ist es aber gerade die CICPC selbst, die in illegalen Aktivitäten verstrickt ist, etwa bei professionell organisierten Entführungen. Bereits vor geraumer Zeit hat die Regierung sogenannte „Friedenszonen“ („Zona de Paz“) eingerichtet, die ursprünglich durch Sozial- und Kulturprojekte in einem konfliktiven Viertel für Frieden und Ordnung sorgen sollten. Der Misserfolg der Programme und die Nachlässigkeit wie auch Korruption in den verschiedenen Polizeiinstitutionen führten jedoch lediglich dazu, dass man rechtsfreie Räume schuf, in denen sich die organisierte Kriminalität ausbreiten konnte. In den vergangenen Wochen kam es verstärkt zu heftigen Feuergefechten bei dem Versuch, bestimmte Banden aus den „Friedenszonen“ zu vertreiben. Einige dieser Banden sollen mit Angehörigen der Regierung verbunden sein.

Jüngster Vorfall war eine Operation der Nationalgarde (GNB), des Geheimdienstes (SEBIN) und der Nationalpolizei am 12. und 13. Juli in dem Viertel Cota 905 in Caracas. In Feuergefechten, bei denen sogar Granaten zum Einsatz gekommen sein sollen, gab es 14 bestätigte Todesopfer der Bande „El Coco“. Die Polizei nahm anschließend 134 Personen fest, die vermutlich der kriminellen Vereinigung angehören. Aus Sicherheitskreisen erfuhr man, dass die Anzahl von Todesopfern und Festnahmen jedoch deutlich höher gelegen haben sollen.

Auch wenn sich Aussagen verschiedener Experten nur schwer verifizieren lassen, so kann dennoch festgehalten werden, dass die organisierte und gewöhnliche Kriminalität Ausmaße erreicht hat, die der Staat womöglich nur noch unter großen Anstrengungen unter Kontrolle bringen kann.

Bezeichnend für die Verquickung organisierter Kriminalität und der Regierung waren die Anschuldigungen gegenüber dem Parlamentspräsidenten Diosdado Cabello, der laut Wall Street Journal und der spanischen Tageszeitung ABC der Kopf des berüchtigten Drogenkartells „Cartel de los Soles“ sein soll. Da Venezuela mittlerweile zu den größten Umschlagplätzen im internationalen Kokainhandel zählt, kann das Drogenkartell laut Experten als eines der größten der Welt gelten. Die US-Behörden ermitteln bereits gegen führende Köpfe aus der venezolanischen Regierung und dem Militär. Auch das US-Militär warnt vor der unübersichtlichen Situation in Venezuela. Bereits im März warnte der befehlshabende General des Kommando Süd der USA, General John Kelly, vor einer Implosion in Venezuela. Anfang Juni kritisierte er, dass der Karibikstaat als einziges Land nicht mit den USA im Anti-Drogenkampf kooperiert.

Die brisante Situation in Venezuela hat dazu geführt, dass die Regierung zwar stark unter Druck, jedoch nicht ins Wanken gerät. Der allgemeine Unmut und die vielen vereinzelten Proteste haben bisher nicht zu einer großen, koordinierten Demonstration geführt, die der Regierung gefährlich wird. Auch haben sich ähnliche Massenproteste, wie sie im Februar und März 2014 erfolgten, noch nicht wiederholt.

Maduro sagt Privataudienz beim Papst ab

Um sein angeschlagenes internationales Image aufzubessern, wollte Staatspräsident Nicolas Maduro am 7. Juni mit Papst Franziskus in Rom zusammentreffen. Aus Papstkreisen erfuhr man, dass es für den Papst jedoch ein Problem sei, Maduro zu empfangen, solange sich der Oppositionspolitiker López in Hungerstreik befinde. Wohl um einer Rücknahme der Privataudienz vorzubeugen, sagte Staatschef Maduro den Termin wegen Krankheit ab. Da er stattdessen andere Termine wahrnahm, kann davon ausgegangen werden, dass es sich um einen Vorwand handelte.

Papst Franziskus kann sicherlich weiterhin eine wichtige Rolle bei der Lösung der politischen Krise in Venezuela spielen. Hierfür gibt es verschiedene Gründe: Das Oberhaupt der Katholischen Kirche hat bereits zwischen den USA und Kuba vermitteln können. Die guten Kontakte zu Kuba könnten helfen, Einfluss auf die venezolanische Regierung auszuüben. Außerdem ist es nicht nur dem Papst als Lateinamerikaner ein persönliches Anliegen, in Venezuela einen positiven Beitrag zu leisten, sondern auch dem Staatssekretär Seiner Heiligkeit, Pietro Parolin, der bis Oktober 2013 vier Jahre lang Nuntius in Caracas gewesen war und über direkte Kontakte nach Venezuela verfügt, insbesondere zur Opposition. Ferner kann der aktuelle Nuntius in Caracas, Monsignore Aldo Giordano, eine wichtige politische Vermittlungsrolle einnehmen, da er einer der wenigen Figuren ist, die über Glaubwürdigkeit und Kontakte zu allen Seiten verfügt.

Menschenrechtslage weiterhin kritisch

Generell bleibt das Thema Menschenrechte für Maduro schwierig. International gerät die Regierung weiterhin unter Beschuss. Bei zwei Anhörungen bei der UN-Menschenrechtskommission in Genf im Juni wurde die venezolanische Regierung stark kritisiert. Der „Erfolg“ der Anhörungen lässt sich dadurch belegen, dass Maduro ankündigte, man werde gegen Leiter der beteiligten venezolanischen Menschenrechtsorganisationen vorgehen, und rief die Bevölkerung auf, die Menschenrechtsaktivisten zu denunzieren. Es bleibt abzuwarten, ob es sich um Worte der Einschüchterung handelt oder ob Taten folgen werden. Die betroffenen Menschenrechtsorganisationen äußerten sich sehr besorgt.

Ungewisse Aussichten in Wahlkampfzeiten

Obwohl der Termin für die Parlamentswahlen verkündet wurde, bleibt es abzuwarten, ob sie tatsächlich durchgeführt werden. Mit dem Hinweis auf die gravierende Versorgungslage könnte die Wahl ohne weiteres verschoben werden. Das geltende Ermächtigungsgesetz befähigt jetzt schon Präsident Maduro, per Dekret am Parlament vorbei zu regieren. Politologen wie Prof. Benigno Alarcon oder Prof. Miguel Angel Meucci Martinez, die Venezuela als eine hybride, elektorale Autokratie einstufen, argumentieren allerdings richtigerweise, dass die chavistische Regierung einen formalen Wahlsieg zur Legitimierung benötigt. Maduro befindet sich somit in der Zwickmühle. Mit der sich verschärfenden Krise verschlechtert sich die Popularität seiner Regierung, jedoch benötigt er den Wahlsieg seiner Partei.

Angesichts der Unzufriedenheit der Bevölkerung und des steigenden Drucks auf die Regierung scheint man sich für alle Fälle wappnen zu wollen. Am 10. Juni wurde eine Gesetzesänderung verkündet, nach der das Militär künftig Polizeiaufgaben übernehmen kann. Welche Einheiten, zu welchem Zweck und an welchem Ort dies übernehmen sollen, entscheidet dann die oberste Heeresführung, das Comando Ejecutivo Operacional (CEO). Außerdem wird die bolivarianische Miliz, die Hugo Chavez vor einem Militärputsch bewahren sollte, in das Militär eingegliedert werden. Neben einer Maßnahme zur Absicherung der eigenen Macht kann dies auch als vorbeugende oder gar vorbereitende Maßnahme gewertet werden, sich den kriminellen Banden oder den bewaffneten chavistischen „Colectivos“, die sich als Gegenspieler entpuppen, entgegenstellen zu können.

Der internationale Druck erhöht sich

In der Gestaltung der Zukunft Venezuelas dürfte der Einfluss der US-Regierung nicht unerheblich sein. In den letzten Wochen kam trotz der Kriegsrhetorik mindestens drei Mal der US-amerikanische Unterhändler Thomas Shannon nach Caracas, um sowohl mit der Regierung als auch der Opposition zu sprechen. In welche Richtung sich mögliche Verhandlungen entwickelten, ist nicht eindeutig. Das Argument, die im März erlassenen US-Sanktionen gegen venezolanische Regierungsangehörige hätten Maduro gestärkt, hat sich nicht bewahrheitet. Aus dem Parlamentsumfeld ist zu verlautbaren, dass die Unterschriftenaktion von Präsident Maduro gegen den Regierungserlass von Barack Obama nicht wie verkündet 13 Millionen, sondern lediglich 2,8 Millionen Unterschriften einbrachte, darunter viele unter Druck. Während die Unterschriftenaktion nicht mehr zur Ablenkung oder Mobilisierung gegen die USA taugt, scheinen die Sanktionen Wirkung zu zeigen. Das Wall Street Journal zitierte US-Staatsanwälte und Regierungsangehörige, nach denen es immer mehr venezolanische Überläufer geben soll, die bereit seien, Informationen zu liefern.

Der US-Unterhändler Shannon hat sich allerdings auch mit dem Parlamentspräsidenten Diosdado Cabello in Haiti getroffen, der zuvor bei Staatspräsidentin Dilma Rousseff zu Gast war. Über den Inhalt der Gespräche kann letztlich nur spekuliert werden. Möglicherweise wurden Übergangsoptionen ausgelotet. Die USA, Brasilien, der Vatikan und Kuba sind dabei wichtige Akteure.

Regierung blockiert internationale Wahlbeobachtung

Die MUD ist weiterhin bemüht, den internationalen Druck auf das Regime in Caracas zu erhöhen. Die Anzahl der internationalen Kritiker an der venezolanischen Regierung nimmt fortwährend zu. Dutzende ehemaliger Staatschefs positionieren sich öffentlich gegen Nicolas Maduro. Viele Parlamente erlassen Resolutionen, die das Vorgehen der Regierung in Caracas kritisieren. Bei dem kürzlich stattgefundenen Gipfel der CELAC und der EU blieb Maduro wohl auch deswegen abwesend, da eher Kritik als Solidaritätsbekundungen zu erwarten war. Die lateinamerikanischen Regierungen hingegen sind sehr zögerlich bei der Verurteilung der Geschehnisse in Venezuela. Die Staaten des Regionalbündnisses ALBA unterstützen Venezuela natürlich ohne Vorbehalt.

Möglichen Beobachtermissionen der Wahlen durch die EU oder die OAS, auf die die Opposition drängt, erteilte Maduro mittlerweile eine kategorische Ablehnung: „Venezuela wird nicht überwacht, durch niemanden“, so der Staatschef.

Grenzstreit mit Guyana verschärft sich

Schließlich verschärft sich auch der Ton im Konflikt mit dem Nachbarland Guyana, das Bohrlizenzen an das US-amerikanischen Ölunternehmen ExxonMobile zur Ausbeutung eines Ölvorkommens im Atlantik vergab. Das Ölfeld liegt in Gewässern, die auch von Venezuela beansprucht werden. Nachdem Guyana einseitig das Gebiet seinem Staatsterritorium zugeschlagen hatte, erfolgte nach monatelangem Schweigen erstmals eine scharfe Verurteilung des Vorgehens durch die Regierung in Caracas. Guyana reagierte mit der Zurücknahme der Landerechte für die venezolanische Fluggesellschaft Conviasa in der Hauptstadt Georgetown. Als Grund wurden ausstehende Schuldrückzahlungen genannt. Die Gemeinschaft Karibischer Staaten (CARICOM) hat bei ihrem Treffen im Juli, an dem auch der UN-Generalsekretär Ban Ki-Mun teilnahm, ihre Unterstützung für Guyana ausgesprochen. Traditionell unterstützen sich die CARICOM-Staaten in derlei Angelegenheiten gegenseitig, jedoch ist zu berücksichtigen, dass viele der CARICOM-Mitglieder auch dem Energiebündnis PetroCaribe angehören und bisher von verbilligten Öllieferungen Venezuelas profitierten. Nach der Konferenz traf sich der UN-Generalsekretär auch mit Staatspräsident Maduro in New York.

Es bleibt abzuwarten, wie die venezolanische Regierung weiterhin verfährt. Mit großer Wahrscheinlichkeit dient der Konflikt mit Guyana einer innenpolitischen Ablenkung. Die venezolanische Opposition ist freilich gegen eine Abtretung des umstrittenen Grenzgebiets und kritisiert die Regierung für ihre 16 Jahre andauernde Tatenlosigkeit in dem Grenzstreit, die ihrer Ansicht nach erst Guyanas Ölexplorationen ermöglicht haben.

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