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Auslandsinformationen

Ein afrikanisches Afghanistan?

von Tinko Weibezahl

Zum Einsatz der deutschen Bundeswehr in Mali

Fehlende staatliche Strukturen, zunehmende Angriffe durch islamistische Extremisten, andauernde Armut bei stetig steigendem militärischen Engagement Europas – in der öffentlichen Diskussion wird der Einsatz in Mali nicht selten mit der Situation in Afghanistan verglichen. Trotz großer Anstrengungen, westlicher Unterstützung und Kampfansagen werden die Islamisten nicht bedeutend schwächer. Wegen der ausgedehnten Bereiche, wird die malische Wüste zum Rückzugsraum für Terrorgruppen. Welche Gründe hat Deutschland, sich dort zu engagieren und wie sehen Lage und Perspektiven aus?

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Der Deutsche Bundestag hat am 26. April 2018 die Fortsetzung des Einsatzes der Bundeswehr in Mali im Rahmen der Multidimensionalen Integrierten Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen in Mali (MINUSMA) beschlossen. In namentlicher Abstimmung stimmten 496 Abgeordnete für den Antrag der Bundesregierung, 156 dagegen. Nach dem vorliegenden Beschluss wird die Personalobergrenze des neuen Mandats auf 1.100 Soldaten angehoben. Deutschland hat außerdem Anfang Dezember 2017 alle Aufgaben für die Leitung von Camp Castor im malischen Gao übernommen. Dafür wird mehr Personal benötigt, was ebenso für zusätzliche Schutzmaßnahmen und den geplanten Aufwuchs des Lufttransportstützpunkts in Niamey, der Hauptstadt von Niger, gilt. Auch die Beteiligung der unter EU-Führung stehenden Ausbildungs- und Beratungsmission EUTM Mali wird fortgesetzt. Deutschland beabsichtigt, ab November 2018 erneut (wie bereits 2015/16) den Missionskommandeur von EUTM Mali zu stellen. Das Parlament hat das Mandat bis zum 31. Mai 2019 verlängert und die personelle Obergrenze von 300 auf 350 Soldaten angehoben. Damit könnten theoretisch insgesamt bis zu 1.450 deutsche Soldaten in beiden Einsätzen in Westafrika ihren Dienst versehen; neben Afghanistan wäre der Mali-Einsatz damit das größte militärische Engagement der Bundeswehr im Ausland.


Bundeskanzlerin Angela Merkel erklärte dazu im Vorfeld, dass Deutschland im Zuge einer Neuordnung seiner Entwicklungszusammenarbeit „allein zwischen 2017 und 2020 1,7 Milliarden Euro für die Region der Sahel-Staaten und deren Entwicklung ausgeben“ werde. Merkel warb auch für weitere internationale Unterstützung. Wichtig sei ein vernetzter Ansatz von Sicherheits- und Entwicklungspolitik. Illegale Migration zu bekämpfen, erfordere Sicherheit, aber auch die Entwicklung in den Regionen.


Das deutsche militärische Engagement ist als Ergänzung der entwicklungs- und außenpolitischen Hilfen für Mali gedacht. Erst Ende Februar 2018 wurde gemeinsam mit Frankreich und der EU bei der G5-Sahel-Konferenz eine umfassende militärische und entwicklungspolitische Unterstützung besprochen. Als Kernland der Sahelzone spiele Mali, so die Bundesregierung, eine Schlüsselrolle für Stabilität und Entwicklung der gesamten Sahel-Region, nicht zuletzt aufgrund des grenzüberschreitenden Charakters von Herausforderungen wie Terrorismus, organisierter Kriminalität, irregulärer Migration und Schleusertätigkeiten. Die Bundesregierung beziffert die einsatzbedingten Zusatzausgaben für die Zeit vom 1. Mai 2018 bis zum 31. Mai 2019 auf voraussichtlich rund 268,6 Millionen Euro. Sie bezeichnet die Stabilisierung Malis als einen Schwerpunkt des deutschen Engagements in der Sahel-Region und als wichtiges Ziel der Afrikapolitik der Bundesregierung. 2018 wird ein entscheidendes Jahr für Mali, da Präsidentschafts- und Parlamentswahlen anstehen. Daher sei es sehr wichtig, mit Unterstützung von MINUSMA und EUTM das Land zu stabilisieren. Vorgesehen ist auch, dass die Missionen in Mali mit der neuen regionalen Einsatztruppe der G5-Sahel-Staaten zusammenarbeiten. Künftig sollen deutsche Soldaten also auch in Niger, Mauretanien und im Tschad eingesetzt werden können, um dort insbesondere der neuen regionalen Eingreiftruppe der G5-Staaten Beratung und Ausbildung anzubieten. Geplant sind hier logistische Hilfen beim Aufbau von Infrastruktur sowie Unterstützung mit Verbrauchsgütern und beim Verwundetentransport innerhalb des Landes. Das westafrikanische Mali ist rund dreieinhalb Mal so groß wie die Bundesrepublik und verfügt über etwa 10.000 eigene reguläre Soldaten.



Zur Genese des militärischen Engagements in Mali


Mali befindet sich bereits seit 2012 in einer schweren Krise. Der seit Jahrzehnten schwelende Dauer-konflikt zwischen den Tuareg-Rebellen im Norden und der malischen Regierung erlebte im Frühjahr 2012 einen neuen Höhepunkt, der unmittelbar mit dem Fall des Gaddafi-Regimes in Libyen zusammenhing, wie seinerzeit Philippe Hugon, Afrika-Experte am Politikinstitut IRIS in Paris, analysierte: „Als die libysche Regierung auseinanderfiel, wurden Raketenwerfer oder Anti-Panzerminen mitgenommen. Alle möglichen Gruppen hatten Zugang zu diesen Waffen. Darunter waren auch die Tuareg, die für Gaddafi kämpften. Diese Leute stehen auf einmal mit leeren Händen da, denn sie können natürlich nicht in die malische oder libysche Armee integriert werden. Deswegen haben sie sich dieser Rebellion angeschlossen“, so Hugon. Der Kampf der sogenannten Nationalen Bewegung für die Befreiung des Azawad (Mouvement pour la Libération de l’Azawad, MNLA), der Tuareg-Bewegung für einen eigenen Berber-Staat namens Azawad, bekam neuen Auftrieb, als schwer bewaffnete Tuareg aus Libyen nach Mali zurückkehrten.


Wenige Monate später, im April 2012, überrollten binnen weniger Wochen die Tuareg die schwachen malischen Regierungstruppen im Norden und riefen die Unabhängigkeit ihres Territoriums aus. Begünstigt wurde das Vorrücken der Rebellen durch einen Militärputsch in der Hauptstadt: In Bamako hatte am 22. März eine Gruppe von Offizieren die Macht übernommen und Präsident Amadou Toumani Touré verjagt – die Militärs waren unzufrieden mit dem zaghaften Krisenmanagement im Norden. Als Folge zerbrach Mali faktisch in zwei Teile – den Rebellenstaat im Norden, der international jedoch keine Anerkennung fand, und das von der Zentralregierung kontrollierte Territorium im Süden des Landes.


Im Dezember 2012 befasste sich der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (VN) mit der Situation in Mali. Er beschloss die Resolution 2085, die eine afrikanisch geführte internationale Unterstützungsmission in Mali legitimierte. Bis Anfang Januar 2013 verschlechterte sich die Situation der malischen Armee nach mehreren Monaten militärischer Auseinandersetzungen jedoch zusehends. Die Rebellen bewegten sich in Richtung der strategisch wichtigen Großstadt Mopti, die den Zugang zur Hauptstadt Bamako ermöglicht. Daraufhin richtete der Präsident der malischen Übergangsregierung, Dioncounda Traoré, ein offizielles Gesuch um militärische Unterstützung zur Verhinderung der dschihadistischen Offensive an Frankreich.


Am Abend des 11. Januar 2013 gab der französische Staatspräsident François Hollande bekannt, dass französische Soldaten seit dem Nachmittag aktiv an den Kämpfen im westafrikanischen Mali beteiligt seien. Ziel sei es, die Regierungstruppen von Mali im Kampf gegen „terroristische Elemente“ zu unterstützen. Er merkte an, dass dieser Einsatz so lange dauern werde wie nötig. Einige Tage später erklärte Hollande auf einer Pressekonferenz in Dubai, dass die französischen Truppen Mali erst verlassen und die Operation beenden würden, wenn Mali sicher sei sowie eine legitime Ordnung und einen Wahlprozess habe. Außerdem dürften die Terroristen die territoriale Integrität von Mali nicht mehr gefährden. Hollande nannte drei Hauptziele der Operation:






  • Stopp des terroristischen Angriffs;
  • Sicherung von Bamako und der dort lebenden mehreren tausend französischen Staatsbürger;
  • Mali mithilfe der von den Franzosen unterstützten African Led International Support Mission to Mali (AFISMA) in die Lage zu versetzen, seine territoriale Integrität wiederherzustellen.

Am 20. Januar erklärte der französische Verteidigungsminister Jean-Yves Le Drian, das Ziel der nunmehr von den Franzosen Opération Serval genannten Unternehmung sei das vollständige Ende jeglicher islamistischen Kontrolle über Teile des Landes. Frankreich ging nun also militärisch gegen die Islamisten vor. Maßgeblich war dabei die Erkenntnis, dass diese nicht nur im großen Stil mordeten, sondern zumindest das Potenzial hatten, die gesamte Region nachhaltig zu destabilisieren. Zur Begründung für das französische Eingreifen sagte Präsident Hollande, es gehe um die Existenz dieses „befreundeten Staates, um die Sicherheit seiner Bevölkerung und die unserer Landsleute“. Mali sei einer „Aggression von terroristischen Elementen aus dem Norden“ des Landes ausgesetzt, deren „Brutalität und Fanatismus“ bekannt seien.


Allerdings hatte Hollande zunächst lediglich die Ausbildung malischer Soldaten unterstützen wollen, eine direkte Entsendung von Soldaten nach Mali sollte afrikanischen Ländern überlassen bleiben. Frankreich würde nur nach einer internationalen Entscheidung eingreifen, hieß es noch wenige Tage vor Beginn des Einsatzes aus Paris. Angesichts des Vormarsches der Islamisten hatte Hollande seine Meinung dann doch geändert, was ihm zunächst, ob seines Alleingangs, internationale Kritik einbrachte.



„Der Terrorismus in Mali ist auch eine Bedrohung für Europa.“

Im Zuge der innereuropäischen Diskussion, wie man AFISMA unterstützen könne, traf sich Bundeskanzlerin Merkel im Januar 2013 mit dem damaligen Vorsitzenden der westafrikanischen Wirtschaftsunion (ECOWAS), dem ivorischen Präsidenten Alassane Ouattara, und sagte zunächst die Unterstützung der auf rund 3.000 Soldaten ausgelegten Mission durch zwei deutsche Transall-Transportflugzeuge zu. Zudem betonte die Kanzlerin nach Gesprächen mit François Hollande, dass man „unter hohem Zeitdruck“ stünde: „Der Terrorismus in Mali ist nicht nur eine Bedrohung für Afrika, sondern auch eine Bedrohung für Europa“, so Merkel weiter. Jedes Land müsse prüfen, „welche freien Kapazitäten (es gibt), ohne die Sicherheit der Soldaten in anderen Einsätzen zu gefährden“.



EUTM und MINUSMA


In einer Sondersitzung der EU-Außenminister am 17. Januar 2013 in Brüssel, an der auch der malische Außenminister Hubert Coulibaly teilnahm, wurde offiziell der Beginn einer EU-Ausbildungsmission (EUTM Mali) für die malische Armee beschlossen. Die Bundesregierung erklärte sich bereit, EUTM Mali als Truppensteller mit eigenen Kräften zu unterstützen. Die Aufgaben von EUTM Mali wurden folgendermaßen definiert:








  • Ausbildung und Beratung an wichtigen Standorten der malischen Streitkräfte mit besonderem Fokus auf das Führungspersonal;
  • Beratung des malischen Verteidigungsministeriums und der Führungsstäbe sowie Ausbildungseinrichtungen der malischen Streitkräfte;
  • Unterstützung und Förderung der Kooperation von Streitkräften der G5-Sahel-Staaten für eine grenzübergreifende Handlungsfähigkeit;
  • Beratung von Personal der G5-Sahel-Einsatztruppe in ihren Hauptquartieren;
  • Ausbildung von Truppenteilen der G5-Sahel-Einsatztruppe in Mali.

Am 28. Februar 2013 billigte der Bundestag erstmals die Entsendung deutscher Streitkräfte zur Unterstützung von AFISMA auf Grundlage der Resolution 2085 (2012) des VN-Sicherheitsrats. Deutschland stellte Lufttransportkapazität für Transporte aus den Anrainerstaaten nach und innerhalb Malis bereit und führte Lufttransport und Luftbetankungen für die französischen Streitkräfte in unmittelbarer Unterstützung von AFISMA durch. Nachdem der VN-Sicherheitsrat am 25. April 2013 mit der Resolution 2100 (2013) die Einrichtung der Multidimensionalen Integrierten Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen in Mali (MINUSMA) beschlossen hatte, wurde nach Zustimmung des Deutschen Bundestages vom 27. Juni 2013 die deutsche Unterstützung von AFISMA in die Unterstützung von MINUSMA überführt.


An der Stabilisierungsmission in Mali beteiligen sich aktuell mehr als 50 Nationen mit rund 11.000 Blauhelmsoldaten, circa 1.500 Polizisten und Zivilpersonal. Deutschland stellt aber auch Personal für das Forces Headquarters (FHQ) in Bamako und betreibt in Niamey, der Hauptstadt des benachbarten Niger, einen Lufttransportstützpunkt, um Material- und Personaltransporte sowie die medizinische Verwundetenversorgung zu ergänzen. Das deutsche Kontingent unterstützt den Auftrag von MINUSMA, der bis heute folgende Aspekte beinhaltet:











  • Sicherung des Waffenstillstands;
  • Unterstützung bei der Umsetzung des Friedensabkommens;
  • Schutz der Zivilbevölkerung;
  • Stabilisierung wichtiger Bevölkerungszentren;
  • Unterstützung bei der Wiederherstellung staatlicher Autorität;
  • Unterstützung des politischen Prozesses und Schutz der Menschenrechte;
  • Unterstützung bei der Absicherung humanitärer Hilfe;
  • Schutz des kulturellen Erbes und von Anlagen in Zusammenarbeit mit der UNESCO.

Im Januar 2016 stimmte der Deutsche Bundestag der Verlängerung und der Ausweitung des Einsatzes zu, verbunden mit einer Anhebung der Personalobergrenze von 150 auf 650 Soldaten. Der erweiterte Beitrag diente zum Teil der Entlastung der vor Ort eingesetzten niederländischen Kräfte und konzentrierte sich vor allem auf den Fähigkeitsbereich der Aufklärung.


Die nach dem unilateralen Handeln Frankreichs in Mali aufgekommenen Misstöne zwischen Deutschland und Frankreich wurden mit der gemeinsamen Erklärung von Bundeskanzlerin Merkel und Präsident Hollande anlässlich des EU-Afrika-Gipfels in Brüssel überwunden. Beide erklärten, künftig gemeinsam in Afrika handeln zu wollen. Hollande sagte, beide Länder leisteten durch ihre Freundschaft mehr als andere einen gemeinsamen Beitrag zur Sicherheitspolitik in Europa. „Darüber hinaus wollen wir dafür Sorge tragen, dass diese Freundschaft auch bis auf den afrikanischen Kontinent trägt und sich dort entfaltet.“ Eine wichtige Rolle auf dem Gipfel spielte die Enable and Enhance-Initiative (E2I). Damit „wollen wir die Afrikaner befähigen, ihre eigenen Sicherheitsstrukturen aufzubauen(,) und dann auch mit den notwendigen Materialien ausstatten“, erklärte Merkel.



Militärische Partnerschaften


Neben den nationalen Streitkräften Malis strebt die internationale Gemeinschaft eine militärische Partnerschaft mit der neuen regionalen Eingreiftruppe der G5-Staaten an. Diese multinationalen, 5.000 Soldaten umfassenden Kräfte sind nicht zuletzt in Konsequenz der schleppenden Umsetzung der African Standby Forces ins Leben gerufen worden und sollen Einheiten aus den sogenannten G5-Staaten Niger, Burkina Faso, Mali, Mauretanien und Tschad unter einem einheitlichen Kommando zusammenführen. Mithilfe dieser neuen Truppe soll dann kurzfristig auf regionale Krisen militärisch reagiert werden können. Die G5 du Sahel (Gruppe der fünf) wurde im Februar 2014 von den jeweiligen Staatschefs gegründet. Beim G5-Gipfel im Februar 2017 wurde dann die G5 Sahel Joint Force unter einem gemeinsamen Oberkommando beschlossen, die bis Frühjahr 2018 einsatzfähig sein soll. Im April 2017 hat dann der Friedens- und Sicherheitsrat der Afrikanischen Union das strategische Einsatzkonzept gebilligt und mit der Resolution 2359 (2017) hat schließlich auch der VN-Sicherheitsrat die Einrichtung der Einsatztruppe begrüßt. Die Soldaten und Polizisten aus den G5-Staaten verteilen sich auf sieben Bataillone. Geführt werden sie von einem in Mali stationierten gemeinsamen Hauptquartier und drei Regionalkommandos (West, Central

und East), deren Fokus die drei zwischenstaatlichen Grenzen auf den Nord-Süd-Linien zwischen Mauretanien und Mali, zwischen Mali, Niger und Burkina Faso sowie zwischen Niger und Tschad sind.


Die G5-Sahel-Staaten werden für den Aufbau der Truppe je zehn Millionen US-Dollar bereitstellen, die Europäische Union 50 Millionen für Infrastruktur, Ausrüstung und Ausbildung. Acht Millionen US-Dollar, 70 Fahrzeuge und Kommunikationsausrüstung werden von Frankreich zur Entlastung der Opération Barkhane beigesteuert. Die geschätzten Gesamtkosten der G5 Sahel Joint Force sollen 432 Millionen US-Dollar betragen. Deutschland unterstützt bei den Infrastrukturmaßnahmen den Aufbau des Regionalkommandos im nigrischen Niamey. Die deutsche Bundesregierung liefert Ausstattung für die G5-Verteidigungsakademie in Mauretanien und finanziert aus Mitteln der Ertüchtigungsinitiative den Aufbau eines regionalen Ausbildungsnetzwerks im Bereich der Biosicherheit.



Zur politischen und wirtschaftlichen Lage in Mali


Seit Bestehen des malischen Staates ist der Norden des Landes nie vollständig von der Zentralregierung kontrolliert worden. Das Fehlen staatlicher Strukturen und damit die Gewähr der Durchsetzungsfähigkeit der Zentralregierung ist ein Problem, das seit Jahrzehnten besteht und nicht erst durch die Rebellion von 2012 ausgelöst worden ist. Das hat zur Folge, dass die Regierung in weiten Teilen des Landes weder Sicherheit noch eine menschenwürdige Grundversorgung der eigenen Bevölkerung in den Bereichen Rechtssicherheit, Bildung, Gesundheit und Infrastruktur gewährleisten kann. Die Bildung bewaffneter Gruppen jeglicher Couleur, ob religiös-terroristisch oder kriminell motiviert, wird dadurch begünstigt.



Trotz des immensen militärischen Aufwands der internationalen Gemeinschaft hat sich die Sicherheitslage in Mali bislang nicht nachhaltig verbessert.

Das Fehlen staatlicher Strukturen macht sich aber auch insbesondere dort bemerkbar, wo es um die Zukunftsperspektiven der rapide wachsenden malischen Bevölkerung geht. Hohe Arbeitslosigkeit, steigende Preise für Lebensmittel, ein ungenügendes Bildungssystem – die „Zutaten“ für ökonomische, politische und auch religiös motivierte Konflikte liegen auf der Hand, mit entsprechenden Konsequenzen für die Sicherheitslage. Trotz des immensen militärischen Aufwands der internationalen Gemeinschaft gibt es in Mali bis dato keine nachhaltige Verbesserung der Sicherheitslage. Zwar wurde nach der internationalen militärischen Intervention von 2013 mit Ibrahim B. Keita ein neuer Präsident Malis gewählt, dennoch blieb der Norden des Landes instabil. Islamisten verübten weiterhin Anschläge, die Minderheit der Tuareg wiederum sah sich Vergeltungsangriffen ausgesetzt. Ende 2013 beendeten die Tuareg den Waffenstillstand mit der malischen Zentralregierung. Nachdem die Rebellen Ende Mai 2014 viele Städte in der Grenzregion zu Algerien und Niger zurückerobert hatten, wurde im März 2015 ein neues Friedensabkommen verhandelt, jedoch nicht von allen beteiligten Parteien unterzeichnet. Bis heute verüben extremistische Gruppierungen im Norden ihre Gewalttaten – die Lage bleibt angespannt und hat sich in Teilen innerhalb der letzten Jahre verschlechtert, was einen wesentlichen Grund für die Verlängerung und Ausweitung des internationalen militärischen Engagements darstellt.


Die internen wirtschaftlichen und politischen Probleme Malis sind als begünstigender Faktor der Krise im Bereich der Sicherheit nicht zu unterschätzen. Mali ist eines der ärmsten Länder der Welt. Die Landwirtschaft ist effektiv der einzige Wirtschaftszweig, obwohl nur auf einem kleinen Teil der Gesamtfläche Anbau möglich ist. Nach einer Ende 2017 veröffentlichten Analyse der Regierung werden bis Mitte 2018 4,1 Millionen Malier von Ernährungsunsicherheit betroffen sein. Ca. 800.000 vornehmlich in Nord- und Zentralmali lebende Menschen benötigen humanitäre Unterstützung. Die Fokussierung der internationalen Debatte auf den Sicherheitssektor, das heißt die Bedrohung durch Terrorismus und Rebellengruppen aus dem Norden, lässt die internen, hausgemachten Dimensionen der Lage in Mali in den Hintergrund rücken, wie unter anderem der Afrika-Experte Denis Tull von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) analysiert. Er sieht in der „Logik der Evakuierung endogener politischer Faktoren“ einen Versuch der malischen Regierung, soziale und politische Faktoren der Mali-Krise zu ignorieren und auf diese Weise eigene Verantwortlichkeiten zu negieren.



Kaum einem Staat in der Sahel-Region gelingt es, das Gewaltmonopol im eigenen Territorium durchzusetzen.

In der Tat ist es so, dass die allgemein verbreitete Schwäche staatlicher Strukturen zwar kein neues, aber nach wie vor aktuelles Phänomen im malischen Kontext darstellt. Wie auch in den Nachbarländern der Sahel-Region gelingt es kaum einem staatlichen Gefüge in der Region, das Gewaltmonopol im eigenen Territorium durchzusetzen. Dies führt zu einer Begrenzung des eigenen Machtbereiches auf wenige Provinzen, oftmals nur auf die Regionen in unmittelbarer Nähe von Hauptstadt und Regierungssitz. Daraus entsteht unweigerlich ein Legitimitätsproblem bei der eigenen Bevölkerung – je weniger es staatlichen Institutionen gelingt, ein Mindestmaß an Sicherheit und sozialen Leistungen zu gewährleisten, desto mehr treten andere Akteure an ihre Stelle. Annette Weber und Guido Steinberg von der SWP haben im März 2015 in einer Studie zum Dschihadismus in Afrika diesen Teufelskreis aus erodierenden Strukturen und dem Aufstieg terroristischer Gruppierungen beleuchtet. Demnach mangelt es der Bevölkerung an Vertrauen in die staatlichen Organe; oftmals werden diese eher als Bedrohung wahrgenommen. Darüber hinaus gilt auch für Mali, dass die Bevölkerungsgruppen der Peripherie ihren Nachbarn auf der anderen Seite der Grenze oft enger verbunden sind als ihren eigenen Regierungen, was eine explosive Spätfolge willkürlich gezogener Staatsgrenzen während der Kolonialzeit ist.



Fazit


Die Sicherheit Europas wird in zunehmendem Maße durch die Folgen von Entwicklungen auf dem afrikanischen Kontinent bedroht. Diese lange vernachlässigte Tatsache ist insbesondere seit Beginn der Flüchtlingskrise Mitte 2015 endlich bei den sicherheitspolitisch relevanten Entscheidungsträgern auch in Deutschland angekommen. Auswirkung von Bürgerkriegen, Kriegen, Korruption, Misswirtschaft und Überbevölkerung sind in erster Linie massenhafte Fluchtbewegungen in Richtung Europa (und hier an prominenter Stelle Deutschland), aber auch ein Aufwuchs des islamistischen Terrorismus, der unter den Massen der Unzufriedenen neue Möglichkeiten zur Rekrutierung findet. Staatsfreie Raume bieten Rückzugsgebiete für Terrorismus und organisierte Kriminalität. Letztere tragen wiederum dazu bei, dass die Lebensbedingungen für die Mehrheit der Bevölkerung immer unattraktiver werden und mehr und mehr Menschen ihre Zukunft außerhalb des eigenen Landes sehen. Diese Abwärtsspirale aus Krieg und wirtschaftlichem Niedergang ist in Mali seit 2012 deutlich zu beobachten. Schon hier wird klar, dass es im vitalen Interesse Deutschlands liegt, einen aktiven Beitrag zum Waffenstillstand und zur Stabilisierung Malis zu leisten. Nicht nur sind deutsche Interessen berührt, wenn es darum geht, massenhafte illegale Migration zu vermeiden, die die Aufnahmefähigkeit und -willigkeit Deutschlands insgesamt überfordern würde; es geht auch darum, Brutstätten des internationalen Terrorismus auszutrocknen, Handelswege zu sichern und dazu beizutragen, dass Westafrika eine lebenswerte Region für die Menschen wird, die dort auch die Chance auf ein würdiges Leben geboten bekommen. Der Schutz der natürlichen Ressourcen Malis und der Lebensgrundlagen für die Bevölkerung liegt daher ebenfalls im vitalen Eigeninteresse Deutschlands und Europas.


Die Schwäche der staatlichen Institutionen in Mali ist in erster Linie Konsequenz des unzureichenden politischen Willens der Regierenden, in den vergangenen Jahrzehnten wirksame Schritte zu Reformen einzuleiten und damit zur Legitimität politischer Macht und zu nennenswerter wirtschaftlicher Entwicklung beizutragen. Das gilt auch – und insbesondere – für den Sicherheitssektor. Zwar wird eine nachhaltige Sicherheitsarchitektur öffentlich befürwortet, zugleich aber zeigen sich die politisch Verantwortlichen äußerst zurückhaltend, wenn es darum geht, diesem Anspruch mit der Bereitstellung ausreichender Ressourcen und Kompetenzen auch tatsächlich gerecht zu werden.



Durch die Fokussierung auf das Thema Sicherheit drohen andere dringende Aufgaben wie Arbeit und Bildung auf der Strecke zu bleiben.

Angesichts der desolaten Lage von 2012 hat – hier sei wiederum Denis Tull zitiert – die internationale Gemeinschaft seit 2012 zu Recht mit umfangreichen politischen, militärischen und entwicklungsbezogenen Hilfsmaßnahmen rea-giert. Angesichts der fehlenden Eigeninitiative der Regierung ist es jedoch an der Zeit, neue Maßstäbe an die Hilfe von außen anzulegen. Es gilt zu vermeiden, dass der Status als internationales Sicherheitsrisiko dazu benutzt wird, dringend notwendige Reformvorhaben an ausländische Akteure – in diesem Fall die französische und auch die deutsche Armee – auszulagern, um so eigene Anstrengungen zu vermeiden. Ebenso besteht die Gefahr, dass durch die Konzentration der Diskussion auf das Thema Sicherheit andere, ebenso dringende Aufgaben wie Gesundheitsversorgung, Bildung und Arbeit auf der Strecke bleiben.


Die Ursachen der Dauerkrise in Mali liegen nicht primär im Sicherheitssektor, sondern vielmehr im Fehlen rechtsstaatlicher Strukturen, in mangelhafter Infrastruktur und hoher Arbeitslosigkeit. An diesen weiterhin bestehenden Problemen wird auch eine noch so ambitionierte militärische Unterstützungsmission auf Dauer wenig ändern können – eine Lehre, die spätestens nach den enttäuschenden Ergebnissen des Afghanistan-Einsatzes klar sein sollte. Daher sollten die zur Verfügung stehenden zivilen und militärischen Instrumentarien der Friedenssicherung und Entwicklungszusammenarbeit konsequent und koordiniert eingesetzt werden, auch von deutscher Seite. Hierfür bedarf es einer durchdachten Strategie, die in hinreichendem Maße eigene politische und wirtschaftliche Interessen zur Grundlage hat. Ausgehend von den bereits benannten Risiken afrikanischer Kriege und Konflikte für Europa liegt es auf der Hand, dass Deutschlands eigene Interessen mit denen der afrikanischen Staaten in weiten Teilen deckungsgleich sind. Politisches und finanzielles Engagement in Mali braucht freilich die Bereitschaft, auch langfristige Verpflichtungen einzugehen, notfalls gegen Widerstände in der öffentlichen Diskussion. Die Lage in Mali wie auch in den Nachbarstaaten wird sich nicht in wenigen Jahren nachhaltig ändern lassen – weder im Sicherheits- noch in einem anderen Sektor.


Ein weiterer zu beachtender Aspekt ist die Evaluierung des bereits bestehenden militärischen Engagements. Bis dato fehlt es an Möglichkeiten, zu bestimmen, wen genau etwa die malischen Streitkräfte nominieren, um von der militärischen Ausbildungshilfe der Deutschen (wie bei EUTM) zu profitieren. Ebenso werden die Teilnehmer nach Ausbildungsende nicht weiter begleitet bzw. der Ausbildungserfolg nicht verifiziert. Die Frage, ob die Qualität der malischen Armee an sich durch internationale Ertüchtigung gestiegen ist, bleibt weitgehend offen. Und nicht zuletzt muss man sich in Deutschland auf politischer Ebene die Frage stellen, ob die Bundeswehr in Bezug auf Ausrüstung und Ausbildungsstand einem materiell und personell so fordernden Einsatz wie in Mali auch dauerhaft gewachsen sein wird. Die vergangenen Jahre haben gezeigt, dass die sicherheitspolitischen Herausforderungen, mit denen sich Deutschland konfrontiert sieht, in nicht geringem Maße zugenommen haben. Es braucht nicht viel politischen Weitblick, um zu prognostizieren, dass dieser Trend sich wahrscheinlich fortsetzen wird. Die Entwicklung einer kohärenten Strategie und eine intensiv betriebene Koordination und Kommunikation mit möglichen Partnern – innerhalb und außerhalb der Europäischen Union – sollte oberste Priorität im außen- und sicherheitspolitischen Geschäft genießen. Dies gilt insbesondere für die mittelfristig sicher schwierige politisch-ökonomische Großwetterlage in den Staaten des Sahel – und insbesondere für Mali.


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Tinko Weibezahl ist Leiter des Regionalprogramms Sicherheitspolitischer Dialog Subsahara-Afrika der Konrad-Adenauer-Stiftung mit Sitz in Abidjan, Côte d’Ivoire.



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