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Umweltmigration: Eine sicherheitspolitische Herausforderung

von Franziska Fabritius
Dass Menschen infolge kriegerischer Konflikte oder mangelnder wirtschaftlicher Perspektiven ihre Heimat verlassen, dürfte inzwischen jedem bekannt sein. Doch wie steht es mit Dürren, Wassermangel oder Überflutung von Inseln und Küstengebieten? Aus sicherheitspolitischer Perspektive ist es ratsam, auch Wanderungsbewegungen näher zu betrachten, die direkt oder indirekt mit den weltweit zu beobachtenden Klimaveränderungen in Zusammenhang stehen. Schließlich haben diese Veränderungen das Potenzial, aktuelle Instabilitäten zu verschärfen und weitere Länder und Regionen zu destabilisieren.

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Im Süden Marokkos ist das schleichende Verschwinden von Oasenstädten zu beobachten. Durch Bodenerosion, steigende Temperaturen und ausbleibenden Niederschlag breiten sich Wüsten aus und nehmen den Menschen bereits heute die Lebensgrundlage. Wirbelstürme und Zyklone lassen ganze Landstriche in den Fluten versinken wie im März 2019 infolge des Zyklons Ida in Mosambik, Simbabwe und Malawi. Hunderttausende Menschen verloren plötzlich Hab und Gut. Beide Beispiele zeigen die Auswirkungen für die Menschen in betroffenen Regionen sowie die weltweite Gefahr für Sicherheit und Frieden infolge des Klimawandels und der daraus entstehenden Migrationsbewegungen.

Umweltmigration kann sich kurz- oder langfristig zu einem Sicherheitsrisiko in den Herkunfts-, den Transit- und den Aufnahmestaaten entwickeln. Die großen Wechselwirkungen zwischen Umweltveränderungen und anderen sozioökonomischen Faktoren verschärfen die Situation zusätzlich. In den Herkunftsstaaten von Umweltmigranten geht es vor allem um die knapper werdenden Ressourcen. Schleichende oder plötzliche Umweltveränderungen wie der Rückgang von Trinkwasserquellen, die Verschlechterung der Böden, die Zunahme von Wüstenbildung oder der Verlust von Territorium lassen den Konkurrenzdruck unter den Menschen steigen. Es wird wahrscheinlicher, dass Verteilungskonflikte oder gewaltsame Auseinandersetzungen um die vorhandenen Ressourcen ausbrechen. Menschen entscheiden sich, ihre Heimat zu verlassen, oder werden aufgrund der Umstände dazu gezwungen. Andere bleiben als Binnenmigranten in ihrem Heimatland zurück. Der Schritt zur Migration kann jedoch nicht allein mit den Veränderungen der Umwelt erklärt werden. Es kommen viele Ursachen zusammen, z. B. Perspektivlosigkeit.

Trend Binnenmigration

Migration kann innerhalb des Herkunftslandes (Binnenmigration) oder auch in die Nachbarländer (grenzüberschreitende oder transnationale Migration) erfolgen. Werden weite Distanzen zurückgelegt, z. B. Kontinente überschritten, so spricht man von internationaler Migration. Interessant ist der Blick auf die Zahlen der letzten Jahre: 2015 sind 8,6 Millionen Menschen vor Gewalt und Konflikten geflohen. Im gleichen Zeitraum zählte das International Displacement Monitoring Centre (­IDMC) mehr als doppelt so viele Wanderungen infolge von Wetterextremen und Umweltkatastrophen (19,2 Millionen Menschen). Noch größer ist der Unterschied im Jahr 2016: 24,2 Millionen Menschen sind vor Wetter­extremen und Umweltkatastrophen geflohen und 6,9 Millionen aufgrund von Gewalt und Konflikten. Bei den angegebenen Zahlen handelt es sich nur um Binnenmigranten als Teilgruppe der weltweit gezählten rund 65 Millionen Flüchtlinge in 2015 und 2016.

Starke Ungleichheiten zwischen Regionen sind ein Grund dafür, dass Menschen wandern und sich einen neuen Lebensort suchen. In Nord­afrika sind das beispielsweise Nomadenstämme, die die Wüsten verlassen und sich in bewohntem Gebiet oder in Stadtnähe niederlassen. In Marokko ist bereits heute eine Land-Stadt-­Wanderung aufgrund von schleichenden Umweltveränderungen zu beobachten. Diese Landflucht kann sich durch den Klimawandel und seine Folgen weltweit verschärfen. Sie würde die Städte in den betroffenen Regionen vor große Herausforderungen stellen. Zusätzliche Menschen bedeuten zusätzlichen Druck auf die städtische Infrastruktur (Wohnraum, Gesundheitsversorgung, Arbeits- und Schulplätze usw.) der Heimatländer. Diese sind oftmals schon stark belastet und zusätzlichen Herausforderungen kaum gewachsen.

Bei geplanten Wanderungen sind oftmals die sogenannten Push- und Pull-Faktoren entscheidend für die Migration. Welche Faktoren sprechen für die Zielregion und welche gegen ein Bleiben in der Herkunftsregion? Spontan einsetzende Umweltveränderungen lassen ein Abwägen nicht zu. Wirbelstürme, Starkregenereignisse oder Überflutungen lassen keine Zeit, um eine Wanderung genau abzuwägen. Menschen, die unter solchen Umständen ihre Heimat verlassen, wollen ihr Leben retten. Sie suchen Schutz. Laut der International Organization for Migration (­IOM) findet Umweltmigration derzeit meist in Form von Binnenmigration statt. Ein Trend, der sich wohl verstärken wird. Grenzüberschreitende Migration ist aufgrund der persönlichen Situation oft keine Option für die betroffenen Menschen.

Anders als Kriegsflüchtlinge sind Umweltmigranten nach wie vor nicht rechtlich anerkannt.

Für die weltweite Zählung von Flüchtlingen und Migranten ist der United Nations High Commissioner for Refugees (­UNHCR) zuständig. Dieser zählt jedoch nur Menschen, die eine Staatsgrenze überschritten haben. Denn nur diese haben Anspruch auf einen gewissen Rechtsschutz. Die Praxis hat gravierende Folgen für die Versorgung der betroffenen Personen. Infolge einer plötzlich eintretenden Naturkatastrophe erhalten sie zwar meist internationale Soforthilfen, ihre langfristige Versorgung, gerade vor dem Hintergrund schleichender Umweltveränderungen, ist jedoch nicht gesichert.

Zudem sind Umweltmigranten rechtlich bisher nicht anerkannt. Es gibt keine Form irgendeiner verbindlichen Erfassung. Migration oder Flucht aufgrund von Umwelt- oder Klimaveränderungen sind weder im Völkerrecht noch in nationalen Gesetzgebungen zu finden. Auch die Genfer Flüchtlingskonvention, die die rechtliche Stellung von Flüchtlingen seit 1951 völkerrechtlich verbindlich regelt, bietet keine Unterstützung. Den Schutz von Binnenwandernden schließt sie sogar komplett aus. Umweltmigration wird heute oftmals zur Wirtschaftsflucht oder -migration gezählt. Das erscheint kurzsichtig. Zum einen entspricht es nicht den Tatsachen und zum anderen bietet es ebenso wenig eine Aussicht auf einen geklärten Rechtsstatus.

Es wird davon ausgegangen, dass Umweltmigration in den kommenden Jahrzehnten zunimmt. Eine Lösung zu finden ist also dringend erforderlich. Das bedeutet: Ein völkerrechtlich verbindlicher Umgang mit dieser neuen Generation Schutzsuchender muss geschaffen werden. Es muss für einen Rechtsstatus gesorgt werden, der ihrer Situation gerecht wird. Andernfalls ergibt sich das Potenzial für ein erhebliches Sicherheits­risiko im Sinne eines erweiterten Sicherheitsbegriffs – vor allem unter Berücksichtigung der menschlichen Dimension (human security) für die Sicherheit des Individuums sowie für die öffentliche Ordnung und den gesellschaftlichen Frieden.

Die ersten wichtigen und richtigen Schritte auf diesem Weg sind erfolgt: Der Aufbau der sogenannten Nansen-Initiative durch die Staaten Norwegen und Schweiz im Jahr 2012. Diese Initiative erarbeitet sachgerechte Lösungen und wird u. a. von Deutschland und der EU finanziell unterstützt. Ihre Arbeit führt sie in Form der Platform on Disaster Displacement weiter und vertieft sie. Positiv begrüßt wird auch die Einbindung von Umweltfaktoren und Klimawandel als Ursachen für Migration in die New York Declaration for Refugees and Migrants vom 19. September 2016 im Rahmen des VN-Gipfels für Flüchtlinge und Migranten.

 

Abb. 1: Gesamtzahl der jährlichen neuen Vertreibungen (Angaben in Millionen)

https://www.kas.de/documents/259121/7090421/fabritius_vertreibung_DE_web.svg/b911edd6-3cef-6c21-d0b4-b385af915421?t=1568630111623

Quelle: Eigene Darstellung nach IDMC / NRC 2017.

 

Wie viele es werden, weiß man nicht

Obwohl man die Herausforderung kennt, ist es aktuell nicht möglich, eine verlässliche Aussage über die Größenordnung von Umweltmigration zu machen. „Ein Großteil der diskutierten Zahlen stellt so genannte ‚guesstimates‘ im Sinne grober Schätzungen oder Spekulationen dar.“ Das liegt vor allem daran, dass sich weder auf eine allgemein anerkannte Begriffsdefinition des Phänomens geeinigt werden kann noch auf eine Methode zur Erfassung von Zahlen und Daten. Auch die vielfältigen Ursachen für Umweltmigration sorgen dafür, dass die Wissenschaft ihre Aussagen nicht auf gesicherte Erkenntnisse zurückführen kann. Die durch Professor Norman Myers von der University of Oxford vorgelegten Ergebnisse scheinen am wahrscheinlichsten. Anfang der 2000er Jahre gab er an, dass bis 2050 weltweit etwa 200 Millionen Migranten aufgrund von Umweltveränderungen zu erwarten seien, würde die globale Erwärmung anhalten. Ende 2017 äußerte sich der Präsident des Bundesnachrichtendienstes, Bruno Kahl, zur weltweit erwarteten Dimension zukünftiger Umweltmigration: Diese „werde ‚dramatisch‘ auf eine dreistellige Millionengröße anwachsen“.

Mit Blick auf die aktuelle weltpolitische Lage ist damit zu rechnen, dass Migration zukünftig eher zu- als abnehmen wird. Die Auswirkungen des Klimawandels werden erst in den kommenden Jahren und Jahrzehnten deutlich zu spüren sein, wenn der globalen Erwärmung nicht entschieden entgegengetreten wird.

Sicherheitsrisiko Umweltmigration

Besonders gefährdet durch den Klimawandel und seine Auswirkungen sind die Regionen Nord­afrika, die Sahelzone, die Karibik und der Golf von Mexiko sowie Süd- und Ostasien. Migration innerhalb dieser Regionen und aus diesen Regionen kann spürbare Auswirkungen auch auf Nachbarländer oder Kontinente haben.

Durch Migrationsbewegungen im Herkunftsland oder ungeregeltes Eintreffen von Umweltmigranten in einem Transit- oder Zielland steigt das Konfliktpotenzial. Ausschlaggebend für die weitere Entwicklung sind dabei die Antworten auf folgende Fragen:

  • 1. Besitzen die Länder genügend Kapazitäten, um die Grundbedürfnisse der Migranten nach Nahrung, medizinischer Versorgung, Unterbringung, Arbeit usw. an ihrem neuen Aufenthaltsort angemessen zu decken?
  • 2. Kann der Zuzug der Migranten ethnische oder religiöse Spannungen in den Transit- oder Zielländern zur Folge haben?
  • 3. Wie wahrscheinlich ist es, dass sich im jeweiligen Transit- oder Aufnahmestaat Parallelgesellschaften entwickeln?
  • 4. Was kann und will das Zielland im Hinblick auf die Gewährung von Aufenthalts- und Grundrechten für die Migranten leisten?
  • 5. Können die staatlichen Institutionen in Herkunfts-, Transit- und Aufnahmeländern diese neue Herausforderung in einer angemessenen Zeit und mit den angemessenen Mitteln bewältigen bzw. stehen diese zur Verfügung?
  • 6. Ist das politische System im Transit- oder Zielland gefestigt genug, um den Zuzug vieler Migranten (womöglich auch innerhalb einer kurzen Zeit) verkraften zu können?

Die politischen Rahmenbedingungen sind es, die grundlegend verantwortlich dafür sind, ob Wanderungsbewegungen am Ende zu einer Destabilisierung oder auch zu einer Stabilisierung der Herkunfts- und Aufnahmeländer beitragen können. Wenn in Zukunft tatsächlich ganze Regionen nicht mehr bewohnbar sind und deren Bewohner in neue Gebiete wandern, ist das eine Dimension, die ihresgleichen sucht. Hier ergibt sich der Bezug zu einer sicherheitspolitischen Betrachtung von Umweltmigration. Vor allem Wanderungsbewegungen, bei denen es zu einer „massenhafte[n] und plötzliche[n] grenzüberschreitende[n] Zuwanderung“ kommt, führen zu Reaktionen der betroffenen Aufnahmeländer. Der Druck auf die örtliche Infrastruktur und die Versorgungssysteme wächst enorm. Eine kurzfristige Aufnahme von Migranten wird in der Regel von weiten Teilen der Bevölkerung des Ziellandes akzeptiert und im Sinne der Nothilfe als humanitäre Pflicht verstanden. Im Falle einer langfristigen bis dauerhaften Aufnahme würde dagegen wohl das Konkurrenzdenken zwischen Migranten und einheimischer Bevölkerung in den Vordergrund rücken. Es ginge dabei vor allem um die vorhandenen Ressourcen im Zielland – Wasser, Nahrung, Energielieferanten, Wohnraum, Arbeit usw. Diese können nicht unendlich aufgebläht werden. Es müsste also eine Verteilung der vorhandenen Ressourcen erfolgen. Schwer vorstellbar, dass mögliche Auswirkungen auf den eigenen Lebensstandard von der einheimischen Bevölkerung akzeptiert würden. Somit ist nicht ausgeschlossen, dass es zu einem Konflikt zwischen den gesellschaftlichen Gruppen und einer Abgrenzung voneinander kommen könnte.

Eine unkontrollierte, massenhafte Zuwanderung kann zudem die Gefährdung der äußeren Sicherheit für die betroffenen Herkunfts-, Transit- und Aufnahmestaaten bedeuten. Wenn ein Staat den Zuzug von Migranten weder kontrollieren noch regulieren kann und die Kontrolle über seine Außengrenzen verliert, büßt er seine territoriale Souveränität ein. Das hat erhebliche Auswirkungen auf die eigene Stabilität sowie auf diejenige der Nachbarregion bzw. des Staatenverbundes, zu dem er gehört. Es kann außerdem zu weiteren Spannungen kommen, wenn sich Gruppen im Land abgrenzen. Das können Migranten sein, die sich verstärkt an ihrem Netzwerk und ihrer Religion orientieren, extremistisch-­militante Gruppen, die versuchen, Zuwanderer für ihre Ziele zu mobilisieren oder auch Flüchtlinge und Asylbewerber, die gezielt eingeschleust werden, um gewaltsame Aktionen in den Transit- oder Zielländern durchzuführen. Weiterhin können das rechte und fremdenfeindliche Milieu in der einheimischen Bevölkerung zunehmend Unterstützer gewinnen. Alle Bewegungen können dazu führen, dass die vorhandenen demokratischen Strukturen im Zielland ausgehöhlt werden. Reicht die Unterwanderung des bestehenden politischen Systems sogar so weit, dass ein Land nicht mehr handlungsfähig ist, wäre das ein erhebliches Sicherheitsrisiko für das Aufnahmeland wie auch für das internationale System.

Fragile Staaten sind den Auswirkungen des Klimawandels besonders ausgeliefert.

Berücksichtigt werden müssen außerdem weitere landestypische und konfliktverstärkende Faktoren sowohl in den Herkunfts- als auch in den Aufnahmestaaten. Dazu zählen die Wirtschaftsleistung, das Rohstoffvorkommen und die Bevölkerungsgröße bzw. das erwartete Bevölkerungswachstum sowie die naturräumliche Ausstattung. Herrschen zudem in der unmittelbaren Nachbarschaft von den von Umweltveränderungen betroffenen Staaten bereits Konflikte, sind die Ansteckungsgefahr und der Destabilisierungseffekt hoch. Es zeigt sich, dass Umweltmigration eine regelrechte Kettenreaktion nach sich ziehen kann. Sie reiht sich ein in das dichte Netz „sozio-ökonomischer Fehlentwicklungen wie Überbevölkerung, Armut, […] Hungersnöte, politische Instabilität und ethno-politische Spannungen“, deren negativen Einfluss Umweltveränderungen oft noch verstärken. Bemühungen im Bereich der Umwelt- und Klimapolitik müssen also auch im Sinne einer präventiven Sicherheitspolitik verstanden und vorangetrieben werden. Ein Scheitern oder Nichteinhalten der Klimaschutzvereinbarungen hätte große Auswirkungen auf die internationale Sicherheit und Stabilität.

Handlungsempfehlungen und Ausblick

Fest steht, dass Umweltmigration zunehmen wird. Deutlich wird, dass Umweltmigration sicherheitspolitische Herausforderungen in einem erheblichen Maße mit sich bringt. Diese können weltweite Auswirkungen – direkter oder indirekter Art – haben. Eine solche Fluchtbewegung führt zunächst zu einer Destabilisierung in den Ursprungsländern. Im Falle grenzüberschreitender Migration kann sie sich auf Nachbarländer bzw. ganze Regionen übertragen. Insbesondere für fragile Staaten birgt die Konfrontation mit den Auswirkungen des Klimawandels und somit umweltinduzierter Migration die Gefahr einer weiteren Destabilisierung.

Die Ereignisse der Jahre 2015/2016 mit einer zum Teil unkontrollierten Zuwanderung nach Europa und Deutschland haben die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit sowie der Politik bezüglich der Folgen von Massenmigration geweckt. Damit ein Szenario ähnlicher Art in Zukunft nicht wieder eintritt, sollten die internationale Gemeinschaft sowie, konkret angesprochen, Deutschland und die EU ihre Unterstützung in den betroffenen Regionen vor Ort ausweiten. So kann eine Destabilisierung dieser Regionen vermieden und einer erneuten Massenwanderung nach Europa entgegengewirkt werden. Bezogen auf den Nexus Klimawandel – Migration – Sicherheit bedeutet dies vor allem einen verstärkten Fokus auf Prävention.

Nachbarregionen der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union wie Nordafrika und Subsahara-Afrika sowie der Nahe Osten sind hinsichtlich der Folgen des Klimawandels besonders gefährdet. Für die Bundesrepublik und die EU wäre es denkbar, den eingeschlagenen Weg bei der Bekämpfung akuter Auswirkungen von Flucht und Migration sowie deren Ursachen, z. B. im Rahmen der drei ­BMZ-Sonderinitiativen, weiterzuverfolgen. Ziel muss es sein, durch eine Fokussierung auf Wirtschaft, Handel, Bildung und Beschäftigung vor Ort Perspektiven zu schaffen. Dazu gehört die Förderung von Investitionen der Privatwirtschaft in den eigenen Ländern ebenso wie das Schaffen von Anreizen für ausländische Investitionen in der Region. Die Konzentration auf eine bloße Einkommenssteigerung wäre an dieser Stelle zu kurz gedacht. Diese würde Migrationsbewegungen wahrscheinlich noch verstärken. Bisher ist insbesondere eine grenzüberschreitende Migration für viele Betroffene keine Option, da sie nicht über die finanziellen Mittel für diesen Schritt verfügen. Der Fokus muss also gleichzeitig darauf gerichtet sein, die Lebensbedingungen in den betroffenen Regionen insgesamt zu verbessern (z. B. Gesundheitsversorgung, Schulbildung, Wohnraum) und so Abwanderung vorzubeugen. Ausbildungsinitiativen sind entscheidend, um das Potenzial an Arbeitskräften vor Ort sinnvoll nutzen zu können. Darüber hinaus sind Bildungsinitiativen für die gesamte Bevölkerung in den betroffenen Regionen dringend erforderlich. So können zunächst ein Bewusstsein sowie ein Verständnis für ihre Situation geschaffen werden. Die in der Region stark verbreitete Landwirtschaft muss durch Anpassungsmaßnahmen an den Klimawandel unterstützt werden, z. B. durch Aufklärung über neue Anbaumethoden oder die Bereitstellung resilienten Saatguts. So gelingt es, Kleinbauern auch langfristige Einkommensperspektiven zu bieten.

Umweltschutzmaßnahmen sowie die Anpassung an den Klimawandel müssen jedoch weit über den landwirtschaftlichen Sektor hinausreichen. Durch finanzielle Mittel, Technik und Know-how im Bereich Erneuerbarer Energien, Wasser­versorgung, Küstenschutz usw. gilt es, die betroffenen Regionen zu unterstützen, wie es die Ergebnisse der VN-Klimakonferenzen vorsehen. Realistisch durchführbare Umsetzungspläne, die zeitnah und umfassend umgesetzt werden, sind das, was von sowohl deutscher als auch europäischer Politik benötigt wird. Auf diese Weise wird auch die Resilienz der betroffenen Bevölkerung, der Staaten sowie deren politischen Institutionen präventiv gestärkt. Ein politikfeldübergreifendes Handeln ist entscheidend, um destabilisierenden Effekten in Aufnahmeländern durch den Zuzug von Umweltmigranten gezielt entgegenzuwirken. Dazu müssen die Instrumente der Entwicklungszusammenarbeit, der Wirtschafts-, Klima- und Sicherheitspolitik verknüpft werden.

Nicht vernachlässigt werden darf bei allen Bemühungen um Wirtschaft und Klimaschutz der Einsatz für die Einhaltung international geltenden Rechts, wie z. B. der Schutz der Menschenrechte durch die Staaten der Region. Ebenso gilt es, Öffnungstendenzen politischer Systeme in der Region zu fördern, die eine entscheidende Rolle bei der Stabilisierung der Region spielen und so wiederum für die Eindämmung möglicher sicherheitspolitischer Herausforderungen sorgen. Einigen diktatorischen Regimen fehlt der Wille, Migrationsbewegungen aus ihren Ländern tatsächlich begrenzen zu wollen und somit Sicherheitsrisiken wirksam entgegenzutreten. Abwanderung erscheint oftmals als ein geeignetes Mittel, innenpolitische Probleme wie z. B. eine hohe Jugendarbeitslosigkeit abzuschwächen und gleichzeitig von den Rücküberweisungen der Migranten in ihre Heimatländer zu profitieren. Weltweite private Geldtransfers von Migranten und Flüchtlingen in ihre Heimatländer übersteigen mittlerweile die weltweite staatliche Entwicklungshilfe um ein Vielfaches.

Neben den beschriebenen Ansätzen ist es wichtig, auch die Forschung in Sachen Umweltmigration auszubauen. Nur so können mehr Erkenntnisse über die Auswirkungen und die Herausforderungen von Umweltmigration gesammelt und kann mehr Klarheit über die Dimensionen gewonnen werden. Nur wenn klar ist, worauf es sich vorzubereiten gilt, können zielführende Strategien sowohl für die Herkunfts- als auch für die Transit- und Aufnahmestaaten entwickelt werden. Bereits existierende Plattformen und Datensammlungen zu Klimaereignissen müssen viel stärker in die präventive Arbeit einbezogen werden. So lassen sich z. B. über das Frühwarnsystem Fews Net unter anderem mögliche Dürreperioden vorherbestimmen. Die Folgen für die örtliche Bevölkerung durch eine einsetzende Dürre könnten abgemildert werden. Ein solches Handeln, ebenso wie Prävention im Allgemeinen, würde die internationale Gemeinschaft erheblich günstiger zu stehen kommen als die Reaktion auf bereits eingetretene Naturkatastrophen. Schreitet der Klimawandel voran wie erwartet, muss die internationale Gemeinschaft Umweltmigration als eine Anpassungsstrategie anerkennen. Die betroffenen Menschen müssen bei diesem Schritt durch adäquate und geordnete Rahmenbedingungen unterstützt werden. Dazu zählen die Schaffung rechtlicher Strukturen und die Eröffnung legaler Möglichkeiten zur Migration mit grenzüberschreitendem Charakter. Nur wenn das weltweite Migrationsgeschehen strukturiert abläuft, kann Migration auch eine wirkungsvolle Anpassungsstrategie an den Klimawandel sowie andere Umweltveränderungen sein.

Kurzfristig sollten deutsche und europäische Regierungsführung im Hinblick auf die demografische Entwicklung Afrikas, die Folgen des Klimawandels und den steigenden Migrationsdruck ihre präventive Arbeit sowie einen vernetzten Ansatz ausbauen. Dieser Ansatz sollte entwicklungspolitische, humanitäre, wirtschaftliche, diplomatische und sicherheitspolitische Aspekte bündeln. Sicherheitsrisiken könnte man so bereits in ihrem Ursprung entgegenwirken. Die fortschreitende Globalisierung, die zunehmende Vernetzung der Welt in vielen Bereichen und das ständig steigende Informationsangebot sorgen – unabhängig von Umweltmigration – für eine verstärkte Mobilität der Menschen. Von Seiten der amtierenden Regierungen gilt es, diese Entwicklung anzuerkennen und ihr in konkreten Gesetzesvorhaben Rechnung zu tragen. Dazu kann z. B., insbesondere für Deutschland, ein modernes und situationsgerechtes Einwanderungsgesetz mit verschiedenen Transferoptionen zählen, das es möglich macht, das aus Wanderung entstehende Potenzial für das eigene Land gewinnbringend zu nutzen. Es ist bekannt, welch verheerende Folgen, vor allem wirtschaftlicher Art, eine immigrationsfeindliche Politik in Zeiten der Globalisierung nach sich zieht. Entscheidend für jegliches Handeln ist neben der Art und Weise aber auch die Frage der Legitimation. Es ist nicht zu übersehen, dass sich in den Bereichen Klima, Migration und Sicherheit Werte und Interessen innerhalb der Gesellschaft oftmals fundamental gegenüberstehen. Für einen Erfolg möglicher Maßnahmen trotz gegensätzlicher Positionen ist es umso wichtiger, dass die Bevölkerung in den Entscheidungsprozess mit einbezogen wird. Dieser Einbezug der Bevölkerung in politische Entscheidungsprozesse, sei es in Deutschland oder in einem anderen Staat, stärkt Legitimation von Entscheidungen und damit deren gesellschaftliche Akzeptanz. Angesichts der Herausforderungen des 21. Jahrhunderts ist dieser Einbezug unabdingbar.

Dieser Beitrag basiert auf der im Februar 2019 bei Springer VS erschienenen Dissertationsschrift „Umweltmigration als sicherheitspolitische Herausforderung. Szenarioanalyse am Beispiel einer möglichen Klimaflucht aus Nordafrika“ der Autorin.

 


 

Dr. Franziska Fabritius ist Wissenschaftliche Mit­arbeiterin der Konrad-Adenauer-Stiftung im Regionalprogramm Energiesicherheit und Klimawandel Naher Osten und Nordafrika (­KAS – ­REMENA) in Rabat, Marokko.

 


 

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