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Sandro Weltin / Council of Europe

各国报道

Bosnien-Herzegowinas (un)mögliche Wahl: Eine rechtspolitische Analyse

In Bosnien und Herzegowina (BuH) fanden im Oktober 2018 Wahlen statt. Gewählt wurden (1) die drei, verschiedenen Ethnien zugehörigen, Mitglieder der Präsidentschaft, (2) das gesamtstaatliche Parlament von BuH, (3) das Parlament der Entität: Föderation von BuH, (4) die Versammlung der 10 Kantonsparlamente in der Föderation, (5) der Präsident und der Vizepräsident der Entität: Republik Srpska (RS) sowie (6) die Nationalversammlung der RS. Jedoch wäre es zutreffender zu sagen, dass die Wahlen in BuH auch jetzt noch nicht ganz abgeschlossen sind, da das Parlament von BuH und das Parlament der Föderation von BuH immer noch nicht vollständig konstituiert sind. Wie kann es sein, dass die Wahlen immer noch andauern, obwohl sie doch im Oktober 2018 stattfanden? Die Antwort ist im komplexen Wahlrecht in BuH und in einer Entscheidung des bosnischen Verfassungsgerichts zu finden. Nachfolgend stellen wir kurz das komplexe Wahlrecht und danach eine (umstrittene) Entscheidung des Verfassungsgerichts dar.

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Ein (zu) kompliziertes Staatsgebilde

Das Wahlrecht von BuH ist eine Reflexion der Struktur des bosnischen Staatsaufbaus. BuH besteht aus zwei Entitäten (der „Föderation von BuH“ einerseits und der „Republika Srpska“ andererseits)[1]. Daneben existiert noch der recht kleine, nach einer Stadt benannte „Distrikt Brcko“ (ein Gebiet mit besonderer Selbstverwaltung in BuH)[2]. Der Gesamtstaat BuH verfügt über ein Zweikammernparlament, einen Ministerrat als gesamtstaatliche Regierung, eine ethnisch geprägte Präsidentschaft (dessen drei Mitglieder je einer der drei dominierenden Volksgruppen der Bosniaken, Kroaten oder Serben angehören) sowie ein Staatsgericht. Bei den Entitäten handelt es sich um föderale Einheiten (Gebietskörperschaften) mit jeweils eigener Verfassung, Legislative, Exekutive und Judikative, wobei die innere Organisation dieser beiden Teile grundlegend verschieden ist. Die (mehrheitlich von Serben bewohnte) „Republika Srpska“ ist eine sehr zentralisierte Einheit mit einer Regierung, einem Parlament und eigener Gerichtsorganisation. Hingegen ist die „Föderation von BuH“ ihrerseits noch einmal unterteilt in zehn Kantone. Zunächst hat die Föderation von Bosnien und Herzegowina eine eigene Regierung der Föderation, das Parlament der Föderation und das Verfassungsgericht sowie den Obersten Gerichtshof der Föderation. Zusätzlich hat jeder der Kantone seinerseits eine eigene Verfassung, eine eigene Regierung, ein eigenes Parlament und eigene Gerichte. Bosnien und Herzegowina mit seinen 3,5 Millionen Einwohner verfügt somit folglich insgesamt über 14 Teilgebiete mit 14 Regierungen und 14 Parlamenten (Gesamtstaat, zwei Entitäten, ein Sonderdistrikt, zehn Kantone).

In den Kantonen selbst leben mehrheitlich Bosniaken und Kroaten (in fünf Kantonen bilden die Bosniaken die absolute Mehrheit, in drei die Kroaten und in zwei Kantonen gibt es keine absolute Mehrheit einer Ethnie.[3] Diese Daten sind wichtig, da die Kantone eine zentrale Rolle bei der Verteilung der Sitze der Abgeordneten im Oberhaus des Parlaments der Föderation von BuH einnehmen.

Generell ist die gesamte verfassungsrechtliche Struktur von BuH darauf ausgelegt, eine Balance der Machtverhältnisse zwischen den drei dominierenden Ethnien (Bosniaken, Kroaten und Serben) zu erhalten und zu verhindern, dass eine der Ethnien über die anderen dominiert. Dazu wurden entsprechende Institutionen sowie Verfahren geschaffen (insbesondere weitgehende Vetorechte eingeführt und das Wahlrecht so konzipiert, dass jede dieser Ethnien einen Anteil der Macht in BuH erhält). Kritiker führen eine Dysfunktionalität von BuH auf die Komplexität der verfassungsrechtlichen Struktur zurück.

Das Wahlrecht zwischen ethnischer und bürgerlicher Repräsentation

Wie erwähnt, ist das Wahlrecht von BuH ein Spiegelbild der durch die Verfassung vorgegebenen Struktur des Gesamtstaats. Als solches hat es die delikate Aufgabe, eine gesunde Balance zwischen den kollektiven ethnischen Interessen zu schaffen, gleichzeitig aber auch einen Ausgleich zwischen individuellen (bürgerlichen) Rechten und kollektiven (ethnischen) Interessen. Diese Ambivalenz kann man auch an der Konzeption des Souveräns ablesen: In den meisten Demokratien geht alle staatliche Gewalt vom Volk aus. In Bosnien und Herzegowina ist die Konzeption des Staatsvolkes eine andere, da hier das Staatsvolk, laut Präambel der Verfassung von BuH, aus konstitutiven Völkern (Bosniaken, Kroaten und Serben) und „Anderen“ (also Minderheiten und Nicht-Assoziierte) sowie den Bürgern von BuH besteht. Folglich müssen im Wahlrecht von BuH eine entsprechende Repräsentation der konstitutiven Völker, der „Anderen“ und der Bürger gewährleistet sein. Darin liegt auch das wesentliche Problem: Wie kann man alle diese Anforderungen erfüllen, ohne die Rechte anderer zu beeinträchtigen? Mit dieser Frage hat sich schon mehrfach das Verfassungsgericht von BuH beschäftigt, insbesondere in einer wichtigen Entscheidung aus dem Jahr 2016. Dazu sogleich ausführlich.

Aber zuerst gewähren wir einen kurzen Überblick über das existierende Wahlsystem von BuH und der Föderation von BuH, beschränkt auf die Legislative[4]. In BuH ist die Zentrale Wahlkommission (ZWK) zuständig für die Durchführung der Wahlen. Das Wahlrecht ist teilweise in den drei Verfassungen von BuH, der Föderation von BuH und der Republika Srpska festgeschrieben, außerdem im „Wahlgesetz von BuH“ und dem „Wahlgesetz der Republika Srpska“. Das Parlament von BuH besteht aus zwei Kammern (Ober- und Unterhaus). Das „Repräsentantenhaus“ genannte Unterhaus besteht aus 42 direkt gewählten Repräsentanten (2/3 aus der Föderation von BuH, 1/3 aus der Republika Srpska). Die meisten Mehrheitsentscheidungen bedürfen aber der Zustimmung von mindestens 1/3 der Stimmen aus beiden Entitäten.

Die (für diese Untersuchung) wichtigere Kammer des bosnischen Parlaments ist das Oberhaus, das „Haus der Völker“. Wie der Name schon nahelegt, sind in dieser Kammer die konstitutiven Völker vertreten. Sie besteht aus 15 indirekt gewählten Mitgliedern, wobei aus der Föderation von BuH 5 Bosniaken und 5 Kroaten und aus der Republika Srpska 5 Serben delegiert werden. Die 5 Bosniaken werden von den bosniakischen, die 5 Kroaten von den kroatischen Mitgliedern des Hauses der Völker der Föderation von BuH gewählt. Die Volksversammlung der Republika Srpska wählt die 5 Serben. Wie zu erkennen ist, hat das Oberhaus des Parlaments der Föderation von BuH eine wichtige Rolle bei der Zusammensetzung des Oberhauses des Parlaments von BuH (es wählt 10 der 15 Delegierten). Die grundlegende Struktur des Parlaments von BuH findet man auch im Parlament der Föderation von BuH. Auch das Parlament der Föderation von BuH besteht aus zwei Kammern: einem Oberhaus (ebenfalls „Haus der Völker“ genannt) und einem Unterhaus (ebenfalls „Repräsentantenhaus“ genannt). Der Unterschied zum Oberhaus des Parlaments von BuH besteht in der Anzahl der Delegierten sowie auch in der Repräsentation der anderen Völker im Oberhaus der Föderation. Es besteht aus 58 Delegierte (jeweils 17 Delegierte aus jedem konstitutiven Volk und 7 Delegierte aus dem Kontingent der „Anderen“[5]). Diese Delegierten werden ebenfalls indirekt gewählt, von den Versammlungen der Kantone. Damit haben die kantonalen Versammlungen die Schlüsselrolle in der Konstituierung des Oberhauses der Föderation. Die Anzahl der Delegierten aus jedem Kanton im Oberhaus der Föderation ist proportional zur Bevölkerung des Kantons. Die Anzahl der aus dem Kontingent eines jeden Kantons zu wählenden, den verschiedenen konstitutiven Völkern angehörenden Delegierten ist proportional zur ethnischen Struktur im jeweiligen Kanton. Dies alles wurde, bis zu einer grundlegenden Entscheidung des Verfassungsgericht von BuH aus dem Jahr 2016, anhand der Daten der Volkszählung von 1991 bestimmt: jeder Kanton musste mindestens einen Delegierten aus jedem konstitutiven Volk delegieren, falls dieses Volk in der kantonalen Versammlung repräsentiert ist. Die Repräsentanten einer Ethnie (bzw. der Gruppe der „Anderen“) in einer kantonalen Versammlung wählen nur die Abgeordneten aus den Reihen ihrer eigenen Ethnie. [6] Nach geltendem Recht, konkret Artikel 10.13 des Wahlgesetzes von BuH, hätten die Delegierten aus allen Kantonen spätestens einen Monat nach der Bestätigung der Resultate der Direktwahlen für die kantonalen Versammlungen gewählt werden müssen. Das ist bisher nicht in allen Kantonen geschehen, weswegen das Oberhaus der Föderation bis jetzt (drei Monate nach der Wahl) noch nicht konstituiert ist.

Das Verfassungsgericht stärkt das Prinzip der ethnischen Legitimität

Obwohl eine weitreichende Entscheidung des Verfassungsgerichts von BuH zum Wahlrecht bereits im Dezember 2016 (Nr. U-23/14) [7] getroffen wurde, sind die Folgen dieser Entscheidung erst bei der Wahl im Oktober 2018 spürbar geworden. Durch diese Entscheidung wurden zwei zentrale Artikel des Wahlgesetzes für teilweise verfassungswidrig erklärt und haben ihre rechtliche Wirkung verloren: Zum einen betrifft dies Artikel 20.16 A[8], eine Vorschrift, welche die Anzahl der Abgeordneten zum Oberhaus der Föderation aus jedem Kanton sowie aus jedem konstitutiven Volk geregelt hat. Zum anderen Artikel 10.12 Absatz 2, wonach jedem konstitutiven Volk mindestens ein Delegierter pro Kanton zustand.

Das Verfassungsgericht hat nun bestimmte Teile dieser Vorschriften beanstandet. Dazu ist es wichtig, zu erwähnen, dass Artikel 20.16 A eine Übergangsnorm ist. Er regelt die Verteilung der Sitze nur befristet, bis Annex 7 des Dayton-Abkommens[9] vollständig umgesetzt ist. Erst wenn dies der Fall ist (wobei noch keine kompetente Institution in BuH öffentlich diese Voraussetzung als erfüllt ansieht), werden Regeln des Wahlgesetzes von BuH, welche die Anzahl der zu wählenden Delegierten pro Kanton für das Oberhaus der Föderation vorschreiben (Artikel 10.12), angewendet.

In dieser Situation hat das Verfassungsgericht nur die Artikel 20.16 A, Abs. 2 Buchstaben (a) bis (j) des Wahlgesetzes als verfassungswidrig angesehen (also die konkrete Verteilung der Sitze pro konstitutivem Volk pro Kanton), nicht aber die Übergangslösung als Ganzes angefochten. Das heißt, dass bis auf weiteres der Artikel 20.16. A weiter angewendet wird, bis Annex 7 des Dayton-Abkommens erfüllt ist.

Das Problem besteht darin, dass nun diesem Artikel das zentrale Element fehlt, nämlich die konkrete Sitzverteilung und nur noch die Absätze 1 und 2 in Kraft sind. Diese verbleibenden Bestimmungen regeln nur, dass bis zur Abhaltung einer neuen Volkszählung die Zahlen der Volkszählung 1991 als Grundlage für die Sitzverteilung im Oberhaus der Föderation genommen werden. Eine neuere Volkszählung fand im Jahr 2013 statt, deren Daten nun insbesondere durch die Zentrale Wahlkommission verwendet werden.

Urteilsgründe

Nun zum Kern der Entscheidung des Verfassungsgerichts von 2016: Im Wesentlichen hat das Gericht festgestellt, dass die bislang vorgeschriebene Sitzverteilung der konstitutiven Völker in den Kantonen gegen das Verfassungsprinzip der Gleichheit der konstitutiven Völker verstößt. Dazu gehören auch die bisher im Wahlgesetz festgeschriebenen Mindestquoten für die konstitutiven Völker[10]. Das Verfassungsgericht hat deutlich gemacht, dass das Oberhaus der Föderation nicht die Repräsentation der Kantone, sondern die Repräsentation der konstitutiven Völker sei.[11] Daher müssten die gewählten Delegierten im Oberhaus der Föderation die Bevölkerung des jeweiligen Kantons widerspiegeln. Die Delegierten eines jeden konstitutiven Volkes müssten ihre Legitimität in den kantonalen Versammlungen von den Repräsentanten ihrer eigenen Ethnie bekommen, die wiederum direkt von allen Bürgern eines Kantons unter Berücksichtigung der Ethnie gewählt werden.[12] Im Endeffekt soll sichergestellt werden, dass die Kantone mit einer Bevölkerungsmehrheit einer Ethnie auch die meisten Delegierten dieser Ethnie ins Oberhaus der Föderation entsenden und dass somit auch das Prinzip des gleichen Wertes einer Stimme erfüllt wird. Bisher hatte eine Stimme in einigen Kantonen ein größeres Gewicht als in anderen: Zum Beispiel hatten bislang verschiedene Kantone die gleiche Anzahl von Delegierten zum Oberhaus, obwohl die Anzahl der in diesen Kantonen lebenden Bürgern einer Volksgruppe (z.B. Kroaten) sich stark unterschied. Dies war mit den bisherigen Lösungen im Wahlgesetz nicht möglich, da als Grundlage der Sitzverteilung pro Kanton die Volkszählung aus dem Jahr 1991 genommen wurde. So konnte es passieren, dass z.B. in einem Kanton, in welchem inzwischen eine bosniakische Mehrheit lebt, die gleiche Anzahl von kroatischen und bosniakischen Delegierten gewählt werden[13]. Es ist sogar theoretisch möglich – dies hat auch das Verfassungsgericht angemerkt – dass selbst wenn nur ein einzelnes Mitglied einer Ethnie in diesem Kanton lebt und in der kantonalen Versammlung sitzt, dieser Kanton einen Delegierten ins Oberhaus aus dieser Ethnie delegiert. Die Anwendung der Verfassungsgerichtsentscheidung von 2016 bedeutet aber auch die endgültige ethno-nationale „Territorialisierung“ und Machtverteilung auf dieser Grundlage. Dies bedeutet auch indirekt die Bestätigung der Art und Weise, wie es zu diesen demographischen Verschiebungen gekommen ist. In der Praxis würde dies bedeuten, dass Sitze, welche früher aus „multiethnischen urbanen Regionen besetzt wurden, jetzt von Regionen besetzt werden, die politisch und ethnisch homogen sind.“[14]

Die bosnischen Parlamentarier hatten es nicht geschafft, bis zur Ausrufung der Parlamentswahlen im Mai 2018 das Wahlgesetz in diesen Teilen zu ändern, um die Entscheidung des Verfassungsgerichts vom Dezember 2016 umzusetzen. Deswegen wurden die Wahlen im Oktober 2018 auf der Basis eines unvollständigen Wahlgesetzes abgehalten. Es besteht nun eine rechtliche Lücke, die es unmöglich macht, das Oberhaus der Föderation von BuH zu konstituieren.

Probleme und Folgen der nicht funktionierenden Legislative in der Föderation von BuH

Die Folgen der Entscheidung und ihrer Nichtumsetzung sind sehr tiefgreifend für die Funktionalität der Föderation von BuH, aber auch für ganz BuH. Wie erwähnt, kann momentan das Oberhaus der Föderation nicht vollständig besetzt werden. Das Oberhaus der Föderation hat das gleiche Gewicht wie das Unterhaus der Föderation: Ein Gesetz muss im gleichen Wortlaut zwingend beide Kammern passieren. Daher ist derzeit auch die Legislative der Föderation paralysiert. Dasselbe gilt auch für die Legislative auf gesamtstaatlichem Niveau, da ja das Oberhaus der Föderation 10 der 15 Delegierten zum Oberhaus von BuH wählt.

Die Folgen in der Föderation sind noch gravierender, da hier auch das Oberhaus eine wichtige Rolle bei der Wahl des Präsidenten und der zwei Vize-Präsidenten hat[15] und der Präsident, mit dem Einverständnis der beiden Vize-Präsidenten, seinerseits die Regierung der Föderation ernennt.[16] Somit ist auch die Formierung einer neuen Exekutive der Föderation, die die Machtverhältnisse im Parlament widerspiegelt, blockiert. Die jetzige Regierung hat nur ein technisches Mandat. Es kann auch kein Haushalt verabschiedet werden, was zum totalen finanziellen Kollaps der Föderation führen kann. Ähnliches, aber in abgeschwächter Form, droht auch auf dem gesamtstaatlichen Niveau. Schließlich drohen auch den Kantonen wegen des Nichtfunktionierens der Exekutive in der Föderation finanzielle Probleme.

Ein Ausblick: Mögliche Lösungen

Wie und wann diese Verfassungskrise überwunden wird, ist noch offen. Eines ist sicher, die Verfassungsgerichtsentscheidung von 2016 hat Tatsachen geschaffen und es gibt kein Zurück mehr. Jede angebotene Lösung muss sich an dieser Entscheidung orientieren, falls sie vor dem Verfassungsgericht bestehen möchte. Das heißt, dass man bei der Verteilung der Sitze der konstitutiven Völker in den Kantonen auf die ethnische Legitimität der Delegierten achten und damit die jetzigen realen demographischen Gegebenheiten akzeptieren muss. Eine andere Frage ist, welches Organ die Entscheidung des Verfassungsgerichts durchsetzen kann. Eigentlich steht in der Verfassungsgerichtsentscheidung, dass das Parlament von BuH diese Entscheidung durchsetzen sollte, da ja auch das Wahlgesetz von BuH im Parlament von BuH verabschiedet wurde[17]. Allerdings hat das Parlament von BuH dies bis heute nicht getan und es ist rechtlich fraglich (sowie politisch fast unmöglich), ob das Parlament von BuH jetzt überhaupt eine Gesetzesänderung verabschieden kann, besonders da dies rückwirkend erfolgen müsste. Das neu gewählte Parlament wurde noch nicht vollständig besetzt, da das Oberhaus nicht besetzt ist. Besonders pikant ist auch die Tatsache, dass die Mindestquoten der konstitutiven Völker in den Kantonen (zur Erinnerung: jeder Kanton muss mindestens einen Delegierten aus jedem konstitutiven Volk zum Oberhaus der Föderation wählen) auch in der Verfassung der Föderation von BuH verankert sind (Artikel IV.A/8), also gerade die Lösung, die vom Verfassungsgericht von BuH im Wahlgesetz von BuH als verfassungswidrig angesehen wurde. Diese Lösung ist also weiterhin in der Verfassung der Föderation verankert, im Wahlgesetz von BuH aber nicht mehr. In der Zwischenzeit wurde auch der Artikel IV.A/8 der Verfassung der Föderation von BuH vor dem Verfassungsgericht von BuH angefochten. Wann eine Entscheidung in dieser Sache getroffen wird, ist noch ungewiss. Jedoch bliebe selbst nach einer möglichen Entscheidung, dass auch die relevanten Artikel der Verfassung der Föderation nicht im Einklang mit der Verfassung von BuH stünden, noch immer das Problem, wie man das Oberhaus der Föderation verfassungskonform besetzen kann. Einen Versuch, das Problem zu lösen, hat die Zentrale Wahlkommission von BuH (ZWK) unternommen. Mit einem Akt[18] vom Dezember 2018 hat sie eine Neuverteilung der Sitze der Delegierten aus jedem Kanton zum Oberhaus der Föderation vorgeschrieben, basierend auf den Daten der letzten Volkszählung aus dem Jahr 2013. Damit hat die ZWK die Verfassungsgerichtsentscheidung ohne eine Wahlgesetz-Änderung teilweise umgesetzt. Diese Lösung wurde auch von der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten unterstützt, jedoch nicht vom Büro des Hohen Repräsentanten in BuH. Dies scheint der eleganteste, jedoch ein rechtlich bedenklicher Ausweg zu sein. Die Zentrale Wahlkommission hat nicht die Befugnisse eines Gesetzgebers und auch im Wahlgesetz gibt es keine klare Befugnis der ZWK, solch einen Akt zu verabschieden[19]. Unter anderem aus diesem Grund wurde dies dem Verfassungsgericht von BuH zur Prüfung vorgelegt. Eine Entscheidung steht noch aus und wird in Kürze erwartet.[20]

Somit bliebe nur noch die rechtlich „sauberste“ und schnellste Lösung diese Verfassungskrise zu überbrücken: eine Intervention des Hohen Repräsentanten der Internationalen Gemeinschaft (HR) gemäß dem Dayton-Abkommen und den daraus folgenden Bonner Befugnissen. Der HR ist befugt, die Verfassung der Föderation sowie das Wahlgesetz nach Belieben abzuändern. Dies würde allerdings die Frage aufwerfen, wozu BuH Parlamente hat und ob der derzeitige Verfassungsrahmen Bosnien und Herzegowinas in dieser Form überhaupt weiter Bestand haben kann.


[1] Siehe Artikel I.3 der Verfassung von BuH

[2] Siehe Artikel VI.4 der Verfassung von BuH (eingefügt durch eine Änderung der Verfassung aus dem Jahr 2009)

[3] Daten übernommen vom Amt für Statistik der Föderation von BuH. Einsehbar auf : http://fzs.ba/index.php/popis-stanovnistva/popis-stanovnistva-2013/konacni-rezultati-popisa-2013/

[4] Im Weiteren wird sich unsere Analyse nicht mit dem Wahlrecht, das auf die Republika Srpska anwendbar ist beschäftigen.

[5] Siehe Artikel IV.A /6 der Verfassung der Föderation von BuH und Artikel 10.10 des Wahlgesetzes von BuH

[6] Siehe Artikel IV.A /8 der Verfassung der Föderation von BuH und Artikel 10.11 des Wahlgesetzes von BuH

[7] Abrufbar unter : http://www.ustavnisud.ba/odluke/

[8] Artikel 20.16 A Paragraph 2 Punkt a. bis j. des Wahlgesetzes

[9] Annex 7 (Vereinbarung über Flüchtlinge und Vertriebene) ist ein Teil der Allgemeinen Rahmenvereinbarung für den Frieden in Bosnien und Herzegowina (Dayton–Abkommen) und hat als Ziele, einerseits die sichere Rückkehr aller Flüchtlinge und Vertriebenen in ihre Wohnorte aus dem Jahr 1991 (vor den ersten Kriegshandlungen), und andererseits die Rückgabe des Eigentums bzw. die Zahlung von Reparationen für solches Eigentum, das nicht zurückgegeben werden kann.

[10] Artikel 10.12. Paragraph 2: mindestens ein Delegierter aus jedem konstitutiven Volk pro Kanton

[11] Siehe Paragraph 50 der Entscheidung der Verfassungsgerichts (U-23/14)

[12] Siehe Paragraph 51 bis 52 der Entscheidung der Verfassungsgerichts (U-23/14)

[13] Siehe z.B. die Verteilung im Kanton 5 im Punkt e. des Paragraphen 2 des Artikels 20.16 A des Wahlgesetzes

[14] Wortlaut im Artikel aufrufbar auf : http://www.balkaninsight.com/en/article/a-virtual-coup-in-bosnia-12-23-2018

[15] Siehe die Prozedur im Artikel IV B/1 der Verfassung der Föderation von BuH

[16] Siehe Artikel IV B/2 der Verfassung der Föderation von BuH

[17] Es gibt auch Positionen die bezweifeln überhaupt die Kompetenz des Parlaments von BuH ein Wahlgesetz zu verabschieden das auch die Wahlregeln für die Wahl der Institutionen der Föderation beinhaltet, da so eine Kompetenz nicht explizit in der Verfassung von BuH verankert ist. Jedoch, man muss hier (nur kurz) festhalten das dass Parlament seine Kompetenz in dieser Materie direkt aus dem Annex 3 des Dayton-Abkommens im Verbund mit Artikel III/5 der Verfassung von BuH bezieht (siehe die Meinung der Venezianischen Kommission auf : http://www.venice.coe.int/webforms/documents/?pdf=CDL-AD(2016)024-e) aber auch indirekt aus dem Artikel IV/4 der Verfassung von BuH.

[18] Abrufbar auf : https://izbori.ba/Documents/2018/Posredni_izbori/12/Uputstvo_18_12_2018-10_00-bos.pdf

[19] Im Kontext des noch anwendbaren Artikels 20.16 A des Wahlgesetzes, jedoch im Artikel 10.12. des Wahlgesetzes besteht eine solche Befugnis, da bereits eine neue Volkszählung stattgefunden hat.

[20] Es gilt als wahrscheinlich, dass das Verfassungsgericht von BuH eine Entscheidung diesbezüglich Ende Januar/Februar 2019 trifft.

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