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Pflichtaufgabe oder Selbstverpflichtung?

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Die Zukunft der kommunalen Kulturpolitik

Dr. Iris Jana Magdowski

Kulturbürgermeisterin der Stadt Stuttgart

Das Kulturraumgesetz ist Ausdruck einer solidarischen Sicherung eines breiten kulturellen Angebots in der Fläche. Solidarität in der Kultur? Ein Modell zur Teilung von Lasten und Überwindung von Grenzen? Vielleicht ist das sächsische Kulturraumgesetz deshalb in der bundesrepublikanischen Landschaft ein viel bewunderter Solitär geblieben.

Und trotzdem ist die Botschaft dieses Gesetzes für uns alle wichtig. Jürgen Habermas schreibt in seinem Beitrag zur Wiedergeburt Europas, dass sich in Europa im Kontext von christlich-sozialen Überlieferungen ein solidarisches, auf gleichmäßige Versorgung abzielendes Ethos des Kampfes für „mehr soziale Gerechtigkeit“ durchgesetzt habe. Eine Botschaft, die vor allem die Sozial-, Bildungs- und Kulturreformer der 60iger und 70iger Jahre in Westdeutschland vertraten. Für die Kulturpolitik äußert sich dieses solidarische, auf gleichmäßige Versorgung abzielende Ethos in zwei programmatischen Kernformulierungen: Zum einen in der Forderung nach einer kulturellen Grundversorgung, zum andern im Postulat „Kultur sei Gesellschaftspolitik“. Was am Ende der 70iger Jahre zu einem breiten kulturpolitischen Konsens führte – Kurt Biedenkopf war z.B. ein Verfechter der neuen Kulturpolitik - ist gegenwärtig durch die Krise der öffentlichen Haushalte gefährdet.

Vom Konsens zur Krise

Die Diskussion über Finanzierungskrisen der öffentlichen Haushalte ist nicht neu. „Rettet unsere Städte jetzt“, lautete „das Manifest der Oberbürgermeister“ von acht deutschen Großstädten, u.a. Stuttgart und Dresden, das im Sommer 1994 veröffentlicht wurde. Im Manifest selbst und in begleitenden Beiträgen wurden unzureichende Finanzmittel, immer weiter steigende Belastungen und bereits aufgetretene Missstände in kommunalen Handlungsfeldern beklagt.

Die Probleme der 90iger Jahre haben sich fortgesetzt, nur der Tonfall ist schärfer geworden. In seinem Beitrag „Vom Ende der kulturellen Grundversorgung“ beschreibt Albrecht Göschel vom Deutschen Institut für Urbanistik das düstere Szenario einer Erosion der öffentlichen Finanzkrise: Alle Leistungen, die nicht durch Gesetze und Verträge zwingend zu erfüllen sind, und damit alle Kulturaufgaben, auch diejenigen der sogenannten kulturellen Grundversorgung, müssten eingestellt werden.

Nun ist es in der Tat so, dass der demographische Wandel zur Belastung aller Haushalte führt, dass die ökonomische Entwicklung und die Globalisierung Deutschland einem verschärften internationalen Wettbewerb aussetzen und dass die Stabilitätskriterien, denen wir uns vertraglich auf EU-Ebene unterworfen haben, die Staatsverschuldung begrenzen und ihre Überschreitung mit Strafe belegen. Und eigentlich haben die Niederländer mit ihrer Kritik ja recht. Eine hohe Staatsverschuldung schadet der Stabilität der Währung, und die Wirklichkeit weicher Kriterien holt uns spätestens dann ein, wenn nach der EU-Osterweiterung diese weichen Kriterien dann auch für neue Beitrittswillige gelten, und die gibt es vielleicht nicht in England und Schweden, aber in der erweiterten EU zuhauf.

Die Idylle der (noch) öffentlich geförderten Kultur trügt. Wir finden eine weltweit agierende Kulturwirtschaft vor, die die kulturelle Globalisierung widerspiegelt und in weiten Bereichen das Kraftfeld der Jugendkultur ist. Wir finden eine Medienwelt vor, die auf die Rezipienten, auf Angebot und Nachfrage und damit auch auf die kommunale Kulturpolitik nachhaltigen Einfluss hat. Die demographische Entwicklung und ihre Folgen für die Kulturpolitik sind uns sicherlich nicht erst seit gestern bekannt. Andererseits ist es schon kein ganz einfaches Phänomen, wenn in den Grundschulen der westdeutschen Großstädte gut 30 bis 50 % der Kinder einen Migrantenhintergrund haben. Wir brauchen interkulturelle Konzepte und spezielle interkulturelle Programme für die Integration. Hier kommt der Kulturpolitik eine ganz zentrale neue Aufgabe zu. Wie sich schließlich die EU-Osterweiterung hier in Sachsen und anderswo auswirken wird, vermag ich nicht einzuschätzen. Ich ahne aber, dass es eine spannende, bereichernde, aber auch mit vielen Schwierigkeiten verbundene Öffnung sein wird. Das gleiche gilt für die Überalterung unserer Gesellschaft mit Veränderungen der Besucher- und Nutzerstruktur unserer Kulturinstitute und einem Nachfragerückgang. In vielen Punkten haben sich also im letzten Jahrzehnt die Rahmenbedingungen grundlegend gewandelt. Und wenn man wie die Kulturpolitische Gesellschaft die Auffassung vertritt, dass Kulturpolitik zugleich Gesellschaftspolitik ist, dann müssen wir auf diese veränderten Rahmenbedingungen neue Antworten suchen.

In seinem provokanten Kommentar vom Ende der kulturellen Grundversorgung vertritt Göschel die Auffassung, dass man die Kommunen auf ihre gesetzlichen Pflichtaufgaben reduzieren, ihnen die Erfüllung aller freiwilligen Leistungen per Haushaltsaufsicht untersagen werde müsse. Das wäre dann „das Ende der bekanntlich ausschließlich als freiwillige Leistungen definierten kommunalen Kulturförderung, die bisher zumindest und vor allem historisch den größten Teil der Kultureinrichtungen getragen hatte“.

Eine schöne neue Welt wäre das in der Tat nicht. Wir brauchen uns nur in US-amerikanische Städte entführen zu lassen, um zu erfahren, wie es zukünftig auch bei uns sein könnte. Eine junge Wiesbadenerin, die seit 6 Jahren in Colorado Springs

(400.000 Einwohnern) lebt, hat das eindrucksvoll in unseren Kulturpolitischen Mitteilungen beschrieben: „Stellt euch vor eine Stadt – ohne Kultur, Kultur wie ich sie mir vorstelle: Ohne Schauspielhaus, Ballett, Oper, Orchester, Museen, gut bestückte Büchereien, Volkshochschule und natürlich die vielen kleinen Theater, Kabaretts, Lesecafes, Musikgruppen, Künstlergalerien, Ateliers. Einfach nichts.“ Ihr Appell, dass wir uns der Stärke unserer traditionsreichen Kultur wieder besinnen und nicht in die Monotonie amerikanischer Städte verfallen, darf nicht ungehört verhallen.

Natürlich haben wir eine lebendige Kulturszene in New York und San Francisco. Kultur konzentriert in Berlin und München, vielleicht auch noch in Stuttgart und in Dresden und einigen anderen Städten? Das wollen wir in Deutschland gerade nicht. Folgt man dem düsteren Szenario von Göschel, dann wären sogar die öffentlich geförderten Kulturangebote in allen Städten gefährdet, es sei denn, die Städte könnten einen einigermaßen ausgeglichenen Haushalt vorlegen. Das darf nicht geschehen.

Starke Kommunen, starke Kultur

Unsere Städte sind für die Bürger ein elementarer Bestandteil ihres gesellschaftlichen Lebens. In der Kommune erfahren sie unmittelbar die Auswirkungen der Staatstätigkeit, denn hier prägt die Bereitstellung öffentlicher Leistungen z.B. der Kindergärten, Schulen, Sozialeinrichtungen oder auch Kultureinrichtungen, ihre Lebensgestaltung. Nur in der Kommune haben Bürger die Möglichkeit, „ihren“ Staat, d.h. ihr Gemeinwesen, unmittelbar mitzugestalten. Es ist ein Verdienst der föderalen Verfassung mit starken Kommunen und einem begrenzten Wettbewerb derselben untereinander, eine Balance zwischen gleichwertigen Lebensverhältnissen auf der einen Seite und lokaler wie regionaler Vielfalt, eigenverantwortlicher Initiative und Kreativität auf der anderen Seite erzeugt zu haben. Letzteres ist aber nur machbar, wenn die Kommunen die Möglichkeit haben, bei einem Grundbestand an übertragenen staatlichen Aufgaben im Rahmen ihrer Selbstverwaltung Einfluss auf die kommunale Infrastruktur zu nehmen und dazu auch die nötigen Finanzmittel besitzen. Der Anteil autonom bestimmbarer Steuereinnahmen sinkt kontinuierlich, Bund und Länder belasten die Gemeinden und Gemeindeverbände durch Eingriffe in die kommunalen Steuergrundlagen immer stärker mit den Folgen ihrer Bundes- und Landespolitik. Ein schleichender Prozess der Aufgabenübertragung von Bund und Ländern auf die Kommunen verschärft die Belastung. Notwendige Einsparungen treffen vor allen Dingen diejenigen Aufgaben, die ein zentraler Bestandteil der kommunalen Selbstverwaltung sind.

Das Fehlen gesetzlicher Vorgaben ist ein untrügliches Zeichen dafür, dass wir mit der Kultur eine Selbstverwaltungsaufgabe par excellence vor uns haben, die nur durch ein schmales Gesetzeswerk flankiert wird. Kulturelle Aufgaben, die gesetzmäßig verankert sind, gibt es nur im eng begrenzten Umfang von Bundesland zu Bundesland mit unterschiedlichsten Inhalten. Das sächsische Kulturraumgesetz geht in der verfassungsrechtlichen Bindung sicher am weitesten. In den meisten Bundesländern sind es der Denkmalschutz und in Baden-Württemberg speziell auch die Musikschulen, die durch entsprechende Gesetze besonderen Schutz und Förderung genießen. Als die öffentlichen Gelder in den 80iger und 90iger Jahren knapper wurden, haben viele von uns – mich eingeschlossen – bedauert, dass es für die Kultur nur wenige gesetzliche Schutzschilder gibt. Andererseits hat das Fehlen gesetzlicher Vorgaben der Kultur Gestaltungs- und Entfaltungsmöglichkeiten beschert, von denen man in anderen Bereichen nur träumen kann. Und vielleicht sollten wir uns auch von der typisch deutschen Denkweise verabschieden, dass die Wahrnehmung einer Aufgabe nur dann mit den entsprechende Ausgaben gesellschaftlich legitimiert ist, wenn es dafür ein Gesetz gibt. Denn nicht die Gesetze sind letztendlich der Garant für einen Staat, der dem Gemeinwohl dient, sondern es sind die Bürger, die in einer Demokratie durch ihre gewählten Repräsentanten und auch selbst an der politischen Willensbildung mitwirken, sei es nun mit oder ohne förmliches Gesetzgebungsverfahren, aber jedenfalls in einem demokratisch legitimierten transparenten Diskussions- und Beteiligungsprozess. Kurzum: Die Diskussion darüber, dass kulturelle Aufgaben als sogenannte „freiwillige“ Aufgaben viel leichter zur Disposition gestellt werden könnten als beispielsweise die staatlichen Pflichtaufgaben, die durch Gesetze abgesichert sind, bedeutet die Aushöhlung des für die Kommunen verfassungsrechtlich verbrieften Selbstverwaltungsrechts. Führt man sich allein die im letzten Jahrzehnt beschlossenen Gesetze auf Bundesebene vor Augen, die beispielsweise in der Sozialhilfe die kommunalen Finanzspielräume eingeschränkt haben, so wird deutlich, dass die Städte am 24. September zu Recht der Bundespolitik und den Erosionen des föderalen Systems die Rote Karte gezeigt haben.

Kreative Allianz von Kunst, Kultur und Bildung

Wenn der Grundsatz der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse Bundes- und Landesgesetzgeber dazu verpflichtet, viele Aufgaben einheitlich zu regeln, dann stellt sich natürlich im Kulturbereich die Frage, ob wir den Bürgern die öffentlich finanzierte Kultur gänzlich vorenthalten dürfen, sofern es – Grundsatz der Subsidiäritat – ein entsprechendes privates Angebot nicht gibt. Ich möchte das an einem Beispiel festmachen: Nach vielen wissenschaftlichen Untersuchungen ist der Musikschulunterricht für unsere Kinder und Jugendlichen nicht nur eine interessante Freizeitbetätigung, sondern fördert in besonderem Maße ihr kreatives Potential und damit ihre Leistungsfähigkeit in Schule, Studium und Beruf. Für mich gehört es zur Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse, wenn ein solches Angebot nicht nur in reichen Kommunen Eltern zur Verfügung steht, sondern auch in denjenigen Kommunen, die nicht die finanzielle Leistungskraft von Stuttgart oder München haben. Ich sehe nicht ein, wieso in der gesamten Republik im Sozialbereich und bei Schulen der Bürger Anspruch auf vergleichbare Leistungen hat, dieses aber bei den elementaren Angeboten der kulturellen Bildung völlig anders sein soll. Kulturelle Bildung, die kreative Allianz zwischen Bildung, Kunst und Kultur, ist ein wesentliches Kraftfeld der Bildungs- und Kulturpolitik. Bildung ist eben nicht auf kognitives Wissen beschränkt, sondern richtet sich auch auf ästhetische Erfahrung und Kompetenz, auf ethische Reflexion und Wertevermittlung.

Selbstkritisch an die Adresse der Kulturpolitik gerichtet, muss man aber auch feststellen, dass bei der Finanzierung und Finanzierbarkeit von Kulturaufgaben in der Vergangenheit nicht unbedingt immer die inhaltliche Diskussion, sondern Trends, Moden und vieles andere mehr eine Rolle spielte. Kurzum, wenn man das Recht und die Pflicht der Kommunen zur Bereitstellung eines öffentlich subventionierten Kulturangebots bejaht, bejaht man nicht automatisch den Anspruch darauf, dass jedwedes kulturelle Angebot förderungswürdig ist. Dies ist aber die Kritik, die man im Rückblick einem Fördermodell entgegen bringen muss, dass in den 70er und 80er Jahren mit dem Motto „Kultur für alle“ unter dem Primat der Selbstverwirklichung nach dem Gießkannenprinzip Kulturangebote förderte. So hat der ehemalige Kulturstaatsminister Nida-Rümelin zum Ende seiner Amtszeit kritisch die inhaltlichen Defizite angemerkt, die im Projekt der primär sozial motivierten neuen Kulturpolitik in „Kultur für alle“ angelegt waren.

Die in den 70er Jahren begründete neue Kulturpolitik hat aber auch die kulturelle Partizipation gefördert. Eine der Fernwirkungen der neuen Kulturpolitik war die gezielte Besucherorientierung der Kulturinstitute. Dass die Resonanz beim Publikum ein wichtiges Kriterium bei der Beurteilung der Förderungswürdigkeit eines kommunales Kulturinstitutes ist, sollte man nicht verteufeln, sondern ist aus meiner Sicht Ausdruck eines demokratischen Anspruchs, den die Kommune erfüllen muss. Das steht in einem gewissen Widerspruch zur Freiheit der Kunst, die aber eben nur hinsichtlich ihrer Ausübung, nicht hinsichtlich ihrer potentiellen Förderung geschützt ist. Bei der Entscheidung über die Infrastruktur in einer Gemeinde ist es selbstverständlich ein wichtiges Anliegen der verantwortlichen Gemeinderatsmitglieder, auch danach zu fragen, an wen sich eine Kultureinrichtung richtet und ob sie diese Zielgruppe überhaupt erreicht. Das ist keine Abstimmung mit den Füssen, sondern eine Abstimmung, die sich an vorher klar definierten Zielen orientiert.

Essentials einer Kulturgarantie

Als Kulturpolitische Gesellschaft haben wir für die Essentials der kulturellen Grundversorgung – übrigens ein schreckliches Wort: Kulturgarantie wäre mir lieber – folgende Leitlinien entwickelt:

  • Die Sicherung künstlerischer Entfaltungsmöglichkeiten und eines präzise zu bestimmenden Bestandes kultureller Einrichtungen, Leistungen und Angebote. Hier gilt das Subsidiaritätsprinzip. Es kommt auf die Inhalte, nicht auf die Trägerschaft an. Das private Museum, die private Musikschule in der Stadt, ist ein Kulturangebot der Stadt
  • Die Entfaltung ästhetischer Wahrnehmung.
  • Die Förderung von Innovativem, Irritierendem und Kreativem, dass es schwer hat, sich durchzusetzen.
  • Chancengleicher Zugang zu den Einrichtungen der kulturellen Bildung.
Die Ver pflichtung einer Kommune, Einrichtungen der kulturellen Infrastruktur als kulturelle Grundversorgung vorzuhalten - sofern es ein solches Angebot in anderer Trägerschaft nicht gibt -, z.B. Bibliotheken, beinhaltet weiter, dass diese Einrichtungen genauso wie andere kommunale Aufgaben im Hinblick auf die demografische Entwicklung, Veränderungen im Bürgerverhalten und Bürgerbedürfnis auf den Prüfstand gestellt werden können. Wenn einer Einrichtung mit einem veralteten Konzept die Zuschauer oder Besucher abhanden kommen, so kann es nicht die Aufgabe der Kommune sein, mit einem hohen finanziellen Engagement, d. h. letztendlich auf Kosten des Steuerzahlers diese Einrichtung künstlich am Leben zu erhalten. Bei aller Kritik, die zu Recht an der Schließung des Schillertheater geäußert wurde. Wäre es wirklich zur Schließung gekommen, wenn dieses Theater früher aus seiner Lethargie erwacht wäre? Hat uns nicht Peymann beim Berliner Ensemble vorgeführt, wie man einem Theater die Strahlkraft zurückgeben kann. Dabei gibt es natürlich eine ganz besondere Verantwortung der Kulturpolitik. In unserer schnelllebigen, von globalen Einflüssen geprägten Zeit, muss feinsäuberlich zwischen den derzeit nicht im Trend befindlichen, substantiell aber wichtigen Kulturangeboten und anderen unterschieden werden. Dass hier der Spagat groß ist, verschweige ich nicht. Ein Beispiel, wie sich Einrichtungen mit der Zeit auch wandeln können, sind die in Westdeutschland allseits beliebten, in den 70er Jahren politisch heftigst umstrittenen soziokulturellen Einrichtungen. Wir haben in Stuttgart vor kurzem das wohl größte soziokulturelle Zentrum Deutschlands mit einem neuen riesigen Theaterhaus eröffnet, wo heute unter einem Dach Neue Musik, Theater, Comedy, Tanz und vieles andere mehr – allerdings in einer selbstverwalteten Struktur – aufgeführt wird. Kurzum die Verpflichtung der Kommune, die kulturelle Grundversorgung sicherzustellen und die dabei selbstverständlich gegebenen Gestaltungsspielräume, sind kommunizierende Röhren, die die Kultur vor allen anderen kommunalen Politikfeldern auszeichnet.

Neue Verantwortungspartnerschaften

Bleibt das leidige Thema der Finanzierung. Angesichts der auch in Zukunft weiter bestehenden Finanzkrise der öffentlichen Haushalte muss die öffentliche Förderung von Kultureinrichtungen private Co-Finanzierung zulassen und anstoßen. Dafür müssen die inhaltlich konzeptionellen Rahmenbedingungen geschaffen werden. Der Paradigmenwechsel, den wir in den 90iger Jahren in der Kommunalpolitik erfahren haben, als aus der Forderung nach „Kultur für alle“ die Forderung nach „Kultur in einer neuen Bürgergesellschaft“ wurde, hat uns dafür sensibel gemacht, die kulturellen Interessen, auch die potentiell vorhandene Bereitschaft vieler Bürger zu nutzen, sich kulturell für ihr Gemeinwesen zu engagieren. Gerade der Kulturbereich ist durch eine lange Tradition mäzenatischen und bürgerschaftlichen Engagements geprägt, durch das viele Kultureinrichtungen entstanden sind und dass die vorhandene kulturelle Vielfalt in unserem Land erst ermöglicht hat. Das fängt an bei dem System des fürstlichen Mäzenatentums, in denen die Pflege der Künste und der Besitz kostbarer Kunstwerke zu den unausweichlichen Repräsentationspflichten des Herrschers gehörte. Die Entwicklung setzte sich im 18. Jahrhundert fort mit bedeutenden Privatsammlungen und Privatbibliotheken. Was das 19. Jahrhundert angeht, so war es die Kultur, die das Bürgertum im Inneren zusammenhielt und von anderen Gruppen unterschied. Kultur im Sinn von Selbstverständnis, Weltdeutung und Lebensweise. Bürgerliche Kultur definierte das Bürgertum. Der Übergang ins 20. Jahrhundert führte schließlich von bürgerschaftlichen Gründungen über halbstaatliche Trägerschaften zu staatlichen und kommunalen Einrichtungen, wie wir sie heute kennen. Hinzu kamen mit der Industrialisierung auch das Engagement der großen Firmen, das sich bis heute fortgesetzt hat. Waren es früher die Kruppschen Bücherhallen in Essen oder die Stiftung Hamburger öffentlicher Bücherhallen, ist es heute das firmeneigene Museum, das die globale Entwicklung des Unternehmens flankiert. So baut z.B. die Firma Daimler Chrysler in Stuttgart einen spektakulären Neubau für ihr Automobilmuseum und – für die Marke - was nichts anderes als eine Werbeveranstaltung für die Produkte des Unternehmens bedeutet. Gleichzeitig wird damit aber auch das neben der Staatsgalerie wahrscheinlich spektakulärste und vom museumspädagogischen Stellenwert informativste Museum in der ganzen Stadt aus privater Hand ermöglicht. Der positive Nutzen eines Public Private Partnership, der bei meinem Kollegen Grosse-Brockhoff in Düsseldorf in den 90iger Jahren noch heftigste Diskussionen der Künstlerschaft und mancher Feuilletons auslöste, ist heute zum Allgemeingut einer erfolgreichen Finanzierung in der Krise öffentlichen Haushalte geworden. All diese Modelle bedeuten aber zugleich, dass man mit dem ideologisch befrachteten Credo Schluss machen muss, dass der Private, der Kultur fördert, dies selbstlos und inhaltlich/konzeptionell abstinent tun muss.

Es ist realitätsfern anzunehmen, dass eine Firma oder ein Privatmann sich engagiert, sein Geld hergibt, aber keinen Einfluss nehmen will. Die Frage ist vielmehr, wie dieser Einfluss ausgestaltet sein darf und wie die Korrektive für eine sachgerechte Entscheidung sein müssen. Die Schweizer, die hierin mehr Erfahrungen haben als wir Deutschen und einen Großteil ihrer durchaus beachtenswerten kulturellen Infrastruktur dem privaten Engagement zu danken haben, machen uns das auf vorbildliche Weise vor. Wenn Sie einmal Gelegenheit haben, eine Stadt wie Basel zu besuchen, die neben ihrer chemischen Industrie über eine wunderschöne Altstadt mit einer Vielzahl reicher und interessanter Museen verfügt, werden Sie feststellen, dass viele der wundervollen Kunstobjekte dank einer privaten Stiftung erworben wurden und private Stiftungen Museen betreiben. Die Rückschläge, die wir derzeit in der privaten Finanzierung von Kultureinrichtungen erleben, weil auch im privaten Sektor gespart wird, müssen uns allerdings dafür sensibel machen, dass in der Kommune ein Plan existieren muss, wie einer privat oder teilweise privat finanzierten Einrichtung geholfen werden kann, wenn die private Finanzierung urplötzlich ausfällt. Nehmen Sie nur den Bericht der Wiesbadenerin aus Colorado Springs: Oper – im letzten Jahr wegen fehlender Spenden geschlossen. Orchester – Sinfonieorchester 75 Jahre alt wegen Bankrott geschlossen, zuletzt 18 Musiker. Der Hinweis darauf, die öffentliche Hand sei nicht zuständig, wäre fatal und würde eine Arbeitsteilung zwischen privatem und öffentlichem Sektor bei der Finanzierung wichtiger Kultureinrichtungen (also nicht der privaten Liebhabereien) konterkarieren bzw. suspekt machen.

Zusammenfassend ist somit festzustellen, dass es fernab jeder gesetzgeberischen Fixierung eine kommunale Pflichtaufgabe für die substanzielle Kulturförderung gibt, die aber weite Gestaltungsspielräume im Inhaltlichen und Finanztechnischen hat.

Von „Hand in Hand“ zu leeren Händen?

Wie sieht nun die Aufgabenteilung zwischen Bund, Ländern und Kommunen bei der öffentlichen Kulturförderung aus? Fest steht, dass die Deutsche Einheit eine neue nationale Identität geschaffen hat. Art 35 des Einigungsvertrages hat den Weg für nationale Verantwortungszusammenhänge aufgezeigt.

Was machen wir mit Einrichtungen, die weit über die Grenzen der eigenen Stadt hinaus von überregionaler oder sogar nationaler Bedeutung sind. Historisch gewachsen haben wir im Süden/Südwesten Deutschlands gemeinsame Trägerschaften von Land und Kommunen für derartig bedeutsame Kultureinrichtungen oder auch eine Gemeinschaftsförderung von Stadt und Land. Mit großer Sorge ist im Augenblick zu beobachten, wie diese überaus erfolgreichen Modelle der Co-Finanzierung durch Stadt und Land von Kürzungen bedroht sind, die jeweils von einem Partner ausgehen und denen sich dann der andere Partner in gleicher Höhe wegen des Finanzierungsschlüssels Stadt/Land anschließt. Hier können Institute in einem ganz kurzem Zeitraum existentiell bedroht sein. Stadt und Land: „Hand in Hand bei der Kulturförderung“ verkehrt sich nun ins Gegenteil. Auch wenn es mir wehtut, so befürchte ich, dass sich hier die bislang vorbildlichen süddeutschen Länder, zumindest jedenfalls Baden-Württemberg einer Praxis annähert, die - wie in Nordrhein-Westfalen - die Kulturaufgaben fast vollständig den Kommunen überantwortet und sie letztendlich nur dann als Landesthema aktiviert, wenn es um prestigeprächtige Festivals geht. Dies halte ich für leichtfertig, ist doch der Südwesten Deutschlands mit seinem vielfältigen Kulturangebot eine Region, zu deren Markenzeichen eine lebendige Kulturlandschaft gehört, was auch die Bürgerinnen und Bürger im Lande goutieren.

Nach wie vor völlig offen und strittig ist die Frage, ob es Kompetenzen des Bundes im Kulturbereich geben soll. Ich meine, dass man mit etwas Pragmatismus auch hier eine Lösung finden kann. Natürlich ist es so, dass überall in Deutschland Einrichtungen existieren, die von ihrer Qualität, ihrer Geschichte, ihrer internationalen Ausstrahlung ein „nationales Kulturgut“ darstellen, über dessen Erhalt die Nation wachen und für dessen Erhalt die ganze Nation kämpfen muss. Die Kulturstiftung der Länder trägt unter Berücksichtigung des föderalen Auftrages mit einem eingeschränkten Kompetenzrahmen diesem Anliegen Rechnung. Doch auch hier haben sich die Zeiten geändert und es muss angesichts der Finanznöte der Kommunen und der Risiken, die dadurch für herausragende Kultureinrichtungen entstehen, möglich sein, eine Verantwortungshierarchie zu schaffen, die entsprechend der Bedeutung einer Einrichtung eine nationale, länderspezifische oder ausschließlich kommunale Verantwortung begründet. Vielleicht bringt ja die Einrichtung der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ im Einvernehmen mit den Bundesländern und den Kommunen endlich den entscheidenden Durchbruch, damit national bedeutsame Kultureinrichtungen auch national abgesichert werden können. Ich stimme dem Geschäftsführer des Bundesverbandes Deutscher Galerien zu, wenn er die Krise der kommunalen Kulturfinanzierung zum nationalen Problem erklärt. Ich wäre froh, wenn die bereits laufende Entflechtungsdebatte zwischen Bund und Ländern der Nukleus für ein übergreifendes nationales Forum sein könnte. Denn schon jetzt fördert der Bund national wichtige Institute, gemäß der Rahmenvereinbarung zwischen Bund und Ländern nach Artikel 91 b des Grundgesetzes mit einem jährlichen Volumen von ca. 690 Mio. Euro.

Was die moderne Kultur von der Antike lernen kann

Erlauben Sie mir zum Schluss dieses Beitrags noch eine persönliche Anmerkung. Seit Jahren plädiere ich für ein konservatives Kulturverständnis. Für eine inhaltliche Bestimmung, die sich nicht von rasch wechselnden Moden und Stimmungen der öffentlichen Meinung, sondern von Gründen leiten lässt und damit wertorientiert ist. Es ist an der Zeit, an dem für unsere Kultur so folgenreichen, aber aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwundenen Kulturbegriff aus der Antike anzuknüpfen. Das lateinische Cultura leitet sich ab vom Wort Colere, das bedeutet sorgfältig pflegen, bebauen, bearbeiten. In der Antike hatte Kultur etwas mit der Pflege und Verehrung des Überlieferten bzw. des Unverfügbaren zu tun. Kultur entsteht nicht von alleine, sondern muss aufgebaut und gepflegt werden. Kultur hat eine sinnstiftende Funktion und schützt dem Menschen vor den Zumutungen der Komplexität. Kultur bedeutet, die Gegenstände des Lebens Wert zu schätzen. Deshalb bin ich der festen Überzeugung, dass es für die Kulturpolitik zu Beginn dieses Jahrhunderts kein vornehmeres Ziel gibt, als in unserer destabilen Welt Orientierung zu geben und die Menschen wieder zu sich selbst finden zu lassen.

Das ist fernab eines legislatorischen oder administrativen Prozesses Selbstverpflichtung für einen jeden Kulturpolitiker.

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Кантакт

Dipl.-Ing. Ursula Gründler

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