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Ein innenpolitischer Prüfstein

от Nico Lange

Flüchtlingsaufnahme und Willkommenskultur

„Unordnung“, „Chaos“, „Gefahr der Überforderung“ – so charakterisieren viele Beteiligte und Beobachter seit Monaten die Auswirkungen der extrem hohen Flüchtlingszahlen auf die deutsche Innenpolitik. Mediale Berichterstattung und öffentliche Debatten zu Migration, Asyl- und Flüchtlingspolitik werden naturgemäß zumindest teilweise von Hysterie, Übertreibungen und Fatalismus geprägt. Dass die innenpolitische Lage schon seit geraumer Zeit sehr ernst ist, wird aber dennoch niemand bezweifeln.

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Auch für die reiche und wohlgeordnete Bundesrepublik Deutschland ist es dauerhaft unmöglich, täglich mehrere tausend neue Flüchtlinge aufzunehmen. Eine Reduzierung des Zustroms von Flüchtlingen nach Deutschland hängt jedoch entscheidend von Kontingenten zur Verteilung der Asylbewerber innerhalb der Europäischen Union, der gemeinsamen Sicherung der EU-Außengrenzen, erfolgreichen Verhandlungen mit der Türkei, intensiverer Hilfe für Jordanien und Libanon sowie vor allem einer dauerhaften Stabilisierung der Lage in Syrien ab. Viele Bürger erwarten aber offenbar dennoch Lösungen von der nationalen Politik. Hier liegt das entscheidende Dilemma: Die innenpolitischen Instrumente zur wirksamen Eindämmung der Flüchtlingszahlen sind sehr begrenzt. Mit nationaler Politik werden sich die Probleme nicht lösen lassen. Wie kaum ein Ereignis zuvor führen uns die Flüchtlingsströme derzeit täglich die Aufhebung der klassischen Abgrenzungen zwischen Innen- und Außenpolitik und die geringer gewordenen Steuerungsmöglichkeiten des Nationalstaats vor Augen.

Dennoch ist unter dem Druck der Flüchtlingszahlen in der deutschen Innenpolitik enorm viel geleistet worden. Im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) wurden sehr schnell neue Stellen geschaffen. Bereits zur Jahreshälfte 2015 hatte das BAMF mehr Entscheidungen über den Status von Asylbewerbern getroffen als im gesamten Jahr 2014. Die Dauer der Verfahren wurde deutlich verkürzt, was angesichts der gestiegenen Anzahl abgeschlossener Verfahren eine große Leistung darstellt. Sogwirkungen für Wirtschaftsmigranten wie Taschengelder und Vorauszahlungen wurden durch Kompromisse zwischen Bund und Ländern abgeschafft. Asylsuchende aus sicheren Herkunftsländern werden sich künftig bis zum Abschluss ihres Verfahrens, das meist mit der Abschiebung endet, in Erstaufnahmeeinrichtungen aufhalten müssen. Auch Montenegro, Albanien und Kosovo wurden endlich zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt.

Abschiebungen können künftig nur noch für maximal drei Monate ausgesetzt werden. Der Bund unterstützt die Länder bei den Abschiebungen durch die Bundespolizei, die dafür 3000 zusätzliche Stellen erhält.

Die meisten dieser Regelungen wären noch vor kurzem kaum öffentlich sagbar, geschweige denn innenpolitisch durchsetzbar gewesen. Die Innenpolitik in Deutschland reagierte nach übereinstimmender Auffassung vieler Experten erst spät, aber dann deutlich auf die Situation. Im komplexen System der Verteilung der Zuständigkeiten bei gleichzeitig sehr verschiedenen Regierungskoalitionen in Bund und Ländern sind Kompromisse gefunden worden. Dieser Umstand sollte nicht unterschätzt werden. Durch die Beteiligungspflichten des Bundesrats und die Koalitionskonstellationen waren neben der großen Koalition aus CDU/CSU und SPD im Bund immer auch Grüne und Linke aus den Ländern an der Kompromissfindung beteiligt. Das engt die Entscheidungsspielräume für die unionsgeführte Bundesregierung natürlich strukturell ein und verzögert Entscheidungsprozesse. Für die Umsetzung des Beschlossenen in den Ländern und Kommunen sowie die nötige Kontinuität über kommende Landtagswahlen und Bundestagswahlen hinweg ist die breite Kompromissfindung jedoch förderlich.

Neue Gesetze, Stellenaufstockungen, Verbesserung von Verfahren – all diese Regelungen brauchen Zeit, um ihre Wirkung zu entfalten. Nach den Kompromissen zwischen Bund und Ländern und den umfangreichen Gesetzesänderungen wird es zunächst darauf ankommen, dass die politisch Verantwortlichen in Kommunen, Ländern und Bund nicht fortwährend weitergehende Forderungen aufstellen sondern zunächst die konsequente Umsetzung der beschlossenen Regelungen voranbringen. Unter Beobachtung der Auswirkungen sollten diese dann schrittweise weiterentwickelt werden. Nur dadurch entsteht die Chance, im Rahmen der rechtstaatlichen Verfahren wieder mehr Ruhe und Ordnung in die Situation zu bringen.

Wie leicht rechtsstaatliche Verfahren an ihre Grenzen gelangen können, zeigte sich in den vergangenen Monaten. Wenn nach der Aussetzung des Dublin-Verfahrens immer mehr Asylbewerber ohne Pässe ankommen und viele sich in der Hoffnung auf schnelle Anerkennung als Syrer ausgeben, kommt man an aufwändigen Verfahren zur Identitätsfeststellung und sorgfältigen Einzelfallprüfungen auf keinen Fall vorbei. Beschleunigung und Vereinfachung haben hier Grenzen, wenn es gerade darum gehen soll, das Asylsystem nicht durch Wirtschaftsmigranten ausnutzbar zu machen. Hier liegt ein wesentlicher Grund dafür, warum es richtig war, das Dublin-System nach der zeitweiligen Aussetzung für Syrer wieder in Kraft zu setzen.

Potenziale für eine Entlastung der Situation gibt es noch immer bei der Abschiebepraxis der Bundesländer. Vielerorts hatte man in den vergangenen Jahren stillschweigend von Abschiebungen abgesehen. Sie sind für die Länder teuer und unbeliebt sowie mit Vollzugsproblemen behaftet. Aber konsequente Abschiebungen sind Ausdruck des Rechtsstaats. Das spürbare Unbehagen in Teilen der Bevölkerung über die Flucht- und Asylpolitik steht auch in Bezug zum Vertrauen in den Rechtsstaat. Die eigenen Gesetze müssen in Deutschland eingehalten werden, um dieses Vertrauen zu stärken.

Im Oktober 2015 sind die Regelungen zur Abschiebung verschärft worden. Abgelehnte Asylbewerber, die der Aufforderung zur Ausreise nicht freiwillig nachkommen, erhalten keine finanziellen Mittel mehr. Es ist gut, dass wichtige Amts- und Mandatsträger in Deutschland eine Anerkennungskultur für die zahlreichen Ehrenamtlichen anmahnen, die in der Flüchtlingshilfe Großartiges leisten. Aber auch die Polizisten und Beamten, die das deutsche Recht durchsetzen und die Abschiebungen vornehmen, verdienen öffentliche Anerkennung.

Asylverfahren sollen nicht zur Zuwanderung auf den deutschen Arbeitsmarkt führen. Das Asylrecht ist kein Recht auf Einwanderung. Die beschriebenen innenpolitischen Maßnahmen haben im Verlauf des Jahres 2015 dazu geführt, dass die Zahl der Einreisenden aus den Ländern des Westbalkans spürbar gesunken ist. Vor dem Hintergrund der anhaltend hohen Flüchtlingszahlen und der beschriebenen eingeschränkten Spielräume der nationalen Politik ist es richtig, dass in Diskussionen zwischen Bund und Ländern über die Möglichkeiten einer verstärkten Gewährung von subsidiärem Schutz ohne Familiennachzug nachgedacht wird. In jedem Fall sollten in der aktuellen Situation Familienzusammenführungen nicht die höchste Priorität genießen.

Die konsequente Umsetzung der Verschärfungen bei Rückführungen und Leistungsgewährungen sowie der Beschleunigung der Verfahren hat jetzt Vorrang. Gleichzeitig kann die Verbesserung der technischen Systeme, IT-Unterstützung und Vernetzung zur Ordnung beitragen. In diesem Zusammenhang sollte man darüber nachdenken, einen einheitlichen Flüchtlingsausweis einzuführen, der die Identitätsfeststellung und Kontrolle erleichtert sowie Voraussetzung für die Gewährung von Sach- und Geldleistungen sein könnte. Der Rechtsstaat muss sicherstellen, dass er weiß, wie viele Asylbewerber und anerkannte Flüchtlinge sich in Deutschland befinden und wo sie sich aufhalten. Zu viele der Asylbewerber haben sich staatlicher Kontrolle entzogen. Auch unkontrollierte innerdeutsche Wanderungsbewegungen müssen unterbunden werden.

Die hohe Zahl der Neuankömmlinge ist auch eine Herausforderung für die innere Sicherheit in Deutschland. Entgegen populistischer Klischees gibt es aber kaum Kriminalität durch Flüchtlinge gegen Deutsche. Erwiesenermaßen steigt die Kriminalität im Umfeld von Flüchtlingsunterkünften nicht an. Das aktuelle Lagebild des Bundeskriminalamts bestätigt diese Trendaussage. Allerdings nimmt die Kriminalität in den überfüllten Erstaufnahmeeinrichtungen seit einiger Zeit stark zu. Dabei geht es vor allem um Raub, Eigentumsdelikte und Körperverletzung. Innerhalb der Erstaufnahmeeinrichtungen ergeben sich große Schwierigkeiten für die polizeiliche Strafverfolgung. Häufig muss die Polizei in einer Konfliktsituation unterschiedliche Gruppen von Flüchtlingen auseinanderhalten und kommt dabei an Belastungsgrenzen.

Vor allem aber gab es im laufenden Jahr 2015 schon mehr als 600 Übergriffe auf Einrichtungen für Asylbewerber. Gewaltstraftaten, Propagandadelikte und Sachbeschädigungen, bei denen das BKA rechte Hintergründe vermutet, sind sprunghaft angestiegen.

Der Zustrom von Flüchtlingen nach Deutschland besteht zu 90 Prozent aus Männern. Fast ein Drittel von ihnen sind weniger als 18 Jahre alt. Zwei Drittel von ihnen sind Muslime. Eine gelingende Integration derjenigen mit Bleibeperspektive in Deutschland könnte zweifellos ein attraktives Potenzial freisetzen. Gleichzeitig muss man sich jedoch bewusst sein, dass stark belegte Unterkünfte, zu lange Dauer von Verfahren und Versäumnisse bei der Integration im Zeitverlauf für Polizei und Sicherheitsbehörden zu ernsten Herausforderungen führen können.

Bisher gibt es nur wenige Erkenntnisse darüber, ob Terroristen als „Flüchtlinge“ nach Deutschland einsickern. Waghalsige und langwierige Fluchtrouten scheinen für Terrorismus auch nicht geeignet. Umso wichtiger ist es, durch konsequente Identitätsfeststellung und staatliche Kontrolle eine klare Informationslage darüber herzustellen, wer nach Deutschland kommt, aus welchen Ländern die Flüchtlinge stammen und wo sie sich befinden. Dies ist der einzige Weg, um diesbezüglichen Ängsten und tatsächlichen Bedrohungen entgegenzuwirken.

Wie eingangs ausgeführt, beginnt die innenpolitische Bearbeitung der Asyl- und Flüchtlingsproblematik mit der Erkenntnis, dass zur Lösung der Probleme zuallererst europapolitische Kompromisse und Einigungen mit internationalen Partnern herbeigeführt werden müssen. Bis dahin wird es weiter darauf ankommen, die rechtsstaatliche Ordnung durchzusetzen. Vor allem aber sollten sich die innenpolitischen Verantwortungsträger nicht zur Verkündung von rein nationalen Scheinlösungen verleiten lassen. Vermutlich würden diese zwar kurzzeitig auf breite Zustimmung stoßen. Mit der wachsendenden Erkenntnis der Bürger, dass rein innenpolitische Ansätze die Flüchtlingsströme aber nicht wirksam werden verringern können, würden die politisch Handelnden dann aber schnell an Legitimation verlieren. Es wäre vor diesem Hintergrund gefährlich, innenpolitische Spielräume vorzugaukeln und sich an der Renationalisierung der Flüchtlingspolitik zu beteiligen. Für Populisten und Extremisten würden große Einfallstore geöffnet. Die Selbstbeschränkung vor dem Hintergrund europäischer und internationaler Zusammenhänge bei gleichzeitigem Ausnutzen der Spielräume und der unbedingten Notwendigkeit zur konsequenten Anwendung des Rechts wird für die deutsche Innenpolitik auf absehbare Zeit ein schwerer Prüfstein bleiben.

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