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kurzum

Welches Antirassismuskonzept?

от Dr. Annette Ranko

Die Debatte um die Besetzung der Antidiskriminierungsbeauftragten ist auch eine Debatte um Konzepte

Nach Ferda Atamans Nominierung zur Antidiskriminierungsbeauftragten regt sich auch innerhalb der Regierungskoalition Kritik – nicht zuletzt an dem von ihr vertretenen Rassismus-Konzept. Die Regierung sollte deshalb ihr Verständnis von Rassismus und Antidiskriminierung klären und ihre konkreten Pläne zur Rassismus-Bekämpfungen erläutern.

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Am 23. Juni 2022 sollte der Bundestag die neue Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung und damit die neue Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes wählen. Das Kabinett hat hierfür die Journalistin und Publizistin Ferda Ataman vorgeschlagen. Die Abstimmung wurde jedoch kurzfristig auf den 7. Juli verschoben, nachdem sich unmittelbar nach der Nominierung Kritik in Medien und Politik regte und auch Abgeordnete der FDP erklärt hatten, nicht für Ataman stimmen zu wollen. Die Debatte kreiste einerseits um die Person Ataman und um den Vorwurf, sie sei bisher polarisierend aufgetreten. Andererseits enthielt die Debatte auch eine tiefergehende, inhaltliche Dimension. So kritisierte beispielsweise der FDP-Abgeordnete Thomas Sattelberger Atamans Diskriminierungsverständnis, das auf dem Konzept des „strukturellen Rassismus“ fuße.1 Damit öffnet sich auch innerhalb der Regierungskoalition eine Debatte darüber, welches Antirassismus-Konzept von staatlichen Stellen vertreten werden solle. Die Debatte um die Besetzung der Antidiskriminierungsbeauftragten ist damit auch eine Debatte um Konzepte.

 

Was ist „Struktureller Rassismus“?

Das Konzept des „strukturellen Rassismus“ findet in seinen unterschiedlichen Ausprägungen in zahlreichen universitären und zivilgesellschaftlichen Kreisen zunehmend Beachtung. Es versteht Rassismus nicht mehr nur im ursprünglich verwendeten Sinne als Abwertung oder Diskriminierung aufgrund von Hautfarbe oder Ethnie. Stattdessen verortet es diesen als immanentes Merkmal westlicher Gesellschaften. Der prominente Soziologe Aladin El-Mafaalani erklärt das Konzept so: Der Rassismus heute sei zwar nicht mehr das dominante Ordnungsprinzip der Gesellschaft und der Welt – wie zu Zeiten des westlichen Kolonialismus –, jedoch habe sich der Rassismus in die heutige „Gesellschaft und ihre […] Institutionen eingeschrieben, erkennbar an den Einkommens-, Vermögens- und Klassenverhältnissen, erlebbar in Kultur und Alltag, hörbar in der Sprache und so weiter. Rassismus hält die (ungerechte) Gesellschaft zusammen“. Er schreibt weiter: „In allen Dimensionen, also der ökonomischen, der kulturellen und der psychischen, profitiert man als durch Rassismus privilegierte Person, ob man will oder nicht.“2

 

Bedeutung von Machtverhältnissen im „strukturellen Rassismus“

Das Konzept des „strukturellen Rassismus“ geht also davon aus, dass individuelle Intention nicht mehr Voraussetzung ist, um Rassismus zu konstituieren. Rassismus betrifft vielmehr alle Mitglieder einer Gesellschaft – entweder als Profiteure oder als Geschädigte. Aus der Verortung und Begründung von Rassismus in Machtverhältnissen folgt für Vertreter und Vertreterinnen des „strukturellen Rassismus“, dass rassistische Diskriminierung (also die Benachteiligung von Personen aufgrund rassistischer Motive) primär von Mitgliedern einer bessergestellten oder „hegemonialen Gruppe“ ausgeübt wird. Mögliches rassistisches Verhalten von Mitgliedern einer schlechter gestellten Gruppe wird demgegenüber konzeptionell ausgeblendet oder als Ausdruck und Folge einer strukturell rassistischen Mehrheitsgesellschaft beschrieben. „Struktureller Rassismus“ bezieht sich dabei nicht mehr nur auf Hautfarbe oder Ethnie, sondern auch auf (nicht-westliche) Kulturen und oftmals auch auf Religionen. Darüber hinaus fokussieren Vertreterinnen und Vertreter des Konzepts besonders auf Sprache und Vorurteile, die das System des Rassismus in der Gesellschaft verankerten und deshalb in besonderem Maße bekämpft werden müssten.

 

 

Fragen bei der praktischen Anwendung dieses Rassismuskonzepts 

Es ist zu begrüßen, dass die neue Bundesregierung Antirassismus und Antidiskriminierung einen hohen Stellenwert beimisst. Das Thema ist von großer Bedeutung für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Die Bundesregierung sollte allerdings klar benennen, welches Verständnis von Rassismus und rassistischer Diskriminierung sie vertritt. Insbesondere, da sie angekündigt hat, das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz reformieren zu wollen. Es gibt mindestens vier grundlegende Fragen, die das Konzept des „strukturellen Rassismus“ aufwirft, wenn eine staatliche Stelle, wie die Antidiskriminierungsstelle des Bundes, das Konzept annehmen und operationalisieren würde.

 

1 Die konzeptionelle Ausdehnung des Rassismusbegriffs macht das Phänomen weniger greifbar. Wie soll einer möglichen Verharmlosung und Nivellierung entgegengewirkt werden, wenn Rechtsextreme einerseits und Angehörige einer „Mehrheitsgesellschaft“ andererseits unter einem Begriff zusammengefasst werden?

2 Das Konzept des „strukturellen Rassismus“ beinhaltet eine ausgeprägte Fokussierung auf Sprache und Wahrnehmungen. Wie kann gewährleistet werden, dass die Antidiskriminierungsstelle trotzdem dem Auftrag gerecht wird, Betroffenen von konkreten diskriminierenden Handlungen – dort wo sie empirisch greifbar stattfinden –  zu helfen? 

3 Durch die starke Fokussierung auf Macht-, Einkommens- und Vermögensverhältnisse zwischen verschiedenen ethnischen und kulturellen Gruppen läuft das Konzept Gefahr, Rassismus und Diskriminierung innerhalb und zwischen marginalisierten Gruppen nicht zu erfassen. Wie kann gewährleistet werden, dass bestimmte Personengruppen und Mehrfachdiskriminierte dabei nicht „durchs Raster“ fallen? 

4 Mit welchen Strategien soll der mögliche Missbrauch des „strukturellen Rassismus“ durch autoritäre Regime und Akteure entgegengewirkt werden, die sich damit beispielsweise gegen Kritik an kulturell oder religiös legitimierten Menschenrechtsverletzungen immunisieren wollen? 

 

 

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[1] In Andrea Dernbach (2022), „Kritiker in der FDP bleiben beim Nein zu Ataman,“ Der Tagesspiegel, 24.06.2022

[2] Aladin El-Mafaalani (2021), Wozu Rassismus? Von der Erfindung der Menschenrassen bis zum rassismuskritischen Widerstand, Köln: Kiepenheuer & Witsch.

 

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