Издател на активи

IMAGO / Anadolu Agency
Доклади от различните страни

Bolivien wählt den Sozialismus ab

Historische Wahl bringt klaren Paradigmenwechsel

„Kapitalismus für alle!“ - Mit diesem Slogan erzielte Rodrigo Paz im fast 20 Jahre sozialistisch regierten Bolivien im ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen einen Überraschungssieg. Er wird in einer Stichwahl am 19. Oktober gegen den ebenfalls oppositionellen und wirtschaftsliberalen „Tuto“ Quiroga antreten. Auch im Parlament errang die bürgerliche Opposition einen Erdrutschsieg: Die langjährige Regierungspartei MAS wird dort praktisch nicht mehr vertreten sein. Als außerparlamentarischer Widerstand manifestiert sich indessen Ex-Präsident Evo Morales, der mit seinem Aufruf zu einer ungültigen Stimmabgabe deutlich erfolgreicher war als die verschiedenen Linkskandidaten an den Urnen.

Издател на активи

Сподели

Die bolivianischen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen vom 17. August 2025 brachten von Beginn Ungewissheiten und Überraschungen. So gab es lange Zweifel, ob diese angesichts von sozialen Protesten, Wirtschaftskrise und Benzinmangel überhaupt durchgeführt werden könnten. Hinzu kam die Sorge, ob die Regierungspartei MAS (Movimiento al Socialismo, dt. Bewegung zum Sozialismus) nach fast zwanzig Jahren Herrschaft eine – absehbare - Niederlage akzeptieren und die Macht ohne Weiteres abgeben würde. Denn nur wenige Jahre ist es her, dass der Andenstaat nach Wahlbetrugsvorwürfen bei den Präsidentschaftswahlen 2019 am Rande eines Bürgerkrieges stand. Die Sorge war somit groß, dass es auch bei den diesjährigen Wahlen Probleme geben könnte.

 

Begleitet von rund 3000 internationalen und nationalen Wahlbeobachtern, konnten die Wahlen dann aber überraschend friedlich, ohne größere logistische Probleme und praktisch ohne Proteste abgehalten werden. Dies wurde allgemein mit großer Erleichterung aufgenommen und als „Sieg der Demokratie“ gefeiert. Auch die Bekanntgabe der Ergebnisse rief zwar allseits Überraschung, jedoch keinerlei Proteste hervor. Und das, obwohl sie eine Totalniederlage der langjährigen Regierungspartei MAS und der bolivianischen Linken im Allgemeinen mit sich brachten und mit einem Überraschungssieg des bislang als Außenseiter geltenden Oppositionskandidaten Rodrigo Paz endeten.

 

Wille zum Wandel

Wenngleich der Wahlausgang von niemandem so vorhergesehen worden war, hatte sich die Tendenz zu einem politischen und wirtschaftlichen Paradigmenwechsel schon seit längerer Zeit abgezeichnet. Angesichts der schweren Wirtschaftskrise, die für viele Bolivianerinnen und Bolivianer täglich durch steigende Lebensmittelpreise, Medikamentenmangel und kilometerlange Schlangen an Tankstellen spürbar ist, war der Wille zum Wandel zuletzt fast mit Händen greifbar. Selbst bei ehemaligen Wählern der MAS, die zwei Jahrzehnte mit großem Erfolg gegen den Kapitalismus und das Unternehmertum mobilisiert hatten, war zuletzt die Erkenntnis gereift, dass das sozialistische Wirtschaftssystem krachend gescheitert ist. Nicht einmal ethnische Faktoren, wie die Zugehörigkeit zu einer indigenen Volksgruppe (Aymara, Quechua), die bei den Wahlen in Bolivien traditionell stets eine große Rolle gespielt hatten, konnten im Kontext der Wirtschaftskrise eine nennenswerte Bedeutung entfalten. Schon Monate vor dem Wahltermin führten in allen Umfragen Kandidaten der bürgerlichen Mitte, die einen wirtschaftlichen Neustart und einen demokratisch-institutionellen Neuanfang nach fast zwanzig Jahren MAS-Herrschaft in Aussicht stellten.

 

Bis zum Wahlabend war man jedoch allseits von einem Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen dem Unternehmer und mehrfachen Präsidentschaftskandidaten Samuel Doria Medina und dem Ex-Präsidenten Jorge „Tuto“ Quiroga (2001-2002) ausgegangen. Doch am Ende gaben die bis zuletzt unentschiedenen Wähler – immerhin fast 15% Prozent des Wahlvolkes - den Ausschlag für einen bis dahin kaum beachteten Oppositionskandidaten, der in den Umfragen zuletzt zwar auch etwas zugelegt hatte, jedoch nie über zehn Prozent gekommen war. Rodrigo Paz gewann nach ersten Auszählungen mit rund 32 Prozent der Stimmen, Quiroga kam auf 27 Prozent, während Doria Medina mit 20 Prozent nur der dritte Platz blieb.

 

Rodrigo Paz, Senator sowie ehemaliger Bürgermeister, Gouverneur und Abgeordneter des Tiefland-Departments Tarija, konnte auf den letzten Metern scheinbar viele Stimmen aus der gemäßigten Mitte und dem ehemals linken Spektrum einsammeln. Viele Bolivianer streben zwar angesichts der schweren Wirtschaftskrise einen wirtschaftlichen Wandel an, haben jedoch Angst vor dramatischen Einschnitten. Auch weit verbreitete historische Ressentiments, wie die Ablehnung von Krediten des Internationalen Währungsfonds (IWF) oder die Angst vor einer Einmischung durch die USA in bolivianische Belange, könnten eine Rolle bei dem Überraschungssieg gespielt haben. Denn der Wahlsieger und Sohn des ehemaligen Präsidenten Jaime Paz Zamora (1989-1993) will in jedem Fall ohne einen IWF-Kredit auskommen, während seine lange Zeit führenden Kontrahenten sich offen zu dieser Option bekannten.

 

Paz, der für die christdemokratische Partei PDC antrat, setzte im Wahlkampf vor allem auf nationale Lösungswege, um das lithiumreiche Land aus der Krise zu befreien. Dem in den Umfragen lange Zeit führenden Kandidaten und erfolgreichen Geschäftsmann Samuel Doria Medina wurde hingegen von Seiten der Linken vorgeworfen, dass er Bolivien an die USA ausverkaufen wolle – ein Vorwurf, der bei der linken Wählerklientel Boliviens große Ängste hervorruft und nationalistische Ressentiments befeuert. Zudem könnten einige populistische Versprechungen wie etwa die Einführung einer universellen Frauen-Rente, die Streichung von Importzöllen und die Senkung von Steuern den Ausschlag für den kometenhaften Aufstieg und Wahlsieg von Paz gegeben haben.  

 

Jorge „Tuto“ Quiroga, Kandidat der Mitte-Rechts-Allianz „Libre“, die mit einem wirtschaftsliberalen Modell und grundlegenden Strukturreformen wirbt, konnte seinen in den Umfragen prognostizierten Stimmenanteil leicht ausbauen und wird am 19. Oktober gegen den Überraschungssieger Paz antreten. 

 

Totalniederlage der bolivianischen Linken

Die Abwahl der sozialistischen Regierungspartei MAS gehört zu den wenigen vorhersehbaren Ergebnissen der diesjährigen Präsidentschaftswahlen. Auch wenn es für viele Bolivianerinnen und Bolivianer noch immer fast unglaublich anmutet, dass die übermächtige Partei, die über zwei Jahrzehnte Politik, Wirtschaft und Gesellschaft im Andenstaat dominierte, plötzlich implodiert ist, war das Wahldebakel der MAS zuletzt keine große Überraschung mehr. Als Folge des erbitterten parteiinternen Machtkampfes zwischen Präsident Luis Arce (2020-2025) und seinem Amtsvorgänger Evo Morales (2006-2019) blieben nur Scherben von der bis vor kurzem noch praktisch hegemonialen Partei übrig. Innerhalb weniger Monate hatte sich die MAS so vollständig zerlegt, dass zu den Wahlen gleich drei ehemalige Parteigrößen gegeneinander antraten und sich Konkurrenz machten. Wenngleich einige Beobachter bis zu den ersten Hochrechnungen davon ausgegangen waren, dass eine strategische Stimmabgabe der bolivianischen Linken für den in den Umfragen bestplatzierten Kandidaten, Andrónico Rogriguez, diesen in eine Stichwahl katapultieren könnte, blieb dieses Szenario letztlich aus.

 

Auch im künftigen Parlament werden die MAS und ihre diversen Ableger so gut wie nicht vertreten sein – ein Szenario, das angesichts der Tatsache, dass die MAS fast zwanzig Jahre sichere 2/3-Mehrheiten im Parlament sowie die Präsidentschaft im ersten Wahlgang geholt hatte, schier unglaublich wirkt. Beide Kammern des neuen Parlamentes werden bis auf Einzelabgeordnete von den Anhängern der drei erstplatzierten bürgerlichen Kandidaten Paz, Quiroga und Doria Medina gestellt.

 

Gestärkt ging aus den Wahlen nur ein linker Politiker hervor, der sich aufgrund eines verfassungsrechtlichen Urteils gar nicht im offiziellen Rennen um die Präsidentschaft befand: Evo Morales. Der im Drogenanbaugebiet Chapare verschanzte Alt-Präsident, der sich mithilfe von bewaffneten Milizen vor dem Zugriff der bolivianischen Justiz schützt, die ihn wegen Missbrauchs von Minderjährigen und Menschenhandel sucht, kann als einziger einen Teilerfolg bei den diesjährigen Wahlen für sich beanspruchen. Zwar konnte er die Wahlen nicht wie erhofft delegitimieren. Doch mit der Strategie, seine Anhänger zur ungültigen Stimmabgabe aufzurufen, konnte er mit 19 Prozent (auch abzüglich der bei jeder Wahl in Bolivien üblichen ca. 4 Prozent ungültigen Stimmen) den größten Erfolg im linken Lager für sich verbuchen. Damit hat er sein weiterhin bestehendes Macht- und Mobilisierungspotenzial unterstrichen und sieht sich in seinem ungebrochenen Führungsanspruch für die bolivianische Linke bestätigt.

 

Kein ‚Zurück in die Zukunft‘: Boliviens historische Chance

Bolivien hat sich in friedlichen demokratischen Wahlen klar für ein neues Wirtschafts- und Regierungsmodell entschieden und hofft, sich damit schnell aus der derzeitigen Wirtschaftskrise befreien zu können. Unabhängig davon, welcher Kandidat sich bei den in zwei Monaten stattfindenden Stichwahlen durchsetzt, wird es tiefgreifende Veränderungen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft des Andenstaates geben. Die überragende Mehrheit, die die bürgerlichen Kräfte im künftigen Parlament haben werden, kann dabei helfen, diesen grundlegenden Wandel einzuleiten und legislativ zu untermauern.

 

Doch Triumphalismus ist trotz der momentanen bürgerlichen Übermacht und dem Fiasko der ehemaligen Hegemonialpartei fehl am Platz. Denn die Tatsache, dass die bolivianische Linke von heute auf morgen ihre parlamentarische Repräsentation verloren hat, könnte den Schauplatz für Politik in Bolivien erneut auf die Straße verschieben.

 

Schon einmal – vor zwanzig Jahren – scheiterten wirtschaftsliberale Politiker in Bolivien am Widerstand der Straße. Evo Morales, damals aufstrebender Gewerkschaftsführer der Koka-Bauern, mobilisierte die verschiedenen sozialen Bewegungen, kanalisierte ihren Unmut und wurde 2006 schließlich ins Präsidentenamt gewählt, wo er sich 14 Jahre hielt.

Derselbe Evo Morales steht auch heute wieder bereit, die Unzufriedenen zu vereinen und gegen Reformen zu mobilisieren. So kündigte er bereits vor dem Ausgang der Wahlen an, dass er einer zukünftigen Regierung keinen ruhigen Moment lassen werde. Auch wenn bei diesen Wahlen inmitten der Wirtschaftskrise weder linke noch ethnisch-identitäre Positionen eine Rolle spielten, sind diese nicht verschwunden. Für die Stabilität einer jeden künftigen Regierung wird es daher auch darauf ankommen, den Dialog mit diesen Akteuren zu suchen.

 

Die bürgerlichen Kräfte haben mit den Wahlen 2025 die historische Chance bekommen, Bolivien nach 20 Jahren MAS-Herrschaft im Dialog aus der Krise zu führen und für eine starke wirtschaftliche und institutionelle Zukunft umzubauen. Diese Chance darf nicht erneut verspielt werden.

Издател на активи

Контакт Dr. Christina Stolte
Portrait Christina Stolte
Leiterin des Auslandsbüros in Bolivien und des Regionalprogramms PPI
christina.stolte@kas.de +591 22775254

comment-portlet

Издател на активи

За тази поредица

Фондация „Конрад Аденауер“ разполага със собствени представителства в 70 държави на пет континента. Чуждестранните локални сътрудници могат да ви информира от първа ръка относно актуалните събития и пълносрочните проекти във вашата държава. В „Локална информация“ те предлагат на потребителите на уебсайта на фондация „Конрад Аденауер“ ексклузивни анализи, историческа информация и оценки.