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Die Rolle der Kirchen und religiösen Gemeinschaften in Staat und Gesellschaft

od Dr. Caroline Hornstein Tomic
Im Rahmen des Leitthemas "Ethische Grundlagen der modernen Bürgergesellschaft" organisierte die Konrad-Adenauer-Stiftung vom 29. Juni bis 3. Juli 2002 in Cadenabbia/Italien eine südosteuropäische Regionalkonferenz zur Rolle Religionsgemeinschaften in Staat und Gesellschaft.

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An der Konferenz nahmen aus den Ländern Serbien, Kroatien, Mazedonien und Bosnien und Herzegowina Vertreter der orthodoxen und katholischen Kirchen, des in der Region stark vertretenen Franziskaner- sowie des Dominikanerordens, der muslimischen und jüdischen Religionsgemeinschaften, sowie ein Regierungsvertreter aus Belgrad teil. Sie trafen zu einem dreitägigen Dialog miteinander und mit christdemokratischen und kirchlichen Vertretern aus Deutschland zusammen.

Die Gespräche konzentrierten sich auf einen Vergleich zwischen dem Verhältnis von Staat und Kirche in Deutschland auf der einen Seite, dem Selbstverständnis der Kirchen und Religionsgemeinschaften in den Ländern und Transformationsgesellschaften Südosteuropas auf der anderen Seite. Welche Rahmenbedingungen ein Staat schaffen kann, damit Kirchen und Religionsgemeinschaften sich in der Gesellschaft entfalten und ihre Rolle wahrnehmen können, stand als Frage im Zentrum der Gespräche.

I. Die Situation in Deutschland

Von den Vertretern aus Deutschland wurde besonders die soziale Verantwortung von Kirchen und Religionsgemeinschaften in demokratischen Bürgergesellschaften erläutert. Dem christdemokratischen Verständnis nach bedeutet Christ sein, so Dr. Kues in seinem Eingangsreferat, Gesellschaft und Politik in den Blick zu nehmen. Die zentrale Bedeutung der Vielfalt von kulturellen und religiösen Identitäten und Weltanschauungen für das europäische Selbstverständnis stand im Mittelpunkt seines Vortrags. Er führte aus, wie in den demokratischen Gesellschaften der westlichen Welt sich der Pluralismus als Prinzip des Umgangs mit dieser Vielfalt entwickelt hat. Um aber die Vielfalt anerkennend integrieren zu können, bedarf es, so die Diskussion, eines geteilten Wertebewusstseins. Hierin liegt die Schlüsselrolle von Kirchen und Religionsgemeinschaften in modernen Gesellschaften. Sie können für das Gemeinsame und Verbindende unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen sensibilisieren und Orientierungshilfen geben, wie Zusammenleben auf der Grundlage wechselseitiger Anerkennung gelingt. Gerade angesichts der kulturellen und religiösen Pluralität der europäischen Gesellschaften ist, wie in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union der Fall, die juristische Trennung von Staat und Kirche und die Anerkennung von Religionsgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts Grundbedingung für freie Religionsausübung.

In der Auseinandersetzung etwa zur Rolle der Kirchen und religiösen Gemeinschaften bezüglich des Religionsunterrichts in den Schulen vertieften die Referenten aus Deutschland, wie die Kirchen traditionell und zunehmend auch Vertreter der islamischen Religionsgemeinschaften an der Gestaltung etwa von Curricula teilnehmen. Zugleich übernehmen sie in Verwaltungsausschüssen von Gesundheitseinrichtungen, Medienanstalten, oder der Armeeseelsorge Verantwortung und tragen auch so zur Gesellschaftsgestaltung bei. Der Staat wiederum übernimmt ihnen gegenüber steuerpolitisch Verantwortung. Er unterstützt sie durch die Schaffung von Rahmenbedingungen, die notwendig sind, damit sie ihrem gesellschaftlichen Gestaltungsauftrag nachkommen können.

II. Die Situationen in der Region Südosteuropa

Die Teilnehmer aus Südosteuropa besprachen vergleichend die Situation und das Selbstverständnis der jeweiligen Kirchen und Religionsgemeinschaften in den einzelnen Ländern des ehemaligen Jugoslawien. Nach dem verordneten gesellschaftlichen Atheismus im Sozialismus, sehen sie sich gegenwärtig anderen großen Herausforderungen gegenüber, ringen jedoch nach wie vor um eine eigene Rolle in der Gesellschaft und um ihre Anerkennung. Angesichts zunehmender Modernisierung sowie der sozialen, ökonomischen und kulturellen Transformation der Gesellschaften der gesamten Balkenregion fürchten sie zu Beginn des 21. Jahrhunderts den eben erst errungenen Einfluss und Bedeutungszuwachs im Zuge der postkommunistischen, religiösen, ethnisch-kulturellen sowie nationalistischen Identitätsfindungen vornehmlich der neunziger Jahre bereits wieder zu verlieren. Gerade vor dem Hintergrund der jüngsten Kriegsvergangenheit in der Region, wurde besonders unter Teilnehmern aus Bosnien und Herzegowina kritisch reflektiert, dass die derzeit herrschende Ineinssetzung von ethnischer Identität und Religionszugehörigkeit langfristig und im Zuge der Annäherung und Integration in den Kreis der europäischen Bürgergesellschaften überwunden werden muss. Zu sehr stünden die Vertreter der jeweiligen Religionen in der Region Südosteuropa derzeit noch unter dem Einfluss politischer Vertreter, die etwa vor Wahlen unter der Devise es Schutzes von Volksgruppeninteressen, für die politische und religiöse Vertreter gleichermaßen verantwortlich seien, Parteinahmen in den Kirchen und Moscheen erwarteten.

Zudem wurde in den Diskussionen deutlich, dass sich die Zusammenarbeit der religiösen Vertreter mit den jeweiligen, an der Regierung befindlichen politischen Vertretern, oftmals auch äußerst schwierig darstelle. Ihre Anliegen etwa bezüglich eigentumsrechtlicher Fragen oder des Wiederaufbaus zerstörter religiöser Stätten, so kritisierten die meisten von ihnen heftig, würden nur sehr ungenügend zu Kenntnis genommen. Insbesondere der Umgang mit Vertretern sozialdemokratischer Parteien, so klagten einige, erinnere sie an alte Zeiten, die sich selbstverständlich keiner mehr zurückwünsche. Demgegenüber hätten nun einmal nationalistische Parteien ein offeneres Ohr, da sie gleichermaßen die partikularen Rechte und – wie es in der Region heißt – "vitalen nationalen Interessen" ihrer ethnischen Gruppe bzw. Religionsgemeinschaft eintreten. Die Referenten aus Deutschland regten im Zusammenhang dieser Diskussion an, das gleichermaßen bestehende Interesse an Restitution als Basis religionsübergreifenden, gemeinsamen Handelns zu sehen. Das Engagement für die Rückgabe von Eigentum wurde von den Teilnehmer des Treffens kontrovers beurteilt. Einige waren der Ansicht, dass sich manche religiösen Vertreter zu sehr um materielle Anliegen und die Rückgabe enteigneten Vermögens kümmerten, als darum "die Menschen einander und Gott näher zu bringen".

III. Kirchen und Religionsgemeinschaften im Versöhnungsprozess

Unter dem angeführten Erwartungsdruck seitens politischer Vertreter, dem manche Vertreter der Kirchen oder islamischen Religionsgemeinschaft nur allzu bereitwillig nachgeben würden, sei eine eigenständige Rolle religiöser Vertreter in der Förderung von Verständigung zwischen und Versöhnung der unterschiedlichen Volksgruppen schwer zu behaupten. Die Teilnehmer konnten sich im Zuge der Gespräch wohl darauf einigen, dass sie als Vertreter von Kirchen und religiösen Gemeinschaften die ihnen zukommende Rolle im Versöhnungsprozess in der Region noch nicht genügend ausfüllten. Die eigene Rolle während der kriegerischen Konflikte der neunziger Jahre in den Blick zu nehmen wurde jedoch vermieden. Immer wieder erinnerte man jedoch an historische Persönlichkeiten wie Konrad Adenauer und Charles de Gaulle, die als treibende Kräfte von Verständigungsprozessen zwischen ehemals verfeindeten Gruppen unersetzlich gewesen seien.

IV. Kirchen und Religionsgemeinschaften in der Erziehung

Grosse Aufmerksamkeit wurde dem Beitrag der Religionsgemeinschaften in der Erziehung von Kindern und Jugendlichen in der Familie sowie im Schulwesen gewidmet. Der Staat, so hoben die deutschen Referenten Frau Schnoor, Prof. Dr. Schwerin sowie Herr Krone hervor, müsse ein Interesse daran haben, dass Kirchen und Religionsgemeinschaften wertvermittelnd tätig sein könnten. Die Teilnehmer aus der Region stimmten ihrer Einschätzung zu, dass in einem gemeinsamen Wertebewusstsein die unentbehrliche Basis der Integration einer Gesellschaft bestünde. In der Diskussion über jeweilige Erfahrungen der einzelnen Kirchen und Religionsgemeinschaften gegenüber staatlichen Institutionen bei der Gestaltung des Religionsunterrichts und der Wahl der Lehrer stellten die deutschen Referenten noch einmal heraus, dass hier eine geteilte Interessengrundlage vorhanden sei, die man in diesem Sinne produktiv nutzen könnte. Es wurde deutlich, dass bezüglich dieser Frage in Bosnien und Herzegowina bereits weitreichende Erfahrungen religions-übergreifender Zusammenarbeit und Interessenvertretung vorliegen, die die Multireligiosität des Staates Bosnien und Herzegowina als Potenzial erkennbar machen. In künftigen regionalen Treffen sollten diese spezifischen Erfahrungen für die länderübergreifende und vergleichende Diskussion nutzbar gemacht werden.

V. Kirchen und Religionsgemeinschaften in Europa

Die Teilnehmer diskutierten abschliessend mit Dr. Weninger, Sonderberater für Kirchenfragen beim Präsidenten der EU-Kommission Romano Prodi, über die Zukunft der Europäischen Union und den Beitrag der Religionsgemeinschaften zur Gestaltung Europas. Besonders die muslimischen Teilnehmer engagierten sich lebhaft in der Diskussion über die Rolle religiöser Gemeinschaften in säkularen Staaten. Sie waren sich darin einig, dass die Zukunft der Balkanregion allein in der Integration in die europäische Familie liege. Die Religionsgemeinschaften müssten sich intensiv darum bemühen, in der Säkularisierung das Positive zu sehen. Weniger hob gegenüber den muslimischen Teilnehmern hervor, dass es notwendig sei, gegenüber der EU einen Sprecher für die jeweiligen Kirchen und Religionsgemeinschaften zu nominieren und als solchen zu autorisieren. Die von beiden Seiten als notwendig empfundene Intensivierung des Dialogs zwischen europäischen Institutionen und den muslimischen Gemeinden Europas sei durch den Mangel eines solchen Sprechers erschwert. Angesichts der Unterschiedlichkeit der islamischen Praxis allein innerhalb Europas, so betonten die beiden Muftis aus Bosnien und Herzegowina, sei dies allerdings ein schwer einzulösendes Erfordernis.

Einvernehmlich wurde die Fortsetzung der Diskussion über das Verhältnis von Kirchen und Religionsgemeinschaften auf der einen, staatlichen und gesellschaftlichen Institutionen auf der anderen Seite in der gesamten Region Südosteuropa als sinnvoll und dringend erforderlich vereinbart und überlegt, einen entsprechenenden Studiengang an der Universität von Sarajevo ins Leben zu rufen.

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Kontakt Dr. Karsten Dümmel
Dr. Karsten Dümmel
Landesbeauftragter und Leiter Politisches Bildungsforum Saarland
Karsten.Duemmel@kas.de +49 (0) 681 - 927988 1 +49 (0) 681 - 927988 9

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