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Einordnung des Gesetzentwurfs zur Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakts

Lieber nicht reformieren, als falsch reformieren?

Der Stabilitäts- und Wachstumspakt (SWP) bildet das Herzstück der europäischen Schuldenregeln. Die Europäische Kommission hat aktuell einen Gesetzentwurf für eine Reform dieser Regeln vorgelegt. Eine Reform wäre notwendig: Erstens notwendig, weil die Durchsetzung der Regeln des SWP mangelhaft und die aktuellen Abbaupfade unrealistisch sind. Insbesondere den Maastricht-Schuldenstand von maximal 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) haben einige Mitgliedstaaten deutlich übertroffen. So erreichte Griechenland nach Daten von Eurostat im Jahr 2022 einen Schuldenstand von ca. 171 Prozent des BIP, Italien von ca. 144 Prozent, Spanien von ca. 113 Prozent und Frankreich von ca. 112 Prozent – Schuldenstände, die nur schwer binnen 20 Jahren zurückgeführt werden können, wie es das Regelwerk vorschreibt. Zweitens wäre, weil eine Reform auch ein besseres und effektiver durchzusetzendes Regelwerk bilden sollte als die bisherigen EU-Schuldenregeln. Warum der aktuelle Gesetzentwurf keine Verbesserung zum bisherigen Regelwerk ist, wird im Folgenden skizziert.

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Zu viel Verhandlungsspielraum

Der Reformentwurf sieht vor, dass die Maastricht-Kriterien zum Schuldenstand von maximal 60 Prozent des BIP und zum gesamtstaatlichen Finanzierungsdefizit von jährlich maximal 3 Prozent des BIP beibehalten werden. Darüber hinaus sollen Länder ihre Ausgaben um 0,5 Prozent des BIP reduzieren, wenn sie das 3 Prozent-Kriterium überschritten haben, und das Wachstum der Netto-Primärausgaben soll unter ihrem mittelfristigen potenziellen Wirtschaftswachstum liegen. Jedoch werden diese Kriterien wahrscheinlich nur geringe Auswirkungen auf die Schuldenpraxis der Mitgliedstaaten haben, denn im Zentrum des Gesetzentwurfs stehen individuelle Abbaupfade, die zu viel Interpretationsspielraum zulassen, um eine regelbasierte Rückführung der Schuldenquoten sicherzustellen.

 

Zu viele Ausnahmen

Insbesondere kann der Zeitraum der vorgesehenen Vier-Jahres-Abbaupfade auf sieben Jahre verlängert werden, wenn Reformen durchgeführt und bestimmte Investitionen getätigt werden. Problematisch ist diese Vorgehensweise, weil die Ausnahmen für Investitionen mit Bereichen wie unter anderem Digitalisierung, Klimaschutz, Verteidigungspolitik und demografische Herausforderungen zu viele Gründe enthalten, um von dem Vier-Jahres-Pfad abzuweichen. Ein siebenjähriger Abbaupfad würde sich jedoch über die Legislaturperiode einer Regierung hinaus erstrecken und damit seine Verbindlichkeit reduzieren.

Des Weiteren soll eine Schuldentragfähigkeitsanalyse den Schuldenabbauplänen zugrunde gelegt werden, die weitere Faktoren wie das Zinsniveau, die Inflation und das potenzielle Wirtschaftswachstum miteinbezieht. Diese Rahmenfaktoren können auf der anderen Seite dazu führen, dass der diskretionäre Entscheidungsspielraum für die Kommission und die Mitgliedstaaten im Gegensatz zu einheitlichen Regeln noch größer wird.

 

Reform der Zwanzigstel-Regel

Der aktuelle Gesetzentwurf der EU-Kommission bildet nur den Anfang einer Debatte – nicht das ersehnte Ende. Dabei drängt die Zeit, denn die seit 2020 aktivierte Allgemeine Ausweichklausel des SWP, die die Anwendung der Schuldenregeln ursprünglich aufgrund der Coronapandemie ausgesetzt hat, soll zum Ende des Jahres auslaufen. Damit würde die sogenannte Zwanzigstel-Regel wieder gelten, die die Rückführung der Schuldenquote auf das Maastricht-Kriterium von 60 Prozent der Wirtschaftsleistung in Zwanzigstel-Schritten der Differenz zwischen dem Maastricht-Kriterium und der tatsächlichen Schuldenquote fordert. Ein Land müsste also binnen 20 Jahren die 60 Prozent-Marke erreichen. Die Anwendung der Zwanzigstel-Regel hätte für Länder wie Griechenland oder Italien sehr harte Sparmaßnahmen zufolge, die wahrscheinlich eine Rezession auslösen würden. Daher müsste die Zwanzigstel-Regel ersetzt werden – jedoch im Gegensatz zum Gesetzentwurf mit einheitlichen und verbindlichen Regeln.

 

Eine effektive Durchsetzung

Zuletzt muss betont werden, dass die aktuellen Schuldenregeln bisher nicht an sich selbst, sondern an ihrer Durchsetzung gescheitert sind. Eine individuelle, qualitative Bewertung der Fiskalpolitik der Mitgliedstaaten durch die Kommission nach der vorgeschlagenen Ausgestaltung ist daher ein Schritt in ebendiese Richtung: Wenn die Kommission bisher nur unzureichend die Durchsetzung der EU-Schuldenregeln sichergestellt hat, warum sollte es ihr nun mit noch mehr Interpretationsspielraum anstelle von einheitlichen Regeln gelingen? Vielmehr bräuchte es mehr Automatisierung in der Anwendung der EU-Schuldenregeln und eine unabhängige, nichtpolitische Überprüfungsinstanz. Eine Möglichkeit wäre eine Aufwertung des unabhängigen Europäischen Fiskalausschusses.

Der aktuelle Gesetzentwurf muss vor diesem Hintergrund lediglich als Reformvorschlag verstanden werden. Einerseits besteht die Notwendigkeit, die Zwanzigstel-Regel zu reformieren. Andererseits kann diese Notwendigkeit keine umfangreiche Aufweichung der EU-Schuldenregeln, wie im Gesetzentwurf vorgesehen, rechtfertigen.

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