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Komplizen im besten Wortsinn

od Oliver Ruf

Zwischen den Stühlen, mit Biermann und Heine

Von Heinrich Heine geht seit über 150 Jahren eine große internationale Ausstrahlung aus. Im Jubiläumsjahr seines Todestages umso mehr. Und dies auch, weil Dichter wie Wolf Biermann ihm ihre Verehrung bezeugen. Aber wie kann ein Liedermacher das am besten? Ein Abend im Bonner Wasserwerk.

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„Ich spiele das Lied besonders gern in diesem Raum. Das ist deutsche Leitkultur! Nicht morgen, schon heute hört es die ganze Welt! Es gibt kein Lied, das dermaßen deutsch ist und in der ganzen Welt zu Hause.“ Wenn Wolf Biermann von seinem Lieblingsdichter zu erzählen beginnt, möchte man jenen selbst zitieren, zum Beispiel die Verse, die Biermann seinerseits eine „poetische Wundermedizin“ nennt, und zwar „für die chronisch jammerseligen Deutschen“: „Das Glück ist eine leichte Dirne / Und weilt nicht gern am selben Ort; / Sie streicht das Haar dir von der Stirne, / Und küsst dich rasch und flattert fort.“

Draußen wirft die untergehende Sonne bereits etwas Rost auf die Stadt, die Bonner laufen gemächlich die Museumsmeile entlang, und drinnen, unter prächtigen Fensterbögen, im Pumpenhaus des Wasserwerkes, lebt für einen kurzen Moment die Vergangenheit des Hauses noch einmal auf, auf braunem Lederpolster dicht gedrängter Stuhlreihen, unter den Fittichen des Bundesadlers, der ehemals übergangsweise mit ausgebreiteten Schwingen über den deutschen Parlamentarismus wachte. Und an diesem Abend über einen Poeten, der gedichtet hat: „Du hässlicher Vogel, wirst du einst / Mir in die Hände fallen; / So rupfe ich dir die Federn aus / Und hacke dir ab die Krallen.“

„Vor 157 Jahren, auf den Tag genau, am 28. April 1849 in der Frankfurter Paulskirche, ist der Versuch gescheitert, Deutschland eine Verfassung zu geben“, sagt Bundestagspräsident Norbert Lammert zur Eröffnung des Abends, mit dem Konrad-Adenauer-Stiftung und „Rheinischer Merkur“ ihre Reihe „Literatur und Verantwortung“ fortsetzen, die Schriftsteller vorstellen soll, die „ihre europäische Verantwortung realisieren, indem sie an die Vergangenheit erinnern, den Dialog der Nachbarn fördern und auf diese Weise zur Bildung einer europäischen Identität beitragen.“ Lammert ruft also ins Gedächtnis, wie damals der preußische König Friedrich Wilhelm IV. die ihm von der Nationalversammlung angebotene Kaiserkrone ablehnte, wegen des „Ludergeruchs nach Revolution”. Lammert sagt heute: „Es bleibt abzuwarten, wie revolutionär es diesmal zugehen wird.“

Wolf Biermann war 17 Jahre alt, als er „gegen den Strom der innerdeutschen Völkerwanderung“ in die DDR ging. Begleitet vom Traum eines besseren Staates, war der Sohn eines Maschinenbauers und kommunistischen Widerstandskämpfers hinüber gereist. Über zwei Jahrzehnte versuchte er sich am politischen Klassenkampf, allerdings ohne die Gunst der Kollektiv-Ideologie. Sein Arbeiter- und Studententheater wurde geschlossen, von Zensur, Berufsverbot, Totalüberwachung und vielen anderen Stasi-Schikanen ganz zu schweigen. Im November 1976 kam es schließlich zum folgenreichen Konzert in der Kölner Sportarena, nach dem er nicht mehr zurück reisen durfte. Ausgebürgert, gegen seinen Willen: „Ich möchte am liebsten weg sein und bliebe am liebsten hier.“ Ein Foto zeigt ihn bei diesem Auftritt, mit schwarzem Schopf und schwarzem Schnurrbart, nachdenklich, mit eindringlichem Blick.

Im Bonner Wasserwerk sind seine Haare so grau wie sein Schnurrbart. Er trägt eine Lederjacke, deren er sich gleich entledigt. Gerade hat er die Ärmel seines Hemdes hoch gekrempelt und seine Klampfe gestimmt. Mit einer Handbewegung scheucht er die Geister der eigenen Vergangenheit aus den Gedanken, um sich ungestört der Gegenwart eines anderen widmen zu können: jenem Heinrich Heine, der nicht nur mit vielen Talenten, sondern auch mit wallendem Blut gesegnet war, der vor 150 Jahren gestorben ist und dessen „Wintermärchen“ Biermann noch vor seiner Ausbürgerung so sarkastisch nachgedichtet hat.

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Biermann holt tief Luft und sagt: „Unter uns: Dieses Wintermärchen ist ziemlicher Schund.“ Oder: „Bei allem Respekt: Der konnte auch nur mit Wasser kochen.“ Und: „Ich schlafe sehr gut, wenn ich an Deutschland in der Nacht denke.“ Im gleichen Atemzug kündigt er eine „geniale Zeile“ an, erklärt, warum er gerade Heinrich Heine derartig verehrt. Dann singt er „Auf dem Friedhof am Montmartre“ oder das „Lied des Gefangenen“, rezitiert „Ich bin das Schwert! Ich bin die Flamme“ und kommt kurz vor Schluss zur „Ballade vom Preußischen Ikarus“: „Dann steht da der preußische Ikarus / Mit grauen Flügeln aus Eisenguss / dem tun ja die Arme so weh...“

Am Ende solcher Programmpunkte ist es seltsam still im ehemaligen Plenarsaal. Es ist die Stille, die in einem Konzertsaal herrscht, bevor der Applaus einsetzt, weil das Publikum noch ganz ergriffen ist von der Darbietung. Doch schon kommt die Zugabe: Mit funkelnden Augen blickt Biermann (wie schon auf dem Foto von 1976) durch die Stuhlreihen hindurch, macht eine seiner wegwischenden Handbewegungen und sagt: „Wir stehen am Grab des Kommunismus. Und die Leiche stinkt. Heinrich Heine roch den totalitären Leichengeruch, schon bevor er stank.“ In Heines Worten: „Es wird vielleicht alsdann nur Einen Hirten und Eine Herde geben, ein freyer Hirt mit einem eisernen Hirtenstabe und eine gleichgeschorene, gleichblökende Menschenherde! ... Die Zukunft riecht nach Juchten, nach Blut, nach Gottlosigkeit und nach sehr viel Prügeln. Ich rathe unsern Enkeln, mit einer sehr dicken Rückenhaut zur Welt zu kommen.“

Biermann hat diesen Rat befolgt. Lammert hat ihn zuvor als Heines „Reinkarnation unter den veränderten Bedingungen in Deutschland und Europa“ bezeichnet, und beide als „Gesinnungsbrüder“, als „Komplizen im besten Wortsinn“: „Heine wurde verboten, Biermann auch.“ Am Ende des Abends in Bonn kommt dieser auf das Lied zurück, das er besonders gern hier spielt; er präsentiert einen „Loreley-Komplex“, den seine „Rheinfahrt“ beschließt: „Verzeih, verzeih, beloved Loreley / – was für ein dummes Missgeschick – / Ich hab dich im Zuge verschlafen...“ Schließlich tippt er auf das Blatt in seiner Hand, erzählt einen jüdischen Witz und sagt: „Genug für heute. Und jetzt raus hier.“

Benommen von der Heinehymne verlassen wir das Wasserwerk. Draußen warten junge Leute in bunter Garderobe und ältere in gesetzter Kleidung (die Veranstaltung war restlos ausverkauft), und dann geht man noch einmal kurz zurück, vorbei am Adler mit den ausgebreiteten Fittichen, sieht Biermann hemdsärmelig unter dem Vogel Autogramme geben, an Jung und an Alt, und denkt, dass einer, der stets zwischen den Stühlen saß und dem Kommunismus entkommen ist, der sich viel gewandelt hat und sich selbst treu geblieben ist, vor allem einem imponiert hätte, einem, der „viel deu... viel deu... viel deu... viel deu...“, „viel deutscher“ war, „als all diese Deutschen.“

Oliver Ruf ist Kulturjournalist, Literaturwissenschaftler und -kritiker.

Copyright Bild: Susanne Dudek, Rheinischer Merkur

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Prof. Dr. Michael Braun

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