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Buenos Aires-Briefing

Buenos Aires-Briefing Januar 2021

Die Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. in Argentinien möchte allen Interessierten einen besseren Zugang zu den politischen Ereignissen des Landes ermöglichen. Dafür veröffentlichen wir monatlich ein kurzes Briefing mit den wichtigsten Nachrichten aus dem Land. Die folgende Ausgabe fasst die wichtigsten Ereignisse des Monats Januar zusammen.

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Verlängerung der DISPO, Menschenrechtsverletzungen in Formosa und Verzögerungen bei der Impfkampagne

Präsident Alberto Fernández kündigte am 29. Januar die Verlängerung der verpflichtenden, vorbeugenden sozialen Distanzierung (DISPO) für einen weiteren Monat an. Grund dafür sind unter anderem die Verzögerungen bei der nationalen Impfkampagne, die erforderlichen Vorbereitungen für die schrittweise Wiederaufnahme des Schulbetriebs und die mehr als neuntausend COVID-Neuinfektionen pro Tag. Die Nutzung des öffentlichen Personennahverkehrs bleibt im Ballungsraum Buenos Aires weiterhin den systemrelevanten Berufsgruppen vorbehalten, die Bewegungsfreiheit ist innerhalb des Landes unter Auflagen wiederhergestellt. Es gelten Beschränkungen bei der Versammlungsfreiheit und in der Unterhaltungsbranche. Risikogruppen bleiben von der Arbeitspflicht befreit. Die DISPO hätte ursprünglich am 31. Januar beendet werden sollen. Im Rahmen ihrer Verlängerung dürfen die Gouverneure der Provinzen nun an all denjenigen Orten, an denen es mehr als 150 Infizierte pro hunderttausend Einwohner gibt, zusätzliche Ausgangsbeschränkungen und Sperrstunden erlassen. Am stärksten betroffen von der Ausbreitung des Coronavirus‘ sind momentan die Provinzen Santa Fe und Córdoba im Zentrum des Landes, die bevölkerungsreiche Provinz Buenos Aires sowie die gleichnamige Landeshauptstadt. Landesweit sind derzeit 55,3 Prozent der Betten auf den Intensivstationen belegt.

Die Handhabung des Gesundheitsnotstands in der nördlichen Provinz Formosa hat international für Aufsehen gesorgt. Medienberichten zufolge sollen allein in der Hauptstadt mehr als dreihundert Patienten und potentiell Infizierte in einer Sporthalle untergebracht worden sein, die die Mindesthygienestandards und Abstandsregeln nicht erfüllte. Weiterhin seien Patienten mit fünf negativen Testergebnissen bis zu einem Monat ohne Erklärung in einer Schule festgehalten worden. Darüber hinaus soll es willkürliche Festnahmen, beispielsweise friedlich demonstrierender Stadträte der Opposition, und unbegründete Einweisungen in die Quarantänezentren gegeben haben. Aufgrund des öffentlichen Drucks reiste der Staatssekretär für Menschenrechte Horacio Pietragalla (Frente de Todos) in der letzten Januarwoche nach Formosa. Zwei Tage vor seiner Ankunft soll es jedoch zahlreiche Entlassungen und merkbaren Verbesserungen in den zu besuchenden Unterkünften gegeben haben, sodass nichts beanstandet werden konnte. Organisationen der Zivilgesellschaft, darunter der KAS-Kooperationspartner Centro para la Apertura y el Desarrollo de América Latina (CADAL), hatten vor dem Besuch des Ministers bereits einen Antrag auf Vorsichtsmaßnahmen beim Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte eingereicht. Außerdem zeigten die Vorsitzenden der führenden Oppositionsfraktion Juntos por el Cambio Gouverneur Gildo Insfrán wegen Menschenrechtsverletzungen an. Die Anklage ist zwischenzeitlich im föderalen Gerichtshof eingegangen. Darüber hinaus richteten sich die Oppositionsführer in einem Schreiben an die Hohe Kommissarin für Menschenrechte der Vereinten Nationen, Michelle Bachelet, und baten um ihr sofortiges Eingreifen. In den ersten Februarwochen beabsichtigen Abgeordnete der Opposition sich persönlich ein Bild von der Situation zu verschaffen. Es ist nicht das erste Mal, dass Gouverneur Gildo Insfrán, der seit mehr als 25 Jahren ununterbrochen an der Macht in Formosa ist, die Blicke der Öffentlichkeit auf sich zieht: 2020 verwehrte er monatelang tausenden gestrandeten Anwohnern die Rückkehr zu ihren Wohnorten. Erst ein gerichtlicher Beschluss des Obersten Gerichtshofs ermöglichte die Familienzusammenführungen und zeitweilige Wiederherstellung der Bewegungsfreiheit (wir berichteten im November).

Bei der im Dezember begonnen Impfkampagne kam es zu einer Zwangspause: Die russische Regierung erfüllte die vereinbarten Liefertermine des Sputnik V-Impfstoffs nicht. Daher konnten landesweit lediglich 278.451 Personen mit der ersten Dosis geimpft und 65.583 Personen mit der zweiten Dosis des Vakzins immunisiert werden. Ursprünglich hätten im Dezember und Januar insgesamt 15 Millionen Impfdosen geliefert werden sollen. Die Ankündigung wurde im Nachgang auf fünf Millionen für diesen Zeitraum reduziert. Tatsächlich trafen lediglich 820.000 Dosen ein, die zu unverhältnismäßig hohen Kosten mit drei Flügen der staatlichen Airline Aerolíneas Argentinas. Angaben des russischen Labors Gamaleya zufolge, das inzwischen auch in Indien und Südkorea produziert, kam es zu Lieferproblemen und -verzögerungen aufgrund der hohen Nachfrage. Dies trifft besonders die systemrelevanten Berufsgruppen hart, die sich täglich dem Infektionsrisiko aussetzen. Angesichts der angekündigten Wiederaufnahme des Schulbetriebs im März, trotz mangelndem Impfstoff, kam es zu Konflikten zwischen den Lehrergewerkschaften und der Regierung. Die Lehrer fordern, zusätzlich zu den Hygiene- und Sicherheitsvorschriften, einen Impfschutz für das gesamte Personal ein. Diese Bedingung kann, trotz politischen Willens, derzeit nicht erfüllt werden.

Die Impfbereitschaft der Bevölkerung mit dem russischen Vakzin ist eher gering, da die Ergebnisse der dritten Testphase in keiner medizinischen Fachzeitschrift veröffentlicht wurden. Die argentinische Regierung hat auch Kaufverträge mit dem Labor AstraZeneca, deren Impfstoff in Argentinien produziert und in Mexiko abgepackt wird, unterzeichnet und führt Verhandlungen mit Moderna, Johnson&Johnson und Pfizer. Deren Impfstoffe stünden jedoch frühestens im März zur Verfügung. Ebenso ist der Erwerb der chinesischen Vakzine Sinovac und Sinopharm im Gespräch, welche teilweise klinisch in Argentinien untersucht wurden. Darüber hinaus sollen im ersten Quartal des Jahres drei der neun Millionen erworbenen Impfstoffdosen der Covax-Initiative der Weltgesundheitsorganisation (WHO) geliefert werden. Medienberichten zufolge ist jedoch auch die Einhaltung dieses Termins zweifelhaft, da sich Argentinien momentan nicht unter den von der WHO priorisierten Ländern befände. Ob so das selbstgesetzte Ziel von 14 Millionen Vollimmunisierungen der insgesamt 45,8 Millionen Einwohner Argentiniens im ersten Semester  tatsächlich erreicht werden kann, ist fragwürdig. Präsident Fernández und sein Kabinett büßten folglich erheblich an Glaubwürdigkeit ein.

Wiederaufnahme der Verhandlungen mit dem Pariser Club und IWF

Die argentinischen Auslandsschulden, die Handhabung der Coronakrise und die Zukunft der Automobilindustrie waren die Hauptthemen des Gesprächs, das Präsident Alberto Fernández am 25. Januar mit Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel führte. Argentinien muss in den kommenden Monaten eine 2014 verhandelte Auslandsschuld in Höhe von 2,4 Milliarden US-Dollar zuzüglich Zinsen beim Pariser Club1 tilgen. Deutschland und Japan sind die Gläubiger mit der höchsten Beteiligung (37 Prozent bzw. 22 Prozent), gefolgt von den Niederlanden (acht Prozent), Spanien (sieben Prozent), Italien und den USA (jeweils sechs Prozent). Insgesamt sind neunzehn Länder daran beteiligt. Zur Neuverhandlung des Zahlungsplans bestehen die Geldgeber auf eine Einigung mit dem Internationalen Währungsfond (IWF) im Vorfeld. Gemäß Wirtschaftsminister Martín Guzmán soll das neue Abkommen mit diesem Organismus spätestens im Mai unterzeichnet werden. Zu dessen Bewilligung ist Argentinien insbesondere auf die Unterstützung stimmberechtigter Geldgeber wie Deutschland, aber auch auf die Vereinigten Staaten von Amerika (USA) angewiesen. Der Regierungswechsel in den USA kommt Argentinien in diesem Zusammenhang voraussichtlich zugute. Der ehemalige Präsident Mauricio Macri (PRO) hatte 2018 einen 56 Milliarden US-Dollar schweren Kredit zur Bekämpfung der Folgen der damaligen Wirtschaftsrezession aufgenommen, von dem 45 Milliarden tatsächlich ausgezahlt wurden. Die aktuelle Regierung strebt an, diesen Betrag zuzüglich der Zinsen in den kommenden zehn Jahren zurückzuzahlen.

Präsident Fernández‘ Teilnahme am Weltwirtschaftsforum sowie sein bilaterales Gespräch mit der Vorsitzenden des IWF, Kristalina Georgieva, sollen hierfür den Weg ebnen. Ein Schuldenschnitt ist aus Statutgründen ausgeschlossen. Der IWF fordert unter anderem mehr Haushaltsdisziplin bei steigendem Wirtschaftswachstum, eine mittelfristige Stabilisierung des Wechselkurses und der Inflation sowie solide Zentralbankreserven. 2020 belief sich die Teuerungsrate auf 36,1 Prozent, der argentinische Peso wertete sich gegenüber dem US-Dollar rund 45 Prozent ab und die Zentralbankreserven in Fremdwährung sanken um 12,6 Prozent. Durch die Coronakrise büßte Argentinien 10,4 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts ein, obwohl es im internationalen Vergleich im Durchschnitt drei Prozentpunkte weniger für Coronahilfspakete investierte. Für das angestrebte neue Abkommen mit dem IWF sind auch realistische Prämissen bei der Haushaltsplanung erforderlich. Die Projektionen der Regierung und des IWF hinsichtlich des Wirtschaftswachstum, die maßgeblich für den Spielraum des tolerierbaren Haushaltsdefizits sind, gehen dabei auseinander (5,5 Prozent zu 4,5 Prozent).

Präsident Alberto Fernández nutzte die Gelegenheit, Argentiniens Zahlungsbereitschaft beim Weltwirtschaftsforum in Davos Ausdruck zu verleihen. Dieses fand zwischen dem 25. und 29. Januar unter dem Motto der Vertrauensbildung virtuell statt. Es nahmen renommierte Staats- und Regierungschefs, Investoren, Unternehmer und Vertreter multilateraler Organismen teil. In seinem Vortrag bezog sich das argentinische Staatsoberhaupt auf die ergriffenen Maßnahmen im Rahmen der Coronakrise sowie die frühzeitigen Bemühungen des Landes um Impfstoff. Weiterhin hob Präsident Fernández die Erholung des industriellen Sektors hervor und appellierte an die Solidarität in Hinblick auf die Umstrukturierung der noch zu tilgenden Staatsschulden. Darüber hinaus setzte er sich für multilaterale Zusammenarbeit und mehr Ethik in der globalisierten Wirtschaft ein. Eine Energiewende ist seiner Meinung nach unabdingbar zum Erreichen der gesetzten Nachhaltigkeits- und Entwicklungsziele. Zuletzt bezog er sich auf die Bemühungen des Staates zur digitalen Inklusion und Geschlechtergleichstellung. Präsident Fernández zeigte sich somit in einer Linie mit seinen Vorrednern Präsident Emanuel Macron und Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel, die sich ebenfalls für mehr Umweltbewusstsein und Multilateralismus stark gemacht hatten.

Staatsbesuch in Chile

Am 26. und 27. Januar stattete Präsident Alberto Fernández Chile seinen ersten Staatsbesuch ab. Nachdem es im Vorfeld immer wieder zu diplomatischen Spannungen hinsichtlich des Krisenmanagements der Covid-19-Pandemie, des Wirtschaftsmodells und der Haltung gegenüber des Regimes in Venezuela gekommen war, schlugen die beiden Staatsoberhäupter bei ihrem Treffen versöhnliche Töne an. So unterzeichneten sie zum Abschluss des offiziellen Programms mehrere Kooperationsabkommen in den Bereichen Wissenschaft und Forschung, Gesundheitspolitik, Infrastruktur und Transport, Tourismus, Handel, Energie und Integration. Hierbei sind die gegenseitige Anerkennung der Führerscheine und Landeswährungen an den Grenzübergängen, die Abschaffung der Roaminggebühren sowie die Kooperation beim Verlegen eines Untersee-Glasfaserkabels zwischen Südamerika und Ozeanien hervorzuheben. Weiterhin verständigten sich die Länder auf eine intensivere Zusammenarbeit bei der Erforschung des Weltraums, der Satellitennutzung und im Kampf gegen das organisierte Verbrechen.

Im Rahmen des Staatsbesuchs hielt Präsident Fernández auch einen Vortrag in der Nationalen Universität Chiles, den die Vorsitzende der Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik der Vereinten Nationen (CEPAL)2, Alicia Bárcenas, einleitete. Frau Bárcenas lobte Argentiniens Wirtschafts- und Sozialhilfepakete, die im Rahmen der Pandemie verabschiedet worden waren. Des Weiteren hob sie Argentiniens Engagement hinsichtlich des Zugangs zum Internet, der Gleichstellung der Frauen und des Schutzes der Arbeitnehmer hervor. Ebenso erkannte sie die Bemühungen zur Umstrukturierung der Auslandsschulden an. Außerdem würdigte die Kommissionsvorsitzende die Kooperation Mexikos und Argentiniens bei der Produktion des AstraZeneca-Oxford-Impfstoffs gegen den Coronavirus. Frau Bárcenas bezeichnete sie als einen ersten Schritt hin zu einer regionalen Covax-Initiative (in Anlehnung an das Programm der WHO). Präsident Fernández wiederum unterstrich in seinem anschließenden Vortrag die Notwendigkeit, die lateinamerikanische Integration voranzutreiben. Darüber hinaus bezog er sich auf die vorherrschenden Ungleichheiten und die Rolle des Sozialstaats in diesem Zusammenhang. Des Weiteren pochte er auf die internationale Solidarität und die multilaterale Zusammenarbeit als Instrumente zur Herstellung der Chancengerechtigkeit. Zuletzt ging er auf Fragen der Umweltpolitik und Nachhaltigkeit ein. Die Annäherung Chiles und Argentiniens trotz der vorherrschenden Differenzen, sowie der Dialog mit internationalen Organismen wie der CEPAL, sind insbesondere für die regionale Bekämpfung der gegenwärtigen globalen Herausforderungen von großer Bedeutung.


1 Der Pariser Club wurde 1956 als informeller Verhandlungstisch zur Umstrukturierung der damaligen argentinischen Staatsschuld in Höhe von 700 Millionen US-Dollar ins Leben gerufen. Den Vorsitz hat der Präsident der französischen Schatzkammer inne. Die Leitlinien des Verbunds sind Solidarität, Konsens, Informationsaustausch, Einzelfallbehandlung, Kopplung an Rahmenbedingungen und Vergleichbarkeit.

2 Die CEPAL hat ihren ständigen Sitz in Santiago de Chile. Sie befasst sich mit Fragen der Entwicklung, Nachhaltigkeit und internationalen Zusammenarbeit. An ihrem Aufbau war der argentinische Ökonom Raúl Prebisch maßgeblich beteiligt. Deutschland ist seit 2005 außerordentliches Mitglied des Organismus.

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Olaf Jacob

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Leiter des Auslandsbüros Chile

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Susanne Käss

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