Die Zunahme der Armut im Land
Eine im September veröffentlichte Datenauswertung des Instituts für Statistik und Zensus (INDEC) liefert einen Einblick in die Entwicklung der Armutsquote Argentiniens in der ersten Jahreshälfte. Diese liegt nun bei einem Wert von 52,9 % und ist somit der höchste Wert, den das Land seit 2003 zu verzeichnen hat. Auch die Bedürftigkeitsquote, die angibt, wie viele Menschen in der Bevölkerung den Grundnahrungsmittelbedarf nicht gedeckt haben, ist auf 18,1 % angestiegen. Die erhobenen Daten geben außerdem einen Einblick, wie weit die Armen beziehungsweise Bedürftigen in Argentinien einkommensmäßig davon entfernt sind, ihren Umständen zu entkommen. Durchschnittlich lag das Einkommen eines in Armut lebenden Haushalts 42,6 % unter dem Wert, der erforderlich wäre, um nicht mehr in diese Kategorie zu fallen.
Die Besetzung der Universitäten
Im September wurde ein neuer Gesetzesentwurf zur Finanzierung der öffentlichen Universitäten vom Nationalkongress bewilligt. Dieser sah vor, die benötigten Mittel für die Betriebskosten der Hochschulen an die Entwicklung des Inflationsindexes anzupassen. Anfang Oktober legte Präsident Javier Milei Veto gegen diesen Entwurf ein. In einem von ihm und seinen acht Ministern verfassten Dekret wird die Entscheidung begründet. Dort heißt es unter anderem, die Einhaltung der vom Kongress genehmigten Maßnahme würde die Nachhaltigkeit der argentinischen Staatsfinanzen ernsthaft beeinträchtigen. Um dessen Kosten zu decken, müsse laut der Regierung eine außerordentliche, unvorhergesehene Finanzierungsquelle erschlossen werden. Weiter wurde darauf hingewiesen, dass das aktuell für das Bildungssekretariat eingeplante Budget nicht die erforderlichen Mittel zur Deckung der im Zusammenhang mit dem genehmigten Gesetzesentwurf entstehenden Ausgaben und daher zusätzliche Aufbringungen aus dem Staatshaushalt erfordern würde.Als Protestaktion folgte am 10. Oktober ein Totalstreik an den nationalen Hochschulen und die Übernahme der Fakultätsgebäude. So kam es unter anderem dazu, dass Studierende der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universidad de Buenos Aires (UBA) die Vorlesungen als Protestaktion kurzerhand auf die Straße brachten. Doch nicht nur die UBA wurde übernommen. Laut der Federación Universitaria Argentina (FUA) waren landesweit insgesamt mehr als 30 Universitäten betroffen.
Trotz der Proteste bleibt das Veto des argentinischen Präsidenten in Kraft, da für seine Aufhebung eine Zweidrittelmehrheit im Abgeordnetenhaus nötig wäre. In einer über die Gültigkeit des eingelegten Vetos entscheidenden wurde diese Mehrheit mit 159 von 257 Stimmen nicht erreicht.
Milei und die Vereinten Nationen
Am 24. September sprach Javier Milei in der 79. Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York vor. Thema dieser Versammlung war der UN-Zukunftspakt – ein Vorschlag der UN, der den Weg für eine Reform des Weltsicherheitsrates ebnen soll, um diesen zu einem „repräsentativeren und inklusiveren“ Instrument zu machen. Die Hauptaspekte des Pakts sehen unter anderem die Vertiefung der Inhalte des Pariser Klimaabkommens vor.
Am Montag zuvor kündigte die damalige Außenministerin Diana Mondino überraschend an, dass Argentinien sich nicht an dem von bereits 193 Ländern unterzeichneten Pakt beteiligen werde. Diese Ankündigung sorgte bereits für eine gewisse Spannung für den Auftritt Mileis, den Befürworter des Zukunftspakts für ein mögliches Signal halten, er würde in Sachen Außenpolitik einen eigenen Weg gehen wollen. Sicher ist jedenfalls, dass es sich hierbei um eine der wichtigsten geopolitischen Entscheidungen seit seinem Amtsantritt im Dezember 2023 handelt. In seiner Rede vor den Vereinten Nationen in New York sprach er davon, dass das Modell der UN, das auf der Zusammenarbeit der Nationalstaaten beruhte, durch ein Modell der supranationalen Regierung und internationalen Bürokratie ersetzt wurde. Mileis Kritik besagt unter anderem, die UN könne nicht armen Ländern vorschreiben, was sie wie zu produzieren haben und mit wem sie sich zusammenschließen dürfen, während die Vereinten Nationen vermeintlich unfähig dazu wären, Lösungen für globale Konflikte wie die Invasion Russlands auf die Ukraine zu finden.
Die Entlassung Diana Mondinos
Ende Oktober wurde bekanntgegeben, dass die Außenministerin Diana Mondino auf Befehl Javier Mileis ihr Amt niederlassen wird. Der ausschlaggebende Grund für die Entlassung war eine Abstimmung in den Vereinten Nationen um die US-Vorherrschaft in Kuba. Es war bereits das 32. Mal in Folge, dass die UN die Aufhebung des von den USA verhängten Wirtschaftsembargos gegen Kuba fordert. Laut den USA handele es sich um wirtschaftliche Sanktionen, die notwendig seien, um die Menschenrechte und demokratischen Grundfreiheiten in Kuba zu fördern. Von Seiten der kubanischen Regierung werden diese jedoch als „völkermörderische Blockade“ wahrgenommen, die die wirtschaftliche und soziale Entwicklung des Landes nachhaltig erschwert. Die UN-Resolution betitelt die Politik der USA in Bezug auf den Inselstaat als „illegal“ und betont die Grundsätze „der souveränen Gleichheit der Staaten, der Nichtintervention und Nichteinmischung in ihre inneren Angelegenheiten sowie der Freiheit des internationalen Handels und der internationalen Schifffahrt, die außerdem in zahlreichen internationalen Rechtsakten verankert sind“. In der UN-Generalversammlung stimmte Mondino trotz der offiziellen Positionierung Argentiniens für die Resolution der Vereinten Nationen. Obwohl die Stimme Argentiniens mit der Positionierung, die die vergangenen Regierungen des Landes seit mehr als dreißig Jahren einnehmen, übereinstimmt, steht sie in direktem Widerspruch zur Haltung des aktuellen Präsidenten.
Von den 190 Ländern, die an der Abstimmung teilnahmen, stimmten lediglich die USA und Israel gegen die Resolution – genau die beiden Staaten, die Javier Milei als seine wichtigsten außenpolitischen Verbündeten betrachtet. Mondinos Position als Außenministerin wurde bereits als gefährdet angesehen. Die abgegebene Stimme schien als Schlusslicht auszureichen, um ihre Amtszeit zu beenden. Eine Woche zuvor hatte sie in einem Kommuniqué die Malvinen nicht als Islas Malvinas, sondern als Falklandinseln bezeichnet, wie sie sonst vom Vereinigten Königreich genannt werden, was zu heftiger Kritik führte.
Die ehemalige Außenministerin bestritt, die Inseln bei einem anderen Namen genannt zu haben, und auch Verteidigungsminister Luis Petri gab an, es gäbe einen Unterschied zwischen dem vom Außenministerium erstellten und dem schlussendlich veröffentlichten Text.In der Erklärung, mit der der Rücktritt Mondinos angekündigt wurde, hieß es, das Land befinde sich in einer Zeit „tiefgreifender Veränderungen“ und deshalb sei es nötig, dass der diplomatische Korps Argentiniens in jeder Entscheidung die Werte der Freiheit, Souveränität und der individuellen Rechte widerspiegelt, die die westlichen Demokratien kennzeichnen. Der neue Außenminister ist ab sofort Gerardo Werthein, der zuvor das Amt des argentinischen Botschafters in den USA ausübte.
Ausblick für Dezember 2024 und das kommende Jahr
› National: Der argentinische Ökonom Ricardo Arriazu prognostiziert für 2025 ein Wirtschaftswachstum von 5,2 % und eine jährliche Inflation von circa 20 %. Er wies jedoch darauf hin, dass die Wirtschaftstätigkeit bei dem für das kommende Jahr prognostizierten Wachstum auf demselben Niveau liegen wird wie Anfang 2023. Die argentinische Wirtschaft habe sich somit erholt und was nun bevorsteht, ist eine Phase des Wachstums. Eine Chance für dieses Wachstum sieht Arriazu im Energiesektor. Die Energieressourcen des Landes betragen das 13-fache seines BIPs, demnach sei Argentinien laut dem Experten im Stande, die Produktion zu vervierfachen und in diesem Sektor bis 2030 30 Milliarden US-Dollar zu exportieren.
› International: Nach seiner Kritik an China und dem während seines Wahlkampfs geäußerten Satzes „kein Handel mit Kommunisten“ scheint Javier Milei in gewisser Weise einen Kurswechsel einzuschlagen. In einem Fernsehauftritt bezeichnete er China zuletzt sogar als einen „sehr interessanten Partner“ und nun trafen die beiden Staatsoberhäupter während des G20-Gipfels in Rio de Janeiro aufeinander. Präsident Xi und Präsident Milei sprachen gegenseitig eine höfliche Einladung nach China beziehungsweise Argentinien aus. Ein Besuch Mileis in China war zunächst für Januar 2025 angesetzt, wird jedoch voraussichtlich ein paar Monate später stattfinden.
› Trivia: Anfang dieses Jahres erlebte Argentinien seine schlimmste Epidemie des Denguefiebers, das durch Moskitos übertragen wird. Ein spürbarer Effekt dieser rapiden Ausbreitung war unter anderem die Knappheit an Insektenspray in Apotheken und die Beschränkungen, wie viel davon pro Person gekauft werden durfte. Um diesem Mangel diesen Sommer vorzubeugen, hat das Unternehmen SC Johnson – Haupteigentümer der Marke OFF – bereits im September doppelt so viel produziert wie im gesamten letzten Jahr. Problematisch sei jedoch, dass die Hochsaison des Verbrauchs früher zwischen Dezember und Februar lag, sich jedoch aufgrund des Klimawandels auf November bis April ausgedehnt hat.
Über diese Reihe
Die Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. in Argentinien möchte allen Interessierten einen besseren Zugang zu den politischen Ereignissen des Landes ermöglichen. Dafür veröffentlichen wir monatlich ein kurzes Briefing mit den wichtigsten Nachrichten aus dem Land.