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Veranstaltungsberichte

Meinungsfreiheit auf dem Prüfstand

von Marten Neelsen

Das Forum für Dialoge erklärt die argentinische Situation

Medien werden von Gesetzen gelähmt, Übergriffe auf Journalisten häufen sich, und in internationalen Rankings der Pressefreiheit rutscht Argentinien ab. Die Meinungsfreiheit gerät unter Druck. Das erste Forum der Dialoge soll zum Austausch ermutigen und auf die Lage aufmerksam machen. Das Thema lautet: „Meinungsfreiheit: Realität oder Fiktion?“

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Medienvertreter, Reporter und Studenten drängten in den Veranstaltungssaal, so viele waren es, dass die Plätze kaum reichten. Ein Fernsehteam filmte die Referenten, die Blitzlichter der Fotografen erhellten das Podium. Dabei war das Thema der Veranstaltung in der Universidad del Centro de Estudios Macroeconómics de Argentina kein leichtes, keines, das sich an einem Abend zu Ende diskutieren ließe. Und doch war das Interesse an „Meinungsfreiheit: Realität oder Fiktion?“, dem ersten gemeinsamen Forum der Konrad-Adenauer-Stiftung und der Friedrich-Naumann-Stiftung, gewaltig.

Es wächst nicht allein der Konflikt zwischen der Regierung und dem Medienkonzern Clarín, der auch in Deutschland Schlagzeilen macht. Die Regierung verstärkt insgesamt ihre Versuche, die Medien zu kontrollieren, trifft dabei kaum auf Widerstand, und fertigt Gesetze an, die ihrem Handeln eine Rechtsgrundlage verschaffen. Vielen Medien und Journalisten geht für eine wirksame Verteidigung allmählich die Kraft aus. Und die Opposition? Ist zutiefst zerstritten. Noch sind die meisten Politiker nicht bereit, Parteigrenzen zu überwinden. Man kann sich nicht einigen, kein gemeinsames Ziel angehen, sich nicht einmal an einen Tisch setzen.

An diesem Abend änderte sich das.

Vier Redner aus Politik und Medien suchten eine Antwort auf die Frage, ob die Meinungsfreiheit noch Realität sei oder mittlerweile schon Fiktion. Moderiert wurde der Dialog vom bekannten Journalisten und Historiker Rosendo Fraga, der als politischer Analyst und Berater schon für viele Regierungen – auch in Brasilien, Chile, Italien und Spanien – gearbeitet hat.

Die Abgeordnete Gabriela Michetti von der Partei PRO widmete sich gleich dem Dilemma.

Auf dem Papier sei das Recht auf Meinungsfreiheit in Argentinien gut geschützt. Die Menschenrechtscharta der Vereinten Nationen und die argentinische Verfassung stellten explizit klar, dass sie ein unantastbares Menschenrecht sei. Die Rankings der wichtigsten Nichtregierungsorganisationen zeige jedoch, wie groß der Unterschied zwischen Recht und Realität ist. Im aktuellen Bericht von „Reporter ohne Grenzen“ ist Argentinien im Vergleich zum Vorjahr um sieben Plätze, von Position 47 auf Rang 54, gefallen. Auch im Index von „Freedom House“ sinkt die Pressefreiheit. Das Land befindet sich dort im hinteren Mittelfeld. „Ein derartiges Abschneiden ist für eine demokratische Republik nicht hinnehmbar“, sagte Michetti und kritisierte, die Regierung versuche, eine freie Berichterstattung beinahe unmöglich zu machen. Das neue, 2009 erlassene Mediengesetz ziele ganz bewusst auf eine Zerschlagung oder Blockierung kritischer Zeitungen und Fernsehsender. Die Regierung setze die Vergabe öffentlicher Werbeanzeigen zur Förderung einer unkritischen Berichterstattung ein. Kritische Blätter wie Clarin oder La Nación könnten kaum damit rechnen, dass Behörden bei ihnen Anzeigen schalteten, während regierungstreue Presseorgane wie etwa Pagina 12 mit Zuwendungen überhäuft würden. Nun sei auch noch ein Verbot privater Werbeanzeigen erlassen worden. Viele kritische Medien stünden dadurch beinahe vor dem Ruin, während weniger mutige Zeitungen einen künstlichen Boom erlebten.

Die ehemalige Parlamentarierin Silvana Giudici und Expertin im Bereich Medienfreiheit verdeutlichte mit einem Blick auf die Ausgaben der Regierung für Kommunikation und Medien, wie sehr der Staat daran arbeite, die öffentliche Meinung zu kontrollieren. Derzeit gebe die öffentliche Hand pro Tag mehr als 21 Millionen Pesos (drei Millionen Euro) für den Unterhalt der staatlichen Fernsehsender und die Vergabe von Werbeanzeigen aus. Auf das ganze Jahr gerechnet ergebe sich ein Betrag von umgerechnet einer Milliarde Euro. Besonders Besorgnis erregend sei die Tendenz, kritische Fernsehsender einfach aufzukaufen.

Auch die wachsende Gewalt gegen Journalist sei eine Gefahr für die Meinungsfreiheit. Im vergangenen Jahr seien fast 400 tätliche Übergriffe registriert worden – und bereits 200 in den ersten drei Monaten dieses Jahres. Laut Giudici herrscht für die argentinische Presse „roter Alarm“. Die Regierung sehe das anders. In einem Brief an die Vereinten Nationen sei von einer „problemlos funktionierenden Meinungsfreiheit innerhalb Argentiniens“ die Rede gewesen. Und Präsidentin Cristina Kirchner? Sie habe bei verschiedenen Gelegenheiten die Meinungsfreiheit als eine „Gnade“ bezeichnet, die sie den Bürgern in noch nie da gewesener Art und Weise gewährt habe. Giudici schüttelte den Kopf, noch immer fassungslos, dass die Regierung Bürgerrechte als ihr Eigentum behandle, gewissermaßen rationiere und verteile.

Es lohnt sich, das Verhältnis von Regierung und Presse zu betrachten. Die Parlamentarierin Patricia Bullrich von der Unión para Todos skizzierte das Weltbild der Präsidentin und ihrer Gefolgsleute: Es gebe dort keine Vielfalt an Meinungen, sondern nur die eigene, unhinterfragte Wahrheit. So behaupte die Regierung gern, sie spreche für das Volk – dabei würde sie in Wirklichkeit, gemäß letzter Wahl, nur von 35 Prozent der Argentinier unterstützt.

Und die Mittelschicht, die sich kaum noch vertreten fühle, sei dabei, der Politik den Rücken zu kehren.

Was ein Mangel an Meinungsfreiheit für Argentinien schon jetzt bedeute, brachte der frühere Arbeitsminister und heutige Abgeordnete Alfredo Atanasof von der Partei Frente Peronista auf den Punkt: „Für Normalbürger ist nur noch sehr schwer möglich, festzustellen, was im Land wirklich vor sich geht, und sich eine Meinung frei zu bilden.“

Dabei ist „Meinungsfreiheit“ eines der meistgebrauchten Wörter in der argentinischen Verfassung.

Es scheint, als seien die Oppositionspolitiker bereit, gemeinsam die Pressefreiheit einzufordern und zu verteidigigen. Die Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. und die Friedrich-Naumann-Stiftung werden im Verlaufe des Wahljahres 2013 weitere Dialogforen zu den wichtigsten politischen Themen und Entscheidungen Argentiniens organisieren und somit einen wichtigen Raum für die politische Meinungsfindung schaffen.

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