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Veranstaltungsberichte

Soziale Woche 2015 in Mar del Plata

Zwischen dem 26. und 28. Juni fand in Mar del Plata die „Soziale Woche“ statt, eine Veranstaltung die die argentinische Bischofskonferenz organisiert. Ziel der mehrtägigen Konferenz, die bereits seit 1984 stattfindet, war vor allem der Dialog zwischen geistlichen, sozialen und politischen Akteuren der argentinischen Gesellschaft.

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Neben Podiumsdiskussionen führender Politiker, Geistlicher und Sozialarbeiter hielt die „Soziale Woche“ für das zahlreich erschienene Publikum auch Workshops zu den Themenbereichen Drogenhandel, Armut, Bildung, Landbesitz und Arbeitsmarkt bereit. Im Namen der Konrad-Adenauer-Stiftung nahm Adriana Amado an einem Expertengespräch über Korruption und Transparenz in Argentinien teil.

Deutlichen Einfluss auf die „Soziale Woche 2015“ in Mar del Plata hatte die kurz zuvor erschienen Enzyklika „Laudato Si“ des Papstes Franziskus, der im Jahr 2007, damals noch in seiner Funktion als Erzbischof von Buenos Aires, selber an der Veranstaltung in Mar del Plata teilgenommen hatte. So stand die „Soziale Woche“ dieses Jahr unter dem Motto „Globalisierung der Gleichgültigkeit, oder Globalisierung der Solidarität?“. Nahezu alle Teilnehmer, unabhängig davon, ob geistliche oder weltliche Vertreter, nahmen Bezug auf das Schreiben des katholischen Kirchenoberhauptes und betonten den Wunsch Franziskus', der Solidarität wieder mehr Platz in der Gesellschaft einzuräumen. Immer wieder erwähnten die Referenten die „Verneinten“, marginalisierte Personen, wie zum Beispiel Drogenabhängige und Arme, deren Identität und Existenz der Rest der Gesellschaft nicht anerkennt. „Auch diese Personen, und mehr noch als alle anderen, haben ein Recht auf unsere Solidarität“, so der allgemeine Appell an das Publikum.

Bereits zur Auftaktveranstaltung waren hochrangige Politiker wie der amtierende Gouverneur der Provinz Buenos Aires und aktuelle Präsidentschaftskandidat, Daniel Scioli, erschienen. Aber auch oppositionelle Politiker wie Margarita Stolbitzer, Jorge Ceballos oder Hermes Binner waren vertreten und verlasen ein Referendum für den Kampf gegen die Drogen. Das die „Soziale Woche“ in die Zeit Präsidentschafts-Wahlkampfes fiel, war auch in Mar del Plata zu spüren. So stichelte Stolbitzer unter Beifall gegen Scioli, der die Auftaktveranstaltung frühzeitig verlassen hatte: „Es wäre schön, wenn auch die regierenden Politiker die Zeit gehabt hätten, dieses Referendum gegen den Drogenkonsum zu unterschreiben!“

Bildungsminister Alberto Sileoni stellte anschließend fest, dass es vor allem Aufgabe der Schule sei, die Solidarität mit dem Nächsten zu vermitteln, wobei er die Verdienste der aktuellen Regierung bei der schulischen Integration von benachteiligten Kindern lobte.

Monsignore Jorge Casaretto, emeritierter Bischof von San Isidro, schloss schließlich mit seinen Worten den ersten Tag der bis dahin so politisch geprägten „Sozialen Woche“ ab. Er berief sich auf die Worte Franziskus', ein Papst der Armen und Ausgeschlossenen, und betonte, dass es besonders diese Personen seien, die die Gesellschaft zum Nachdenken anhielten. „Vielmehr als Ausgeschlossene, müssen wir diese Menschen als unsere Lehrer begreifen“, so der Bischof.

Großer Beliebtheit unter den Besuchern der „Sozialen Woche“ erfreute sich der Stand der Konrad-Adenauer-Stiftung und der nationalen ACEP (Asociación Civil de Estudios Populares), an dem die Teams beider Organisationen Literatur über verschieden gesellschaftliche Themen für Interessierte bereithielten. Außerdem organisierte die nationale ACEP, deren Mitglieder aus allen Regionen Argentiniens zur „Sozialen Woche“ angereist waren, eine Sitzung auf der sich die einzelnen Mitglieder vorstellten und die Strategie mit Blick auf die anstehenden Wahlen vorgestellt wurde.

Den zweiten Tag der „Semana Social“ eröffneten verschieden Experten im Form einer Podiumsdiskussion. Im Zentrum der Diskussion stand der Begriff der Solidarität und seine verschiedenen Interpretationsformen.

Für die Luisa Valmaggio, Journalistin und Leiterin des „Radio Kooperative“, habe insbesondere der Journalismus die Aufgabe gesellschaftliche Probleme in all ihrer Tiefe aufzudecken und über Dinge zu berichten, die nicht im Fokus des alltäglichen Interesses stünden. Auf diese Weise würden die Journalisten sich mit unterdrückten Gesellschaftsgruppen solidarisieren und diesen eine Stimme geben. Außerdem warnte sie ihre Zunft davor, sich politisch vereinnahmen zu lassen.

Monsignor Fernando Maletti, Bischof von Merlo und Morena, hingegen hob die Arbeit der vielen argentinischen Freiwilligen hervor, die sich tagtäglich für ihre Nächsten einsetzen würden. Laut Maletti seien es besonders die Freiwilligen, die die Appelle des Papstes nicht nur gehört hätten, sondern diese auch in die Tat umsetzen würden. „Denn die Solidarität ist vielmehr als nur ein sporadischer Akt. Sie ist eine permanente Verpflichtung, die die Freiwilligen dieses Landes Tag für Tag auf sich nehmen“, so der Monsignor.

Carlos Vigil, Direktor der Kommission für Gerechtigkeit und Frieden, betonte indes den Nutzen der globalisierten Informationssysteme. „Unwissenheit ist unter diesen Umständen keine Ausrede mehr sich nicht solidarisch zu zeigen. Fast jeder hat mittlerweile die Möglichkeit, sich über gesellschaftliche Missstände zu informieren. Die Solidarität liegt also in der Verantwortung eines jeden Einzelnen“, so Vigil.

Ebenso wie Monsignor Fernando Maletti hob auch der argentinische Wirtschaftswissenschaftler Bernardo Kliksberg die Bedeutung der Freiwilligen heraus und betonte, dass diese das Gegenteil der Korrupten seien. Für ihn sei außerdem die Armut eines der Schlüsselthemen unserer heutigen Zeit. Um seine Ansicht auf eine ebenso griffige wie schockierende Formel zu bringen, benutzte er die Worte des Papstes: „Die Armut tötet!“

Einen der Höhepunkte der „Sozialen Woche 2015“ stellten ohne Zweifel die Workshops dar, in denen sich das Publikum mit den zahlreichen Experten aus Politik und Zivilgesellschaft austauschen konnte.

Im Workshop zum Thema Marginalisierung und Armut beispielsweise diskutierten Jorge Sola, Gewerkschaftsvertreter der CGT (Confederación General de Trabajo), Hector „Toty“ Flores, Gründer der Kooperative „La Juanita“ und Kandidat für die Vizepräsidentschaft der „Coalición Civica“ („Zivile Koalition“), und Fabián Torrio, Präsident der Vereinigung des argentinischen Mittelstandes.

Vor allem Jorge Sola kritisierte die ungleiche Verteilung des Reichtums in der argentinischen Gesellschaft und die staatlichen Hilfspläne für arbeitslose und besonders arme Bevölkerungsteile. Die Pläne würden verhindern, dass die Leute auf eigenen Beinen stehen können. Anstatt politischen Klientelismus zu fördern, müsse die Politik sich um die Schaffung sicherer und angemessen bezahlter Arbeitsplätze kümmern. Nur so sei die strukturelle Armut, die bereits mehrere Generationen von Argentiniern betreffe, zu bekämpfen. „Toty“ Flores stimmte dieser Ansicht zu und berichtete von den Erfahrungen der Kooperative „La Juanita“, gelegen im Bezirk La Matanza, die im argentinischen Krisenjahr 2001 die staatlichen Hilfspläne abgelehnt hatte und seitdem erfolgreich und unabhängig von staatlicher Hilfe agiert. „Auch wenn wir uns jeden Tag gefragt haben, ob wir das Richtige tun, gibt uns der Erfolg heute Recht. Nur durch Eigeninitiative und Unabhängigkeit konnten wir echte Arbeit schaffen, die die Leute aus der Armut befreit hat“, so der ehemalige Anführer der Arbeitslosenorganisation.

Fabián Tarrio betonte die soziale Verantwortung der Unternehmer. Nur durch sichere und faire Arbeitsverhältnisse könne eine voranschreitende gesellschaftliche Marginalisierung verhindert werden. In einem waren sich am Ende des Workshops schließlich alle einig: nur durch die Schaffung von unabhängigen Arbeitsplätzen sei die Armut in Argentinien zu bekämpfen.

In einem anderen Workshop diskutierten Alberto Föhrig, Mitglied der Partei GEN, Adriana Amado, Kommunikationswissenschaftlerin, und José Luis Matassa, Gewerkschaftsführer der CTA, über die Themen Transparenz und Korruption.

Adriana Amado stellte heraus, dass die Korruption sowohl strukturell als auch kulturell bedingt sei. Die Korruption in Argentinien würde still und heimlich geduldet werden. Außerdem sei vielen Menschen die Problematik gar nicht bewusst, weil sie nicht ausreichend informiert sei. Die Journalistin Amado machte jedoch am Beispiel des Zugunglücks in Once im Jahr 2012 deutlich, dass Korruption sogar töten könne. Besonders sehe sie den Journalismus in der Pflicht, Korruption öffentlich an den Pranger zu stellen, es gäbe nur ein Problem dabei: der argentinische Journalismus selbst sei selbst politisch gespalten und nicht mehr unabhängig.

Sowohl Alberto Föhrig, als auch José Luis Matassa hingegen betonten die Fehler der aktuellen Regierung bei der Bekämpfung der Korruption. Laut Föhrig sei es in der argentinischen Gesellschaft besonders schwierig, beruflich und sozial aufzusteigen. Dies verführe viele Personen dazu den einfachen Aufstieg durch Korruption zu wählen. Außerdem sei die Straffreiheit für staatliche Funktionäre ein großes Problem.

Im Anschluss an die Workshops fand eine zentrale Podiumsdiskussion zwischen Vertretern sozialer Einrichtungen statt, die über ihre Erfahrungen in der Sozialarbeit berichteten. Die mitunter sehr persönlichen Berichte bewegten das Publikum sichtlich. So erzählte Silvia Irigaray, Gründerin des Vereins „Madres de Dolor“ („Mütter des Schmerzes“), die Geschichte ihres Sohnes. Ein Polizist hatte Silvias unbewaffneten Sohn aufgrund seiner politischen Gesinnung auf der Straße erschossen. Seitdem kämpfte Silvia für die Verurteilung des Polizisten – ein Ziel das sie letztlich erreichte – und lernte auf diese Weise andere Eltern mit ähnlichem Schicksal kennen.

Alicia Peressuti berichtete über ihre Erfahrung in der Arbeit mit ehemaligen Zwangsprostituierten und Gustavo Barreiro schilderte den Alltag eines Sozialarbeiters in informellen Siedlungen der Hauptstadt Buenos Aires. Das Wort Solidarität schien in diesem Moment der „Sozialen Woche“ greifbarer zu sein als je zuvor.

Ähnlich intensiv und emotionsgeladen war auch die Abschlussveranstaltung am Sonntagvormittag, bei der Horacio Cristiani, Leiter der Cáritas Argentinien, Sergio Val, Vertreter der Stiftung „Che Pibe“, und Schwester Marta Garaycochea, Leiterin des Gemeinschaftszentrums „Nuestra Señora de Luján“, über ihre Erfahrungen berichteten. Wie rau die Realität der informellen Siedlung „Fiorito“ ist, schilderte Sergio Val: „Ich bin häufiger auf dem Begräbnis eines Jugendlichen, als auf der Verleihung eines Universitätsabschlusses.“ Eine deutliche Nachricht hatte Val an die Politiker des Landes: „Die Regierenden kümmern sich nicht um die Bedürfnisse der Bürger. Deshalb muss die Zivilgesellschaft füreinander einstehen und sich solidarisch zeigen!“

Insgesamt war die „Soziale Woche 2015“ in Mar del Plata eine sehr vielfältige und anregende Veranstaltung mit vielen emotionalen Momenten, die das Publikum sichtlich berührten. Wie steht es nun um die Frage nach der „Globalisierung der Gleichgültigkeit, oder der Globalisierung der Solidarität“? Obwohl in Argentinien viele soziale Missstände weiterhin Bestand haben, ist doch sehr deutlich geworden, dass es Menschen gibt, die sich gegen diese auflehnen. Um die Solidarität in Argentinien scheint es also trotz allem nicht allzu schlecht bestellt zu sein.

Fynn Kaese

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