Asset-Herausgeber

Auslandsinformationen

Deutschland im Indo-Pazifik

von David Brewster, C. Raja Mohan

Interessensicherung durch Bündnisse

Der indopazifische Raum wird zunehmend als fester, wenn auch noch nicht allgemein anerkannter Bestandteil der sich im Wandel befindenden ostasiatischen Geopolitik akzeptiert. Dadurch steigt die Notwendigkeit einer aktiveren Rolle Europas und Deutschlands in Asien und seinen Gewässern. Mit Blick auf den Aufstieg Chinas, die neue Selbstsicherheit Russlands und die steigende Unsicherheit bezüglich der traditionellen Bündnisse mit Amerika, müssen Europa und Deutschland notwendigerweise stärker zur Aufrechterhaltung einer regel­basierten Ordnung in Eurasien und dem Indo-Pazifik beitragen und gleichzeitig ihre eigenen Interessen wahren. Europa und Deutschland können die herausragende Rolle, welche die ­USA im vergangenen Jahrhundert in dieser Region spielten, nicht ersetzen. Sie können auch nicht unilateral handeln. Doch sie können die regionale Ordnung durch Bündnisse mit Ländern wie Australien, Indien und Japan mitgestalten.

Asset-Herausgeber

Einleitung

Das Konzept des Indo-Pazifiks als neues geopolitisches Konstrukt hat in den letzten Jahren, vor allem im Hinblick auf das selbstbewusste Auftreten Chinas in der Region, einen neuen Stellenwert erreicht. Es herrscht immer mehr Konsens über den Nutzen des Begriffs für das Verständnis der neuen strategischen Dynamik dieser Region, auch wenn die Ansichten zu seiner geografischen Definition unterschiedlich sind. Die USA neigen dazu, den Indo-Pazifik als eine Erweiterung „von Hollywood bis Bollywood“ zu sehen. Japan und Indien haben eine breitere Sicht auf den Indo-Pazifik, die auch die Ostküste Afrikas einschließt. Australien und Indonesien wiederum sehen den Indo-Pazifik aus ihrer Position als Kontaktpunkt des Indischen und Pazifischen Ozeans.

Im Wesentlichen beschreibt der Indo-Pazifik die neue Geografie, die durch den Aufstieg Chinas und Indiens, beziehungsweise Asiens, und ihren zunehmenden wirtschaftlichen Verflechtungen mit Europa hervorgebracht wurde. Der Begriff Indo-Pazifik drückt außerdem die Anerkennung des steigenden Interesses Chinas und Ostasiens am Indischen Ozean sowie Indiens erhöhten Einsatz im westlichen Pazifik aus. In vielerlei Hinsicht zwingt der Indo-Pazifik die Welt zu einem ganzheitlicheren Blick auf den ostasiatischen Meeresraum.

Der Begriff wird auch mit einer neuen Sicherheitsstrategie für dieses weitläufige Meeresgebiet in Zusammenhang gebracht. Einige nennen sie eine „inklusive“ und „multilaterale“ Herangehensweise, andere sehen sie als eine „strategische Zusammenarbeit“ unter „gleichgesinnten Ländern“. Obwohl behauptet wird, dass es beim Indo-Pazifik um die „Eindämmung Chinas“ geht, glauben nur wenige Länder in der Region, dass dies möglich oder wünschenswert sei. Die meisten Länder im indopazifischen Raum hängen zwar vom wirtschaftlichen Austausch mit China ab, gleichzeitig zeigen sie sich aber zutiefst besorgt über Pekings politischen Unilateralismus, das rücksichtslose Vorgehen in Wirtschaftsfragen und seine Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten. Was der Region fehlt, ist ein Gegengewicht, das China dazu motivieren würde, sich zum Vorteil aller an geltende Regeln zu halten.

Deutsche Interessen

Deutschland hat wesentliche Interessen in der indopazifischen Region, die zunehmend gefährdet werden. Wir glauben, dass das Infragestellen der regionalen und internationalen Ordnung durch China ein größeres Risiko für Deutschland darstellen könnte als die aktuellen Herausforderungen in Osteuropa. Dieser Beitrag entwirft eine Strategie für ein stärkeres deutsches Engagement im Indo-Pazifik, das die internationale Ordnung und die regionale Stabilität fördern würde.

Der Wohlstand Deutschlands, einer der größten Handelsnationen der Welt, hängt in hohem Maße von der indopazifischen Region ab. Die Energieversorgung wie auch der Handel der Bundesrepublik sind unter anderem auf die Sicherheit der indopazifischen Seewege angewiesen. Diese Sicherheit beruht auf internationalen Normen, welche die Freiheit der Schifffahrt, den Handel und die territoriale Integrität gewährleisten und auf die sich Deutschland und andere Länder verlassen.

Doch viele Grundlagen des deutschen Wohlstands geraten im Indo-Pazifik immer mehr unter Druck. Im Südchinesischen Meer stellt China offen die Freiheit der Schifffahrt infrage, indem es große Bereiche des Ozeans zum eigenen Staatsgebiet erklärt. Es hat den territorialen Status quo im Südchinesischen Meer unilateral verändert und weigert sich, das Urteil des Ständigen Schiedshofs zu den rechtlichen Fragen der Region zu akzeptieren. China hat Felsen in umstrittenen Gebieten in künstliche Inseln verwandelt und Militäreinrichtungen auf ihnen erbaut. Damit demonstriert China, dass es jederzeit in der Lage ist, zum eigenen Vorteil den Handel in internationalen Gewässern zu sperren oder einzuschränken. Sollte dagegen nichts unternommen werden, besteht die reale Gefahr der Auflösung des VN-Seerechtsübereinkommens (UNCLOS), was weitreichende Folgen für die ganze Welt hätte.

Auch Chinas Belt and Road Initiative (BRI) bringt beunruhigende Konsequenzen für die Region mit sich. Viele indopazifische Entwicklungsstaaten, die darauf hofften, dass die BRI zu ihrer wirtschaftlichen Entwicklung beitragen würde, sind nun mit unrealisierbaren Infrastrukturplänen und Schuldenbergen, die sie womöglich nie werden abzahlen können, belastet. Viele der Länder sehen sich durch Chinas Ambitionen immer stärker beeinträchtigt. Während sich einige Staaten wie Sri Lanka, dafür entschieden haben, Teile ihres Staatsgebiets langfristig an China zu verpachten, um als Gegenleistung einen Schuldennachlass zu erhalten, hinterfragen andere Staaten wie Myanmar, Malaysia und die Malediven, die Bedingungen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit China. Ohne ein sinnvolles und gemeinschaftliches Handeln wird dies womöglich kein gutes Ende finden.

In Eurasien stellt zurzeit Russland, im Zuge der erneuten Durchsetzung seiner traditionellen Einflussbereiche, Normen infrage. Trotzdem könnte Chinas Vorgehen im Indo-Pazifik langfristig eine weitaus größere Herausforderung für die internationale Ordnung darstellen. Dass sich diese Entwicklungen nicht in Deutschlands Hinterhof abspielen, ist für ein Land, das stark vom internationalen Handelssystem abhängig ist, kein Trost. Aus diesem Grund haben Länder mit unmittelbaren Interessen sowohl im Indo-Pazifik als auch in der internationalen Ordnung keine andere Wahl, als auf Chinas Herausforderung und die Unsicherheit darüber, inwieweit Washington bereit ist, die globale Ordnung zu erhalten, zu reagieren.

Sicherheitskooperation

Derartige Probleme bringen Schlüsselstaaten mit Interessen im Indo-Pazifik dazu, neue Sicherheitsstrukturen in der Region aufzubauen. Einige der Maßnahmen zielen darauf ab, die Vereinigten Staaten stärker in die Region einzubinden. Andere sollen Schutz für den Fall einer möglichen Schwächung Washingtons in der Region bieten. In vielen Fällen sehen diese Vereinbarungen anders aus als vergleichbare Maßnahmen in Europa, was an den abweichenden Bedürfnissen und Traditionen der indopazifischen Region liegt.

Kooperationen im Indo-Pazifik spielen sich, vor allem im Bereich der Sicherheit, selten auf einer multilateralen Ebene ab. Stattdessen liegt ein starker Fokus auf bilateralen Beziehungen und kleinen Koalitionen gleichgesinnter Staaten. Sogenannte „minilaterale“ Abkommen, von denen viele trilateral sind, ermöglichen es Seemächten wie Indien, Japan und Australien neue Kooperationen mit und Verbindungen zu anderen wichtigen Akteuren der Region wie Indonesien, Vietnam und Singapur aufzubauen.

Der Quadrilateral Security Dialogue zwischen Indien, Japan, Australien und den Vereinigten Staaten ist ein weiteres Mittel zur Förderung der Sicherheit, das jedoch noch einen weiten Weg vor sich hat, bis es ausgereift ist und an Zugkraft gewinnt.

Auch europäische Länder wie Frankreich und Großbritannien bauen aktiv Partnerschaften und Präsenz in der Region auf, unter anderem durch neue bilaterale Verbindungen und minilaterale Vereinbarungen. Frankreich zum Beispiel ist die treibende Kraft des trilateralen Bündnisses zwischen Frankreich, Indien und Australien, das sich vor allem mit der maritimen Sicherheit im Indischen Ozean befasst. Frankreich strebt eine Kooperation mit Indien im westlichen Indischen Ozean, mit Australien im Südlichen Ozean und mit Tokyo und Canberra im Südpazifik an.

Was bedeutet dies für die Rolle Deutschlands im Indo-Pazifik? Seinen Interessen in der Region nach zu urteilen, wird sich Deutschland wohl oder übel stärker an der Gewährleistung von Sicherheit und Stabilität der Region beteiligen müssen, ob es möchte oder nicht.

Deutschland dürfte eher dazu tendieren, sich aus Verwicklungen in sicherheitsrelevante Vorgänge herauszuhalten, da es klar auf multilaterale Lösungen im Rahmen der EU und der NATO setzt. Allerdings ist ein multilateraler Ansatz im Indo-Pazifik nur bedingt erfolgsversprechend. Aus historischen Gründen sind multilaterale Verbünde in der Region eher schwach und dürften tendenziell weiter an Einfluss verlieren. Institutionen, wie die Association of Southeast Asian Nations (ASEAN) und die Asia-Pacific Economic Cooperation (APEC), die in den letzten Jahrzehnten entstanden sind, werden durch Chinas Auftreten unter Druck gesetzt. So groß der Nutzen des Multilateralismus anderswo auch sein mag, für die Probleme im Indo-Pazifik scheint er keine Lösung zu sein.

Deshalb sind wir der Auffassung, dass Deutschland seine Zurückhaltung im Bereich der internationalen Sicherheit überwinden muss. Es muss aus seiner traditionellen Komfortzone heraustreten und sowohl direkt, als auch mithilfe der Europäischen Union in der Region aktiv werden – und das auf verschiedenen Ebenen.

Elemente einer deutschen Herangehensweise

Zuallererst sollte Deutschland die Beziehungen zu gleichgesinnten Schlüsselstaaten der Region zur Priorität machen. Wie Deutschland haben auch Indien, Australien und Japan großes Interesse daran, die Demokratie, die Schifffahrtsfreiheit und andere internationale Normen aufrechtzuerhalten. Außerdem haben diese Länder die materiellen Möglichkeiten und sind bereit, diese wenn notwendig auch einzusetzen. Engere Beziehungen zu diesen Ländern würden es Deutschland erleichtern, sich stärker in der Region zu engagieren.

Deutschland kann in verschiedenen Bereichen dazu beitragen, die vielen Herausforderungen der indopazifischen Region anzugehen. Einen besonderen Mehrwert könnte Deutschland beim Infrastrukturausbau bieten. Wie bereits erwähnt, ist eine funktionierende Konnektivitätsinfrastruktur Voraussetzung für die wirtschaftliche Entwicklung vieler indopazifischer Länder. Leider droht Chinas BRI den Indo-Pazifik mit Schulden und wirtschaftlich nicht realisierbaren Projekten zu überschwemmen. Die Region braucht Alternativen.

In den letzten Jahren hat sich Japan sowohl in finanzieller als auch moralischer Hinsicht für die Schaffung transparenter und ökonomisch nachhaltiger Infrastrukturlösungen in der Region eingesetzt, welche die beteiligten Länder nicht mit ungebührlichen Schulden belasten. Japans Strategie des „freien und offenen Indo-Pazifik“ (die vor Kurzem auch von den Vereinigten Staaten übernommen wurde) dient als nützliches Konzept, das den Entwicklungsländern der Region Alternativen zur BRI bietet.

Deutschland sollte darüber nachdenken, wie es seine eigene Version dieser Strategie, womöglich in Zusammenarbeit mit gleichgesinnten Partnern wie Japan, Indien, den Vereinigten Staaten und Australien, entwickeln könnte. Die neueste Konnektivitätsstrategie der EU könnte dabei ein nützlicher Ausgangspunkt sein, doch sollte Deutschland auch überlegen, wie es sich direkt in Infrastrukturprojekten engagieren kann.

Ein weiterer wichtiger Beitrag Deutschlands zur regionalen Sicherheit könnte die Unterstützung des Kapazitätsaufbaus für die maritime Sicherheit sein. Der Indische Ozean ist einer der am schwächsten verwalteten Meeresräume der Erde. Gleichzeitig ist das wirtschaftliche Wohlergehen vieler Länder und Bevölkerungsgruppen der Region stark von ihm abhängig. Den meisten dieser Länder fehlen die Kapazitäten, um auf die verschiedenen Bedrohungen in der Region, wie den illegalen Fischfang und die Herausforderungen der maritimen Sicherheit, zu reagieren.

Sollte es nicht gelingen, diese Herausforderungen zu bewältigen, kann dies schwerwiegende Folgen nach sich ziehen. Die illegalen Plünderungen der reichen somalischen Fangplätze (vor allem durch Europäer) vor über zehn Jahren drängten die örtlichen Gemeinden aus dem Geschäft und waren eine der Hauptursachen für den Aufstieg der somalischen Piraterie. Die Gefahr der Piraterie führte wiederum zu einer Militarisierung des westlichen Indischen Ozeans, da Marinestreitkräfte aus aller Welt herbeieilten, um die Sicherheit zu gewährleisten. Einige dieser Streitkräfte, wie die chinesische Marine, haben nicht vor wieder abzuziehen, was erhebliche strategische Auswirkungen mit sich bringt. Dieses Beispiel veranschaulicht, welche Kosten und Konsequenzen durch ungelöste maritime Sicherheitsfragen entstehen können.

Eine maritime Kompetenzentwicklung kann dazu beitragen, regionale Sicherheitsbeziehungen aufzubauen. Seit einigen Jahren arbeitet Japan eng mit Ländern wie Myanmar, Bangladesch und Sri Lanka zusammen, um deren Fähigkeiten zur Selbsthilfe zu verbessern. Hierzu gehören nicht nur die Ausstattung, sondern vor allem auch die Bereitstellung von Schulungen und die Unterstützung beim Aufbau von Institutionen. Auf diese Weise ist es Japan gelungen, sich in der Region einen Ruf als konstruktiver und zuverlässiger Sicherheitspartner aufzubauen.

Auch Deutschland hat die Möglichkeit, einen wichtigen Beitrag in diesem Bereich zu leisten. Indonesien beispielsweise ist ein großes Land, das stark vom Fischfang und anderen maritimen Wirtschaftssektoren abhängig ist. Doch es ist nicht in der Lage, seine Gewässer ausreichend vor illegalen Fischern aus China und anderen Ländern zu schützen. Die Entwicklung einer stärkeren und wirksameren maritimen Durchsetzungskapazität dürfte massiv zur Abschreckung illegaler Fischer und damit langfristig zu Indonesiens Wohlstand beitragen.

Fest steht, dass Deutschlands regionale Partner zukünftig mehr deutsche Präsenz im Indo-Pazifik erwarten werden. Die Deutsche Marine ist zwar seit Langem Teil der Operation Atalanta der EU im westlichen Indischen Ozean, doch muss sich Deutschlands regionale Präsenz auch weiter Richtung Südostasien ausweiten.

In den letzten Jahren haben Frankreich und Großbritannien wieder begonnen regelmäßig sowohl getrennt als auch gemeinsam große Marineeinsätze im Indischen und Pazifischen Ozean durchzuführen. Anfang 2018 wurde die von den Franzosen angeführte Marine-Einsatztruppe Jeanne d’Arc (zu der auch eine britische Helikoptereinheit gehörte) für fünf Monate in der Region stationiert – eine wichtige Demonstration der europäischen Interessen in der Region. An zukünftigen Einsätzen sollen auch britische Schiffe teilnehmen.

Es ist denkbar, dass Deutschlands europäische Partner zukünftig auch einen bedeutenden Beitrag der Deutschen Marine erwarten werden. Folglich müsste Deutschland in Anbetracht der aktuellen Einschränkungen und Probleme der Deutschen Marine innovative Lösungen entwickeln, um diesen Erwartungen gerecht zu werden. Berlin muss in einer immer unsichereren Welt Wege finden, an der Seite seiner Partner für die Aufrechterhaltung der Rechtstaatlichkeit einzustehen. Im Indo-Pazifik kann Deutschland nicht weitermachen wie bisher.

– übersetzt aus dem Englischen –

 
 

David Brewster ist Senior Research Fellow am National Security College der Australischen Nationaluniversität in Canberra.

 
 

C. Raja Mohan ist der Leiter des Instituts für Südasiatische Studien an der Nationaluniversität Singapur.

 

Für eine vollständige Version dieses Beitrags inkl. Quellenverweisen wählen Sie bitte das PDF-Format.

Asset-Herausgeber

Kontakt

Sebastian Enskat

Sebastian Enskat

Leiter des Multilateralen Dialogs Wien

sebastian.enskat@kas.de +43 1 890 1465 11

comment-portlet

Asset-Herausgeber