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Rao Aimin, Xinhua News Agency, picture alliance

Auslandsinformationen

Die umworbene Braut?

Argentinien in der neuen globalen Ordnung

In Zeiten der durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine ausgelösten Energie- und Ernährungskrise schauen auch die Staaten der Europäischen Union wieder verstärkt nach Argentinien. Das südamerikanische G20-Land ist die drittgrößte Volkswirtschaft Lateinamerikas und verfügt über enormes Potenzial vor allem in den Bereichen Energie und Nahrungsmittelproduktion. Von den Großmächten China und Russland wird Argentinien aufgrund seines Ressourcenreichtums ­und seiner strategischen Lage als Einfallstor in die Antarktis jedoch schon länger intensiv umworben. Wie positioniert sich das südamerikanische Land im neuen Machtgefüge? Und durch welche Interessen und Bedürfnisse wird die argentinische Außenpolitik bedingt?

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Vergangener Glanz und handfeste Probleme

Argentinien gehörte vor 100 Jahren zu den reichsten Ländern der Welt und zog zahlreiche Einwanderer aus ganz Europa an. Durch den Boom der landwirtschaftlichen Produktion wurde Argentinien als Kornkammer der Welt bekannt. Die Zeiten des Glanzes sind im Stadtbild von Buenos Aires mit seinen breiten Alleen, Parks und herrlichen Gebäuden noch omnipräsent, allerdings bröckelt in zahlreichen Palästen der Belle Époque der Putz und viele ehemalige Wohnhäuser des Großbürgertums stehen zum Verkauf.

Trotz seines eindrucksvollen Ressourcenreichtums befindet sich Argentinien seit Jahrzehnten in einer Wirtschaftskrise mit hohen Inflations- und Verschuldungsraten. Die jährliche Teuerungsrate lag im Februar 2023 bei 102,5 Prozent und das Vertrauen in die Landeswährung ist sowohl bei der Bevölkerung als auch auf den internationalen Finanzmärkten längst geschwunden. Bei den Menschen herrschen Resignation und Hoffnungslosigkeit vor. Viele gut ausgebildete Argentinier aus der Mittel- und Oberschicht verlassen das Land und bauen sich eine Zukunft in Europa oder Nordamerika auf. Ein einst prosperierendes Land verarmt. Dies beklagte jüngst der argentinische Papst Franziskus: Die Armutsrate habe bei lediglich fünf Prozent gelegen, als er die weiterführende Schule abschloss. Inzwischen sei die Hälfte der Bevölkerung betroffen.

Aufgrund des akuten Devisenmangels steht Argentinien immer wieder kurz davor, lebenswichtige Importe nicht mehr bezahlen zu können, und das trotz des Megakredits des Internationalen Währungsfonds (IWF) aus dem Jahr 2018 – der größte, der einem einzelnen Land je gewährt wurde. Der Dollar ist auf dem Schwarzmarkt fast doppelt so viel wert wie nach dem offiziellen Wechselkurs des Pesos und die Inflation führt zu Kapitalflucht ins Ausland. Die Regierung versucht den Problemen mit Preiskontrollen und Exportbeschränkungen für Nahrungsmittel zu begegnen, was sich vor allem negativ auf den Agrarsektor auswirkt. Der Druck auf die Politik, diese Abwärtsspirale zu stoppen und wenn möglich umzukehren, ist im Superwahljahr 2023 enorm. Misswirtschaft und Korruption haben jedoch zu einer starken Vertrauenskrise der Bürger mit Blick auf die Politik geführt.

 

Argentinien: Land der Möglichkeiten?

Trotz dieser Probleme blickt China schon länger intensiv nach Argentinien. Auch europäische Staaten schenken dem Land seit 2022 wieder mehr Aufmerksamkeit. In der patagonischen Provinz Neuquén liegen die zweitgrößten Schiefergasreserven der Welt. Zudem verfügt das Land über Erdölreserven sowie ideale Bedingungen zur Produktion erneuerbarer Energien mit starken und konstanten Winden im Süden und zahlreichen Sonnenstunden insbesondere im Norden. Es existieren große, bisher nicht genutzte Flächen, Süßwasserressourcen sind in Patagonien nachhaltig verfügbar. Somit birgt das Land enormes Potenzial für die Produktion von grünem Wasserstoff. Im Nordwesten finden sich die drittgrößten Lithiumreserven der Welt; Argentinien ist bereits jetzt der viertgrößte Produzent des begehrten „weißen Goldes“. Zusätzlich existieren Vorkommen von Blei, Zink, Zinn, Kupfer, Eisenerz und Mangan.

Für Unternehmen besteht jetzt die Chance, sich Marktanteile in der Wasserstoffwirtschaft zu sichern.

Der als moderater Peronist geltende, aber inzwischen durch den Misserfolg seiner Regierung stark angeschlagene Staatspräsident Alberto Fernández betonte auf seiner Europareise im Mai und Juni 2022 die hervorragende Ausgangssituation seines Landes zur Energieproduktion. Zu einer kurz- bis mittelfristigen Lösung der europäischen Energieengpässe wird Argentinien allerdings nicht beitragen können, denn Anspruch und Wirklichkeit klaffen weit auseinander. Noch ist das Land Nettoimporteur von Energie und es fehlt an Infrastruktur, um Gas in größeren Mengen in Patagonien zu fördern und vor allem zu transportieren. Nichtsdestotrotz besteht für ausländische Unternehmen jetzt die Chance, sich Marktanteile im Bereich der vielversprechenden Wasserstoffwirtschaft zu sichern.

Die wichtigste Quelle für Deviseneinnahmen ist derzeit die Landwirtschaft. Bei einer Bevölkerung von 46 Millionen Menschen kann das Land schätzungsweise Nahrungsmittel für die zehnfache Anzahl von Menschen produzieren und somit einen Beitrag zur globalen Ernährungssicherheit leisten. Argentinien war bereits im Jahr 2021 der siebtgrößte Weizenexporteur weltweit und hat die Fähigkeit, die Produktionsmenge noch zu erhöhen. Neben Weizen werden in großen Mengen Rindfleisch, Milch, Soja, Rohrzucker, Wein, Gerste, Trauben und Zitrusfrüchte produziert, Exportrestriktionen bremsen jedoch die Steigerung der Nahrungsmittelproduktion.

Zusätzlich erregen auch andere Bereiche die Aufmerksamkeit globaler Player. Die hohe Anzahl an argentinischen Unicorns ist Ausdruck der Innovationsfähigkeit der Start-up-Wirtschaft. Geopolitisch gerät Argentinien aufgrund seiner strategischen Lage als Einfallstor in die Antarktis in den Blick. Im Eis des Kontinents konzentrieren sich circa 70 Prozent der Süßwasserreserven unseres Planeten. Auch im Klima- und Umweltschutz kommt der Antarktis eine tragende Rolle zu: Insbesondere der Krill bindet Treibhausgase aus der Atmosphäre und ist außerdem Nahrungsgrundlage für viele Arten. Zudem verfügt die Antarktis über eine große Ressourcenvielfalt – vorwiegend Mineralien. Durch die abschmelzenden Eismassen wird ein Abbau realistischer und Begehrlichkeiten werden geweckt.

 

Interessen und Bedürfnisse als Leitschnur der Außenpolitik

Nach Russlands Angriff auf die Ukraine wird in Europa der Ruf nach einer klaren Positionierung demokratischer Schwellenländer im Systemkonflikt immer lauter. Obwohl der Krieg im von Kiew rund 12.800 Kilometer entfernten Buenos Aires genau beobachtet wird und die Auswirkungen auf Energie- und Nahrungsmittelpreise die galoppierende Inflation noch weiter anheizen, vermeidet die Regierung die Lesart, dass er vor dem Hintergrund eines tieferliegenden Systemkonflikts zwischen Demokratie und Autoritarismus stattfindet, bei dem jedes Land Stellung beziehen muss.

Dass Argentinien sich nicht klar positioniert und die westliche Deutung nicht teilt, hat verschiedene Gründe:

  • Die Regierung führt vor allem das Prinzip der Nicht-Einmischung als Begründung an, um keine klare Stellung zum Ukrainekrieg beziehen zu müssen. Fraglich ist jedoch, ob diese Begründung einer tieferen Analyse standhält: Russland verletzt mit seinem Angriffskrieg gegen die Ukraine klar die Grundprinzipien der Nicht-Einmischung und des Selbstbestimmungsrechts der Staaten, die gerade auch in Argentinien eigentlich als hohes Gut geachtet sind. Die Abneigung gegen Einmischung in innere Angelegenheiten ist aufgrund der Kolonialvergangenheit und der Einmischung der USA in die Belange lateinamerikanischer Staaten vor allem im 20. Jahrhundert tief verankert. Zudem war Argentinien bereits während des Kalten Krieges von 1973 bis 1991 Mitglied der Gruppe der blockfreien Staaten, die eine Positionierung in der Auseinandersetzung der Großmächte bewusst vermieden.
  • Unter anderem durch den 2011 von der Obama-Administration verkündeten Pivot to Asia überließen die in Lateinamerika traditionell sehr einflussreichen USA anderen Mächten das Feld. Die entstehenden Räume wurden von China und Russland dankbar genutzt. In Argentinien regierte in dieser Zeit die links-peronistische und offen USA-kritische Staatspräsidentin Cristina Fernández de Kirchner, die den Kurswechsel der US-Amerikaner und die konkreten Angebote Russlands und Chinas gern zum Anlass nahm, um sich in ihrem politischen Diskurs von den USA zu distanzieren und die Süd-Süd-Kooperation sowie die Zusammenarbeit mit anderen Linksregierungen auszubauen.
  • Argentinien ist durch die Einwanderung mit das am stärksten europäisch geprägte Land in Lateinamerika. Europa ist weiterhin ein Sehnsuchtsziel vieler Emigranten. Allerdings haben europäische Länder in den vergangenen Jahrzehnten verstärkt den Blick von Lateinamerika abgewandt. Vor allem in Zeiten der Not fühlte man sich am Río de la Plata im Stich gelassen. Besonders deutlich wurde dies auf dem Höhepunkt der Coronapandemie, die Lateinamerika ausgesprochen hart traf. Die Lieferungen von Impfstoffen aus Europa über die COVAX-Initiative kamen nur schleppend in Gang und waren unzureichend. Somit wurden zu Beginn der Impfkampagne vor allem russische und chinesische Impfstoffe verabreicht. Europa kritisierte die „Impfdiplomatie“ Chinas und Russlands, was in Argentinien als Zeichen der Arroganz und des Zynismus wahrgenommen wurde. Das Vertrauensverhältnis zu Europa wurde stark in Mitleidenschaft gezogen, gegenüber Russland und China hält die Dankbarkeit an.
  • Aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Situation ist Argentinien dringend auf Auslandsinvestitionen und Kredite angewiesen und kann die Partner nicht immer frei wählen. Europäische Unternehmen beklagen die Sprunghaftigkeit der Politik und fehlende Rechtssicherheit. Die EU sowie einzelne EU-Staaten knüpfen die Zusammenarbeit an Bedingungen, vor allem in Bezug auf die Wahrung von Umweltstandards. Sie werden daher als schwierige Partner wahrgenommen.
  • Europa bemüht das Narrativ der Wertepartnerschaft, das in der europafreundlichen Bevölkerung zwar verfängt, dem in der Politik jedoch mit steigender Skepsis begegnet wird, da die konkreten Angebote als unzureichend und die Art der Zusammenarbeit als bevormundend wahrgenommen werden.
Argentinien ist Deutschlands drittwichtigster Handelspartner in Lateinamerika.

Natürlich beeinflusst auch die ideologische Ausrichtung der jeweiligen Regierung die argentinische Außenpolitik. So rief die Regierung des liberalkonservativen Mauricio Macri von 2015 bis 2019 die „Wiedereingliederung Argentiniens in die Welt“ mit einer starken Westbindung aus, ohne dabei die Beziehungen zu China und Russland zu vernachlässigen. Unter der Regierung von Alberto Fernández pflegt Argentinien enge Beziehungen zu den linken politischen Kräften in Lateinamerika. So ist Fernández zusammen mit dem mexikanischen Präsidenten Andrés Manuel López Obrador in der 2019 gegründeten Puebla-Gruppe tonangebend. Die ideologische Positionierung und die sich daraus ergebende Nähe zu anderen Linksregierungen beeinflusst den außenpolitischen Kurs, was durchaus auch zu Widersprüchen führt. Deutlich wird dies etwa im Abstimmungsverhalten in internationalen Organisationen: In der Generalversammlung der Vereinten Nationen votierte Argentinien für die Verurteilung des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine, bei einer Abstimmung in der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) zur Ablehnung der russischen Invasion enthielt sich Argentinien jedoch. Obwohl der Schutz der Menschenrechte ein Leitprinzip in der argentinischen Außenpolitik darstellt, enthielt sich Argentinien zudem im UN-Menschenrechtsrat bei der Abstimmung über eine Diskussion des Berichts der Hohen Kommissarin für Menschenrechte zur Lage in Xinjiang.

In außenpolitischen Kreisen wird die Positionierung Argentiniens vor allem seit der Coronapandemie intensiv diskutiert: Aufgrund seiner wirtschaftlichen und strukturellen Grenzen sei Argentinien ein Land mit eingeschränkter Autonomie in der Peripherie, das sich eine eindeutige Positionierung in der immer deutlicheren bipolaren Auseinandersetzung zwischen den USA und China nicht leisten könne. Der außenpolitische Aktionsspielraum eines Landes hänge von seiner politischen Macht und den faktischen Einflussmöglichkeiten in regionalen und internationalen Strukturen ab. Argentinien dürfe nicht in die Falle einer Version 2.0 des Kalten Krieges tappen.

 

Internationale Beziehungen und Zusammenarbeit

Argentinien ist nach Brasilien und Mexiko der drittwichtigste Handelspartner Deutschlands in Lateinamerika. Hauptabnehmerland von argentinischen Exporten ist Brasilien, noch vor China und den USA. Hauptlieferland ist China, dicht gefolgt von Brasilien und deutlich vor den USA. Im Folgenden werden ausgewählte Aspekte der Zusammenarbeit Argentiniens mit einzelnen Ländern und Bündnissen beleuchtet.

In Argentiniens Politik und Bevölkerung mehren sich die kritischen Stimmen zum chinesischen Engagement.

 

Mercosur


Politisch schien das 1991 von Argentinien, Brasilien, Uruguay und Paraguay gegründete Wirtschaftsbündnis Mercosur 2019 mit dem Abschluss der Verhandlungen über das Assoziierungsabkommen mit der EU aus einer langen Lethargie zu erwachen. Einige Akteure hegen jedoch keine allzu großen Hoffnungen bezüglich der noch ausstehenden Ratifizierung. So verhandelt Uruguay bilateral über ein Freihandelsabkommen mit China, sehr zum Unmut der übrigen Mercosur-Staaten, die das ohnehin schon fragile Bündnis gefährdet sehen. Allerdings zeugt die Haltung Uruguays nicht nur von Divergenzen und fehlenden Absprachen innerhalb des Mercosur, sondern ist auch Ausdruck der Frustration über die Blockadehaltung der europäischen Partner. Wirtschaftlich sind die Beziehungen mit Brasilien besonders relevant für Argentinien, doch politisch herrschte zwischen den Regierungen von Jair Bolsonaro und Alberto Fernández Eiszeit. Argentinien hofft nun auf eine signifikante Verbesserung der Beziehungen unter der Lula-Regierung, auch um dem Mercosur neuen Auftrieb zu geben.

 

China


Im Februar 2022 hat sich Argentinien zur Krönung der jahrelangen wirtschaftlichen und politischen Annäherung an China der Neuen Seidenstraße (Belt and Road Initiative) angeschlossen. Für China ist Argentinien als Rohstoff- und Nahrungsmittellieferant von Bedeutung, wohingegen das tief verschuldete südamerikanische Land insbesondere Investitionen in Infrastrukturprojekte benötigt. Allein im Rahmen der Seidenstraßeninitiative sollen in Argentinien in zwei Phasen Projekte im Wert von insgesamt 23,7 Milliarden US-Dollar in den Bereichen Energie, Wasser- und Sanitärinfrastruktur sowie Transport umgesetzt werden. Zu den Vereinbarungen gehört auch ein sogenannter Währungsswap als Devisentauschgeschäft zwischen dem argentinischen Peso und dem Yuan, der den Handel vereinfachen soll und Argentinien aufgrund der anhaltenden Devisenknappheit zugutekommt. Chinesische Unternehmen investieren sehr intensiv im Bergbaubereich, unter anderem im Lithium- und Kupfersektor. Die wirtschaftliche Abhängigkeit Argentiniens von China ist enorm. Zudem erwägt die argentinische Regierung den Kauf chinesisch-pakistanischer Kampfjets. Die Möglichkeiten des Einkaufs westlicher Waffensysteme sind aufgrund des seit dem Falkland-/Malwinenkrieges geltenden britischen Waffenembargos limitiert. Auch politisch bemüht Peking sich um gute Beziehungen. Abgeordnete, Senatoren, Bürgermeister und auch der politische Nachwuchs werden regelmäßig zu luxuriösen Reisen ins Reich der Mitte geladen. China befürwortet einen Beitritt Argentiniens zu den BRICS-Staaten und umwirbt das Land intensiv.

Doch in Politik und Bevölkerung mehren sich auch kritische Stimmen. In der Provinz Neuquén betreibt die chinesische Raumfahrtbehörde eine Raumstation. Die alleinige Nutzung des riesigen Geländes in Patagonien wurde China von der Regierung von Cristina Fernández de Kirchner (2007 bis 2015) für 50 Jahre zugesagt, argentinischen Behörden bleibt der Zugang verwehrt. 2016 verhandelte die Macri-Regierung die ausschließlich zivile Nutzung der Station nach, jedoch fehlt es an Kontrollmechanismen. Nachdem die nationale Regierung mit der Begründung der Wahrung nationaler Souveränität bei kritischer Infrastruktur die chinesische Beteiligung an einem Ausbau des Hafens in Ushuaia in Feuerland abgelehnt hatte, unterzeichnete der Gouverneur der Provinz im Dezember 2022 ein Abkommen mit dem chinesischen Staatsunternehmen Shaanxi Coal and Chemical Industry Group zum Bau eines Hafens in der Gemeinde Río Grande. Kritiker befürchten, dass China um jeden Preis einen Hafen bauen möchte, den es als Einfallstor in die Antarktis nutzen kann. Die Küstenwache erwartet zudem, dass so dem illegalen chinesischen Fischfang mit Schleppnetzen in argentinischen Gewässern weiter Vorschub geleistet wird.

Die argentinische Regierung ermöglicht Russland die Verbreitung von Propaganda und Falschinformationen auf Kosten der Steuerzahler.

 

Russland


Genau drei Wochen vor dem russischen Angriff auf die Ukraine betonte der argentinische Präsident Alberto Fernández bei seinem Staatsbesuch in Moskau, Argentinien wolle als Eingangstor für Russland nach Lateinamerika dienen. Außerdem werde sein Land Russland für die Lieferung von Corona-Impfstoffen ewig dankbar sein. Bereits 2015 hatte die Regierung von Cristina Fernández de Kirchner mit Russland ein Kooperationsabkommen zu Energie, chemischer Industrie, Bankenwesen und zum Ausbau des Schienennetzes ausgehandelt. Im Dezember 2021 unterzeichneten der argentinische und der russische Verteidigungsminister eine Vereinbarung zur militärischen Kooperation, die unter anderem die Ausbildung argentinischer Militärs in Russland vorsieht.

Zudem ermöglicht die argentinische Regierung Russland die Verbreitung von Propaganda und Falschinformationen auf Kosten der Steuerzahler: Der Fernsehsender RT – vorher bekannt als Russia Today – kann seit der letzten Präsidentschaft von Cristina Fernández de Kirchner in ganz Argentinien über das digitale öffentliche Fernsehen empfangen werden. Als die Macri-Regierung die Ausstrahlung einstellen wollte, löste das eine diplomatische Krise mit Russland aus. Der russische Außenminister Sergej Lawrow drohte mit dem Entzug der Finanzierung des Baus eines Staudamms durch die russische Entwicklungsbank. Auf diesen Druck hin sah der damalige argentinische Präsident Mauricio Macri von seinem Vorhaben ab.

Öffentlich wird seit Kriegsbeginn wenig über die russisch-argentinischen Beziehungen berichtet. Die Tatsache, dass Argentinien sich den Sanktionen gegen Russland nicht angeschlossen hat sowie das widersprüchliche Abstimmungsverhalten in internationalen Organisationen lassen darauf schließen, dass man die Beziehungen zu Russland nicht gefährden will.

 

USA


In der argentinischen Bevölkerung ist Antiamerikanismus weit verbreitet. Man setzt die USA mit dem in breiten Sektoren verhassten Internationalen Währungsfonds gleich. Im Rahmen der bilateralen Zusammenarbeit bestehen Projekte zur wissenschaftlichen Kooperation im Raumfahrtsektor, der Biotechnologie, der Medizin sowie im Agrarsektor und es gibt eine binationale Arbeitsgruppe zu Energiefragen. Auf regionaler Ebene findet eine Zusammenarbeit über die OAS statt.

 

Deutschland


Die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Argentinien und Deutschland sind eng. Deutschland bezieht aus Argentinien Rohstoffe und Nahrungsmittel und ist innerhalb der EU der größte Abnehmer argentinischen Rindfleischs. Kulturell sind beide Länder unter anderem durch die circa eine Million Argentinier mit deutschen Wurzeln verflochten. Deutschland ist anerkannter Partner in der wissenschaftlichen Zusammenarbeit. Argentinien ist nach der Reform „BMZ 2030“ von 2020 kein Partnerland der deutschen bilateralen Entwicklungszusammenarbeit mehr, jedoch wird über das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) ein Energiedialog zum Aufbau einer grünen Wasserstoffwirtschaft geführt. Politisch hat Argentinien durch die Besuche von deutschen Spitzenpolitikern viel Aufmerksamkeit erfahren: So waren allein in den vergangenen Monaten neben deutschen Parlamentariern auch Bundeskanzler Olaf Scholz, der Erste Bürgermeister von Hamburg Peter Tschentscher mit einer Wirtschaftsdelegation, zweimal die Parlamentarische Staatssekretärin Franziska Brantner aus dem BMWK, der Staatsminister Tobias Lindner und die Staatssekretärin Jennifer Morgan aus dem Auswärtigen Amt sowie der Parlamentarische Staatssekretär Jens Brandenburg aus dem Bundesministerium für Bildung und Forschung zu Besuch.

Die Pandemie und der Krieg in Europa haben unterschiedliche Sichtweisen des Weltgeschehens wie durch ein Brennglas zu Tage treten lassen.

 

Europäische Union


Die EU arbeitet mit Argentinien auf verschiedenen Ebenen zu Themen wie Klima- und Umweltschutz, soziale Kohäsion und Entwicklung, Gleichstellung, Wissenschaft, Sicherheit, Wirtschaft und Menschenrechten zusammen. Die kulturelle Nähe zu Argentinien ist aufgrund der Migrationsvergangenheit wohl so groß wie zu keinem anderen lateinamerikanischen Land und Europa erfreute sich lange Zeit eines hervorragenden Rufes. Durch die Haltung der EU während der Coronapandemie wurde allerdings massiv Vertrauen verspielt. Der Fokus der derzeitigen Beziehungen liegt auf der Ratifizierung des Assoziierungsabkommens zwischen der EU und dem Mercosur, jedoch blickt man in Argentinien mit Skepsis auf die Haltung von Ländern wie Frankreich und Polen, die die Märkte für die Einfuhr von Agrarprodukten nicht öffnen wollen.

Vor allem auf politischer Ebene beklagt man, dass mit zweierlei Maß gemessen werde. Einerseits scheint die verhandelte Marktöffnung nicht bei allen EU-Staaten durchsetzbar zu sein, andererseits fordert die EU die Verhandlung von Zusatzprotokollen unter anderem zur Festsetzung von Umweltstandards, die den gleichen Stellenwert wie der bereits verhandelte Vertragstext haben sollen. Die Mercosur-Staaten befürchten eine Neueröffnung der Vertragsverhandlungen durch die Hintertür. Zudem herrscht nicht in allen Kreisen nur Freude darüber, dass Argentinien erst dann politisch in der EU wieder stärker in den Fokus rückt, wenn EU-Länder die durch den Krieg aufgetretenen Lieferausfälle bei Energie und Rohstoffen ausgleichen müssen.

 

Plädoyer für eine ehrliche Partnerschaft

Aufgrund der politischen Instabilität und mangelnder Planungs- sowie Rechtssicherheit ist Argentinien kein einfacher Partner. Doch auch die EU und Deutschland haben in den vergangenen Jahren Fehler begangen. Aufgrund der starken kulturellen Verbundenheit und der strategischen und wirtschaftlichen Potenziale ist eine vertiefte Zusammenarbeit für beide Seiten jedoch lohnenswert. Die Pandemie und der Krieg in Europa haben unterschiedliche Sichtweisen des Weltgeschehens wie durch ein Brennglas zu Tage treten lassen, die sich indes bereits über einen viel längeren Zeitraum herausgebildet hatten.

Um in Zukunft noch intensiver zusammenarbeiten zu können, ist es notwendig, Perspektivunterschiede durch verstärkten politischen Dialog nicht nur sichtbar zu machen, sondern auch ernst zu nehmen. Die Erwartungen Deutschlands und der EU einerseits und Argentiniens andererseits sind nicht deckungsgleich. Europäische Unternehmen benötigen für Investitionen Planungs- und Rechtssicherheit, Argentinien braucht zur Überwindung der enormen wirtschaftlichen und sozialen Probleme jedoch unmittelbar Investitionen. Für den Klimaschutz ist die Einführung und Wahrung von Umweltstandards unabdingbar, jedoch gibt es aus Sicht der argentinischen Akteure noch dringendere Probleme, zu deren Lösung Unterstützung benötigt wird.

Europa und Deutschland suchen nach der proklamierten Zeitenwende demokratische Verbündete und bemängeln die Abhängigkeit großer Schwellenländer von autoritären Großmächten. Jedoch sind die Verflechtungen mit China auf europäischer Seite nicht geringer, wie etwa die chinesische Beteiligung am Hamburger Hafen deutlich macht. Auch zu Russland unterhielten europäische Staaten – insbesondere Deutschland – bis zum Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine enge wirtschaftliche Beziehungen. Der Aufbau von wirtschaftlichen und politischen Beziehungen zu anderen Mächten neben den USA und Europa ist für die Argentinier Teil der Diversifizierung ihrer wirtschaftlichen und politischen Beziehungen. China und Russland machen konkrete Angebote, ohne ähnlich hohe Bedingungen zu stellen wie die EU. Deutschland empfiehlt Argentinien, auf den Ausbau erneuerbarer Energien statt auf Frackinggas zu setzen und sucht zeitgleich ebenso in nicht-demokratischen Staaten nach neuen Lieferanten auch fossiler Energieträger. Europa tritt in der argentinischen Wahrnehmung bevormundend auf, wendet doppelte Standards an, fordert viel und liefert wenig.

Wenn Europa Mächten wie China und Russland nicht das Feld überlassen will, müssen die Instrumente der Zusammenarbeit überdacht werden. Die Europäische Union kann als dezentraler Akteur zwar nicht mit der wirtschaftlichen Macht und der Zusammenarbeit aus einem Guss in allen Bereichen mithalten, wie es China vorexerziert, jedoch verfügen europäische Länder über nicht zu unterschätzende Soft Power. Die Argentinier möchten so leben wie in Europa, nicht wie im Einparteienstaat China. In zahlreichen Feldern der Zusammenarbeit – besonders in der Wissenschaftskooperation wie beispielsweise in der Antarktisforschung – sind europäische Akteure sehr anerkannt und man unterstellt ihnen weniger Partikularinteressen. Bereiche wie erneuerbare Energien, der Aufbau einer grünen Wasserstoffwirtschaft und die Wissenschaftskooperation bieten attraktive Felder zum Ausbau einer ehrlichen und gleichberechtigten Zusammenarbeit.

Um nachhaltig mitgestalten zu können, sollten Instrumente der staatlichen Zusammenarbeit mit Wirtschaftsaktivitäten stärker verzahnt werden. Sollte Europa ehrliches Interesse an einer vertieften Kooperation haben, müssen konkrete Projekte entwickelt werden. Denkbar wären etwa im Zusammenspiel der europäischen Wirtschaft mit Instrumenten der finanziellen und technischen Zusammenarbeit Direktinvestitionen und Kredite für den Ausbau der argentinischen Infrastruktur zum Gasexport, außerdem Abnahmegarantien argentinischen Gases als Brückenenergieträger der Energiewende unter der Bedingung der Reinvestition eines Teils der Gewinne in den grünen Wasserstoffsektor als Zukunftstechnologie. Flankiert werden könnten diese Projekte durch Programme der technischen Zusammenarbeit. Dass das wiederentdeckte Interesse an Lateinamerika ernst gemeint ist, kann die EU am besten durch eine Ratifizierung des Assoziierungsabkommens mit dem Mercosur deutlich machen, ohne die lateinamerikanischen Partner durch zu harte Verhandlungen der Zusatzprotokolle in die Enge zu treiben. Europa ist gut beraten, diese Chance zu nutzen, denn nicht zuletzt der Ausbau erneuerbarer Energiequellen und der Schutz der Antarktis sind Themen, die die Zukunft unseres Planeten bestimmen.

 


 

Susanne Käss ist Leiterin des Auslandsbüros Argentinien der Konrad-Adenauer-Stiftung mit Sitz in Buenos Aires.

 


 

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