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Paetrick Schmidt

Auslandsinformationen

Editorial

Als der Kalte Krieg endete und die Sowjetunion zerfiel, war das mehr als nur der Schlussakkord eines machtpolitischen Konflikts zwischen West und Ost. Es war auch das Ende eines Konflikts zweier unterschiedlicher Systeme, zweier Weltanschauungen. Das Konzept liberal-marktwirtschaftlicher Demokratien hatte sich gegen die Utopie einer kommunistischen Weltrevolution durchgesetzt. Nicht zuletzt im Westen setzte daraufhin eine Zeit des Optimismus ein. Jetzt, wo sich der Systemgegensatz aufgelöst hatte, könne die Demokratie ihren weltweiten „Siegeszug“ antreten. So dachten damals viele.

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Heute, mehr als 30 Jahre danach, wissen wir, dass sich viele Hoffnungen nicht erfüllt haben. Und wer die außenpolitische Debatte hierzulande verfolgt, wird bemerken, dass insbesondere ein Begriff zunehmend Eingang in die Diskussionen findet, der Erinnerungen an die Blockkonfrontation zur Zeit des Kalten Krieges evoziert: der „Systemkonflikt“.

Ist es der systemische Gegensatz zwischen Demokratie und Autoritarismus, der die heutigen geopolitischen Entwicklungen entscheidend prägt? Inwieweit teilen Staaten außerhalb des Westens diese Deutung? Und sollte der „Systemkonflikt“ für uns als Deutsche, Europäer und als westliche Bündnispartner der zentrale außenpolitische Deutungsrahmen sein?

Zunächst gilt es festzustellen, dass die zunehmende Auseinandersetzung zwischen den westlichen Staaten auf der einen und China, Russland sowie einigen anderen Staaten auf der anderen Seite tatsächlich auch Züge eines Systemkonflikts trägt. Wir können nicht die Augen davor verschließen, dass China auch über das eigene, totalitär organisierte Land hinaus die internationalen Standards, die sich nach 1945 mit Blick auf Menschenrechte oder auch Rechtsstaatlichkeit herausgebildet haben, zugunsten eigener, autoritärer Standards zu relativieren versucht. Mit anderen Worten: China strebt heute nicht nur eine globale Machtumverteilung innerhalb des bestehenden Systems an, sondern will dessen Grundregeln zu unserem Nachteil verändern. Vor diesem Hintergrund müssen wir die eigene Wettbewerbsfähigkeit, wirtschaftliche Unabhängigkeit und auch unser militärisches Abschreckungspotenzial stärken und in den zuständigen internationalen Gremien – inhaltlich und strategisch – entschieden für unsere liberale Interpretation grundlegender Konzepte wie Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie eintreten.

Der Aufstieg neuer Großmächte hat indes zu jeder Zeit Spannungen in der internationalen Ordnung erzeugt und es ist plausibel anzunehmen, dass es zwischen den westlichen Staaten, die die Welt in den vergangenen Jahrzehnten dominiert haben, und einem Aufsteiger wie China auch unabhängig von Unterschieden im politischen System Reibungen gäbe. Und wir sollten – sowohl gegenüber der Öffentlichkeit im eigenen Land als auch nach außen – offener als in der Vergangenheit damit umgehen, dass auch unsere Außenpolitik nicht stets nur moralischen Erwägungen folgt beziehungsweise folgen kann, sondern auch durch Notwendigkeiten, Zwänge und eigene Interessen gekennzeichnet ist. Denn viele Staaten außerhalb des Westens haben ein durchaus feines Gespür dafür, wenn wir „Wasser predigen, aber Wein trinken“, wie Sabina Wölkner in dieser Ausgabe der Auslandsinformationen schreibt.

Genau solche Partner außerhalb des Westens werden wir aber im derzeitigen geopolitischen Ringen brauchen. Und hier ist die entscheidende Frage, ob es sinnvoll ist, die derzeitigen Entwicklungen vor allem durch die Brille eines Systemkonflikts zwischen Demokratie und Autokratie zu betrachten und dies wie eine Monstranz vor sich her zu tragen. Die Beiträge in dieser Ausgabe zeigen deutlich, dass diesbezüglich Zweifel angebracht sind. Ob man nun die Analyse von Susanne Käss zu einem demokratischen Staat wie Argentinien liest, den Beitrag von Lewe Paul zu Indien betrachtet oder sich die Artikel von Anna Reismann zu Uganda und von Canan Atilgan zu den Staaten Nordafrikas und des Nahen Ostens vor Augen führt: Keines der untersuchten Länder zeigt auch nur die geringste Neigung, sich in eine wie auch immer geartete Blocklogik einzuordnen und abstrakte normative Fragen zur Richtschnur der eigenen Außenpolitik zu machen. Sogar Staaten im Südkaukasus, die durchaus wahrnehmen, dass etwa die EU und Russland für zwei grundlegend verschiedene politische und gesellschaftliche Modelle stehen und die – wie Georgien und Armenien – im Grunde eine deutliche Präferenz für das westliche Modell haben, schrecken aus sicherheitspolitischen Erwägungen davor zurück, klar Stellung gegen Russland zu beziehen, wie Stephan Malerius in seinem Beitrag verdeutlicht.

Was über alle Kontinente hinweg dominiert, ist eine pragmatische, von den konkreten eigenen Interessen geleitete Politik, bei der weit weniger nach grundsätzlichen Prinzipien gefragt wird als danach, was konkret für das eigene Land in der jeweiligen Situation herauszuholen ist. Dass viele Staaten es dabei vermeiden, klar Partei – entweder für den Westen oder für seine Herausforderer – zu ergreifen, hat je nach Fall unterschiedliche, teils auch historische Gründe und ist aus der Sicht jener Staaten durchaus rational. Einerseits möchte sich niemand dem Lager anschließen, das die globale Auseinandersetzung dann womöglich verliert, weswegen viele Akteure schlicht abwarten wollen, wer „gewinnt“. Andererseits kann derjenige, der sich nicht festlegt und von beiden Seiten umworben wird, den „Preis“ für die eigene Gunst in die Höhe treiben. Auch Demokratien sind in ihrem außenpolitischen Handeln nicht automatisch in allen Fragen Partner für den Westen, haben etwa mit Blick auf Russland teils deutlich andere Wahrnehmungen und Positionen. Das gilt für Brasilien, Mexiko und Indien, aber auch für den NATO-Partner Türkei. Umgekehrt gilt aber auch: Selbst harte Autokratien sind nicht zwangsläufig enge Partner Chinas oder Russlands.

Was folgt daraus für unsere deutsche und europäische Außenpolitik? Erstens werden wir uns auf die nüchtern-pragmatische, man könnte auch sagen „transaktionale“ Herangehensweise vieler Staaten bis zu einem gewissen Grad einlassen müssen. Das erfordert von uns eine realistische Einschätzung und eine Offenheit gegenüber den Perspektiven, Interessen und Handlungszwängen anderer Länder und die Fähigkeit, deren Interessen unseren gegenüberzustellen, Schnittmengen zu identifizieren und diese dann konsequent zu nutzen. Eine Schnittmenge mit vielen Staaten liegt in der Verteidigung bestimmter Grundprinzipien der UN-Charta wie der staatlichen Souveränität und territorialen Integrität, wie Andrea Ostheimer in ihrem Beitrag herausarbeitet. Hier können wir Allianzen schmieden, die weit über die Gruppe der westlichen und auch die der demokratischen Staaten hinausreichen.

Das bedeutet zweitens, dass wir bereit sein müssen, langfristig und nicht nur krisenbezogen in Beziehungen mit potenziellen Partnerstaaten zu investieren. Auf deren Interessen einzugehen kann im Einzelfall auch erfordern, etwa bei Handels- oder Rüstungskooperationen nicht nur den kurzfristigen eigenen wirtschaftlichen Nutzen im Blick zu haben, wenn dadurch die Aussicht besteht, den jeweiligen Staat mittelfristig politisch näher an uns zu binden.

Und schließlich müssen wir anerkennen, dass es für uns zwar keine „guten Diktatoren“ gibt, da jede Diktatur ihrem Wesen nach Menschenrechte einschränkt und dem zuwiderläuft, wofür wir stehen; dass es aber gleichzeitig irrational wäre, den Kreis unserer potenziellen außenpolitischen Partner von vornherein auf Demokratien – geschweige denn liberale Demokratien – zu beschränken. Caroline Kanter hat recht, wenn sie in diesem Heft sagt: „Wenn es um unsere Außenbeziehungen geht, ist eben nicht Autokratie gleich Autokratie.“

Es gibt auf der Welt eine ganze Reihe von Staaten, deren politisches und gesellschaftliches System nicht unserem Ideal entspricht, die sich aber – anders als Russland und in zunehmendem Maße auch China – nicht als unsere Gegner sehen und verhalten. Diesen mit einer puristischen Auslegung unserer Werte und Standards zu begegnen, wird vermutlich keines dieser Länder unseren Werten annähern, sondern birgt die Gefahr, sie erst recht in die Arme der revisionistischen Mächte zu treiben und so deren globale Machtposition zu stärken. Ein pragmatischer Ansatz wird diese Staaten zwar nicht gleich zu Freunden erklären, ist aber offen für Kooperationen in den Fragen, in denen gemeinsame Interessen bestehen, trägt auf diese Weise dazu bei, das globale Machtgleichgewicht nicht zugunsten Chinas und Russlands kippen zu lassen und tut damit letztlich auch unseren Werten einen besseren Dienst.

Ja: Es gibt einen globalen Systemkonflikt. Um in ihm zu bestehen, sollten wir ihn stets im Bewusstsein behalten, aber nicht permanent gegenüber Dritten im Munde führen, sollten mehr auf pragmatisches Handeln, weniger auf äußere Haltung und öffentlichkeitswirksame, oft hauptsächlich auf das geneigte heimische Publikum zielende Bekenntnisse setzen.

Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre.

Ihr

Dr. Gerhard Wahlers ist Herausgeber der Auslandsinformationen (Ai), stellvertretender Generalsekretär und Leiter der Hauptabteilung Europäische und Internationale Zusammenarbeit der Konrad-Adenauer-Stiftung (gerhard.wahlers@kas.de).

 

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