Ein ambitionierter Start
Weil die Wähler ihm und seiner Partei mehr Wirtschaftskompetenz zutrauten, ist Mitsotakis im Juli zum Premier gewählt worden. Im Wahlkampf hat er viel versprochen: Mehr Wachstum, weniger Steuern, mehr Investitionen, weniger Korruption und Bürokratie. Jetzt im Amt übt sich Mitsotakis im Drahtseilakt: Einerseits muss der Ministerpräsident spürbare Verbesserungen im Alltag der Griechen herbeiführen, gleichzeitig jedoch die Kreditgeber und ihre Forderungen nach hohen Haushaltsüberschüssen zufriedenstellen. Der aktuelle Haushaltsentwurf für das kommende Jahr – vergangene Woche erstmals vorgestellt – spiegelt die Ambitionen und den damit verbundenen Zweckoptimismus über die sich entwickelnde Wirtschaft wider. Bisher undenkbare 2,8 Prozent soll das Land 2020 wachsen, die enorm hohen Staatsschulden sollen um fünf Prozent sinken. Das wäre die stärkste Entwicklung seit über zehn Jahren.Der Optimismus gründet sich unter anderem auf die Aussicht auf ein erhöhtes Steueraufkommen durch ein jetzt geschaffenes Systems zur Raten-Rückzahlung der enorm hohen Privatschulden, auf erste Weichenstellungen bei wichtigen Privatisierungen und auf das gestiegene Vertrauen der internationalen Märkte. Letzte Woche konnte Griechenland erstmals dreimonatige „T-bills“ zu einer Negativrate von -0,02 Prozent verkaufen; auch längere Anleihen werden derzeit so niedrig verzinst wie schon sehr lange nicht mehr.
Erste Wahlversprechen eingelöst
In der Tat preschte die frisch gewählte Regierung noch vor der Sommerpause mit einer ersten Steuersenkung voran: die Grundsteuer wurde um durchschnittlich rund 20 Prozent für insgesamt 3,4 Millionen Hausbesitzer gesenkt. Weitere Steuersenkungen vor allem für Unternehmen sind zum Jahreswechsel angekündigt.
Politisch bedeutsam für das positive Image der neuen Regierung war auch die rasche Abschaffung des Universitätsasyls. Was nach den Erfahrungen der Diktatur in den Siebzigern ursprünglich die „Freiheit der Ideen und Gedanken“ in den Universitäten vor staatlichen Repressalien schützen sollte, entwickelte sich zu Zufluchtsorten für Kriminelle und politische Extremisten, zu denen die Polizei de-facto keinen Zugang hatte. Mit der Aufhebung des Asyls, das in der Vergangenheit immer wieder am politischen Widerstand linker Parteien und den oft gewaltsamen Protesten Autonomer gescheitert war, hat die Regierung ein starkes Signal gesendet, dass sie sich nicht scheut, auch politisch und gesellschaftlich heiße Eisen anzufassen.So verfährt sie auch bei der geplanten Veränderung des Streikrechts der Gewerkschaften und bei der Lockerung des Arbeitnehmerschutzes. Die ersten Generalstreiks gegen diese Reformen hat die Regierung unbeschadet überstanden. Die Mobilmachung der immer noch stark politisierten und oft kommunistisch angehauchten Gewerkschaften blieb dabei hinter den allgemeinen Erwartungen zurück. Offenbar ziehen die meisten Griechen derzeit die Aussicht auf eine Beschäftigung und ein regelmäßiges Gehalt der reinen Lehre von Ideologie und Klassenkampf vor: Die Arbeitslosigkeit ist mit 17 Prozent immer noch europaweit die höchste. Dafür sind die Bürger – im Moment wenigstens – bereit, die wettbewerbs-fördernden Reformen des Premiers zu unterstützen. Dazu gehören auch eine Liberalisierung des Bildungsmarkts zur Anziehung internationaler Wissenschaftler und Studenten sowie ein verstärkter Fokus auf die berufliche Bildung entlang des deutschen Vorbilds.
Der Altflughafen Athen als Symbolprojekt: Bitte kein Berliner „BER“!
Absoluten Vorrang für die Regierung hat derzeit die Steigerung der Attraktivität Griechenlands für Auslandsinvestitionen. Dafür soll Bürokratie abgebaut, die Verwaltung digitalisiert und Verfahren transparent gemacht werden. Die hierfür zuständigen Minister für Digitalisierung und für Investitionen haben sich dabei bisher durch besonderen Ehrgeiz und hohen Arbeitseifer ausgezeichnet. Gerade die Privatisierung eines Prestigeprojekts soll zum Symbol dafür werden, dass Griechenland wieder „open for business“ ist: Beim bereits jahrelang brachliegenden Athener Altflughafen Hellinikon soll der Regierung nun gelingen, was keiner Regierung zuvor gelungen war: Die Macht der Bürokratie und einzelner Interessengruppen zugunsten konkreter wirtschaftlicher Entwicklung mit Breitenwirkung zu brechen. Und tatsächlich, erste Verträge sind unterzeichnet. Doch vom ursprünglichen Bieterkonsortium sind vergangenen Monat die internationalen Firmen abgesprungen; nur noch die griechische „Lamda Development“ will das Projekt alleine stemmen. Es bleibt abzuwarten, ob dies gelingt.
Türkei und Migration – die großen außenpolitischen Herausforderungen
Seit September ist die Zahl der auf den griechischen Inseln anlandenden Migranten sprunghaft angestiegen. Sie liegt zwar noch deutlich unter den Zahlen von 2015, doch die Bilder sind dieselben: Schlauchboote und Rettungswesten an den Stränden, katastrophale Umstände in den Auffanglagern. Mit dem Einmarsch türkischer Truppen in den Norden Syriens muss damit gerechnet werden, dass die Ankunftszahlen weiter steigen. Und ein Wundermittel hat die regierende Nea Dimokratia, die im Wahlkampf eine härtere Gangart gegenüber illegalen Migranten und schnellere Verfahren angekündigt hatte, nicht zu bieten.
Zwar wurde jetzt ein entsprechendes Maßnahmenpaket beschlossen, das unter anderem vorsieht, 10.000 Menschen bis Ende nächsten Jahres in die Türkei zurückzuführen. Doch gleichzeitig muss die Regierung zur Entlastung der extrem überfüllten Lager immer wieder Hunderte von Ankömmlingen von den Inseln aufs griechische Festland transportieren, was diese wiederum ihrem Ziel näherbringt, weiter Richtung Westeuropa zu ziehen. Das könnte aber auch weitere Migranten aus der Türkei und darüber hinaus anziehen – genauso wie die Tatsache, dass Athen eine sehr niedrige Rückführungsquote hat und die Gefahr für einen auf den Inseln anlandenden Migranten, abgeschoben zu werden, bisher nicht hoch ist. Wie dem auch sei, offenbar kann oder will die türkische Regierung nicht so effektiv wie vorher diejenigen aufhalten, die nach Europa wollen – und der Strom nach Griechenland und Europa wird somit nicht abreißen.Innenpolitisch hat Premier Mitsotakis von den gestiegenen Ankunftszahlen (noch) keinen Schaden genommen. Außenpolitisch bemüht er sich aber – zumindest einerseits – um Dialog und Deeskalation mit Ankara: Am Rand der UN-Generalversammlung traf er auf Präsident Erdogan; sein Migrationsminister Koumoutsakos traf kürzlich seinen türkischen Amtskollegen, um eine bessere Koordinierung in der Migrationsfrage voranzutreiben. Andererseits bleiben die bilateralen Beziehungen zum historischen Rivalen angespannt, nicht zuletzt gerade wegen dem sich zuspitzenden Konflikt zur Weiterführung des EU-Türkei-Deals, aber auch aufgrund der türkischen Aktivitäten rund um die Gasvorkommen im Hoheitsgebiet des mit Athen verbrüderten Zypern.
Aus Athener Sicht waren deshalb die Ergebnisse des dreitägigen Besuchs des US-Außenministers Pompeo umso erfreulicher, der Griechenland als „Stabilitätsfaktor“ in der Region beschrieb und mehrere bilaterale Abkommen unterzeichnete. So wurde der Ausbau der militärischen Zusammenarbeit beschlossen, unter anderem durch die Gewährung der Nutzung zweier weiterer Luftwaffenstützpunkte für die Amerikaner, die Erweiterung der US-Luftwaffenbasis auf Kreta sowie den Hafenzugang zu Alexandropouli an der Festlandgrenze zur Türkei. Letzterer soll nicht nur zur griechischen Drehscheibe für die Trans-Adria-Erdgaspipeline werden, die ab 2020 Erdgas aus Aserbaidschan über Griechenland und Albanien nach Italien liefern und so die Abhängigkeit der EU von Russland reduzieren soll. In Alexandropouli ist auch der Bau einer Flüssiggasanlage, unter anderem für amerikanisches LNG (liquefied natural gas), geplant.
Es bewegt sich etwas
Ein Jahr nach dem Ende des letzten Rettungspakets für Griechenland und 100 Tage nach Amtsantritt von Kyriakos Mitsotakis ist festzuhalten: ein vorsichtiger Optimismus hat eingesetzt. Die meisten Griechen beurteilen die bisherige Arbeit der neuen Regierung positiv. Aktuellen Umfragen zufolge sind über 61 Prozent der Bevölkerung mit der Arbeit von Mitsotakis und seiner Nea Dimokratia zufrieden. Bei der Sonntagsfrage würden derzeit mehr als 40 Prozent die Nea Dimokratia wählen; gut 20 Prozent bevorzugen dagegen immer noch die Syriza. Die Zustimmungsrate für Mitsotakis selbst liegt derzeit bei 47 Prozent, die für seinen Hauptrivalen Tsipras lediglich bei 21 Prozent. Tatsächlich erscheint die bis vor kurzem regierende Syriza noch in einem Selbstfindungsprozess: sie stellt bisher keine schlagkräftige Opposition dar und hat der Nea Dimokratia inhaltlich wenig entgegenzusetzen.Nach so vielen Jahren des politischen Umbruchs und wirtschaftlichen Entbehrungen leistet sich jetzt aber noch kein Grieche den Luxus, an ein „Alles wird wieder gut“ zu glauben. Der Arbeitseifer der neuen Regierung auf heimischer und internationaler Bühne ist zu begrüßen. Das klare Bekenntnis von Mitsotakis und seinen Mannen (Frauen gibt es leider kaum) ist keine Selbstverständlichkeit nach der noch nicht so lange zurückliegenden Gefahr eines „Grexits“. Auch der klare Wunsch nach einer engen Abstimmung mit Berlin nicht. Der Konfrontationskurs früherer Regierungen sind noch in guter Erinnerung. Insgesamt: Erste Schritte gehen in die richtige Richtung. Aber bis zu einer politischen und wirtschaftlichen „Normalisierung“ des Landes ist der Weg noch weit.