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Länderberichte

Ohne Lula geht nichts…

Brasiliens Präsident Lula ist der Fixpunkt der brasilianischen Politik: Ob Skandal im Senat, die Ernennung seiner Nachfolgekandidaten oder die Lösung von Konflikten in Südamerika. Er steht überall im Mittelpunkt, allerdings mit wechselndem Erfolg.

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Fortsetzung der Skandale im Kongress

Schon seit Anfang des Jahres hatte der brasilianische Kongress mit diversen Skandalen die Gemüter im Lande erhitzt. War es damals vor allem die Abgeordnetenkammer gewesen, deren Mitglieder Vergünstigungen wie Flugreisen und Handys für Freunde und Verwandte genutzt hatten, so stand zuletzt insbesondere der Senat im Zentrum der Kritik. Das Muster des ersten Skandals, bei dem Abgeordnete aus allen Fraktionen betroffen waren und sich das Parlamentspräsidium um eine rasche und geräuschlose Aufarbeitung bemühte, traf diesmal allerdings nicht zu. Im Senat ging es vor allem um die von dem bisherigen Senatsdirektor Agaciel Maia durchgeführten Personaleinstellungen und Zahlungsanordnungen, die auf der Grundlage von mehreren hundert „geheimen Akten“ erfolgten. Diese Verwaltungsakte waren nicht wie gesetzlich vorgeschrieben veröffentlicht worden, sondern erfolgten unter Ausschluss der Öffentlichkeit und begünstigten Personen, die entweder trotz fehlender Eignungen eine Tätigkeit im Senat erhalten hatten (dessen Stellenplan in der Amtszeit Maias regelrecht explodiert war) oder gar nur Gehalt erhielten, aber an ihrem vermeintlichen Arbeitsplatz nicht bekannt waren.

Politisch brisant wurde die Angelegenheit durch die Tatsache, dass Senatspräsident José Sarney in mehrfacher Hinsicht in diesen Skandal verstrickt ist: Er hatte Maia während seines ersten Mandats als Senatspräsident im Jahr 1995 eingestellt, er selbst erhielt ungerechtfertigterweise einen Wohnungszuschuss und es gab mindestens 11 Verwandte Sarneys, die im Senat beschäftigt waren. Sarney, der von 1985 bis 1990 Staatspräsident Brasiliens war, ist bereits zum dritten Mal Senats- und damit Kongresspräsident. Es handelt sich also bei ihm um einen der höchstrangigsten Vertreter der politischen Klasse Brasiliens. Umso heftiger entwickelte sich die politische Schlacht um sein Verbleiben im Amt. Die Medien, v.a. die großen Zeitungen aus São Paulo und Rio waren die aufdeckenden, treibenden Kräfte, die letztlich den Oppositionsparteien das Material für die Auseinandersetzung lieferten. Diese wurde in Teilen unter unwürdigen Umständen ausgetragen, da sich Sarney standhaft weigerte, auf sein Amt zu verzichten und ihn die Opposition teilweise erbittert attackierte. Die Hauptverteidigungslinie Sarneys und seiner Unterstützer bis hoch zu Präsident Lula war, dass solche Dinge doch alle tun und Sarney ja außerdem nichts vom Treiben seines Senatsdirektors sowie der Einstellung all seiner Verwandten gewusst habe. Im Senat griffen seine beiden Hauptverteidiger Renan Calheiros (Senatspräsident bis 2007, musste zurückgetreten, weil er seine Geliebte von einem Bauunternehmer aushalten ließ) und Fernando Collor de Mello (Staatspräsident 1990 bis 1992, wurde wegen Korruption per Impeachment angeklagt und trat schließlich zurück) dazu, Dossiers über die Verfehlungen ihrer Konkurrenten anzukündigen und schließlich auch zu verbreiten. Mit Erfolg, denn am Ende wurden in der Ethikkommission des Senats alle Vorwürfe gegen Sarney verworfen, ebenso wie die gegen den oppositionellen Wortführer Artur Virgílio (PSDB). Damit war zunächst ein Waffenstillstand erreicht.

Lulas Unterstützung für Sarney

Sarney ist äußerst einflussreich in der Partei PMDB, die derzeit die an Mandaten stärkste Partei Brasiliens ist und die wesentliche parlamentarische Stütze für Präsident Lulas Regierungsallianz darstellt, daneben aber auch eine Reihe wichtiger Bundesstaaten sowie Großstädte regiert. Die Partei verfügt über fast kein inhaltliches Profil, sondern ist ein großer heterogener Mehrheitsbeschaffer, der seine Klientel erfolgreich mit Ämtern und Pfründen versorgen kann. Dementsprechend setzen so wie Lula auch seine Herausforderer aus den bürgerlichen Parteien PSDB und DEM auf möglichst viel Unterstützung des PMDB beim nächsten großen Wahlgang im Oktober 2010, bei dem alle wesentlichen Ämter auf Bundes- und Landesebene neu bestimmt werden. Hierfür hat Lula bereits seine Kandidatin mit Dilma Rousseff gesetzt, da er selbst wegen der Verfassung nicht zu einer dritten Amtszeit antreten kann. Rousseff ist seine Präsidentschaftsministerin (zwischen dt. Kanzleramtsminister und frz. Premierminister anzusiedeln), die aber über wenig Charisma und keine Parteierfahrung in Lulas Arbeiterpartei PT verfügt. Ohne die Allianz mit PMDB hat sie fast keine Aussicht, die Wahlen 2010 zu gewinnen, womit das Projekt Lula dann enden würde. Deshalb tut Lula fast alles und setzt insbesondere seine Glaubwürdigkeit bei den gebildeteren Mittelschichten und Aufsteigern aufs Spiel, die viel von seinen Sozialprogrammen halten, aber von der Korruption der politischen Klasse angewidert sind. Dabei riskiert Lula die Abwendung dieser Gruppen von der Arbeiterpartei PT, um sein eigenes Projekt durchzusetzen. Diese Spaltung der von ihm gegründeten und bisher dominierten Partei zeigte sich im Senat, wo wichtige PT-Senatoren, die 2010 wiedergewählt werden wollen, nicht zur bedingungslosen Gefolgschaft für Lula (=Sarney) bereit waren.

Die Kandidatenlage für die Präsidentschaftswahlen 2010

Ob jedoch die heutige Opposition von dieser Unzufriedenheit profitieren und den nächsten Präsidenten stellen kann, ist mehr als ungewiss. Einerseits ist noch kein Kandidat der Allianz PSDB / DEM gekürt. PSDB mit ihrem traditionellen Schwerpunkt in São Paulo, wo die Partei seinerzeit vom späteren Staatspräsidenten Fernando Henrique Cardoso gegründet wurde, scheint auf den Kandidaten José Serra zu setzen. Der jetzige Gouverneur des Bundesstaates São Paulo gilt ebenfalls als nicht besonders charismatisch und hatte bereits 2002 gegen Lula verloren. Andererseits verfängt die Strategie Lulas, die Skandale aus den eigenen Reihen dadurch zu relativieren, dass er auf das Gebaren aller Politiker verweist und dass es doch nun wirklich für die „aufstrebende Macht Brasilien“ wichtigere Dinge zu lösen gäbe als die Fragen nach irgendwelchen Zusammenhängen bei der Einstellung von Senatsmitarbeitern aufzuklären, durchaus bei den breiten Bevölkerungsschichten. Für die meisten Bürger dürfte es daher in der Bewertung der Politiker keine großen Unterschiede zwischen Regierung und Opposition geben, was durch die in Brasilien verbreitete Praxis des häufigen Parteiwechsels noch verstärkt wird.

Neue „Vor-Kandidatin“ belebt die Politik

In den letzten Wochen ist der virtuelle Vorwahlkampf allerdings deutlich belebt worden: Die ehemalige Umweltministerin Lulas, Marina Silva, ist bereit, die Einladung zur Präsidentschaftskandidatur der Grünen Partei (Partido Verde, PV) anzunehmen und hat den PT nach 30 Jahren aktiver Mitgliedschaft den Rücken gekehrt. Selbst PT-Politiker sagen, dass Marina Silva all das hat, was Dilma Rousseff fehlt: Stallgeruch (sie ist seit 20 Jahren PT-Politikerin, seit ihrem Rücktritt als Umweltministerin 2008 Senatorin); Rückgrat (sie ist als Umweltministerin zurückgetreten, weil sie sich als „grünes Gewissen“ für eine bedenkenlose Industrialisierungspolitik in Brasilien nicht länger missbrauchen lassen wollte); Charisma und Eigenständigkeit (sie kommt aus den christlichen Sozialbewegungen, wo ihr heute schon Tausende bei ihren Auftritten zujubeln und hat sich als Jugendliche selbst Lesen und Schreiben beigebracht und somit eine nur noch Lula vergleichbare Karriere aus eigener Kraft geschafft.) Ob sie allerdings realistische Chancen auf eine entscheidende Rolle im Wahlprozess hat, wird nicht zuletzt von ihrer Fähigkeit abhängen, Wahlbündnisse auf der in Brasilien wichtigen Ebene der Bundesstaaten zu schmieden und damit eine Mobilisierung der Wähler zu ihren Gunsten zu erreichen. Die Beobachter geben ihr im Moment keine Chance auf einen Wahlsieg, aber sie räumen ihr erheblichen Einfluss auf die Agenda des kommenden Wahlkampfes ein, bei dem die Umweltpolitik stärker in den Mittelpunkt rücken könnte.

Führungsanspruch mit wenig Führung in der Außenpolitik

Brasilien und insbesondere die Regierung Lula beansprucht eine Führungsrolle in Südamerika und letztlich auch eine Mitsprache bei den Großen der Welt. Eine Kritik, die durch einige Fakten gestützt wird, zielt auf die mangelnde Bereitschaft Brasiliens, die politischen und ökonomischen Kosten für eine solche Führungsrolle zu zahlen und sich zu einem klaren Kurs zu bekennen. Vielmehr überwiegt derzeit noch das Bemühen, sich mit allen gut zu stellen, Obama hymnisch zu loben (was der im Gegenzug auch für Lula tut) und gleichzeitig als erste Ahmadinedschad zur „gewonnenen“ Wahl zu gratulieren. Es ist derzeit eine ausgesprochene Popularität der so genannten BRIC-Staaten (Brasilien, Russland, Indien und China, nach einer Goldman-Sachs-Analyse aus dem Jahr 2001) in Brasilien festzustellen. Obwohl die Staaten von der Investmentbank vor allem aus wirtschaftlicher Perspektive zusammengestellt wurden, wird das Quartett in den Medien und bei großen Konferenzen wie ein Bündnis gehandelt, nicht zuletzt nach dem ersten Gipfeltreffen der Präsidenten im russischen Jekaterinburg im Juni 2009. Dass man mit solchen Freunden wie Iran, Russland und China nur begrenzt politische Führung auf dem eigenen Kontinent ausüben kann, liegt auf der Hand. Das zeigte sich auch in den jüngsten Konflikten Lateinamerikas, der Absetzung des Präsidenten von Honduras und der geplanten Stationierung US-amerikanischer Militärbasen in Kolumbien im Rahmen des Antidrogenkampfes. Brasilien zeigte sich hier eher reaktiv und um Abwehr US-amerikanischen Einflusses bemüht statt eine klare Linie zu den populistischen und autoritären Regimen im Umfeld von Venezuelas Präsident Hugo Chávez zu ziehen. Nicht zuletzt die deutliche Kritik des britischen „Economist“, von dem Lula und Brasilien sonst nur Lobeshymnen gewohnt waren, hat eine Debatte über den eigenen Kurs unter den brasilianischen Eliten entfacht: „Whose side is Brazil on? – It’s time for Lula to stand up for democracy rather than embrace autocrats“

Beim Sondergipfel der südamerikanischen Staatengemeinschaft UNASUR im argentinischen Bariloche am 27. August konnte Lula keine Einigung zwischen Kolumbiens Präsident Uribe und seinen linkspopulistischen Widersachern Chávez (Venezuela), Correa (Ecuador) und Morales (Bolivien) herbeiführen und es zeigt sich, dass auch für Lula der Anspruch auf Führung allein nicht ausreicht. Man muss auch eine Linie haben, die möglicherweise nicht von allen geteilt wird.

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