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Länderberichte

Referendum in den Niederlanden

von Oliver Morwinsky, Moritz Junginger

Eine Abstimmung über die EU oder den europäischen Weg der Ukraine?

Am 6. April stimmen die Niederländer in einem Referendum über das EU-Assoziierungsabkommen mit der Ukraine ab. Einer kleinen Mehrheit für die Gegner des Abkommens stehen in aktuellen Umfragen noch viele unentschlossene Wähler gegenüber. Während Euroskeptizismus und Politikverdrossenheit die Gegner antreibt, warnen viele Beobachter vor einem negativen politischen Signal für die Europäische Union und den europäischen Weg der Ukraine.

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Am 6. April 2016 wird die Handelsnation Niederlande über das Freihandelsabkommen mit der Ukraine in einem konsultativen Referendum abstimmen. Dabei geht es beim Referendum nicht in erster Linie um das EU-Assoziierungsabkommen mit der Ukraine, sondern viel mehr um Euroskeptizismus, EU-Erweiterungsfatigue und Politikverdrossenheit. Die europakritischen Initiatoren des Referendums organisieren daher eine aktive „Nein“-Kampagne, die sich gegen das Abkommen wendet. Über die rechtlichen und politischen Konsequenzen einer Ablehnung des Abkommens ist man sich weder in Brüssel noch in Den Haag einig: Prognosen schwanken zwischen Jean-Claude Junckers Warnung vor einer “kontinentalen Krise” für Europa, die einem “einfachem Sieg” für Russland gleichkommt und einer rein technischen Anpassung für das bereits provisorisch in Kraft getretene Abkommen.

Abstimmung für mehr oder weniger Europa und die tragische Rolle der Ukraine

Erst seit dem 1. Juli 2015 haben die Bürger in den Niederlanden die Möglichkeit, eine Volksabstimmung über nationale Gesetze kurz nach deren Verabschiedung im Parlament abzuhalten. Voraussetzung ist eine Unterschriftensammlung von 300.000 niederländischen Staatsbürgern. Das erste Mal wird dieses Instrument am 6. April 2016 Anwendung finden. An diesem Tag bekommen die Niederländer auf den Wahlzetteln folgende Frage gestellt: “Sind Sie für oder gegen das Gesetz zur Genehmigung des Assoziierungsabkommens zwischen der Europäischen Union und der Ukraine?”. Das Abkommen wurde bereits im Juni 2015 unterzeichnet und trat am 1. Januar 2016 – in großen Teilen – bereits in Kraft.

Dass über das Assoziierungsabkommen abgestimmt wird, hat einen einfachen Grund: Die Ratifizierung des Abkommens ist die erste Möglichkeit, auf Grundlage des neuen „Referendumsgesetzes“, per Volksabstimmung hiervon Gebrauch zu machen. Einige Beobachter bezeichneten die Rolle der Ukraine im Referendum daher auch als “tragisch”, denn es hätte durchaus auch einen anderen Rechtsakt treffen können. Die europakritische Initiative, allen voran die “GeenPeil” Initiative bestehend aus dem stark rechtslastigen Blog “GeenStijl” und den beiden europaskeptischen Organisationen “Forum for Democracy” und “Citizen Committee EU”, dürfte aber auch die implizite Möglichkeit, über die Europäische Union abzustimmen, nicht ungelegen kommen. So erzielte die Initiative die nötige Unterschriftenzahl mit über 427.000 gesammelten Unterschriften in kürzester Zeit. Besondere Brisanz erhält das Thema zudem durch die derzeitige Ratspräsi-dentschaft der Niederlande (bis 30.06.16). In dieser Funktion kommt dem Land eine demonstrative Rolle zu.

Euroskeptizismus, Politikverdrossenheit und das angeschlagene Bild der Ukraine

In den letzten 30 Jahren zeigten sich verstärkt europakritische Tendenzen im einstigen Gründungsmitglied der Europäischen Union. Dies wurde besonders deutlich im Referendum über den europäischen Verfassungsvertrag im Jahr 2005. Viele Politiker erinnern sich nur zu gut an das Nein-Votum der Niederländer im besagten Jahr und befürchten, dass sich dies auch 2016 wiederholen könnte. Viele der Wähler werden am 6. April daher gefühlt auch nicht über ein abstraktes Abkommen mit der für sie fernen Ukraine abstimmen, sondern ein Votum für mehr oder weniger Europa abgeben.

Sofern die Ukraine eine Rolle für das Referendum spielt, fällt das Bild des Landes in den Augen der Niederländer vielfach negativ aus. Mit der Ukraine verbinden die Niederländer den Krieg im Donbas, den Abschuss des Malaysia-Airlines-Flugs 17 und den Tot aller 192 niederländischen Passagiere an Bord sowie ganz allgemein die Korruption und eine instabile Regierung. Dass im Dezember 2015 die vor 10 Jahren aus einem niederländischen Museum gestohlenen Bilder in der Ostukraine wieder aufgetaucht sind, verstärkt dieses Bild noch.

Ein nachweislich gefälschtes Video des ukrainischen Freiwilligenbataillons Asow, in dem schwarz vermummte Bewaffnete den Niederländern mit Rache drohen, sollten sie gegen die EU-Assoziierung stimmen, sollte offensichtlich diese Tendenzen verstärken. Eine russische Urheberschaft konnte zwar nicht nachgewiesen werden, wird aber von vielen Beobachtern vermutet. Laut Medienberichten sollen US-Geheimdienste auch den Verdacht geäußert haben, dass Russland die Initiatoren des Referendums beeinflusst habe.

Zu dieser unübersichtlichen Gerüchtelage passt es, dass viele Niederländer befürchten, dass die Ukraine mit dem EU-Assoziierungsabkommen Mitglied der Europäischen Union wird. Auch eine Flut von Arbeitsmigranten wird heraufbeschwört. Dass das Abkommen weder eine Beitrittsperspektive schafft noch den europäischen Arbeitsmarkt für Ukrainer öffnet, dringt kaum durch. Der Präsident der Europäischen Kommission Jean-Claude Juncker sah sich im März gezwungen zu unterstreichen, dass die Ukraine in den nächsten 20-25 Jahren weder der EU noch der NATO beitreten wird.

Positionierung der politischen Parteien und Stimmverhalten ihrer Wähler

Inmitten dieser schwierigen Stimmungslage hat sich im Vorfeld des Referendums die “Ja”-Kampagne in der Zivilgesellschaft intensiviert, allen voran mit der Initiative “Stem Voor”. Aufgrund der heftigen Kritik aus dem Lager der Gegner an der “etablierten” politischen Klasse hat die niederländische Regierung lange gewartet sich klar zu positionieren und Kampagnen zu initiieren. Der Premierminister Mark Rutte der Volkspartij voor Vrijheid en Democratie (VVD) kündigte erst im Januar 2016 an, dass die niederländische Regierung sich für das Abkommen einsetzen wird. Gleichzeitig schloss Rutte eine aktive Kampagne der Regierung aus: “Wir werden für das Abkommen nicht mit Flaggen und Glocken durch die Straßen ziehen”. Ein im Februar geleaktes Strategiepapier der niederländischen Regierung empfiehlt auch dementsprechend, nur über die Handelsvorteile zu sprechen und nicht den Konflikt der Ukraine mit Russland zu nennen.

Die innenpolitische Positionierung der politischen Parteien ist klar: Geert Wilders rechtspopulistische “Partij voor de Vrijheid” (PVV), die “Socialistische Partij” (SP) und Partij voor de Dieren (PvdD) sind dagegen. Die anderen im Parlament vertretenen Parteien VVD, “Partij van de Arbeid” (PvdA), “Christen Democratisch Appèl” (CDA), “Democraten66” (D66), “ChristenUnie” (CU), “GroenLinks”, “Staatkundig Gereformeerde Partij” (SGP) und “50Plus” haben im Juni 2015 im Parlament für das EU-Assoziierungsabkommen gestimmt. Doch selbst ein öffentliches Eintreten der Parteien für das Abkommen würde – so ihre Befürchtungen – mit hoher Wahrscheinlichkeit zu ihren Ungunsten ausgelegt. „Die Bürger glauben uns nicht mehr“, sagte ein Parteifunktionär.

Das Ergebnis des Referendums wird nicht nur über die Meinung der Bürger über das Abkommen Auskunft geben, sondern vor allem auch die Mobilisierungsfähigkeit der Politik verdeutlichen. Es gibt drei allgemeine Wahltendenzen:

  1. Je älter man ist, desto eher ist man gegen das Abkommen.
  2. Je jünger man ist, desto weniger weiß man über das Abkommen.
  3. Je gebildeter man ist, desto eher stimmt man für das Abkommen.
Insgesamt sind die Gegner des Abkommens besser organisiert und eher dazu bereit, ihre Meinung per Abstimmung kundzutun. So zeigen Umfragen, dass Niederländer, die generell europaskeptisch sind, mit 61% mehrheitlich gegen das Abkommen stimmen werden. EU-Befürworter tun sich hier eher schwer: 36% sind dafür, 28% dagegen.

Es gibt einen großen Wähleranteil, der nicht hinreichend über den Inhalt des Abkommens informiert ist. Zwar hat der Anteil derer, die zumindest wissen, dass das Referendum stattfindet von 49% Anfang März auf 80% Ende März 2016 rasant zugenommen, jedoch schwanken die Prognosen hinsichtlich des Ausgangs. Der Anteil der Wähler, der gegen das Abkommen stimmen möchte, liegt hier-nach zwischen 25% und 35%. Und über den Inhalt der eigentlichen Abstimmung sind lediglich 25% gut informiert.

Dies liegt auch an der geringen Präsenz des Themas in den Medien. So haben nur weniger als ein Viertel der Bevölkerung konkret etwas über das Referendum gehört oder gelesen. Die Unkenntnis innerhalb der Bevölkerung liegt zum Teil auch an der zurückhaltenden Haltung der Regierung und der Parteien. Sie beschränken sich größtenteils auf einen Minimaleinsatz. Nach wie vor hoffen sie darauf, dass die notwendige Wahlbeteiligung von 30% nicht erreicht wird und dass die Wähler ihre rationale Botschaft verstanden haben: Das Abkommen ist gut für Europa und daher auch gut für die Niederlande. Ob die Hoffnung der Parteien auf eine geringe Beteiligung und Fokussierung auf die rationale Botschaft ausreichen, bleibt abzuwarten.

Der Blick aus Brüssel und die Hoffnung auf eine technische Lösung

In Brüssel existiert keine einheitliche Position zum Referendum. Insgesamt scheint es, dass das Referendum in Brüssel stark unterschätzt wird. Dies ist auf den Fluren der europäischen Institutionen hinter vorgehaltener Hand zu hören. Neben der Migrationskrise und des möglichen “Brexits” spielt das niederländische Referendum eine untergeordnete Rolle. Man hatte nicht geglaubt, dass überhaupt die Mindestzahl an Unterschriften zusammen kommt, und hofft aktuell, dass das Referendum nicht die 30%-Hürde nimmt. Viele halten bei einem Votum gegen das Abkommen eine technische Lösung nach wie vor für möglich.

In der Tat schätzen Experten die rechtlichen Konsequenzen als gering ein. Nur ca. 30% betreffen nationale Kompetenzen, während 70% des Abkommens in der Kompetenz der EU liegen, insbesondere was die Fragen des Freihandels betrifft. Das Europäische Parlament hatte das Abkommen bereits am 16. September 2014 angenommen. Insofern ist fraglich, wie weit eine Ablehnung überhaupt greifen würde. Rechtlich möglich wäre eine Art Anpassungsprotokoll, ähnlich wie bereits im Falle der Schweiz bei der Schaffung des Europäischen Wirtschaftsraums im Jahr 1990. Die Niederlande wären dadurch nicht mehr Unterzeichner des Assoziierungsabkommens. Das würde dazu führen, dass die vom Umfang her relativ geringen Regelungen, die unter rein nationale Kompetenzen fallen (z.B. die Arbeitnehmermobilität (Art. 18) oder Festlegung eine Zolls im eigentlichen Sinne für die Einfuhr von landwirtschaftlichen Wahren auf Grundlage des WTO-Abkommens (Art. 40)), zwischen den Niederlanden und der Ukraine nicht in Kraft treten würden.

Der europäische Weg der Ukraine: “Dafür haben wir auf dem Maidan gekämpft!”

So trocken und unspektakulär das EU-Assoziierungsabkommen mit seinen 1200 Seiten für die Niederländer und Unionsbürger wirken mag, für die Ukraine hat es eine äußerst wichtige Bedeutung und emotionale Komponente. Vertreter der Zivilgesellschaft und der Regierung sagen einstimmig, dass sie für den europäischen Weg der Ukraine im Winter 2013-2014 auf dem Maidan gekämpft haben. Die Nichtunterzeichnung des EU-Assoziierungsabkommens durch den damaligen Präsidenten Wiktor Janukowytsch hatte die monatelangen Demonstrationen ausgelöst, bei der mehr als 100 Menschen starben. Nach dem Ende des Janukowytsch-Regimes setzte sich die neue, pro-europäische Regierung ganz gezielt für das Abkommen ein. Laut aktuellen Umfragen unterstützen 68% der Ukrainer das EU-Assoziierungsabkommen.

Ukrainische Politiker engagieren sich für die Unterstützung des Assoziierungsabkommens in den Niederlanden und rufen zur Solidarität mit der Ukraine auf. Im November 2015 führte der ukrainische Präsident Petro Poroschenko Gespräche mit der niederländischen Regierung und trat vor Studenten der Universität Leiden auf. Der ukrainische Parlamentspräsident Wolodymyr Hrojsman besuchte die Niederlande im März und der ukrainische Außenminister Pavlo Klimkin wird Anfang April erwartet. Ukrainische Politiker sind überzeugt: die niederländische Regierung steht bei dem Referendum hinter der Ukraine. Um das Bild der Ukraine in den Augen der Niederländer zu verbessern, kamen die Klitschko-Brüder Ende März in die Niederlande und baten in einer Talkshow und in Interviews mit niederländischen Medien um die Unterstützung der Niederländer für eine demokratische und stabile Ukraine.

Gleichzeitig ist der Handlungsspielraum für die ukrainische Politik und hochrangige Vertreter stark eingeschränkt. Zuviel Engagement könnte als Einmischung gewertet werden. Daher konzentriert sich die ukrainische “Ja”-Kampagne um Vertreter der ukrainischen Zivilgesellschaft. Die in den Niederlanden lebende ukrainische Diaspora initiierte die Internetseite “Oekraine-Referendum”, auf der das As-soziierungsabkommen in einfacher Sprache erklärt wird und Argumente für das “Ja”-Votum gebracht werden. Ukrainische Intellektuelle und Leiter führender Think-Tanks und NGOs der Ukraine publizierten gemeinsame Aufrufe zum “Ja”-Votum. Außerdem werden in den sozialen Medien Kurzvideos über die Ukraine verbreitet, beispielsweise “Hop, Nederland, hop!" und “Tak is Ja”. Die ukrainische Zivilgesellschaft hat sich ein strategisches Ziel gesetzt: auch wenn das Abkommen abgelehnt werden sollte, soll die Kampagne den Niederländern die Ukraine näher bringen und die Grundlage für zukünftig engere Beziehungen bilden.

Eine mögliche Ablehnung wird daher auch relativ gelassen gesehen. Die ukrainischen Medien haben in den letzten Wochen mit ihrer Berichtserstattung die Ukrainer darauf vorbereitet, dass eine Ablehnung durchaus nicht auszuschließen ist. Auch im Außenministerium ist man überzeugt, dass eine technische Lösung möglich ist.

Weitreichende politische Konsequenzen

Neben der Aussicht auf eine technische Lösung wirkt das Referendum auch durch den nicht-bindenden Charakter wenig bedeutsam. Die niederländische Regierung ist nicht verpflichtet, das Ergebnis umzusetzen. Doch auch die Abstimmung über die Europäische Verfassung im Jahr 2005 hatte keine rechtliche Bindung. Dennoch hatte das “Nein” der Niederländer eine solche politische Sprengkraft, dass es zusammen mit dem ablehnenden Votum der Franzosen damals die Ratifizierung effektiv verhinderte und die EU in eine tiefe politische Krise stürzte. Während 48% der Niederländer meinen, dass die Regierung sich an das Ergebnis des Referendums am 6. April halten muss, finden 41%, dass die Regierung selbst eine Entscheidung treffen sollte. Experten prognostizieren allerdings, dass die Politik bei hoher Wahlbeteiligung und klarem “Nein”-Votum sich kaum gegen den Willen des Volkes stellen kann.

Innenpolitisch kann das Referendum als Indikator für Entwicklungen im Vorfeld der für März 2017 geplanten Parlamentswahlen in den Niederlanden betrachtet werden. Wird das EU-Assoziierungsabkommen abgelehnt, würde dies gleichzeitig mangelnde Unterstützung der Regierung und wachsende Popularität der euroskeptischen Parteien signalisieren.

Über die Niederlande hinaus hätte die Ablehnung des EU-Assoziierungsabkommens eine eindeutige symbolische Wirkung. Dass die Niederlande, während sie die EU-Ratspräsidentschaft innehaben, sich impl izit gegen die Europäische Union und einen europäischen Weg der Ukraine entscheidet, birgt politischen Zündstoff. Mit Blick auf das Referendum über den Verbleib des Vereinigten Königreichs in der Europäischen Union am 23. Juni 2016 gehen Beobachter davon aus, dass eine niederländische Ablehnung in der Tat „Brexit-Befürworter“ in Großbritannien zusätzlich ermutigen könnte. Auch anderen europaskeptischen Parteien und Initiativen in der EU könnte ein solches Ergebnis zusätzlichen Aufwind bescheren.

Abgesehen von Junckers Warnung vor einem Sieg für Russland, dem das Abkommen seit langem ein Dorn im Auge ist und das als Konsequenz den Freihandel mit der Ukraine bereits ausgesetzt hat, wäre eine Ablehnung darüber hinaus auch ein Manifestation von mangelnder Unterstützung für den europäischen Weg der Ukraine. Ohne Zweifel wird die Unterstützung der EU für die Ukraine unabhängig vom Ergebnis des Referendums fortgesetzt, doch die symbolische Wirkung für die außenpolitischen Bemühungen der Europäischen Union, insbesondere im Rahmen der Östlichen Partnerschaft, sollte nicht unterschätzt werden.

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