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Länderberichte

Schwierige Kursbestimmung

von Dr. Peter R. Weilemann †, Joscha Ritz

Der Europäische Rat ringt um die künftige Finanz- und Wirtschaftspolitik der Europäischen Union

Auf seiner zweiten formellen Tagung nach in Kraft treten des Vertrags von Lissabon hat der Europäischen Rat vom 25.- 26. März 2010 weitere wichtige Weichenstel-lungen zur aktuellen Finanzkrise in Grie-chenland wie zur mittel- und langfristigen Ausrichtung seiner Wirtschafts-, Finanz- und Währungspolitik getroffen.

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Im Rahmen der Zusammenkunft aber außerhalb der Tagesordnung des Europäischen Rates gaben die Staats- und Regierungschefs der Eurozone ein klares Signal zur Eindämmung der negativen Konsequenzen der griechischen Verschuldungskrise auf den Euro und die internationale Finanzstabilität. Sie präzisierten ihre grundsätzliche Hilfezusage vom Februar, knüpften deren Aktivierung aber an strenge Bedingungen. Der Europäische Rat verständigte sich auf seiner regulären Sitzung auf Grundzüge der künftigen Reformstrategie der Europäischen Union nach Ablauf der so genannten Lissabon-Strategie. Sie soll im Juni förmlich angenommen werden. Letztlich erörterte er Folgemaßnahmen zur Klimaschutzkonferenz in Kopenhagen und beschloss Orientierungspunkte, wie dem Verhandlungsprozess neue Dynamik verliehen werden könnte.

1. Das Griechenland-Dossier

Nach einer unglücklichen öffentlichen Debatte im Vorfeld des Treffens, ob und wie Griechenland bei der Überwindung seiner finanziellen Probleme, die das Land an den Rand eines Staatsbankrotts getrieben haben, geholfen werden soll, haben die Staats- und Regierungschefs der Eurozone sich auf eine gemeinsame Erklärung verständigt. Sie enthält eine Art Vorrats-Beschluss, der Griechenland Rückendeckung geben und Handlungsfähigkeit der EU bei einer Zuspitzung der Lage unter Beweis stellen soll. Gleichzeitig benennt sie Überlegungen und Maßnahmen, wie künftig derartige Schieflagen vermieden werden sollen.

Neben der wiederholten Betonung der Eigenverantwortung der griechischen Regierung Maßnahmen zu ergreifen, die sie aus der selbstverschuldeten Haushaltsmisere führen soll, enthält die Erklärung zwei neue Kernelemente: Festlegung eines Mechanismus der Finanzhilfe, der als ultima ratio greifen kann und Einsetzung einer Task Force, die Maßnahmen zur Prävention und Verbesserung der Krisenmechanismen in Zukunft erarbeiten soll.

Der Hilfsmechanismus sieht Folgendes vor: Die Staaten der Eurozone stehen Gewehr bei Fuß sollte Griechenland am Markt keine ausreichenden Finanzmittel mehr erhalten. Das Hilfspaket wird sich aus koordinierten bilateralen Darlehen der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes und einer erheblichen Finanzierung des Internationalen Währungsfonds (IWF) zusammensetzen. Die europäischen Gelder sollen dabei den Mehrheitsanteil ausmachen. In Kraft gesetzt werden kann die Hilfe nur durch einen einstimmigen Beschluss der Staats- und Regierungschefs der Eurozone. Die Auszahlung ist an strenge Bedingungen geknüpft und soll auf einer Beurteilung von Kommission und Europäischer Zentralbank (EZB) beruhen. Die Zinsen sollten so bestimmt sein, dass sie Anreiz zur schnellstmöglichen Rückkehr an den Markt bieten und dürfen keine Subventionselemente enthalten. Beträge nennt die Erklärung nicht. Die Verteilung der Lasten soll sich nach dem jeweiligen Kapitalschlüssel für die Mitglieder der EZB bemessen. Letztlich wird betont, dass den Bestimmungen des EU-Vertrages und nationalen Rechtsvorschriften voll Rechnung getragen werden muss.

Dieser bestehende Rechtsrahmen aber, und das ist der zweite Punkt, muss ergänzt und verbessert werden. Deshalb soll eine Task Force eingesetzt werden, die einerseits Maßnahmen zur besseren Überwachung von wirtschaftlichen Risiken und Haushaltsrisiken wie zu einer Verstärkung der Instrumente der Prävention erarbeiten wird und Möglichkeiten zur Stärkung des Rechtsrahmens sondieren soll. Es ist offen, wie weit dieser letzte Passus interpretiert werden kann. Theoretisch schließt er eine Überprüfung des Sekundärrechts, wie die Weiterentwicklung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes ebenso ein, wie Überlegungen zu einem Europäischen Währungsfonds oder andere Vertragsänderung. Die Arbeitsgruppe soll vom Präsidenten des Europäischen Rates in Zusammenarbeit mit der Kommission einberufen werden. Die beiden Präsidenten wollen sie gemeinsam leiten. Sie wird sich aus Vertretern aller Mitgliedsstaaten – nicht nur der Euro-Länder -, der turnusmäßig wechselnden Ratspräsidentschaft und der EZB zusammensetzen und auf der Basis des Konsensprinzips arbeiten. Wen die Regierungen in die Arbeitsgruppe schicken ist noch offen. Die Ergebnisse sollen aber abschließend im Rat der Wirtschafts- und Finanzminister beraten werden, was einen Hinweis auf die Zusammensetzung gibt. Die deutsche Bundeskanzlerin hat angekündigt, dass Berlin sich bei dieser Arbeit stark engagieren werde.

Die Erklärung ist das Ergebnis intensiver Kontakte und zäher Verhandlungen, bei denen die deutsche Bundeskanzlerin, der französische Staatspräsident und der Präsident des Europäischen Rates die entscheidenden Akteure waren. Bemerkenswert ist auch, dass das eingeschobene Treffen der Staats- und Regierungschefs der Eurozone vom Präsidenten des Europäischen Rates geleitet wurde. Es hat einen Präzedenzfall in einer Sondersitzung unter französischer Präsidentschaft 2008.

Die Erklärung ist von vielfältigen Kompromissen gezeichnet. Insbesondere Deutschland hatte sich dagegen gewehrt, das Thema überhaupt auf dem Gipfel zu behandeln oder gar Beschlüsse zu fassen. So kam es zu einer Erklärung, die Hilfszusagen enthält, diese Hilfe aber sehr streng konditioniert. Umstritten war vor allem auch die Einbeziehung des IWF. Er wird nun beteiligt werden können, wie das auch bei Mitgliedsstaaten außerhalb der Eurozone wie Lettland oder Ungarn schon der Fall ist, jedoch nur mit einer Minderheitsbeteiligung. Für van Rompuy war das Entscheidende bei diesem Kompromiss, dass in der Erklärung sich beide Seiten des Problems - griechische Verantwortung und europäische Solidarität – widerspiegeln. Die Bundeskanzlerin betonte, dass eine Lösung gefunden wurde, die dem Begriffspaar Stabilität und Solidarität Rechnung trägt.

Welche Wirkung die Erklärung zeigen wird, bleibt abzuwarten. Ob er zum jetzigen Zeitpunkt sachlich zwingend war, ist nicht eindeutig festzulegen. Sicherlich hat der Druck auf den Euro gemessen an seinem Kurs gegenüber dem US-Dollar nach dem Sondergipfel vom 11. Februar 2010 nicht nachgelassen; der Euro fiel von 1.39 am 1. Februar auf 1.33 am Tag vor dem Frühjahrsgipfel. Zwischenzeitlich aber hatten die Finanzminister der Euro-Gruppe Griechenland bescheinigt, dass es mit seiner Reformpolitik auf richtigem Wege sei. Mit einer Überzeichnung der griechischen Anleihe vom 3. März hatten auch die Finanzmärkte wiedererwachtes Vertrauen in die Politik des hoch verschuldeten Athens signalisiert. Aufgrund der allgemeinen Entwicklung der Zinsen sind die aktuellen Konditionen für Griechenland weit günstiger als in den zurückliegenden Jahren. Der griechische Ministerpräsident, verwies dennoch auf die Belastungen der wachsenden Zinsdifferenz (spread) und anstehende Termine für die Rückzahlung von Darlehen. Gleichzeitig bekräftigte er immer wieder, dass sein Land kein Geld benötige.

2. Europa 2020: Die künftige Reformstrategie der EU

Ein Schwerpunktthema der Tagung bildeten die Beratungen zur künftigen Reformstrategie der EU, in die Kommissionspräsident Barroso, der Vorsitzende der Gruppe der Weisen Felipe Gonzáles und der Präsident der Europäischen Zentralbank einführten. Ein besonderes Anliegen war die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit, ein Punkt, den insbesondere der Präsident der Europäischen Zentralbank Trichet aufgegriffen hat. Im Einzelnen galt es, Art und Umfang der Kernziele, Instrumente zur Durchführung sowie die Steuerung der Reformstrategie festzulegen. Dem Europäischen Rat gelang es, die Kernziele, das Instrumentarium zu ihrer Umsetzung sowie die Governance der Reformstrategie zu bestimmen. Zahlreiche Detailfragen blieben jedoch offen und müssen bis zur Tagung des Europäischen Rats im Juni geklärt werden.

Die Staats- und Regierungschefs erzielten Einigkeit über den allgemeinen Zielkanon der Reformstrategie. Die Herausforderung bestand darin, in den drei Schwerpunktbereichen - Wissen und Innovation, eine nachhaltigere Wirtschaft sowie hohe Beschäftigung und soziale Eingliederung – eine geringe Anzahl an Kernzielen zu definieren. Der Europäische Rat einigte sich auf Grundlage eines Kommissionsvorschlags darauf, fünf EU-Kernziele in den Bereichen Beschäftigung, Forschung und Entwicklung, Klimaschutz und Energie, Bildung und soziale Eingliederung zu definieren, die in spezifische nationale Ziele transformiert werden sollen. Die Festlegung quantitativer Zielvorgaben im Bereich Bildung sowie die Bestimmung von Indikatoren für Forschung und Entwicklung und soziale Eingliederung mussten jedoch auf die Tagung des Europäischen Rats im Juni verschoben werden.

Die Diskussion fokussierte sich auf die Art der EU-Kernziele. Grundsätzliche Kritik entzündete sich an den von der Kommission vorgeschlagenen Bildungszielen. Der Kommissionsvorschlag sah vor, den Anteil der Schulabbrecher auf unter 10% zu reduzieren und die Zahl der Hochschulabsolventen in der jüngeren Generation auf über 40% anzuheben. Insbesondere Deutschland wandte sich jedoch gegen die Aufnahme dieser Bildungsziele in den Zielkanon der Strategie. In einem Beschluss vom 16. März lehnt der Bundesrat quantitative Zielvorgaben im Bildungsbereich als eine Überschreitung der Gemeinschaftskompetenz bzw. als einen Eingriff in die Bildungshoheit der Bundesländer ab. Ferner kritisieren die Bundesländer, ein Benchmark zu Hochschulabschlüssen besitze geringe Aussagekraft, da in Deutschland im Vergleich zu anderen Mitgliedstaaten zahlreiche Bildungsgänge auf sekundärer und post-sekundärerer Ebene angesiedelt seien. Die Staats- und Regierungschefs einigten sich nunmehr darauf, Zahlenangaben im Bildungsbereich erst auf ihrer Tagung im Juni festzulegen. Die Entwicklung quantitativer Zielvorgaben im Bildungsbereich steht nicht in Frage.

Ferner stößt die Entwicklung eines Ziels zur Armutsbekämpfung auf massiven Widerstand zahlreicher Mitgliedstaaten, darunter Deutschland. Die Kommission hatte vorgeschlagen, die Zahl armutsgefährdeter Personen um 25 %, d.h. um 20 Millionen zu reduzieren. Kritiker des Kommissionsvorschlags weisen jedoch darauf hin, dass Armut am besten durch eine an Wachstum und Beschäftigung orientierte Wirtschaftspolitik bekämpft wird. Ferner fürchteten einige Länder eine unzulässige Einmischung der Gemeinschaft in die Kompetenzen der Mitgliedstaaten. Der Europäische Rat legte den Fokus nunmehr auf soziale Eingliederung, die insbesondere durch Armutsbekämpfung zu erreichen sei. Die Entwicklung eines adäquaten Indikators soll bis zur Tagung im Juni erfolgen.

Zudem ist die Form der quantitativen Zielvorgabe für Forschung und Entwicklung umstritten. Die Kommission hatte vorgeschlagen, 3% des BIP der EU für Forschung und Entwicklung aufzuwenden. Die Wirtschafts- und Finanzminister forderten auf ihrer Tagung am 16. März jedoch, dringende Überlegungen über einen weiter gefassten Indikator für Forschung und Entwicklung sowie Innovation anzustrengen. EU-Innovationskommissarin Márie Geoghegan-Quinn ist sich der Schwächen des bestehenden Instrumentariums indes durchaus bewusst und kündigte bereits die Einsetzung eines Sachverständigenrats an, der sich mit der Entwicklung neuer Indikatoren befassen soll. Der Europäische Rat unterstützte dieses Vorgehen.

Darüber hinaus bekräftigte der Europäische Rat das 20-20-20-Ziel, das eine Reduktion der Treibhausgasemissionen um 20%, eine Steigerung des Anteils erneuerbarer Energien am Gesamtenergieverbrauch um 20% sowie eine Erhöhung der Energieeffizienz um 20% vorsieht. Aussagen der Bundeskanzlerin zufolge hat der Europäische Rat damit auch deutlich gemacht, dass dieses Ziel als Wachstumsziel zu verstehen ist und den Wandel zu einer neuen Wirtschaft markiert.

Schließlich sprachen sich einige Mitgliedstaaten für die Definition weiterer Zielvorgaben aus. So setzten sich die Niederlande beispielsweise für eine Zielsetzung zum Unternehmertum ein. Der Europäische Rat sah jedoch von einer Ausweitung des Zielkanons ab.

Kritik wurde ferner am Umfang der EU-Kernziele geäußert. Vor dem Hintergrund schlechter Erfahrungen mit der Umsetzung der Lissabon-Ziele betonte insbesondere die Bundesrepublik, quantifizierbare Ziele seien nur dann sinnvoll, wenn sie auch erreichbar seien. Mithin wurde vorgeschlagen, die EU-Kernziele nicht vorzugeben, sondern aus den nationalen Zielen abzuleiten. Der Europäische Rat einigte sich jedoch schließlich darauf, weiterhin Kernziele auf EU-Ebene vorzugeben.

Der Europäische Rat verständigte sich ferner auf das Instrumentarium zur Durchführung der Reformstrategie, ohne jedoch bereits Details festzulegen. Die Umsetzung der Ziele von Europa 2020 wird mit Hilfe von Leitinitiativen erfolgen, die jeweils Aufgaben sowohl für die EU als auch für die Mitgliedstaaten enthalten sollen. Konkrete Leitinitiativen wurden auf dem Frühjahrsgipfel jedoch noch nicht festgelegt. Die Kommission hatte im Vorfeld des Gipfels bereits detaillierte Vorschläge vorgelegt. Um ein „Intelligentes Wachstum“ zu generieren, sieht die entsprechende Kommissionsmitteilung eine „Innovationsunion“, „Eine digitale Agenda für Europa“ sowie eine Initiative zu „Jugend in Bewegung“ vor. „Nachhaltiges Wachstum“ soll durch die Leitinitiativen „Ressourcenschonendes Europa“ und „Eine Industriepolitik für das Zeitalter der Globalisierung“ herbeigeführt werden. Um „Integratives Wachstum“ zu erzielen, werden „Eine Agenda für neue Kompetenzen und neue Beschäftigungsmöglichkeiten“ sowie eine „Europäische Plattform zur Bekämpfung der Armut“ vorgeschlagen. Der ECOFIN-Rat bezeichnete diese Vorschläge der Kommission am 16. März jedoch hinlänglich als gute Reflexionsbasis. Bereits beschlossen wurde hingegen, dass die Mitgliedstaaten zur Umsetzung der Strategie nationale Reformprogramme erarbeiten werden, die sich an den nationalen Zielen und Wachstumshindernissen ausrichten sollen. Ferner wird die Kommission angehalten, den Beitrag von EU-Politiken zu Europa 2020 herauszustellen. Zudem wurde die Bedeutung von Agrar- und Kohäsionspolitik zur Unterstützung der Strategie herausgestellt und damit Forderungen Frankreichs und Polens Rechnung getragen. Schließlich wurde allgemein eine starke externe Dimension der Reformstrategie vereinbart. Insgesamt bestehen bei der inhaltlichen Ausgestaltung der Strategie somit noch signifikante Spielräume und Einwirkungsmöglichkeiten.

Ferner legten die Staats- und Regierungschefs die Steuerung der Reformstrategie fest. Ziel ist es, die Reformen auf Ebene der EU und der Mitgliedstaaten besser miteinander zu verknüpfen. Darüber hinaus gilt es sicherzustellen, dass die Ziele der Reformstrategie auch tatsächlich umgesetzt werden. Die Staats- und Regierungschefs orientierten sich an den Vorschlägen Van Rompuys und der Kommission, schwächten diese jedoch im Detail ab. Der Europäische Rat wird mit der Steuerung von Europa 2020 betraut. Einmal jährlich werden die Staats- und Regierungschefs eine umfassende Bewertung zum Stand der Umsetzung der Reformstrategie vorlegen. Ferner wird der Europäische Rat künftig regelmäßig spezifische Prioritäten der Wirtschaftsstrategie debat tieren und vereinbarte bereits für Oktober 2010 eine Fokussierung auf Forschung und Entwicklung sowie für Anfang 2011 eine Auseinandersetzung mit der Energiepolitik. Ferner kündigten die Staats- und Regierungschefs verstärkte Koordination innerhalb der Eurozone an. Details der künftigen Eurozonen-Governance bleiben jedoch Vorschlägen der Kommission vorbehalten, die für Juni erwartet werden. Eine nähere Auseinandersetzung mit Divergenzen in der Wettbewerbsfähigkeit und in den Leistungsbilanzen ist für die Tagung im Juni vorgesehen. Zudem sollen Berichterstattung und Bewertung von Stabilitäts- und Konvergenzprogrammen und Nationalen Reformprogrammen künftig zeitlich besser aufeinander abgestimmt werden. Die Präsidenten von Europäischem Rat und Kommission hatten ursprünglich ihre gleichzeitige Vorlage gefordert. Zudem sollen die Instrumente des Stabilitäts- und Wachstumspakts und der Reformstrategie klar voneinander getrennt, die Integrität des Pakts gewahrt bleiben. Damit tragen die Staats- und Regierungschefs Bedenken von Bundeskanzlerin Merkel Rechnung, die in einem Brief an Kommissionspräsident Barroso Anfang März vor einer Politisierung des Stabilitäts- und Wachstumspakts bei zu enger Verknüpfung mit der Reformstrategie gewarnt hatte. Zudem werden Treffen zwischen Experten der Kommission und der Mitgliedstaaten erwogen, um den Dialog zwischen europäischer und nationaler Ebene zu fördern. Im Gegensatz zum ursprünglichen Vorschlag Van Rompuys wird jedoch nicht länger verlangt, dass Experten der Kommission und anderer Mitgliedstaaten die Umsetzung der Strategie vor Ort überwachen. Schließlich finden weitere Governance-Mechanismen, die im Vorfeld des Frühjahrsgipfels diskutiert wurden, keinen Eingang in die Schlussfolgerungen: Benchmarking innerhalb der EU sowie im Vergleich zu Drittstaaten und die Bedeutung von Empfehlungen und ggf. Verwarnungen der Kommission werden nicht erwähnt.

Sanktionen bei Verfehlung der Ziele – wie von der spanischen Ratspräsidentschaft erwogen und zuletzt im Rahmen der Entschließung des Europäischen Parlaments gefordert – standen bereits auf dem informellen Gipfel im Februar nicht mehr auf der Agenda der Staats- und Regierungschefs. Damit setzt der Europäische Rat weniger auf Monitoring und Überwachung als auf einen partnerschaftlichen Ansatz und die Eigenverantwortung der Mitgliedstaaten, um Europa 2020 zum Erfolg zu führen.

Bis zur Tagung des Europäischen Rats im Juni gilt es, die Arbeit zu den EU-Kernzielen abzuschließen, sich auf nationale Ziele im Dialog zwischen Mitgliedstaaten und Kommission zu verständigen und die Integrierten Leitlinien der Reformstrategie zu entwickeln.

3. Neue Dynamik für die internationalen Klimaschutzverhandlungen

Die Diskussionen zum Klimawandel wurden erneut von den Verhandlungen über ein Rettungspaket für Griechenland überschattet. Ziel war es, dem internationalen Verhandlungsprozess nach dem Scheitern der Klimaschutzkonferenz in Kopenhagen neue Dynamik zu verleihen. Der Europäische Rat einigte sich auf ein Konzept der kleinen Schritte für die anstehenden Verhandlungsrunden und bekräftigte seine Unterstützung des laufenden internationalen Verhandlungsprozesses.

Die Staats- und Regierungschefs hielten an dem langfristigen Ziel eines rechtlich verbindlichen internationalen Klimaschutzabkommens fest. Gleichzeitig legten sie jedoch ein Konzept der kleinen Schritte für die anstehenden Verhandlungsrunden vor. Auf der Ministerkonferenz in Bonn von Ende Mai bis Anfang Juni soll nach Vorgabe des Europäischen Rats ein Fahrplan für künftige Verhandlungen erarbeitet werden. Im Rahmen der internationalen Klimaschutzkonferenz in Cancún im Dezember gelte es dann, konkrete Entscheidungen zu treffen, so die Staats- und Regierungschefs. Details zur EU-Strategie für Cancún wurden jedoch noch nicht beschlossen und müssen nun auf der Grundlage einer Mitteilung der Kommission vom 9. März entwickelt werden.

Ferner bekennt sich der Europäische Rat zum laufenden Prozess internationaler Klimaverhandlungen, der im Rahmen der United Nations Framework Convention on Climate Change (UNFCCC) abläuft. Die Staats- und Regierungschefs bekannten sich zu eingegangenen finanziellen Verpflichtungen gegenüber vom Klimawandel besonders betroffenen Entwicklungsländern. Problematisch ist jedoch, dass diese scheinbar an neue, unklare Konditionierungen gebunden werden. So werden langfristige Zusagen mit „sinnvollen und transparenten Klimaschutzmaßnahmen der Entwicklungsländer“ sowie mit der „allgemeinen Ausgewogenheit der weltweiten Anstrengungen zur Bewältigung des Klimawandels“ verbunden. Ferner verpflichtet sich die EU dazu, Drittstaaten auf allen Ebenen für den Klimaschutz zu gewinnen und lotet in diesem Zusammenhang Kooperationsspielräume mit Industrie- und Schwellenländern aus.

4. Schlussbemerkungen

  1. Die Debatte zu Griechenland im Vorfeld des Gipfels war keine Sternstunde europäischer Politik. Aufgrund der Tatsache, dass sie in der Öffentlichkeit, aber nicht nur dort, in teilweise falschen oder nicht zielführenden Kategorien geführt wurde, geriet die deutsche Bundesregierung in die Rolle des Neinsagers. Die Befürworter der Griechenlandhilfe beschworen die europäische Solidarität. Manche waren wohl auch bewegt von dem Gedanken, europäische Handlungsfähigkeit insgesamt - wie möglicherweise ihrer eigenen Institution - demonstrieren zu müssen. Das führte zu dem weiteren Schluss, die kompetenteste Organisation für derartige Fragen, den Internationalen Währungsfond aus dem Spiel zu halten. Von der Sache her ging es darum, dass der Brand an seiner Feuerstelle gelöscht werden sollte, das heißt, dass Griechenland alles unternehmen muss, um seine Verschuldung in Griff zu bekommen. Zum anderen ging es darum, die vertraglich vereinbarten Spielregeln der Währungsunion (kein Auslösen eines überschuldeten Staates) wie des Stabilitäts- und Wachstumspaktes (Einhalten der Kennziffern auf Basis ehrlicher Statistiken) nicht verkommen zu lassen. Dahinter stand auch die Sorge eines Dominoeffekts, selbst wenn die Lage in Spanien oder Irland sich noch nicht so dramatisch darstellte. Zu den Überlegungen gehörte weiter, Vorsorge zu treffen, damit solche Krisen künftig besser bewältigt und derartige Fehlentwicklungen grundsätzlich vermieden werden könnten, was zu Ideenspielen über einen Europäischen Währungsfonds oder über Vertragsänderungen, die den möglichen Ausschluss von nicht vertragstreuen Mitgliedern zum Gegenstand hatten, führte. Das war der deutsche Ansatzpunkt. Unter dem Druck einer Presse, deren europapolitische Haltung in Teilen britischen tabloids den Rang abzulaufen scheint, sind diese Überlegungen wohl nicht immer erfolgreich kommuniziert worden. Die Erklärung der Staats- und Regierungschef der Eurozone bietet die Chance, die Debatte zukünftig in weniger emotional aufgewühlte Fahrwasser zu leiten und trägt den inhaltlichen Erfordernissen erste Rechnung.
  2. Die Auseinandersetzung um die künftige Reformstrategie der Union zeigt, dass hier, trotz eines Grundkonsenses über die ordnungspolitischen Grundorientierungen erhebliche Unterschiede im wirtschaftspolitischen Denken bestehen. Das trifft auf die einzelnen Länder wie auch auf die Institutionen der EU, insbesondere die Kommission, zu. Die griechische Krise hat nicht nur zu einer Debatte über das Verständnis von Solidarität geführt. Nervosität im Gefolge der Wirtschafts- und Finanzkrise legt auch gravierende Unterschiede im Verständnis von Wettbewerb bloß, wenn man die Äußerungen der französischen Finanzministerin für bare Münze nimmt. In seinem Einladungsschreiben an die Staats- und Regierungschefs hat der Präsident des Europäischen Rates dies in die richtige Dimension zu rücken versucht. Den Herausforderungen im Bereich Wettbewerbsfähigkeit und Zahlungsbilanzentwicklung müsse für alle EU-Staaten mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden. Politische Maßnahmen seien aber „besonders dringend in Mitgliedstaaten, die immer wieder ein hohes Leistungsbilanzdefizit und einen starken Verlust an Wettbewerbsfähigkeit aufweisen“. Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass die Kommission in ihrem Entwurf zu EU 2020 angeblich auf ein Produktivitätsziel verzichtet, weil die Produktivität in den Staaten der EU eh zu unterschiedlich sei. Es erklärt aber noch nicht, warum sie als eines der Hauptziele Armutsbekämpfung festlegt und beziffert, statt Steigerung des Wohlstandes, von dem alle profitieren. Der Schlüssel mag im ordnungspolitischen Verständnis liegen. Die vielfältigen Kritikpunkte, die von den Mitgliedstaaten wie auch im Parlament – ungeachtet seiner Entschließung, die Zustimmung erst einmal auf Vorschuss gibt – am Entwurf der Kommission gemacht wurden, sind in vielerlei Hinsicht nicht unbegründet. Ziele aufstellen und Kennziffern festsetzen sind noch keine Strategie, sondern trägt Züge von Planwirtschaft. Der positive, umfassende Gegenentwurf aus einem oder gar mehreren Mitgliedsstaaten, der die Beschreibung und Bezifferung der wirtschaftspolitischen Herausforderung mit einer ordnungspolitisch durchdachten Strategie verbindet, ist allerdings auch nicht zu sehen.
  3. Die Verantwortung für die erfolgreiche Umsetzung einer Reformstrategie liegt bei den Mitgliedstaaten. Die Kommission hat nur ergänzende Funktion mit einer gemeinschaftlichen Strategie. Ob diese Verzahnung nun besser gelingt ist fraglich. Es ist bemerkenswert, dass gegenüber dem ersten Textentwurf der Erklärung der Euro-Länder es nur zwei Änderungen in der Schlussfassung gab. Die eine bezog sich auf den Europäischen Rat. Ursprünglich hatte es geheißen, „wir sind der Auffassung, das der Europäische Rat die Wirtschaftsregierung der Europäischen Union werden soll …“. Die endgültige Fassung spricht nur noch davon, dass der Europäische Rat „die wirtschaftliche Steuerung der Europäischen Union verbessern muss“. Die Idee des Präsidenten des Europäischen Rates, durch häufigere, möglicherweise sogar monatliche Sitzungen dieses Gremiums einen neuen Korpsgeist zu entwickeln, mag dieser Sache dienlich sein. Eine Inflationierung der Treffen birgt aber auch die Gefahr einer Abwertung des mit Lissabon neu geschaffenen Organs. Wichtiger als formale Treffen, entscheidender als verbesserte Kontrollinstrumente und Mission ist letztendlich der politische Wille, Reformen anzupacken und sie im nationalen und europäischen Kontext gemeinsam durchzusetzen.

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