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"Das Europa-Projekt kommt in Fahrt - Der Konvent und das zukünftige Gesicht Europas"

von Anja Hauser
Zu Beginn des 21. Jahrhunderts steht Europa vor einer Reihe großer Herausforderungen. Mit der im vergangenen Dezember beschlossenen Ost-Erweiterung der Gemeinschaft auf insgesamt 25 Staaten rückt die Wiedervereinigung des Kontinents näher. Damit wächst der Druck, die seit Jahren versprochenen Reformen endlich umzusetzen. Denn schon in der gegenwärtig15 Länder umfassenden EU erweisen sich die Entscheidungsmechanismen als zu kompliziert, intransparent und so schwerfällig, dass Stillstand statt Fortschritt droht. Spitzenpolitiker zwischen Helsinki und Athen suchen nach einem Ausweg aus dieser Sackgasse: Erstmals soll eine gemeinsame europäische Verfassung her, die den Kontinent langfristig handlungsfähig macht. Ein beispielloses Projekt.

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In dessen Zentrum steht der Brüsseler Konvent: Im Frühjahr 2002 begann diese Versammlung von nationalen Parlamentariern und Regierungsmitgliedern sowie Vertretern des Europäischen Parlaments und der Kommission mit der Arbeit an Reformvorschlägen. Unter Vorsitz des früheren französischen Staatspräsidenten Valery Giscard d’Estaing verfolgt der Konvent das Ziel, einen konkreten Verfassungsvertrag für die Europäische Union vorzulegen und das 80000 Seiten umfassende Brüsseler Regelwerk zu entschlacken. Einen ersten Entwurf präsentierte Giscard d’Estaing bereits im Oktober. Dieser fasst auf lediglich 18 Seiten eine Neugliederung der Gemeinschaft, ihrer Strukturen und Kompetenzen zusammen. Bis Mitte 2003 will der Konvent diesen Rohbau mit Inhalten füllen und zu einem funktionstüchtigen Gebäude fertig stellen.

Die wichtige Bedeutung des Konvents für Europas Reformfähigkeit

Warum dieser Kraftakt? Die Politik der Europäischen Gemeinschaft fußt auf den Ideen und Initiativen jener demokratischen Staatsmänner, die die westeuropäische Integration als Erfolgsgrundlage einer späteren europäischen Wiedervereinigung in Frieden und Freiheit gestalteten. Dem unermüdlichen Engagement eines Robert Schuman, Konrad Adenauer und Alcide de Gasperi ist es zu verdanken, dass aus weitreichenden Visionen Wirklichkeit wurde. In den Anfangsjahren, kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, ging es zunächst darum, zügig eine moderne, westeuropäische Infrastruktur aufzubauen. Dazu schlossen die Gründerväter erste Bündnisse, beispielsweise die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS/Montanunion), basierend auf den Schumanplan aus dem Jahr 1951 sowie die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und die Europäische Atomgemeinschaft (EAG/EURATOM), auf Grundlage der Römischen Verträge von 1957.

Beschränkte sich die Zusammenarbeit zunächst auf den wirtschaftlichen Bereich, so wurden mit den seit 1979 stattfindenden Direktwahlen zum Europäischen Parlament die ersten Schritte zu einer demokratischen Legitimation getätigt. Weiter gefestigt wurde die politische Union durch den 1993 geschlossenen Vertrag von Maastricht.

Die europäische Integration ist inzwischen so weit fortgeschritten, dass die Bürgerinnen und Bürger in Berlin, Paris oder Rom mit einer Währung bezahlen und der Erfolg der wirtschaftlichen Zusammenarbeit außer Frage steht. Nun gilt es, die politische Union weiter auszubauen. Eine runderneuerte und damit gestärkte EU soll in der internationalen Staatengemeinschaft an Einfluss gewinnen und eine führende politische Rolle übernehmen. Statt im Hindergrund der Weltpolitik zu stehen, will Europa verstärkt an deren Gestaltung mitwirken.

Zum jetzigen Zeitpunkt, fünfzig Jahre nach den Anfängen der europäischen Integration, befindet sich Europa im Wandel. Im Jahre 2004 treten zehn neue mittel- und osteuropäische Staaten der Europäischen Union bei. Durch diese Erweiterung wird die Teilung des Kontinents in eine West- und Osthälfte zwar endgültig überwunden, allerdings muss die Europäische Union ihre Rolle angesichts der bevorstehenden Herausforderung überdenken.

Wie soll das künftige Europa aussehen? Ein Staatenbund oder ein Bundesstaat? Wie soll die Aufgabenverteilung zwischen der Union und den Mitgliedsstaaten strukturiert werden? Sollen die Nationalstaaten mehr Macht an Brüssel abgeben? Wie können die unübersichtlichen einzelnen Vertragswerke der Europäischen Union zu einem einheitlichen Verfassungsvertrag zusammengefügt werden?

Konvent contra Regierungschefs

Erste Weichen für eine umfassende Reform der Europäischen Union haben die Staats- und Regierungschefs auf ihrem Gipfeltreffen in Laeken Ende 2001 durch die Einberufung des Konvents gestellt. Insgesamt 105 Mitglieder und deren Stellvertreter entwerfen seither einen europäischen Verfassungsvorschlag, der die Union demokratischer und effizienter gestalten soll. Die Mitglieder des Konvents sind neben dem Präsidenten und seinen Stellvertretern 15 Vertreter der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsstaaten, 30 Mitglieder der nationalen Parlamente, 16 Mitglieder des Europäischen Parlamentes und zwei Vertreter der Kommission. Im Präsidium, dem eigentlichen Entscheidungsgremium des Konvents, sitzen neben dem Vorsitzenden und seinem Stellvertreter, nur zwei Mitglieder aus nationalen Parlamenten, je zwei Vertreter von Kommission und EU-Parlament und Regierungsvertreter der amtierenden und der darauffolgenden EU-Präsidentschaft.

Zu Beginn seiner Tätigkeit fiel dem Konvent zunächst die Aufgabe zu, wesentliche, in der zukünftigen Entwicklung der Union aufkommende Fragen zu prüfen, um dann Lösungen auszuarbeiten. Folgende Fragen stehen zur Diskussion:

·Verteilung und Abgrenzung der Zuständigkeiten in der Europäischen Union (Kompetenzverteilung, Subsidiarität, Aufgabenzuweisung),

·Vereinfachung der Instrumente der Union,

·mehr Demokratie, Transparenz und Effizienz in der europäischen Union (Organe, Rolle der nationalen Parlamente, Entscheidungsfindung)sowie

·Wege zu einer Verfassung für die europäischen Bürgerinnen und Bürger.

Zu den aus deutscher Sicht wichtigsten Fragen, auf die der Konvent eine Antwort finden soll, gehört die Abgrenzung der Zuständigkeiten in der Europäischen Union. Aufgeschreckt etwa durch die scharfe Kritik der EU-Wettbewerbshüter an dem deutschen System der Sparkassen- und Landesbanken, drängen vor allem die Bundesländer auf eine klare Definition der Brüsseler Machtbefugnisse.

Zum jetzigen Zeitpunkt verzeichnet der Konvent bereits große Fortschritte. Seit etwa vier Monaten entwickeln Arbeitsgruppen Papiere zu den einzelnen Kapiteln eines Verfassungsvertrages. Erste Abschnitte will das Präsidium Ende Januar 2003 als Entwurf vorlegen, denen dann bereits Ende Februar weitere Elemente folgen sollen.

Der aus drei Teilen bestehende Vertrag soll besonders im ersten Abschnitt die wichtigsten Punkte für eine Rechtsordnung verankern. Dazu gehören:

·wesentliche Machtfragen,

·Stärkung der nationalen Parlamente und Gemeinschaftsinstitutionen, im Rahmen einer klaren Kompetenzabgrenzung,

·Wahrung der gemeinsamen Werte, sowie

·die Festlegung der Politikbereiche auf der Grundlage des Subsidiaritätsprinzips.

Klar ist, dass die unter Leitung des früheren Bundespräsidenten Roman Herzog entwickelte EU-Grundrechtecharta Teil des Vertrages werden soll. Außerdem zeichnet sich ab, dass eine Unionsbürgerschaft ins Leben gerufen wird, so dass jeder EU-Bürger eine doppelte Staatsbürgerschaft inne hat, eine nationale und eine europäische. Offen bleibt bislang die Frage, ob die Option für Mitgliedsstaaten geschaffen wird, die Zugehörigkeit zur Europäischen Union aufzukündigen; bzw. einen von anderen EU-Ländern beschlossenen Ausschluss zu ermöglichen.

Zu den umstrittensten Themen zählt der Vorschlag, den Posten des EU- Kommissionspräsidenten mit dem Amt des EU-Ratspräsidenten unter einen Hut zu bringen. Der deutsch-französische Vorschlag zu einem zweifachen Präsidentenamt, eine sogenannte „Doppelspitze“ für Europa, trifft beim Konvent auf wenig Gegenliebe. Die „Doppelspitze“ würde sich nur gegenseitig hemmen oder eine Weichenstellung für eine intergouvernementale Entwicklung im Gegensatz zu einer größeren Integration bedeuten.

Mehr Zustimmung besteht bei den Überlegungen aus Berlin und Paris, einen Außenminister der EU zu etablieren. Er soll die Aufgaben, die bislang EU-Außenkommissar Chris Patten und der EU-Beauftragte für Außen- und Sicherheitspolitik, Javier Solana, getrennt ausüben, in sich vereinen. „Doppelhut“ lautet die Brüsseler Umschreibung für diesen Posten, weil der künftige Außenminister sowohl der Kommission angehören, als auch im Rat der EU-Regierungen Sitz und Stimme haben soll.

Eine ebenfalls im Konvent noch weitgehend kontroverse Frage bezieht sich auf die Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen Union und Mitgliedsstaaten sowie zwischen den EU-Institutionen. Im Rahmen der institutionellen Reformen der Europäischen Union soll die Stellung des Kommissionspräsidenten neu überdacht werden. Die Kommission selbst schlägt vor, ihn in Zukunft durch das Europäische Parlament wählen zu lassen. Zudem ist vorgesehen, dass der Kommissionspräsident persönlich das Kollegium der Kommissare zusammenstellt und eine Richtlinienkompetenz innehat.

Ferner sollen dem Europäischen Parlament mehr Befugnisse eingeräumt werden. Der Vorschlag einer Doppel-Legitimität stößt beim Konvent auf Ablehnung, da dieser sowohl dem Europäischen Parlament als auch dem Rat die Befugnis übertragen würde, die Kommission abzusetzen. Eine derartige Regelung hätte zur Folge, dass die Kontrollfunktion des Parlamentes gegenüber der Kommission geschwächt würde.

Im Hinblick auf das Gesetzgebungsverfahren soll die Mitentscheidung zwischen Rat und Parlament der Regelfall sein. Die bisherigen Vorschläge befürworten öffentliche Tagungen des Rates bei Gesetzesbeschlüssen. Für die diversen Ministerräte werden unterschiedliche Vorsitzregelungen in Betracht gezogen, wobei in allen Fällen die halbjährliche Rotation abgeschafft wird.

Wie auch immer der Vorschlag des Konvents ausfallen wird, entscheiden kann das Gremium nichts. Dieses Recht haben sich die Staats- und Regierungschefs vorbehalten; sie wollen den Verfassungsvertrag im Jahre 2004 selbst verabschieden.

Damit sich der Erfolg des europäischen Integrationsprozesses auch im 21. Jahrhundert fortsetzt, muss dieser Verfassungsvertrag einen Konsens enthalten. Nur durch ein klares und kohärentes Konzept, basierend auf einer gemeinsamen Rechtsordnung, können die heutigen und zukünftigen Mitgliedsstaaten die verschiedenen Interessen und möglichen Konflikte bewältigen.

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