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"Das „Nein“ der Niederländer -Eine Analyse der Motive"

von Barbara Einhäuser
Nach dem überwältigenden „Nein“ der Niederländer diskutieren Politiker aller Parteien nun die Konsequenzen aus dem Ergebnis. Beim ersten nationalen Referendum in der Geschichte der Niederlande am 01.Juni 05 votierten 62% gegen und nur etwa 38% für die EU-Verfassung. Damit bestätigten sich die vorhergehenden Umfragen, die bereits ein deutliches „Nein“ angekündigt hatten. Die Wahlbeteiligung lag mit knapp 64% um 20% höher als bei der Wahl zum Europäischen Parlament im vergangenen Jahr. Trotz des konsultativen Charakters des Referendums hat sich die Regierung nach dem deutlichen Votum an das Ergebnis gebunden.

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Nach dem überwältigenden „Nein“ der Niederländer diskutieren Politiker aller Parteien nun die Konsequenzen aus dem Ergebnis. Beim ersten nationalen Referendum in der Geschichte der Niederlande am 01.Juni 05 votierten 62% gegen und nur etwa 38% für die EU-Verfassung. Damit bestätigten sich die vorhergehenden Umfragen, die bereits ein deutliches „Nein“ angekündigt hatten. Die Wahlbeteiligung lag mit knapp 64% um 20% höher als bei der Wahl zum Europäischen Parlament im vergangenen Jahr. Trotz des konsultativen Charakters des Referendums hat sich die Regierung nach dem deutlichen Votum an das Ergebnis gebunden.

Einheitlich ziehen niederländische Politiker nun den Schluss, „Europa geht zu schnell“. Der christdemokratische Ministerpräsident Jan Peter Balkenende griff in seiner Reaktion auf das Ergebnis die in der Debatte deutlich gewordenen Vorbehalte auf. Im Votum der Niederländer seien Zweifel über die Schnelligkeit der Veränderungen, die niederländische Identität und auch andere, finanzielle Bedenken zum Ausdruck gekommen, so Balkenende. Die Regierung wird das Ergebnis des Referendums daher sicher als zusätzliches Druckmittel bei den Verhandlungen zur Finanziellen Vorausschau 2007-2013 einsetzen. Die Niederländer sind pro Kopf die größten Nettozahler in der Europäischen Union. Balkenende betonte jedoch gleichzeitig, die Niederlande blieben weiter ein konstruktiver Partner in der Union. Das Ergebnis dürfe nicht als Urteil gegen die Europäische Zusammenarbeit gewertet werden.

Der Ministerpräsident hatte sich sehr enttäuscht über den Ausgang des Referendums gezeigt. Er erklärte allerdings auch, das Ergebnis des Referendums sei unmissverständlich. Die Europäische Union müsse dem Rechnung tragen. Er selbst werde dies auf dem Gipfel der Staats- und Regierungschefs am 16. und 17. Juni in Brüssel mit seinen Kollegen erörtern.

Auch Vertreter von VVD und D66, den Koalitionspartnern des CDA, erklärten ihren Respekt für die demokratische Entscheidung. Sie erklärten sich ebenfalls erneut an das Votum der Bürger gebunden.

In der Opposition hatten auch die Sozialdemokraten und Grünen die EU-Verfassung unterstützt. Auch hier sprach man allerdings angesichts der hohen Wahlbeteiligung von einem Gewinn für die Demokratie.

Die Gegner der EU-Verfassung feierten das Ergebnis. Im Parlament hatten sich die Sozialisten, mit ihrem Parteichef Jan Marijnissen an der Spitze wie auch die Pim Fortuyn Partei gegen den Vertrag ausgesprochen. Der unabhängige, vormals der VVD angehörige Geert Wilders, einer der führenden Figuren der „Nein“-Kampagne, bezeichnete den Ausgang als ein Fest für die Niederlande. Das Votum sei eine schwere Niederlage für Balkenende und mache vorgezogene Wahlen notwendig.

Balkenende schloss Konsequenzen für sich und seine Regierung aus. Schon im Vorfeld hatte er mehrfach betont, dass ein negativer Ausgang des Referendums nicht zum Rücktritt des Kabinetts oder zu einer Regierungsumbildung führen würde. Wilders Forderung fand auch weder im Parlament noch in der Bevölkerung großen Widerhall.

Eine Vielzahl an Aspekten hatte die Verfassungsdebatte in den Niederlanden bestimmt. Eine generelle Unzufriedenheit mit der Regierung Balkenende und der von ihr vorgenommenen Reform der Sozialsysteme bildete die Basis der breiten Anlehnungsfront. Schwerer wogen jedoch eine Diskussion um Immigration, die Nettozahlungen an die EU, einen Türkei-Beitritt und die Furcht vor dem Souveränitätsverlust des Landes in einer überdehnten Europäischen Union. Diese Themen, von den Verfassungsgegnern gezielt befördert, fielen, in einer seit den Morden an dem Rechtspopulisten Pim Fortuyn und dem Filmemacher Theo van Gogh an sich bereits verunsicherten niederländischen Gesellschaft, auf fruchtbaren Boden.

Die Kampagne der niederländischen Regierung und der, die Verfassung unterstützenden Parteien hatte dem inhaltlich wenig entgegenzusetzen. Darüber hinaus wurde die Kampagne viel zu spät begonnen.

Auch die Untersuchungen des Stimmverhaltens belegen diese Kritik. So stimmten die Bürger, die sich gut über die Verfassung informiert fühlten deutlich eher mit Ja. Vertreter mehrerer Institute sehen das größte Versagen der Ja-Kampagne darin, nicht adäquat auf die Gegner und deren Argumentation reagiert zu haben. Die Argumente der Gegner seien schon früh untersucht worden, Den Haag habe sich jedoch an den Ergebnissen nicht interessiert gezeigt. Goos Eilander, Direktor des Instituts „Trendbox“ kommentierte die Strategie der Befürworter mit den Worten: „Bei solchen Befürworten braucht man keine Gegner.“ Der Ja-Kampagne gelang es also nicht, die Diskussion zu versachlichen, die Ängste der Bevölkerung aufzugreifen und so den negativen Trend, der sich bereits Ende April abgezeichnet hatte, umzukehren.

Untersucht man die Gründe für die Ablehnung des EU-Vertragswerkes so nennen Wähler an erster Stelle, die hohen finanziellen Beiträge der Niederlande an die EU. Über 60% sind der Meinung, die Niederlande bezahle zu viel an die Union. Weiter sei man mit der EU-Verfassung weniger Herr im eigenen Land, die Niederlände bekämen zu wenig Einfluss in der EU und auch die Angst vor dem eigenen Identitätsverlust wird als wesentlicher Ablehnungsgrund angeführt.

Motive mit Ja zu stimmen waren die verbesserten Möglichkeiten grenzüberschreitender Politik in europäischem Rahmen, verbesserte Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten und die größeren Vorteile eines vereinigten Europas. An vierter Stelle für eine Zustimmung zum EU-Vertrag wird die größere Beschlussfähigkeit Europas angegeben.

Die Auswertungen des Ergebnisses zeigen weiter, dass vor allem Wähler mit niedrigerem Bildungsstandard (zu 82%) und mittleren Einkommens (71%) gegen die Verfassung stimmten. Empfänger hoher Einkommen und auch Vertreter aus dem hohen Bildungsniveau votierten jeweils zu 49% für die Verfassung.

Besonders auffällig ist auch die Untersuchung des Abstimmungsverhaltens nach Altersgruppen. Mit fast 65% stimmte eine deutliche Mehrheit der 18-24-Jährigen gegen die Verfassung. Den höchsten Wert erreichte die Nein-Front bei den 25-34-Jährigen (68%). Mit 41% waren die meisten Ja-Stimmen in der Gruppe der über 50-Jährigen zu finden.

Analysiert man die Wahl nach Parteizugehörigkeit, so wird ebenfalls deutlich, dass es den unterstützenden Parteien nicht gelungen ist, ihre eigene Wählerschaft zu überzeugen. Am besten gelang es noch dem CDA, seine Wähler zu mobilisieren. Hier stimmten nur 22% mit „Nein“. Anhänger der liberalen Koalitionspartner des CDA, votierten zu über 40% (Anhänger der D66) und mit knapp unter 40% (Anhänger des VVD) gegen die Verfassung. Bei den oppositionellen Sozialdemokraten stimmten sogar über 50% mit Nein. Auch bei den GroenLinks wurde eine hohe Ablehnungsquote von über 45% erreicht.

Nur die verschwindend geringe Minderheit von 13 der 489 Gemeinden stimmte mehrheitlich mit „Ja“. In der Gemeinde Rozendaal wurde der Spitzenwert von 62,7% erreicht. Die Gemeinde mit dem höchsten Prozentsatz an Nein-Stimmen (91,6%) war Urk. Gerade in der Provinz Zeeland sprach sich eine überwältigende Mehrheit gegen die EU-Verfassung aus. Wahlforscher führen dies vor allem auf den dortigen Einfluss der ChristenUnie zurück. Diese Partei kombiniert einen konservativen, stark auf orthodox calvinistischen Interpretationen der Bibel stützenden Standpunkt in gesellschaftlichen Fragen mit eher linken, sozialdemokratischen Positionen in wirtschafts- und umweltpolitischen Fragen. Ihr Vorsitzenden André Rouvoet hatte sich in der Referendumsdebatte stark für ein Nein exponiert. In einer Umfrage, welcher Politiker ihre Position in der Diskussion am besten vertreten hätte, nannten die meisten der befragten Niederländer (28%) nun Rouvoet. Ein weiterer Grund für die hohe Ablehnung in dieser Provinz ist jedoch auch die große Rolle, welche die durch Brüsseler Regelungen unter Druck geratene Fischerei hier noch spielt.

Erst jetzt versuchen die niederländischen Parteien, auf die offensichtlich gewordene Kluft zwischen Bürger und Politik zu reagieren. Europa sei zu sehr eine Sache der Politik und zu wenig eine Angelegenheit der Bürger gewesen, so Balkenende nun. Er schloss sich einer Initiative der Sozialisten an, eine breite gesellschaftliche Diskussion über die Zukunft der EU zu führen. Wie dieser Vorschlag konkret umgesetzt werden soll ist allerdings noch unklar.

In der Parlamentsdebatte, die sich am Donnerstag dem Ergebnis widmete, forderte der Außenminister Ben Bot, die Niederlande müssten sich in Brüssel besser aufstellen. Sinnlosen Regelungen aus Brüssel müsse man sich besser entgegenstellen und zu einer ehrlicheren Verteilung der finanziellen Lasten kommen.

Auch die Frage, ob nationale Referenden weiter durchgeführt werden sollen, um die Bürger mehr an der Politik teilhaben zu lassen wird nun erörtert.

Zur Zukunft der EU-Verfassung selbst waren aus der Regierung nun sehr unterschiedliche Stimmen zu hören. Der CDA und an der Spitze Ministerpräsident Balkenende, der sich nach dem Referendum mit Ratspräsident Juncker, Kommissionspräsident Barroso und den Premierministern von Großbritannien und Dänemark, Blair und Rassmussen getroffen hatte, rufen dazu auf, den Ratifikationsprozess in allen übrigen Mitgliedsländern fortzusetzen, bevor Schlüsse für die Zukunft der Verfassung gezogen würden.

Der Fraktionsvorsitzende der VVD Van Aarsten will hingegen nicht weiter an der Verfassung festhalten. Er ziehe aus dem Ergebnis den Schluss, dass die Verfassung endgültig vom Tisch sei. Auch Vizeministerpräsident Zalm sprach sich dafür aus, das Kabinett solle die Europäische Verfassung zurückziehen.

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