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"Der Euro-Stabilitätspakt - Zwischenbilanz eines schwierigen Projekts"

von Grita Berendt
Hans Eichel ist ratlos. Der Finanzminister ist gezwungen, einen radikalen Sparkurs einzuschlagen, denn nahezu täglich brechen Hiobsbotschaften zum anwachsenden Schuldenberg Deutschlands über ihn herein: Das Staatsdefizit Deutschlands wird im Jahr 2003 wohl bei 3,4% des Bruttoinlandsproduktes (BIP) liegen und damit nur geringfügig unter dem entsprechenden Wert Frankreichs (3,7%) und Portugals (3,5%) - eine erhebliche Belastung für den Stabilitätspakt- und Wachstumspakt der Euro-Zone.

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Hans Eichel ist ratlos. Der Finanzminister ist gezwungen, einen radikalen Sparkurs einzuschlagen, denn nahezu täglich brechen Hiobsbotschaften zum anwachsenden Schuldenberg Deutschlands über ihn herein: Das Staatsdefizit Deutschlands wird im Jahr 2003 wohl bei 3,4% des Bruttoinlandsproduktes (BIP) liegen und damit nur geringfügig unter dem entsprechenden Wert Frankreichs (3,7%) und Portugals (3,5%) - eine erhebliche Belastung für den Stabilitätspakt- und Wachstumspakt der Euro-Zone.

Dieser wurde 1997 auf Initiative Deutschlands ins Leben gerufen, um die monetäre Disziplin der nationalen Regierungen zu gewährleisten. Er sollte zu einer nachhaltigen Finanzpolitik und der dauerhaften Einhaltung der Beitrittskriterien seitens der Euro-Länder führen.

Doch nun wird der Stabilitätspakt zusehends ausgehöhlt, nicht zuletzt durch Deutschland, das ursprünglich als leidenschaftlichster Verfechter einer stabilen Währung galt. Die größte Wirtschaftsmacht der Euro-Zone erweist sich als Hemmschuh auf dem Weg zu wirtschaftlichem Wachstum und einer langfristig harten Währung. Für Deutschland ist diese Situation geradezu peinlich, weil die Kohl-Regierung noch bei Einführung des Stabilitäts- und Wachstumspakts die Gefahr einer nachlässigen Finanzpolitik eher bei anderen Staaten sah, als bei sich.

Zur Verschärfung der Krise um den Stabilitätspakt trägt ferner bei, dass andere Länder – namentlich Frankreich, Italien und Portugal – sich mehr oder weniger elegant an den Stabilitätserfordernissen vorbei lavieren.

Das mehrstufige Defizitverfahren

Hans Eichel droht nun jedoch wirkliches Ungemach: Sollte der Defizitwert im Jahr 2004 wiederum über der Drei-Prozent-Grenze liegen, könnte die letzte Stufe des Sanktionsverfahrens greifen. In diesem Fall kann der Rat auf Empfehlung der Kommission eine Einlage fordern. Die Höhe der Einlage richtet sich nach dem Defizitvolumen. Dies besteht aus einem unveränderlichen Wert in Höhe von 0,2% des BIP sowie einer flexiblen Summe, die sich aus einem Zehntel der Differenz zwischen Defizit und Drei-Prozent-Grenze ergibt. Sollte ein Land der Euro-Zone über einen längeren Zeitraum hinweg das Haushaltskriterium nicht erfüllen, kann der Rat in den Folgejahren die Einlage erhöhen. Jedoch darf die jährliche Einlage die Obergrenze von 0,5% des BIP nicht überschreiten. Der Rat ist schließlich befugt, die Einlage in eine Geldbuße umzuwandeln, sofern der betroffene Staat das Defizit nicht innerhalb von zwei Jahren gemäß der Ratsempfehlung korrigiert hat. Bei einem BIP von gut 2,1 Billionen Euro könnte dies für Deutschland konkret bedeuten: Sollte die Drei-Prozent-Grenze zum wiederholten Male überschritten werden, könnte das Bußgeld 4 bis 10 Mrd. Euro betragen. Ob dieses Szenario tatsächlich im Falle Deutschlands eintreffen wird, ist zum jetzigen Zeitpunkt allerdings reine Spekulation.

Aufruf zu mehr Haushaltsdisziplin

Die derzeit vorherrschende desolate Lage in einigen EU-Haushalten ist bis zu einem gewissen Grad auch Folge der weltweit schwachen Konjunktur. Doch allzu oft benutzen nationale Regierungen den Stabilitäts- und Wachstumspakt als Sündenbock für ihre verfehlte Finanzpolitik. Daher dürfen konjunkturelle Talsohlen nicht von dem eigentlichen Problem ablenken, nämlich dem Ausbleiben dringend erforderlicher Strukturreformen in den betroffenen Ländern. Schließlich ist ein Großteil der Probleme, mit denen die Staaten der Eurozone konfrontiert sind, hausgemacht.

Entsprechend wird der zuständige EU-Kommissar für Wirtschafts- und Währungsangelegenheiten, Pedro Solbes, nicht müde, die betroffenen Länder zu weitreichenden Reformen aufzurufen. Je häufiger schlechte Haushaltsnachrichten aus diesen Staaten nach Brüssel gelangen, desto schärfer wird die Kritik der Europäischen Kommission. Die Erhöhung des Defizits und die allzu optimistischen Wachstumsprognosen in den Niederlanden haben die Kommission unlängst auf den Plan gerufen. Auch Frankreich wurde von Solbes zu einer „gewaltigen Anstrengung“ aufgefordert, um das strukturelle Defizit, das unabhängig von Konjunkturrisiken ermittelt wird, drastisch zu vermindern. Im Rat der Wirtschafts- und Finanzminister (Ecofin) drängten insbesondere die Niederlande und Spanien darauf, eine gleich lautende Empfehlung abzugeben. In Bezug auf Deutschland nannte Solbes die von Bundeskanzler Gerhard Schröder proklamierte „Agenda 2010“ eine ermutigende Chance für die Konsolidierung der Staatsfinanzen. Doch sei sie bei weitem nicht ausreichend für die Reform der sozialen Sicherungssysteme, die wiederum Voraussetzung für ein größeres Wirtschaftswachstum sei.

Ist der Stabilitätspakt nur noch Makulatur?

Mittlerweile hat Deutschland an Glaubwürdigkeit eingebüßt. Es ist zu beobachten, dass eine laxe Haushaltspolitik der Deutschen von anderen Staaten der Euro-Zone zunehmend als Freibrief für eine Nachahmung verstanden wird. Mit einer Zunahme der Schwierigkeiten bei der Einhaltung der Stabilitätskriterien wachsen naturgemäß auch die Zweifel der nationalen Regierungen am Sinn und Zweck des Paktes in seiner jetzigen Form. Rückenwind erhielten die Kritiker durch den EU-Kommissionspräsidenten Romano Prodi, der in einem Interview mit der französischen Tageszeitung „Le Monde“ im Oktober 2002 den Stabilitätspakt als „dumm“ bezeichnet hatte. In der Folgezeit sind immer neue Forderungen nach großzügigeren Kalkulationsarten und mithin nach einer Lockerung des Paktes laut geworden. So schlugen im März mit Rocco Buttiglione (Gemeinschaftspolitiken), Antonio Marzano (produktive Tätigkeiten) und Letizia Moratti (Bildung) drei italienische Minister vor, Investitionen in Forschung und Infrastrukturen nicht in die Berechnung des Defizits einzubeziehen. Frankreich wiederum, gegen das Anfang April zuletzt ein Defizitverfahren eingeleitet wurde, will künftig Investitionen in der Verteidigung nicht mehr mitrechnen und demonstriert somit seine Weigerung, den Euro-Stabilitätspakt als Priorität anzusehen. Einseitige und willkürliche Entscheidungen dieser Art stellen einen Affront für die Kommission und für die kleineren Mitgliedsstaaten dar, die sich eng an die Vorgaben aus Brüssel halten.

Der Wunsch nach einer Berücksichtigung des jeweiligen Konjunkturzyklus ist verständlich und durchaus legitim. Ökonomen halten die Möglichkeit, den Stabilitätspakt näher am jeweiligen Strukturdefizit zu orientieren, für sinnvoll. Jedoch haben sich die Euro-Staaten bisher nicht auf einheitliche Berechnungsmethoden und Abgrenzungskriterien einigen können. Zu bemängeln ist ferner die weiterhin schwache Stellung der Kommission im Verhältnis zum Rat. Liegt ein übermäßiges Defizit vor, kann der Rat mit Mehrheitsentscheidung Sanktionen der Kommission abwehren. Das Prinzip der Einstimmigkeit ist in diesem Zusammenhang bisher nicht zur Anwendung gekommen, obgleich ein entsprechender Vorschlag im Reformkonvent zur Zukunft Europas erörtert wurde. Durch das Verfahren des Mehrheitsbeschlusses kann es jedoch zu Absprachen zwischen den nationalen Regierungen kommen, die den Stabilitätspakt konterkarieren. Zudem droht ein Stabilitätspakt à la carte, wenn bestimmte Ausgaben beliebig aus der Feststellung des Haushalts gestrichen werden.

Die Meinung der Experten

Im Bewusstsein einer derartigen Problematik versucht Kommissar Solbes einen schwierigen Balanceakt zu meistern. Durch marginale Regeländerungen, z.B. die Verschiebung der Frist für die Vorlage eines ausgeglichenen Haushalts von 2004 auf 2006, will er den von Haushaltsproblemen betroffenen Staaten entgegenkommen. Zugleich hält er an der prinzipiellen Unantastbarkeit des Stabilitätspaktes fest.

Unterstützung erfährt er hierbei vom Vorsitzenden des Wirtschafts- und Finanzausschusses (WFA), dem Finnen Johnny Akerholm. Dieser meldete Zweifel an, ob eine flexible Auslegung des Stabilitätspaktes tatsächlich zu einem kurzfristigen Wirtschaftaufschwung führen könnte. Er sehe sogar die Gefahr, durch eine Aufweichung des Paktes „das Vertrauen in die Wirtschaft zu beeinträchtigen“. Eine mögliche Folge wäre dann sogar ein erheblicher Wachstumsrückgang.

Auch die Abgeordneten des Europäischen Parlaments haben sich – unabhängig von ihrer Fraktionszugehörigkeit - wiederholt zum Festhalten am Stabilitätspakt und den ihm zugrunde liegenden Auslegungsregeln bekannt. Der Interpretationsrahmen sei keineswegs starr, wie einige Vertreter bestimmter nationaler Regierungen behaupteten, sondern berücksichtige sehr wohl die jeweilige Konjunkturlage. Klare Worte zugunsten des Paktes fand Prof. Hans-Gert Pöttering, Vorsitzender der EVP/ED-Fraktion im Europäischen Parlament. Ausdrücklich betonte er, dass der Stabilitätspakt nicht zum Opfer der politischen Opportunität werden dürfe.

Deutschlands Verantwortung

In dem Versuch, dem Stabilitätspakt mehr Rechnung zu tragen, sehen viele die Vorreiterrolle bei Deutschland. Die Regierungen Frankreichs, Italiens und Portugals, die allesamt vor akuten Haushaltsproblemen stehen, sind nicht aus ihrer Verantwortung für eine robuste Finanzpolitik entlassen. Die Vergangenheit hat jedoch gezeigt, dass die deutsche Haushaltspolitik einst als Maßstab für die übrigen EU-Regierungen galt. Es ist somit höchste Zeit, dass das Land entschlossen die unerlässlichen Reformen angeht. So könnte ein positiver Dominoeffekt ausgelöst und der erste Schritt auf dem Weg zur Festigung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes getan werden.

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