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"Die Niederlande vor dem Referendum"

von Barbara Einhäuser

Hintergrundbericht

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Die Debatte über ein Referendum im Zuge des Ratifizierungsprozesses der EU-Verfassung hatte in den Niederlanden bereits im Mai 2003 begonnen. Die niederländische Verfassung sah bis dahin jedoch weder ein bindendes, noch ein konsultatives Referendum auf nationaler Ebene vor. Zusammen mit je einem Abgeordneten der GroenLinks und der PvdA (Sozialdemokarten) hatte auch ein Parlamentarier der Regierungskoalition, der linksliberalen D66, ein nationales Referendum mit dem Argument angeregt, dass das Europäische Vertragswerk auch starke Auswirkungen auf die niederländische Verfassung haben werde. Nachdem ein Verfassungszusatz, wie er für ein bindendes Referendum nötig gewesen wäre, jedoch nur über einen Zeitraum von zwei Legislaturperioden erlassen werden kann, fokussierte sich die Diskussion bald auf ein konsultatives Referendum im Vorfeld einer parlamentarischen Ratifizierung. Der regierende CDA und mit ihr Premierminister Jan Peter Balkenende hatte zunächst nicht viel Gefallen an einem nationalen Referendum finden können. Schließlich hatte sich im Parlament für den Vorschlag jedoch eine deutliche Mehrheit gefunden und auch der Senat hatte den Vorschlag im Januar 2005 gebilligt.

Das erste nationale Referendum in der Geschichte der Niederlande wird nun am 01.Juni 2005 stattfinden. Trotz des konsultativen Charakters, sprach sich die Mehrheit des Parlaments und auch die Regierung (aus CDA, VVD und D66) dafür aus, das Ergebnis zu respektieren, sollte die Beteiligung über 30% liegen.

Hatten sich von Beginn an der christdemokratische CDA und auch die oppositionelle PvdA für eine Annahme der Verfassung ausgesprochen, war bei den liberalen Koalitionspartnern zunächst noch länger unklar gewesen, wie sie sich positionieren würden. Nachdem eine Eurobarometerstudie vom Januar 2005 ergeben hatte, dass 63% der Niederländer die europäische Verfassung befürworteten, nur 11% sie ablehnten und 26% noch unentschieden waren, schien eine Mehrheit für die Ratifizierung jedoch sicher.

Allerdings hatten Experten auch früh vor möglichen Komplikationen in der Ratifikation und dem unsicheren politischen Klima gewarnt. Seit dem Aufstieg und Tod des Rechtspopulisten Pim Fortuyn gelten die niederländischen Wähler als schwer einzuschätzen. Auch der Mord an dem Filmemacher Theo van Gogh und die darauf folgenden rechtsextremistischen Übergriffe auf Moscheen und muslimische Einrichtungen im November letzten Jahres hatten zu einer Verunsicherung in der niederländischen Gesellschaft beigetragen. Gerade dem Premierminister war in diesem Zusammenhang vorgehalten worden, unmittelbar nach dem Mord nicht ausreichend Präsenz und Tatkraft gezeigt zu haben. Man warf ihm vor, er konzentriere sich statt dessen zu sehr auf seine Aufgabe als EU-Ratspräsident. Zudem vermisste man öffentliche Solidaritätsbekundungen und Unterstützung von europäischer Seite.

Auch aktuell sieht sich die Regierung Balkenende mit Widerstand konfrontiert. Massive Kürzungen der öffentlichen Ausgaben zur Reform der Sozialsysteme, Planungen das Rentenalter von 66 auf 67 Jahre zu erhöhen sowie den vorzeitigen Ruhestand zu erschweren, sinkende Wachstumsraten und steigende Arbeitslosenzahlen führten Ende letzten Jahres zu nationalen Streiks im öffentlichen Transportsystem und Massendemonstrationen.

Neben einer so beförderten generellen Unzufriedenheit mit dem politischen Establishment überlagern auch andere Themen die Verfassungsdebatte. Dazu sind vor allem die Diskussion um Immigration, einen Türkei-Beitritt und die Furcht vor dem Souveränitätsverlust des Landes in einer überdehnten Europäischen Union zu rechnen. Diese Themen werden nun von Verfassungsgegnern gezielt genutzt, um die Abstimmung in eine Protestwahl gegen die Regierung zu verwandeln. Die Gegner sind dabei im gesamten politischen Spektrum zu finden: So sprechen sich in der Opposition sowohl die Sozialisten mit ihrem Parteichef Jan Marijnissen an der Spitze, als auch die Pim Fortuyn Partei und der unabhängige, vormals der VVD angehörige Geert Wilders gegen den Vertrag aus. Auch die niederländische Presse zeigt sich im Gros verfassungskritisch.

Erschwerend hinzu kommt nun auch die Stimmung in Frankreich, das 3 Tage zuvor ein Referendum abhält. Letzte Umfragen ergaben dort allerdings einen leichten Vorsprung der Verfassungsbefürworter. In einem ersten „Notfallsszenario“ hatte es auf niederländischer Regierungsseite Überlegungen gegeben, das Referendum im Falle eines französischen „Neins“ abzusagen. Davon ist man allerdings mittlerweile wieder abgerückt, da das Referendum auf Initiative des Parlamentes zustande gekommen war.

Am 23.04.05 ergab eine Internetumfrage des IPP (Instituut voor Publiek en Politiek) dann erstmals auch in den Niederlanden eine Mehrheit für ein „Nein. Die verschiedenen Umfragen ergeben jedoch ein widersprüchliches Bild, was vor allem auf die große Zahl an noch Unentschiedenen zurückzuführen ist. Allerdings befürchtet man, dass diese Gruppe sich in der Tendenz eher für ein „Nein“ entscheiden könnte.

Der Druck, der nun auf der Regierung und den Parteien lastet, ist immens. Der CDA setzt jedoch auf die Wirkung der Schlusskampagne, mit einer eigens zur Verfassung herausgegebenen Zeitung und einer Auftaktveranstaltung am 14.Mai. Des weiteren sind am 21. Mai in Arnhem, am 24.Mai in Heerenveen/Drachten, am 26.Mai in Den Haag und am 30. Mai in Hilversum Veranstaltungen geplant, an denen auch Außenminister Ben Bot, der CDA-Fraktionsvorsitzender Maxime Verhagen, sowie der Parteivorsitzende Camiel Eurlings teilnehmen werden. Auch der Parteitag zum 25-jährigen Bestehen des CDA am 28.Mai 05 in Utrecht soll positive Signale für das Referendum senden. Die Hauptrolle der Regierungskampagne soll Atzo Nicolaї (VVD), Staatssekretär für Europäische Angelegenheiten, spielen. Premier Balkenende, der auch am Vorabend des Referendums auf einer Veranstaltung sprechen wird, schaltete sich bereits am 28.04.05 mit einem Beitrag für die niederländische Zeitung „De Telegraaf“ in die Debatte ein. Dort stellte er die Vorteile der Verfassung für die Niederlande heraus: Besonders im wirtschaftlichen Bereich profitiere die Niederlande von Europa. Auch in der Kriminalitäts- und Terrorismusbekämpfung sei man alleine machtlos. Er wies auch die Vorwürfe zurück, das Vertragswerk eröffne der Türkei den Beitritt in die EU und trage zu einer weiteren Machtverlagerung nach Brüssel bei.

Generell konzentriert sich die Regierung in ihrer Kampagne hauptsächlich auf Beiträge in Zeitungen und die Teilnahme an Diskussionen. Sollten die Verfassungsgegner jedoch in ihren Aktionen vermehrt auf Fernsehspots und –werbung setzen, hat auch die Regierung angekündigt, darauf noch zurückzugreifen.

Der CDA stimmt seine Kampagne mittlerweile einmal pro Woche zusätzlich mit der sozialdemokratischen PvdA ab. Auch die liberale D66 versucht nun aktiv die Wähler zu mobilisieren und für die Verfassung zu gewinnen. Dazu haben sich alle Befürworter vor allem der Aufklärung verschrieben. Laut Umfragen Mitte April fühlten sich 68% der Bevölkerung nicht ausreichend über die Verfassung informiert. In ihren Pro-Kampagnen heben die Parteien daher die Vorteile der Verfassung hervor und versuchen gleichzeitig die vorhandenen Ängste und Vorurteile aufzugreifen: Die Verfassung ermögliche eine gemeinsame Asyl- und Migrationspolitik, stärke die Rechte der Bürger und der nationalen Parlamente, trage zum Bürokratieabbau bei und erhöhe die Schlagkraft der EU in der Außen- und Sicherheitspolitik, sowie bei der Kriminalitätsbekämpfung.

Die vom Parlament am 08. Februar 2005 eingesetzte unabhängige Referendumskommission hat die ihr zur Verfügung stehenden Mittel von 1 Million Euro, gleichermaßen an Befürworter (17 Organisationen), Gegner (14 Organisationen) und neutrale Organisationen (14) verteilt. Die Bekannteste der für die Verfassung kämpfenden Organisationen, die „Beter Europa“- Kampagne, die unter dem Slogan „Eine stärkere Niederlande in einem besseren Europa“ für die Verfassung wirbt und auch von führenden Persönlichkeiten verschiedener niederländischer Universitäten unterstützt wird, versucht, auch europäische Politprominenz für ihre Sache zu gewinnen und präsentierte am 22.04.05 bereits EU-Handelskommissar Peter Mandelson bei einer Presseveranstaltung als Redner.

Der Druck auf die Verfassungsbefürworter wächst jedoch weiter, nachdem eine Internetumfrage des Instituts Maurice de Hond am 07.05.05 eine Mehrheit der Verfassungsgegner (53%, Befürworter: 47%) ergab. Außerdem befanden 70% der Befragten die Kampagne des Kabinetts für nicht überzeugend.

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