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"Europa: der gemeinsame Traum der Bürger" - Vorausschau auf die italienische Ratspräsidentschaft

Am 1. Juli übernahm die italienische Regierung turnusgemäß die EU-Ratspräsidentschaft von Griechenland. Als inhaltlicher Schwerpunkt stehen insbesondere die Beratungen des Verfassungsentwurfs durch die Regierungskonferenz im Mittelpunkt, sowie die anstehende EU-Erweiterung im Mai nächsten Jahres. Hinzu kommen die von Silvio Berlusconi in den Vordergrund gestellten Verbesserungen der transatlantischen Beziehungen. Die Inhalte wurden jedoch in der Berichterstattung zumeist von der Diskussion über die Person des neuen Ratspräsidenten Berlusconi in den Hintergrund gedrängt.

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Inhaltliche Prioritäten der italienischen EU-Ratspräsidentschaft

In ihrem Programm „Europa: der gemeinsame Traum der Bürger“ stellt die italienische Ratspräsidentschaft die fünf folgenden Punkte als vorrangige Ziele für die nächsten sechs Monate vor:

Regierungskonferenz

Die italienische Ratspräsidentschaft will noch im Oktober diesen Jahres die Regierungskonferenz einberufen, die über den vom Konvent vorgelegten Verfassungsentwurf beraten soll. So schnell wie möglich sollen die Arbeiten abgeschlossen werden.

Diesem Fahrplan liegt die Absicht zu Grunde, im Sinne von Demokratie und Transparenz noch vor den Wahlen zum Europäischen Parlament im Juni 2004 den Bürgern Klarheit über die Inhalte des neuen Verfassungsvertrags zu verschaffen.

Besonders wichtig ist der Italienischen Ratspräsidentschaft bei der Unterzeichnung der Verfassung die symbolträchtige Erinnerung an die Römischen Verträge von 1957. Daher soll die Verfassung im Zeitraum zwischen 1. Mai 2004 und den Europawahlen auf dem Kapitol in Rom geschehen, selbst, wenn die Ratspräsidentschaft dann schon wieder an die Iren übergegangen sein wird.

Europäische Wirtschaft

In der Umsetzung der Ziele der Lissabonner Strategie gemäß der sich die EU bis zum Jahre 2010 zum dynamischsten Wirtschaftsraum der Welt entwickeln will, sieht die italienische Ratspräsidentschaft einen weiteren sehr wichtigen Punkt.

Zur Verwirklichung dieser Ziele halten die Italiener verstärkte öffentliche Investitionen und gemeinsames Tätigwerden der relevanten Europäischen Finanzinstitutionen für essentiell. Insbesondere die Transeuropäischen Verkehrsachsen, die sogenannten TEN (Trans-European-Network)-Projekte sollen umgesetzt werden.

Auf dem Weg zum „großen Europa“

Die italienische Ratspräsidentschaft verschreibt sich dem Ziel der Vollendung des großen Prozesses der Europäischen Einigung. Sie propagiert eine Gewichtsverschiebung der Unionspolitik in Richtung Süden und die stärkere Einbindung der Länder des westlichen Balkans, die als wesentlicher Teil Europas bezeichnet werden, in die Entscheidungsprozesse.

Die EU-Ratspräsidentschaft beabsichtigt zudem, einen Fahrplan für die Beitrittsverhandlungen mit Rumänien und Bulgarien festzulegen. Dieser soll ermöglichen, dass die Verhandlungen im Laufe des Jahres 2004 abgeschlossen werden und die beiden Länder 2007 der EU beitreten können.

Auch für die Türkei soll der Weg zur weiteren Integration abgesteckt werden, wobei die türkische Regierung ermutigt wird, den Prozess innerstaatlicher Reformen fortzuführen.

Darüber hinaus hält es der italienische Vorsitz für wesentlich, die Beziehungen zur Russischen Föderation und den übrigen europäischen GUS-Ländern in konkreterer Weise auszugestalten und ihre weitere Annäherung an die Strukturen und Institutionen in Brüssel zu fördern.

Ferner soll der Europa-Mittelmeer-Partnerschaft neuer Schwung verliehen werden. Insbesondere der Weg zu einer Mittelmeerbank soll weitergegangen werden, um eine stärke Einbindung der Länder auf beiden Seiten des Mittelmeers in gemeinsame Entwicklungsprojekte zu fördern.

Für die Beziehungen zu Israel wünscht sich der italienische Vorsitz eine umfassendere und strukturiertere gegenseitige Zusammenarbeit.

Europas Präsenz in der Welt

Das Credo des italienischen Vorsitzes lautet, dass Europa zu einem starken und einflussreichen Akteur auf der internationalen Bühne werden muss. Auch solle Europa mit einer Stimme sprechen und in den Hauptkrisengebieten im Geiste einer offenen und ergiebigen Zusammenarbeit mit den USA eingreifen, um Sicherheit und Frieden in der Welt aufrechtzuerhalten. Dazu gehören nach Ansicht der italienischen Ratspräsidentschaft auch angemessene Fähigkeiten im Verteidigungsbereich, die jedoch nicht als Konkurrenz zu NATO-Strukturen aufgebaut werden dürften.

Der italienische Vorsitz konstatiert eine Schwächung der transatlantischen Bindungen in Folge der Irakkrise. Diese kritische Phase müsse überwunden werden, um die traditionell privilegierten Beziehungen zu Washington wiederherzustellen.

In diesem Zusammenhang bietet Italien an, den Friedensprozess im Nahen Osten durch die Ausrichtung der schon mehrfach angekündigten internationale Konferenz zur sogenannten „Road Map“ des „Nahost-Quartetts“ aus USA, Russische Föderation, UN und EU zu unterstützen.

Auch im Irak könnte die EU nach Ansicht der italienischen Ratspräsidentschaft ihre wiedererlangte Geschlossenheit unter Beweis stellen, indem sie beim Wiederaufbau eine wichtige Rolle übernimmt.

Europa solle als Demokratie-, Friedens- und Wohlstandsfaktor in der Welt wirken und, entsprechend seinem Auftrag, die Werte der Demokratie, der Freiheit und der Achtung der Grundrechte systematisch fördern.

Sicherheit der Bürger

Durch Bekämpfung des internationalen Terrorismus, der mit effizienten Maßnahmen zur Bekämpfung der grenzübergreifenden Kriminalität und der illegalen Einwanderung einhergehen müsse, soll die Sicherheit für die europäischen Bürger verstärkt werden. Der italienische Vorsitz hält es daher für erforderlich Europol auszubauen, ständige und koordinierte Außengrenzkontrollen vorzusehen, gemeinsame Normen für den Asylbereich festzulegen, die Zusammenarbeit mit den Herkunfts- oder Transitländern von Migrationsströmen zu verstärken und schließlich die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten im Visumsbereich zu verbessern.

Diese fünf Hauptpunkte sind natürlich nur ein kleiner Ausschnitt des 62 Seiten umfassenden Programms, das alle Politikbereich der EU umfasst. Im Zusammenhang mit der Förderung der kulturellen und sprachlichen Vielfalt in Europa wird der italienische Vorsitz z.B. ein Arbeitspapier über das „Projekt Agenor – An den Wurzeln Europas in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft“ vorstellen. Dieses Projekt trägt den Namen des Vaters der von Zeus entführten Europa aus der griechischen Mythologie. In diesem Zusammenhang soll ein online verfügbarer „Thesaurus“ erstellt werden, der für die europäische Kultur charakteristischen Güter aufführen soll. Diese sollen von den einzelnen Mitgliedstaaten in den verschiedenen nationalen und regionalen Kulturen als Beitrag zu Herausbildung einer gemeinsamen Kultur und eines Gefühls der Zusammengehörigkeit der Bürger ermittelt werden.

Erklärung des Ratspräsidenten vor dem Europäischen Parlament in Straßburg

Bei seinem ersten öffentlichen Auftritt als neuer Ratspräsident stellte Berlusconi am 2. Juli 2003 vor dem Europäischen Parlament in Straßburg die schon oben erläuterten Leitlinien der italienischen Ratspräsidentschaft vor. Dabei schien er bemüht, die im Vorfeld aufgekommenen Zweifel an seiner Person als seriösem Ratspräsidenten zu zerstreuen. So erklärte er: „Italien wird in der verfassunggebenden Phase Europas seine Verantwortung tragen.“ Zudem lies er in seiner programmatischen Konsensrede keine seiner provokanten Vorschläge wie die EU-Mitgliedschaft Russlands oder Israels verlauten.

Ratspräsident Berlusconi – ein Imageschaden für die EU?

In der Debatte zeigte sich jedoch wie schnell die Person Berlusconi die Inhalte in den Hintergrund drängte: Berlusconis Aussage „Herr Schulz, in Italien wird derzeit ein Film über die Konzentrationslager der Nazis gedreht: Ich schlage sie für die Rolle des Kapos vor. Sie wären perfekt!“ führte zu tumultartigen Szenen.

Hintergrund der Ausfälle Berlusconis war scharfe Kritik des SPD-Europaabgeordneten Martin Schulz. Dieser hatte wie auch andere linke Abgeordnete Berlusconis Regierungsarbeit angegriffen. Insbesondere das neue Immunitätsgesetz, das Berlusconi vor Verurteilung in dem aktuell gegen ihn laufenden Korruptionsprozess, schützt und Äußerungen seines Koalitionspartners und Reformministers Bossi von Lega Nord wurden kritisiert. Einige Parlamentarier fühlten sich zu Vergleichen mit der Situation in Österreich nach der Regierungsbeteiligung von Jörg Haiders FPÖ veranlasst. Auch mit Plakaten mit der Aufschrift „Vor dem Gesetz sind alle gleich“ protestierten einige Europaparlamentarier gegen den „Virus des Interessenkonflikts“. Hintergrund des Vorwurfs der Interessenskonflikte ist die Tatsache, dass Berlusconi zugleich Ministerpräsident Italiens, reichster Mann des Landes und Medienunternehmer ist, der den Großteil der elektronischen Medien kontrolliert.

Aber es gab auch inhaltliche Kritik, z.B. an den Verkehrsprojekten zur Ankurbelung der Wirtschaft, die als „Pharaonenprojekte“ bezeichnet wurden.

Hans-Gert Pöttering (CDU), der Vorsitzende der EVP-Fraktion im europäischen Parlament, bedauerte die Ausfälle Berlusconis zutiefst: „Der Respekt vor den ermordeten Opfern und die würde des Menschen verbieten einen solchen Vergleich.“ Darüber hinaus forderte er jedoch eine Entschuldigung von Schulz, der Berlusconi durch seine aggressive Rede provoziert habe. Er verlieh der Hoffnung Ausdruck, dass sich die Wogen durch die Vermittlung des europäischen Parlamentspräsidenten Pat Cox glätten werden, damit diese italienische Ratspräsidentschaft Erfolg hat.

Graham Watson, der britische Vorsitzende der liberalen Fraktion, bekräftigte ebenfalls die Notwendigkeit, eine institutionelle Krise zu vermeiden. Gleichzeitig hob er die Schwere des Angriffs Berlusconis gegen alle europäischen Abgeordneten hervor. Berlusconi hatte sie pauschal als „Touristen der Demokratie“ bezeichnet.

Auch die Kommission bedauerte den Vorfall. Romano Prodi, der als Berlusconis größter innenpolitischer Gegner und auch als möglicher Gegenkandidat für die nächsten Präsidentschaftswahlen 2006 gilt, beteuerte, dass Kommission und Rat zusammenarbeiten werden.

Noch am gleichen Tag entschuldigte sich Berlusconi vor der EVP-Fraktion beim deutschen Volk für den Fall, dass er dessen Gefühle verletzt haben sollte. Auch wurde in einem Telefongespräch mit Bundeskanzler Gerhard Schröder laut Pressesprecher des Bundeskanzleramtes eine Entschuldigung von Berlusconi ausgesprochen. Dies dementierte Berlusconi später jedoch und lies den Angriff auf Schulz als „Ironie“ im Raum stehen.

Das internationale Presseecho belegt, dass sich sowohl Berlusconis Versuch, vor dem Parlament als Ratspräsident eine gute Figur zu machen, als auch der Versuch, sich durch das Immunitätsgesetz eine glänzende Ratspräsidentschaft zu ermöglichen, ins Gegenteil verkehrt haben. Mit weitreichenderen Folgen für die Entwicklung der EU, als dem entstandenen Imageschaden, rechnet jedoch niemand. Das wichtigste Projekt, nämlich die Annahme der Verfassung, ist schließlich schon sehr weit vorbereitet und zudem ist es im Interesse der Italiener schnell darüber zur Einigung zu kommen.

Neuerungen beim Europäischen Rat

Erstmals finden unter dem italienischen Vorsitz die Sitzungen des Europäischen Rates nicht mehr im Land des Vorsitzes statt, sondern in Brüssel. Damit greift Italien dem Vertrag von Nizza vor, in dem beschlossen wurde, dass ab 2004 alle Sitzungen in Brüssel stattfinden sollen.

Außerdem haben Italien und Griechenland als erste Länder, entsprechend der Beschlüsse des Rats von Sevilla im Jahre 2002, einen gemeinsamen Arbeitsplan für das gesamte Jahr 2003 vorgelegt. Irland, Niederlande, Luxemburg, Großbritannien, Österreich und Finnland, die als nächste den Vorsitz des Europäischen Rates übernehmen werden, werden im Dezember dementsprechend ein Drei-Jahres-Programm vorlegen. Durch diesen Beschluss von Sevilla soll trotz der ständigen Rotation des Vorsitzes eine größere Kontinuität erreicht werden.

Wichtige Termine:

1. Juli – 31. Dezember 2003: Italienischer Vorsitz

16./17. Oktober: Sitzung des Europäischen Rates in Brüssel

12./13. Dezember: Sitzung des Europäischen Rates in Brüssel

ab 4. Oktober (geplant): Beginn der Arbeiten der Regierungskonferenz zur Beratung des

Verfassungsentwurfs

Offizielle Homepage des italienischen Vorsitzes:

http://www.ueitalia2003.it/EN/ |http://www.ueitalia2003.it/EN/

Allgemeine Homepage des Rates:

http://ue.eu.int/de/summ.htm |http://ue.eu.int/de/summ.htm

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