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"Reaktionen auf die Empfehlungen der EU-Kommission zur Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei"

von Mark C. Fischer
Am 06. Oktober 2004 veröffentlichte die Europäische Kommission ihren Bericht zu den Fortschritten der Türkei auf dem Weg zum Beitritt. Die, wenn auch qualifizierte, positive Empfehlung der Kommission zur Aufnahme von Beitrittsverhandlungen wurde in Brüssel wie in Berlin ausgiebig und kontrovers kommentiert. Kommissionspräsident Romano Prodi stellte den Bericht, zusammen mit Erweiterungskommissar Günter Verheugen, dem Europäischen Parlament vor. Dabei betonte er, dass die generell positive Einschätzung keinesfalls getrennt von den weitreichenden spezifischen Bedingungen und Empfehlungen der Kommission betrachtet werden dürfe. Allein in der Erfüllung dieser Konditionen liege der Schlüssel zur erfolgreichen Integration der Türkei in die Europäische Union. Prodi hob hervor, dass lange Vorbereitungszeiten auf beiden Seiten essentiell wären. Im Hinblick auf die heute schwer abzusehenden Folgen einer Mitgliedschaft der Türkei für den EU-Haushalt sagte Prodi, dass die wichtigste politische Lektion der Schätzungen darin bestehe, auszuschließen dass ein türkischer Beitritt im Finanzrahmen 2007-2013 eingeschlossen werden könne, da die Verhandlungen hierüber auf der Basis von Kommissionsvorschlägen bereits begonnen hätten. Prodi unterstrich abschließend zwar, dass bei derart komplexen Verhandlungen das Ergebnis grundsätzlich nicht festgelegt werden könne, er sich jedoch keine Zukunft Europas ohne eine feste Verankerung der Türkei vorstellen könne. Günter Verheugen betonte in der Konferenz der Präsidenten, dass seine Definition von ergebnisoffenen Verhandlungen nicht mit einschließe, dass am Ende des Verhandlungsprozesses ein anderes Ergebnis als die Vollmitgliedschaft der Türkei herauskomme und ging mit dieser Einschätzung klar über den Konsens in der Kommission hinaus.

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Reaktionen auf die Empfehlungen der EU-Kommission zur Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei

Am 06. Oktober 2004 veröffentlichte die Europäische Kommission ihren Bericht zu den Fortschritten der Türkei auf dem Weg zum Beitritt. Die, wenn auch qualifizierte, positive Empfehlung der Kommission zur Aufnahme von Beitrittsverhandlungen wurde in Brüssel wie in Berlin ausgiebig und kontrovers kommentiert. Kommissionspräsident Romano Prodi stellte den Bericht, zusammen mit Erweiterungskommissar Günter Verheugen, dem Europäischen Parlament vor. Dabei betonte er, dass die generell positive Einschätzung keinesfalls getrennt von den weitreichenden spezifischen Bedingungen und Empfehlungen der Kommission betrachtet werden dürfe. Allein in der Erfüllung dieser Konditionen liege der Schlüssel zur erfolgreichen Integration der Türkei in die Europäische Union. Prodi hob hervor, dass lange Vorbereitungszeiten auf beiden Seiten essentiell wären. Im Hinblick auf die heute schwer abzusehenden Folgen einer Mitgliedschaft der Türkei für den EU-Haushalt sagte Prodi, dass die wichtigste politische Lektion der Schätzungen darin bestehe, auszuschließen dass ein türkischer Beitritt im Finanzrahmen 2007-2013 eingeschlossen werden könne, da die Verhandlungen hierüber auf der Basis von Kommissionsvorschlägen bereits begonnen hätten. Prodi unterstrich abschließend zwar, dass bei derart komplexen Verhandlungen das Ergebnis grundsätzlich nicht festgelegt werden könne, er sich jedoch keine Zukunft Europas ohne eine feste Verankerung der Türkei vorstellen könne. Günter Verheugen betonte in der Konferenz der Präsidenten, dass seine Definition von ergebnisoffenen Verhandlungen nicht mit einschließe, dass am Ende des Verhandlungsprozesses ein anderes Ergebnis als die Vollmitgliedschaft der Türkei herauskomme und ging mit dieser Einschätzung klar über den Konsens in der Kommission hinaus.

Der Präsident des Europäischen Parlaments, der spanische Sozialist Josep Borell, wies darauf hin, dass das Parlament sich während seiner Sitzung am 1./2. Dezember politisch zu den Empfehlungen der Kommission äußern werde. Der Auswärtige Ausschuss sei aufgerufen, einen Bericht zu erstellen, welchen er nach Annahme im Plenum dem Europäischen Rat vorstellen werde. Es werde davon ausgegangen, dass die Staats- und Regierungschefs der Union, denen die endgültige Entscheidung über die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei auf dem Europäischen Rat am 17. Dezember obliegt, den Standpunkt des Parlaments sehr ernst nähmen. Schließlich, so erinnerte Borrell, läge der Schlüssel zum Beitritt der Türkei, wie bei den anderen Beitrittsstaaten, am Ende langer Verhandlungen in den Händen des Europäischen Parlaments.

Der Berichterstatter des Europäischen Parlaments, der niederländische EVP-Abgeordnete Camiel Eurlings, sprach sich dafür aus, die politischen Reformen in der Türkei weiterhin genau zu beobachten. Dem Rat solle im Falle von fortdauernden gravierenden Verletzungen der Menschenrechte und demokratischen Prinzipien die Möglichkeit gegeben werden, die Verhandlungen mit einer qualifizierten Mehrheit zu suspendieren. Darüber hinaus unterstrich auch Eurlings den ergebnisoffenen Charakter der Verhandlungen.

Innerhalb der EVP gibt es zur Frage der EU-Mitgliedschaft der Türkei bislang zwar noch keine einheitliche Position. Der Vorsitzende der EVP-ED Fraktion, Hans-Gert Pöttering, äußerte sich jedoch in einer Aussprache mit Prodi und Verheugen im Sinne einer großen Mehrheit in der Fraktion, indem er darauf hinwies, dass ein Beitritt der Türkei die Europäische Union dramatisch verändern würde. Unter Hinweis auf die Größe, den Lebensstandard die kulturelle Ausrichtung und die geographische Lage des Landes warnte Pöttering vor den Folgen einer EU-Mitgliedschaft und forderte, dass als Ergebnis der Beitrittsverhandlungen auch eine „privilegierte Partnerschaft“ möglich sein müsse. Ein möglicher Beschluss müsse diese Art der Ergebnisoffenheit – im Gegensatz zu einer durch Übergangsfristen und permanente Ausnahmebestimmungen konditionierten Vollmitgliedschaft – explizit zum Ausdruck bringen. Pöttering unterstrich, dass er sich bei den nächsten EVP-Gipfeltreffen dafür einsetzen werde, dass diese Ergebnisoffenheit in einem eventuellen Beschluss des Europäischen Rates klar definiert werde. Darüber hinaus übte der EVP-ED Fraktionsvorsitzende gegenüber den Äußerungen Kommissar Verheugens zur Einhaltung der Menschenrechte in der Türkei scharfe Kritik. Die Aussage, dass es in der Türkei „keine systematische Folter“ gebe könne man nur als „Unwort des Jahres 2004“ und zynische Bestätigung für die fortdauernde Existenz der Folter beschreiben. Er erwarte von Verheugen, dass dieser keine politischen Gefälligkeitsurteile träfe, sondern eine klare Sprache im Hinblick auf die Menschenrechtssituation in der Türkei spreche.

Die Vorsitzenden der deutschen Gruppe im Europäischen Parlament, Hartmut Nassauer (CDU) und Markus Ferber (CSU) gingen in ihrer Einschätzung noch weiter und sprachen im Hinblick auf die Empfehlung der Kommission vom „Anfang vom Ende der Europäischen Union in ihrer jetzigen Form“. Sie warfen der Deutschen Bundesregierung, welche den Beitritt der Türkei nachdrücklich unterstützt, politische Verantwortungslosigkeit und mangelnde Beachtung der Mehrheitsmeinung der deutschen Bevölkerung vor.

Der Hinweis der Kommission, dass Freizügigkeit für Arbeitnehmer und volle Teilnahme an der Agrar- und Strukturpolitik für unbestimmte Zeit nicht möglich seien wurde vom Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses, Elmar Brok (EVP) dahingehend interpretiert, dass damit auch eine Vollmitgliedschaft der Türkei auf Dauer unmöglich sei. Wenn die heutigen Regeln angewandt würden, verdoppele sich der deutsche Nettobeitrag (Mehrkosten 6 – 8 Mrd. €) . Andernfalls würde die EU als „Flickenteppich-Gemeinschaft“ enden.

Die sozialistische Gruppe im Europäischen Parlament begrüßte die Empfehlung der Kommission, bestand jedoch darauf, dass folgende vier Kontrollmechanismen eingehalten werden. Das Europäische Parlament sollte durch regelmäßiges Monitoring und Berichterstattung über den Fortschritt der Beitrittsverhandlungen informiert werden. Von Beginn an muss klargestellt werden, dass die Verhandlungen nicht automatisch in eine Mitgliedschaft münden. Es muss akzeptiert werden, dass die Verhandlungen suspendiert werden, wenn Grundprinzipien der EU-Mitgliedschaft verletzt werden. Es muss Übereinstimmung darüber geben, dass lange Übergangszeiten bei Freizügigkeit sowie Agrar- und Strukturpolitik in ein eventuelles Beitrittsabkommen eingebaut werden. Die Gruppe warnte, dass die Verhandlungen sehr lang und schwierig würden und daher eine spezielle Beobachtungs- und Kontaktgruppe zur Türkei zusammengestellt würde. Der Vorsitzende der liberalen Gruppe im Europäischen Parlament, Graham Watson, äußerte sich ebenfalls generell positiv zur Empfehlung der Kommission. Die Türkeidebatte werde die Definition Europas und der Europäer im 21. Jahrhundert stark beeinflussen. Auch Watson bestand darauf, dass die Aufnahme von Verhandlungen nicht automatisch mit einer Vollmitgliedschaft enden müsse. Die Verhandlungen würden auch die Union zwingen, ihre Institutionen und Entscheidungsmechanismen gründlich zu überarbeiten. Auch die Gruppe der Grünen/Freie Europäische Allianz im Europäischen Parlament begrüßte den Kommissionsbericht. Daniel Cohn-Bendit sprach sich für eine schnelle Aufnahme von Verhandlungen mit der Türkei aus, betonte aber dass ein positives Ergebnis - obwohl wünschenswert – keineswegs garantiert werden könne. Die Türkei hätte sich jedoch um eine Vollmitgliedschaft beworben, so dass eine „privilegierte Partnerschaft“ nicht in Frage käme. Ähnlich äußerte sich der Vorsitzende der Vereinigten Europäischen Linken Gruppe, Francis Wurtz.

Angesichts dieser Stimmungslage der einzelnen Fraktionen kann nicht davon ausgegangen werden, dass sich eine Mehrheit im Europäischen Parlament gegen die Aufnahme von Verhandlungen mit der Türkei finden wird. Wenn jedoch von einem frühen Verhandlungsbeginn ausgegangen werden kann, muss darauf hingewiesen werden, dass eine genaue Definition in der strittigen Frage „ergebnisoffene Verhandlungen“ bei der Entscheidung des Europäischen Rates am 17. Dezember von höchster Bedeutung sein wird.

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