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"Rückblick auf die griechische Ratspräsidentschaft"

von Grita Berendt
Die griechische Präsidentschaft über den Rat der Europäischen Union fand mit dem Gipfel von Thessaloniki am 19. und 20. Juni ihren Abschluß. Sie stand ganz im Zeichen zweier Themen, die Europa in den vergangenen sechs Monaten beschäftigten: der Erarbeitung eines Verfassungsvertrages durch den Reformkonvent sowie des Irak-Krieges und seiner Folgen für die Europäische Union.

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Die griechische Präsidentschaft über den Rat der Europäischen Union fand mit dem Gipfel von Thessaloniki am 19. und 20. Juni ihren Abschluß. Sie stand ganz im Zeichen zweier Themen, die Europa in den vergangenen sechs Monaten beschäftigten: der Erarbeitung eines Verfassungsvertrages durch den Reformkonvent sowie des Irak-Krieges und seiner Folgen für die Europäische Union.

Das Gipfeltreffen stellte den vorläufigen End- und Höhepunkt der Arbeiten des Konvents dar. Dessen Vorsitzender, Valéry Giscard d’Estaing, legte bei dieser Tagung einen Textentwurf für eine zukünftige Verfassung vor, der erst nach 18 Monaten zähen Ringens zustande kam. Bis kurz vor Beendigung Konventstätigkeiten schien es nicht möglich, einen für alle Seiten tragbaren Kompromiss zu erreichen. Giscard d’Estaing bestätigte, daß ein erfolgreicher Abschluß noch drei Monate zuvor äußerst fragwürdig war. Doch im Gegensatz zu den schlimmsten Befürchtungen, stellte dieses Ratstreffen kein neuerliches Auseinanderdriften der verschiedenen Ansichten dar, sondern war durchaus geprägt von Harmonie. Zwar gab es leise Kritik von den Vertretern der kleineren Mitgliedsstaaten, doch in der Gesamtbilanz kamen die versammelten Staats- und Regierungschefs überein, daß der vorgelegte Entwurf eine gute Grundlage für die Regierungskonferenz im Oktober sei.

In einer abschließenden Erklärung zum Konvent stellte die griechische Präsidentschaft fest, daß der Verfassungsentwurf einen großen Schritt hin zur Annäherung der Europäischen Union an die Bürgerinnen und Bürger darstelle. Auch anderen Zielen sei man nun näher gekommen, beispielsweise der Stärkung des demokratischen Charakters und der Entscheidungsfindungsprozesse der Union sowie ihrer Fähigkeit, ihr politisches Gewicht im Zuge der Globalisierung stärker in internationale Beziehungen einfließen zu lassen.

Auch hinsichtlich eines weiteren Themenblocks, dem sich die Griechen verschrieben hatten, zeigte man sich zufrieden. Die Erweiterung kommt mit großen Schritten voran. In diesem Zusammenhang war die Unterzeichnung der Beitrittsverträge seitens der jetzigen EU und der zehn neuen Mitgliedsstaaten am 16. April 2003 in Athen ein feierlicher Moment für das Europa von heute und von morgen. Die positiven Ergebnisse der bisherigen Referenden in Malta, Slowenien, Ungarn, Litauen, der Slowakischen Republik, Polen und der Tschechischen Republik unterstreichen den unübersehbaren Willen der Menschen in den Beitrittsländern, Teil der europäischen Familie zu werden. Dem Ratifikationsprozeß ist somit neuer Schwung verliehen worden. Die Bewerberkandidaten Bulgarien und Rumänien bringen die Reformen im eigenen Land voran. Dies gilt auch für die türkische Regierung, aus deren Sicht Fortschritte für die Erfüllung der politischen Kriterien von Kopenhagen und mithin für eine mögliche Eröffnung von Beitrittsverhandlungen unerläßlich sind.

Im Mittelpunkt des politischen Tagesgeschehens innerhalb der Europäischen Union standen ferner die Außen- und Sicherheitspolitik im Zusammenhang mit dem Irak-Krieg.

Bereits der Beginn der griechischen Ratspräsidentschaft war gekennzeichnet von einem Zerwürfnis zwischen zwei Gruppen innerhalb der EU. Die eine Gruppe mit Deutschland und Frankreich an der Spitze weigerte sich, einer militärischen Lösung des Konfliktes zuzustimmen, und blieb ihrer Linie auch bis zuletzt treu. Die andere Gruppe, angeführt von Großbritannien und Spanien, schlug sich sehr früh auf die Seite der USA bei dem Bemühen, das irakische Regime mit gewaltsamen Mitteln zu stürzen. Somit durchzog ein gewaltiger Graben das außenpolitische Auftreten der EU-Mitglieder. Diese Kluft war nicht nur verheerend für die Atmosphäre der Staaten untereinander und den Versuch, die Außen- und Sicherheitspolitik der Union kohärenter zu gestalten. Auch das Ansehen der EU als politische Kraft mit großem internationalem Einfluss wurde durch den innereuropäischen Konflikt untergraben. Zwar erinnern sich die Staats- und Regierungschefs nunmehr an die Notwendigkeit eines Zusammenhaltes zwischen den europäischen Staaten, doch sind durch den Konflikt innerhalb kürzester Zeit Schäden entstanden, die nur langfristig zu beheben sind.

Die Eskalation der Ereignisse im Irak förderte die Meinungsverschiedenheiten offen zu Tage. Die Unfähigkeit, sich - unter Ausschluß der Öffentlichkeit - auf einen gemeinsamen Standpunkt zu einigen, wurde von vielen als eine Bankrotterklärung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) aufgefaßt. Auch die griechische Ratspräsidentschaft unter Leitung von Ministerpräsident Costas Simitis zeigte sich außer Stande, die Kluft zu überbrücken und die Kommunikation zu fördern. Erst jetzt, nach dem raschen Ende des Krieges im Irak und der Rückbesinnung auf realpolitischen Pragmatismus, raufen sich die führenden europäischen Politiker zusammen.

Insofern ist die Vorlage einer gemeinsamen europäischen Sicherheitsstrategie durch den Hohen Beauftragten der EU für die GASP, Javier Solana, als positiv zu bewerten. Einerseits soll mit ihr die europäische Sicherheits- und Verteidigungsidentität herausgebildet werden. In der Tat ist diese europäische Sicherheitsdoktrin mit der Strategie des preemptive engagement (präventive Diplomatie) und der Anwendung von militärischer Gewalt als letztem Mittel eine beachtenswerte Alternative zum US-amerikanischen Konzept des preemptive strike (Präventivschlag). Andererseits zielt sie auf eine Betonung der Gemeinsamkeiten mit den Vereinigten Staaten ab, um das transatlantische Verhältnis zu normalisieren. Hierzu gehört insbesondere die Bekämpfung des internationalen Terrorismus, des organisierten Verbrechens und der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen.

Neben den theoretischen Konzepten sind in jüngster Zeit auch die operativen Kapazitäten der EU gestärkt worden. Dies geschah durch verschiedene Einsätze im Rahmen der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Zu nennen sind hier die Missionen EUPM in Bosnien-Herzegowina, CONCORDIA in Mazedonien und ARTEMIS in der Demokratischen Republik Kongo.

Auch in anderen Bereichen der Außenpolitik hat es unter dem Vorsitz der Griechen durchaus Fortschritte gegeben. So hat sich der Zypern-Konflikt etwas entschärft, nicht zuletzt dank des Engagements von UN-Generalsekretär Kofi Annan auf Grundlage der Sicherheitsratsresolution 1475. Der bevorstehende Beitritt des Inselstaates zur Europäischen Union hat zu einer Vereinfachung des Austausches zwischen der türkisch- und griechisch-zypriotischen Gemeinde geführt.

Des weiteren hat die EU einen nicht unerheblichen Beitrag zur Erstellung und Umsetzung der Road Map für den Nahen Osten geleistet. Dieser Fahrplan sieht vor, daß - anders als bisher- die israelische Siedlungstätigkeit und der palästinensische Terrorismus gleichzeitig gestoppt werden sollen. Die Road Map soll unter der Ägide des Nahost-Quartetts (EU, Russland, UNO, USA) umgesetzt werden, doch bisher genießen die Vereinigten Staaten die größte Autorität als Vermittler in der Nahost-Krise. Ein größerer Einfluss der EU auf die Konfliktparteien wäre allerdings erstrebenswert.

Schließlich wurde beim Gipfel von Thessaloniki Bilanz über den erfreulichen Reformprozeß in den Ländern des westlichen Balkans gezogen. Die Beziehungen der EU zu Albanien, Bosnien-Herzegowina, Kroatien, Mazedonien sowie Serbien und Montenegro sind enger denn je. Während die EU mit Kroatien und Mazedonien bereits ein Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen geschlossen hat, ist ein Annäherungsprozeß mit Albanien in die Wege geleitet worden.

Im Hinblick auf die Beziehungen zu Drittstaaten, darunter die neuen Nachbarn der EU im Zuge der Erweiterung, spielt neben der außen- und wirtschaftspolitischen Zusammenarbeit vor allem der Kampf gegen die illegale Einwanderung eine Rolle. Erst kürzlich zeigte Costas Simitis Führungsstärke, als er den Vorschlag des britischen Premiers Tony Blair ablehnte, außerhalb der EU Auffanglager für Flüchtlinge einzurichten. Rückendeckung erfuhr er hierbei von den übrigen Staats- und Regierungschefs, die eine weniger rigide Migrationspolitik befürworten. Simitis forderte, daß die unter griechischem Vorsitz entwickelte Immigrationspolitik weiter fortgesetzt werden müsse.

Außerdem einigte man sich darauf, einheitliche Regeln für die Asyl- und Zuwanderungspolitik zu schaffen, die Außengrenzen besser zu kontrollieren und schärfere Sicherheitsvorkehrungen bei der Ausstellung von Reisedokumenten zu ergreifen.

Die Führung der Amtsgeschäfte innerhalb der EU hat sich für die Griechen als schwieriges, manchmal heikles Unterfangen erwiesen. Zu Beginn der Präsidentschaft hatten sie sich ehrgeizige Ziele gesetzt; nicht alle haben sie erreichen können. Bis zu einem gewissen Grad ist dies verständlich, da mit dem Irak-Krieg ein Ereignis eintrat, für das Griechenland nicht ausreichend gewappnet war. Dennoch hätte man sich eine objektivere Haltung und ein stärkeres Durchgreifen der Griechen bei der Erarbeitung eines einheitlichen Standpunktes zum Irak-Konflikt gewünscht. Dass es der EU ganz offensichtlich in diesen Monaten an einem außenpolitischen Konzept fehlte, ist nicht nur Folge nationaler Egoismen, sondern auch des mangelnden Einflusses der Präsidentschaft auf die Einzelstaaten. Erst in jüngster Zeit hat die EU zur Gemeinsamkeit zurückgefunden, insbesondere durch Solanas Strategiepapier und die unbürokratische Entsendung von EU-Streitkräften in die Demokratische Republik Kongo.

Es bleibt festzuhalten, daß die griechische Ratspräsidentschaft ihre allgemeinen politischen Aufgaben - trotz des Irak-Krieges und der aus ihm hervorgegangen innereuropäischen Krise – im wesentlichen erfüllt hat: Die Erweiterung vollzieht sich ohne größere Hindernisse, die Immigrationspolitik nimmt Konturen an und der Reformkonvent hat rechtzeitig einen Verfassungsentwurf vorgestellt. Nun wird der Kelch der noch zu erledigenden Aufgaben an die Italiener weitergereicht, die ab dem 1. Juli 2003 die Präsidentschaft übernehmen. Und wiederum darf man gespannt sein, ob und wie die neuen „Ratsherren“ die Herausforderungen meistern.

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