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"Ungarn - das Irland Mittel- und Osteuropas !?"

von Stefan Picker
Ungarn – der drittgrößte mittel- und osteuropäische Beitrittskandidat – hat abgestimmt! Am 01. Mai 2004 wird Ungarn der EU beitreten, denn das Referendum ist bindend. Die sehr frühzeitige Orientierung zum „Westen“ findet damit ihren derzeitigen Höhepunkt. Und obwohl man sich gerade in Ungarn sehr bewusst ist, das „nicht alles Gold ist was glänzt“, sind die Ziele ehrgeizig. Das Irland des Ostens wollen sie werden. Doch der Weg ist noch weit!

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Mit seinen 10,2 Millionen Einwohnern und 93 036 km2 ist Ungarn das drittgrößte Mittel- und Osteuropäische Beitrittsland, welches am 01. Mai 2004 Mitglied der Europäischen Union (EU) wird.

„Zerstritten nach Europa“ so titelte die FAZ noch im März. Und es ist wahr, eine politische Polarisierung durchzieht die Republik Ungarn (Magyar Köztársaság) und ihre Medien. Aber ist diese Polarisierung Anlaß zur Beunruhigung? Oder ist eine Polarisierung nicht notwendige Voraussetzung für Demokratie und demokratische Strukturen?

Nur ein geringer Prozentsatz in Ungarn wählt links- oder rechtsextreme Parteien. Die Regierungen sind, seit den ersten freien Wahlen 1990, stets stabil und haben immer ihre volle Amtszeit regiert – keine Selbstverständlichkeit für andere mittel- und osteuropäischen Staaten. Im Gegenteil, Ungarn ist das einzige Land aus dem ehemaligen Ostblock, dessen erste frei gewählten Regierungen die volle Amtszeit regierten.

Welchen Grund könnte diese politische Stabilität haben? Historisch hat Ungarn eine völlig andere Entwicklung genommen als beispielsweise die slawischen Staaten. Sicherlich hat die österreichisch-ungarische Habsburg-Monarchie dazu beigetragen, dass Ungarn sich schon immer „westlich“ orientierte; aber auch die Tatsache, dass die ungarische Sprache und Kultur mit den slawischen Sprachen nur etwa so viel zu tun hat, wie die Deutsche. Diese Sonderrolle spiegelte sich auch darin wieder, dass es in Ungarn, nach der niedergeschlagenen Revolution von 1956, trotz des kommunistischen Regimes relativ viele Freiheiten gab. So war das Motto des Generalsekretärs der Ungarischen Sozialistischen Arbeiterpartei von 1956 – 1988, János Kádár, „wer nicht gegen uns ist, ist mit uns“. Wobei natürlich auch die Tatsache, dass Parteizugehörigkeit keine Voraussetzung für verantwortungsvolle Posten war, nicht darüber hinweg täuschen darf, dass es sich um eine kommunistische Diktatur handelte.

Parteien und politisches System

Jedoch führte diese einmalige Situation dazu, dass sich in Ungarn die Parteien auf langjährige Untergrund- und Oppositionsarbeit (seit den frühen 80iger Jahren) gründen konnten. Alle der vier zur Zeit im Parlament (Országgyülés) vertretenen Parteien, waren schon bei den ersten Wahlen vertreten.

Die Regierung bilden seit 2002 die Ungarische Sozialdemokratische Partei (MSZP) und die Allianz freier Demokraten (SZDSZ). Die MSZP, unter Ministerpräsident Péter Medgyessy, hat ein sozial-demokratisches Programm und ist Nachfolgerin der kommunistischen Arbeiterpartei. In der Koalition mit dem kleineren liberalen Koalitionspartner, SZDSZ, übernahm sie bereits 1994 für vier Jahre die Regierung.

Die Opposition wird zur Zeit von der Föderation Junger Demokraten (Fidesz) unter Zoltán Pokorni und Viktor Orbán angeführt. Der Fidesz definierte sich zunächst als liberale Partei der Studenten, wurde jedoch unter Viktor Orbán zu einer eher konservativ orientierten Volkspartei. So wie die MSZP hat Fidesz über 40% der Sitze im Parlament und gehört zu den dynamischsten Parteien in Ungarn. Die mitte-rechts Partei Ungarisch Demokratisches Forum (MDF), wurde als Partei der Intellektuellen gegründet. Beide Parteien (MDF und Fidesz) sind mit der Europäischen Volkspartei (EVP) assoziiert.

Allein die Tatsache, dass es zwei große Volksparteien, wie Fidesz und MSZP, gibt, kann nicht über eine mangelnde Wählerbindung hinweg täuschen. Zwar haben sich die oben genannten Parteien etabliert, jedoch wurde bisher jede Regierung wieder abgewählt. Die Schwankungen in der Wählergunst sind groß. Die Medien und die Politiker polarisieren die Mengen, und es gibt nur selten einen Politikbereich in dem sich Opposition und Regierung einig sind. Sogar der Beitritt zur Europäischen Union ist dabei kein Tabu-Thema.

Ungarn und die Europäische Union

Schon frühzeitig, nach dem Fall des „Eisernen Vorhangs“, entschied sich Ungarn, der Europäischen Union (EU) beizutreten. Die Regierungen setzten alles daran, die Beziehungen zum „Westen“ zu intensivieren. „Ungarn machte immer einen gut organisierten und professionellen Eindruck bei den Verhandlungen“ unterstrich Michaela Küchler, Leiterin der Deutschen Delegation bei den Beitrittsverhandlungen. Dabei hat es sicherlich geholfen, dass die Ungarn schon 1988 die absolute Reisefreiheit erhielten, wirtschaftliche Beziehungen zum Westen – gerade auch zu Deutschland – bereits existierten und die Tourismus-Branche in Ungarn einen enormen Aufschwung erlebte. Ungarn ist bei den Deutschen der beliebteste Beitrittskandidat. Etwa 80 % der Deutschen befürworten eine Aufnahme Ungarns in die EU .

Die NATO Mitgliedschaft und die Betrittsverhandlungen mit der EU schienen daher nur die logische Weiterentwicklung eines langen Prozesses zu sein. Und in der Tat sehen die meisten Ungarn den Beitritt wohl weniger als positive Sternstunde, sondern als Notwendigkeit. Und obwohl die Opposition, vor allem Fidesz, auch Kritik am Beitritt äußerte, so gibt es dennoch in dieser einen Frage keinen wirklichen Dissens. Zumal auch der Fidesz, als er an der Macht war, den Beitritt intensiv förderte. Die sozialdemokratische Regierung startete eine überaus gut durchdachte, wenn auch recht kurzfristige, Werbekampagne, die sich auszahlte. 74 % der Ungarn befürworteten den Beitritt zur EU beim Referendum am 12. April 2003. Nur 11 % sprachen sich bei einer Wahlbeteiligung von >70 %, dagegen aus.

Probleme und Aufgaben

Der Beitritt ist also besiegelt. Die Verhandlungen sind abgeschlossen. In vielen Bereichen war Ungarn Vorreiter. Dennoch bleibt noch einiges zu tun. Während die legislativen Grundlagen gelegt sind, fehlt es oft noch an Details. Besonders in den Bereichen der internen Finanzkontrolle, sowie der institutionellen Vorbereitungen für die Strukturfonds und die Gemeinsame Agrarpolitik muss noch mehr getan werden. Auch frühere Beitrittskandidaten, wie beispielsweise Österreich, Finnland und Schweden, hätten die bürokratischen und behördlichen Voraussetzungen für die Umsetzung unterschätzt, warnt Dirk Schübel, in der Generaldirektion Erweiterung der Europäischen Kommission zuständig für Ungarn. Die Kommission hat, im Zuge ihres bis Ende des Jahres 2003 andauernden Monitoring-Prozesses, bereits Anfang März ´03 eine „early warning“ an Ungarn (und andere Beitrittsländer) verschickt. Die Anstrengungen in diesen Bereichen müssen also verstärkt werden.

Auch im Bereich des Minderheitenschutzes, speziell der Roma, fordert die Europäische Union noch intensivere Bemühungen. Dennoch ist man sich „in Brüssel“ einig, dass es nicht zu einer ernsthaften Behinderung des Beitrittsprozesses kommen wird. Bereits 1997 stellte die Kommission in ihren offiziellen Erklärungen fest, dass Ungarn die politischen Voraussetzungen erfülle.

Doch wie sieht es mit der Wirtschaft aus? Die wirtschaftliche Transformation ist abgeschlossen. Und Viktor Orbán (Fidesz), von 1998 - 2002 Regierungschef, wünscht sich, „das Irland Osteuropas“ zu werden. In der Tat, die wirtschaftlichen Voraussetzungen sind gut, und eine Ähnlichkeit zu Irland ist zumindest in der Größe und Struktur gegeben. Bis 2002 hatte Ungarn den höchsten Anteil an Investitionen, im Vergleich mit den anderen Beitrittskandidaten. Aber der Weg ist noch weit. Zwar ist die Arbeitslosigkeit mit ca. 6 % (2002) niedrig im Vergleich zu beispielsweise Polen (um die 18 %) und die Wachstumsrate des Bruttoinlandsproduktes bei ca. 4 % stabil (3,3 % in 2002), aber die Wahlgeschenke der Regierungen machen eine gute Finanzpolitik fast unmöglich, und eine Inflationsrate von fast 10 % ist besorgniserregend. Unwissenheit, über die Europäische Union und damit verbundene Fördermöglichkeiten, ist ein Hauptproblem von ungarischen Unternehmen, meinte Frantisek Doktor, Direktor von Cefic .

Der Beitritt zum EURO, den die Ungarn so schnell wie möglich erreichen wollen, wird weitere und schwierige Reformen, auch auf dem Arbeitsmarkt, verlangen. Und Csaba Laszlo, der ungarische Finanzminister, erklärte bereits, dass das angestrebte Datum, 2007 dem EURO beizutreten, auch verfehlt werden könnte.

Perspektiven und Aussichten

Und trotz allem Realismus, den das intellektuell geprägte Volk der Ungarn in bezug auf die EU an den Tag legt, gibt es Hoffnungen. Der Lebensstandard soll sich erhöhen, angleichen an das was man aus dem Westen kennt. Für die Bürger ist es eben nicht die abstrakte Ausdehnung des Friedens und der Demokratie, die sie mit der EU verbinden, sondern eine verbesserte wirtschaftliche Situation. Es ist an den Regierungen, die Vorzüge der EU auch nach dem Beitritt hervorzuheben.

„Wir sind eine Insel in der slawischen See“ sagte Tibor Váradi, erster Sekretär der ungarischen Botschaft bei der EU. Dementsprechend wird es ein Hauptaugenmerk der Ungarn sein, ihre Kultur und „Einmaligkeit“ in der erweiterten EU zu behaupten. Umwelt, Landwirtschaft, Gewaltenteilung und Föderalismus könnten die Schwerpunkte ungarischer Politik in Europa werden, so Váradi.

Aber auch die EU wünscht sich nicht nur positive wirtschaftliche Impulse für die eigene Wirtschaft. „Europa erhofft sich von Ungarn, ein wirkliches Bindeglied zwischen dem ´slawischen Teil der EU´ und dem ´Westen´ zu werden“, so Dirk Schübel, Ungarnexperte der Europäischen Kommission. Aufgrund seiner innenpolitischen Stabilität, sowie der ökonomisch günstigen zentralen Lage, hätte Ungarn dazu die besten Voraussetzungen. Zudem hat Ungarn, aufgrund ungarischer Minderheiten in fast allen umgebenden Staaten, ein vitales Interesse daran, ein gutes Verhältnis zu allen Partnern aufrecht zu erhalten.

Um das Irland Osteuropas zu werden, muss Ungarn noch schwierige Prozesse meistern. Aber es hat die besten Voraussetzungen dazu.

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