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"Wie weiter nach dem Nein der Niederlande?"

von Dr. Peter R. Weilemann †

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Wie weiter nach dem Nein der Niederlande ?

Erste Reaktionen auf den Ausgang

Nach Frankreich haben sich auch die Niederländer mit noch deutlicherer Mehrheit in einem Referendum gegen den Verfassungsvertrag ausgesprochen. Überwältigende 62% stimmten gegen und nur etwa 38% für die EU-Verfassung. Selbst in einer europäischen Vorzeigestadt wie Maastricht sprach sich eine deutliche Mehrheit von 55 % gegen die Verfassung aus. In nur einer Handvoll Wahlbezirken gab es eine Mehrheit. Die Wahlbeteiligung lag mit knapp 64% um über zwanzig Prozent höher als bei der Wahl zum Europäischen Parlament im vergangenen Jahr.

Ministerpräsident Balkenende zeigte sich sehr enttäuscht über den Ausgang, erklärte jedoch auch, das Ergebnis des Referendums sei unmissverständlich. Die Europäische Union müsse dem Rechnung tragen. Er selbst werde dies auf dem Gipfel der Staats- und Regierungschefs am 16. und 17. Juni in Brüssel mit seinen Kollegen erörtern. Das Ergebnis dürfe jedoch nicht als Urteil gegen die Europäische Zusammenarbeit gewertet werden. Allerdings seien im Votum der Niederländer Zweifel an die Schnelligkeit der Veränderungen, Fragen nach der Zukunft der niederländischen Identität zum Ausdruck gekommen. Auch spielten die hohen Zahlungen seines Landes an die Europäische Union eine Rolle. Die Niederlande blieben jedoch weiter ein konstruktiver Partner in der Union. Der Ratifikationsprozess müsse in allen übrigen Mitgliedsländern fortgesetzt werden, bevor Schlüsse für die Zukunft der Verfassung gezogen würden, so Balkenende.

Konsequenzen für sich und seine Regierung schloss Balkenende aus. Schon im Vorfeld hatte er mehrfach betont, dass ein negativer Ausgang des Referendums nicht zum Rücktritt des Kabinetts oder zu einer Regierungsumbildung führen würde.

Auch Vertreter von VVD und D66, den Koalitionspartnern des CDA, erklärten ihren Respekt für die demokratische Entscheidung. Sie erklärten sich ebenfalls erneut an das Votum der Bürger gebunden.

In der Opposition hatten auch die Sozialdemokraten und Grünen die EU-Verfassung unterstützt. Auch hier sprach man allerdings angesichts der hohen Wahlbeteiligung von einem Gewinn für die Demokratie.

Die Gegner der EU-Verfassung feierten das Ergebnis. Im Parlament hatten sich die Sozialisten, mit ihrem Parteichef Jan Marijnissen an der Spitze, wie auch die Pim Fortuyn Partei gegen den Vertrag ausgesprochen. Der unabhängige, vormals der VVD angehörige Geert Wilders, einer der führenden Figuren der „Nein“-Kampagne, bezeichnete den Ausgang als ein Fest für die Niederlande. Das Votum sei eine schwere Niederlage für Balkenende und mache vorgezogene Wahlen notwendig.

Die niederländische Regierung, die im letzten Halbjahr noch die EU-Präsidentschaft innehatte und deren Außenminister sich damals sehr für einen EU-Beitrittt der Türkei einsetzte, hat erst spät begonnen sich aktiv für ein Ja zu engagieren. Die Kampagne der Befürworter litt sicherlich auch darunter, dass sie nicht auf die Vorteile der Verfassung abstellte sondern auf die negativen Konsequenzen für die Stellung der Niederlande in Europa, sollte es zu einer Ablehnung kommen.

Wie geht es weiter?

Die Motivationslagen für das Nein in Frankreich und den Niederlanden mögen zum Teil sicherlich unterschiedlich akzentuiert sein. In Frankreich spielte zum Beispiel die Unzufriedenheit mit der Regierung eine größere Rolle als in den Niederlanden; 58% der Niederländer meinen, dass die Regierung Balkenende auch nach dem Referendum weiter regieren soll. Anders als die Nachbarn im Norden hatten die Franzosen auch keine Probleme mit dem Euro und der Nettozahlerposition (die Niederländer sind pro Kopf die größten Nettozahler in der Europäischen Union). In den Niederlanden sind weite Teile der Verfassungsgegner für die Europäische Integration, der Anteil der Souveränisten viel geringer als in Frankreich. Gleichwohl ist die Botschaft in beiden Fällen eindeutig. Es geht weniger um die Ausgestaltung des Vertrages selbst. Die Europäische Politik scheint keine Antwort auf die drängenden Fragen der Bürger zu geben: Die Sorge um mehr Wachstum und Arbeitplätze, die Sorge um nationale Identität und Integrität der Gesellschaft angesichts Globalisierung und permanenter Erweiterung.

Noch ist es zu früh für definitive Schlussfolgerungen. Aber die Richtung dürfte so aussehen.

1.Es wäre verfrüht, die Verfassung jetzt “in den Papierkorb zu werfen“, wie es der „Volkskrant“ fordert oder auch zu „filetieren“. Neun Länder mit insgesamt 220 Millionen Menschen haben ratifiziert. Deshalb muss, so der Vorsitzende der EVP/ED Fraktion im Europäischen Parlament, der Ratifizierungsprozess fortgeführt werden. Auch der Ratsvorsitzende Juncker und Kommissionspräsident Barosso, wie einige Mitgliedstaaten sprechen sich dafür aus und warnen vor einseitigen Schritten das Verfahren auszusetzen oder abzubrechen. Ein Protokoll zum Verfassungsvertrag sieht vor, dass der Europäische Rat sich Ende 2006 mit der Lage befasst, wenn bis dahin zwanzig Staaten ratifiziert haben. Gleichwohl gibt es bereits Stimmen die ein Ende des Ratifizierungsprozesses wollen oder sich für eine Verlängerung des Verfahrens (es soll laut Vertrag im November 2006 abgeschlossen sein) aussprechen. Ein negativer Dominoeffekt ist nicht auszuschließen und die Hoffnung, dass das Referendum in Luxemburg Anfang Juli eine Trendwende einleitet, kann mit dem Referendum in Dänemark Anfang September sich schon wieder zerschlagen. Unter diesen Umständen ist schon viel gewonnen wenn es gelingt auf dem nächsten Europäischen Gipfel am 16./17. Juni über die Analyse hinaus sich auf die Fortsetzung des Verfahrens zu verständigen.

2.Gleichwohl muss die politische Devise der nächsten Zeit „Konsolidierung“ der europäischen Politik lauten. Die Verfassung ist nicht das Problem der EU sondern der Schlüssel zu seiner Lösung. Aber sie steht am Ende eines fast zwei Dekaden währenden permanenten institutionellen Reformprozesses der europäischen Integration, der vom Bürger nicht mehr nachvollzogen werden konnte. Vor allem aber kann sie nur dann Orientierung bieten, wenn man weiß, wo die Grenzen der Union sind. Eine Politik der permanenten Erweiterung schafft mehr Unsicherheit als dass sie Sicherheit für den Bürger bringt; die fatale Türkeientscheidung war hier der Wendepunkt. Priorität muss nun sein, die gewollten Folgen der letzten Osterweiterung zu verarbeiten, damit ihr Nutzen sich auch entfaltet. Alle anderen Projekte gehören zurückgestellt.

3.Die Europäische Union muss ihre Handlungsfähigkeit unter Beweis stellen. Der kommende Gipfel, so Kommissionspräsident Barroso, muss eine Antwort auf die Bedürfnisse der Bürger geben. Doch wer die zähen Auseinandersetzungen um den Lissabonprozess - die gewollte Antwort auf die wirtschaftliche Krise - mitverfolgt, wird seine Hoffnung auf einen Befreiungsschlag begrenzt halten. Die neue Kommission wartet immer noch auf ihr erstes großes Erfolgserlebnis. Aber dazu fehlen ihr auch die Partner in den europäischen Hauptstädten. Wenn manche Vergleiche mit der Delors-Kommission ziehen, so darf man nicht vergessen, dass diese sich erst im Wechselspiel mit Kohl und Mitterand entfalten konnten. Doch nicht nur, dass Kapital der deutsch-französischen Zusammenarbeit für das Fortkommen Europas in den letzten Jahren verspielt wurde. Für eine Wiederbelebung wird es selbst nach der Wahl in Deutschland erheblicher Anstrengungen bedürfen, die unterschiedlichen ordnungs- und wirtschaftpolitischen Vorstellungen nicht zu blockierenden Hemmnissen werden zu lassen. Das Feld für die notwendige europäische Führung steht jedenfalls zur Besetzung noch weit offen.

Bislang ist Europa aus Krisen immer gestärkt hervorgegangen. Doch wer die Schlusspassage der gemeinsamen Erklärung von Ratspräsident Juncker, Kommissionspräsident Barroso und Parlamentspräsident Borrell vom Abend nach dem Scheitern des Referendums in den Niederlanden liest, kann sich des Eindrucks einer gewissen Ratlosigkeit nicht erwehren: „Wir sind zuversichtlich“ , heißt es da, „dass wir zusammen und in Partnerschaft - nationale Regierungen, Europäische Institutionen, Politische Parteien und Zivilgesellschaft - wissen werden, wie wir die Mittel finden die Europäische Union zu einem dauerhaften Konsens über ihre Identität, ihre Ziele und Mittel zu bewegen. Weil Europa weitergeht und seine Institutionen fortfahren, vollständig zu funktionieren.“

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