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"Zwischenbericht: Wie weiter nach dem Scheitern der Regierungskonferenz"

von Dr. Peter R. Weilemann †

Erste Positionen wichtiger Akteure"

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"Zwischenbericht: Wie weiter nach dem Scheitern der Regierungskonferenz - Erste Positionen wichtiger Akteure"

Nach dem Scheitern der Regierungskonferenz von Brüssel Mitte Dezember richten sich jetzt die Bemühungen darauf, das Projekt einer Europäischen Verfassung wieder auf die Schienen zu setzen. Dabei stehen zwei Themen im Mittelpunkt der Diskussion. Einmal das Verfahren. Zum anderen die Auseinandersetzung über ein Kereuropa, sollte es zu keiner Einigung kommen. Ein Konsens über das weitere Vorgehen besteht noch nicht.

Der nachstehende Zwischenbericht soll die Positionen einiger wichtiger Akteure in diesem Prozess festhalten.

I. Irische Ratspräsidentschaft

Für die irische Präsidentschaft hat die Verfassungsfrage höchste Priorität. Premierminister Ahern plädiert allerdings für eine umsichtige Herangehensweise. Er will keinen eigenen Vorstoß unternehmen und vorerst auch keine neue Regierungskonferenz einberufen. Auf der gemeinsamen Pressekonferenz mit Kommissionspräsident Prodi zum Beginn der Ratspräsidentschaft am 6. Januar in Dublin wie auch bei seiner Rede vor dem Parlament am 14. Januar 2004 zeigte sich Ahern zwar engagiert, einen Konsens zu erzielen. Zunächst aber geht es um eine adäquate Beurteilung der Lage. Dazu sollen bilaterale Sondierungen durchgeführt werden. Dabei soll auch erötert werden, wie verbindlich die bisher im Laufe der Regierungskonferenz vorgeschlagenen Kompromisse sind. Der italienische Vorsitz sprach von einer Einigung in 82 Punkten. Allerdings ist strittig wie detailliert und verbindlich diese Vereinbarungen festgehalten sind. Auf der Basis dieser Beratungen will die irische Präsidentschaft den geforderten Bericht dem Europäischen Rat am 25. und 26. März vorlegen. Sollten die Konsultationen „echte Aussichten auf eine Übereinkunft bieten, werde er die Gelegenheit sofort nutzen“, versicherte Ahern dem Europäischen Parlament gegenüber.

Auf Spekulationen, was bei einem Fehlschlag der Regierungskonferenz geschehen soll, will sich Ahern nicht einlassen. Ein Europa der zwei Geschwindigkeiten mit einem harten Kern, der sein eigenes Programm verfolge, beschädige den gesamten Zusammenhalt und die Solidarität der Union. Allerdings wies er darauf hin, dass bereits heute Bestimmungen zur verstärkten Zusammenarbeit im EU-Vertrag bestehen würden und die Mittel, um wenn nötig mit einigen Ländern voranzurücken, bereits vorhanden seien.

Auf der nächsten Tagung des Rates für Allgemeine Angelegenheiten am 26. Januar, an der auch die Vertreter des Parlaments, Klaus Hänsch (SPE) und Elmar Brok (EVP-ED) teilnehmen, soll eine allgemeine Aussprache zur Standortbestimmung und zum weiterem Vorgehen stattfinden. Eine inhaltliche Debatte ist nicht geplant.

II. Kommission

Die Kommission, so Präsident Prodi, bedauert das Scheitern der Regierungskonferenz zutiefst. In der abschliessenden Pressekonferenz des Brüsseler Gipfels am 13. Dezember 2003 betonte der Präsident, dass es zwecklos und kleinkariert wäre einzelnen nationalen Regierungen die Schuld für das Scheitern der Verhandlungen zu geben (nur wenige Tage später allerdings erhob er in der italienischen Presse schwere Vorwürfe gegenüber der italienischen Präsidentschaft). Alle Teilnehmer des Gipels seien der Auffassung gewesen, dass eine Übereinkunft, die unter den Erwartungen bleibt, nicht im Interesse Europas sei.

Bei seiner Rede vor dem Europäischen Parlament in Straßburg forderte der Kommissionspräsident, dass der Europäische Rat bei seinem nächsten Zusammentreffen einen realistischen Zeitplan und eine Gesamtvision für das Verfassungsprojekt aufstellen solle. Grundsätzlich hofft die Kommission, wie Kommissar Michel Barnier präzisierte, auf einen Abschluss der Regierungskonferenz bis spätestens Ende 2004; eine frühere Einigung noch unter irischer Präsidentschaft hält man für nicht möglich. Sollte allerdings auch unter niederländischer Ratspräsidentschaft in der zweiten Hälfte des Jahres noch keine Einigung in Sicht sein, dann müsse - so Prodi - jemand die Initiative ergreifen um voranzuschreiten. Hierbei könne es sich entweder um die Gründungsstaaten oder um eine Gruppe aus alten und neuen Mitgliedsstaaten handeln. Der Zug der Europäischen Union könne nicht immer auf den langsamsten Waggon warten. Eine solche Initiative „Kerneuropa“ dürfe sich jedoch nur im institutionellen Rahmen der Union bewegen, sprich auf der Grundlage des Nizza-Vertrages. Man wird allerdings festhalten müssen, dass diese Äußerungen Prodis keine endgültige Stellungnahme der Gesamtkommission in dieser Frage bedeuten.

III. Europäisches Parlament

Im Europäischen Parlament zeigten die großen Fraktionen sich angesichts der bevorstehenden Europawahlen besorgt über den Brüsseler Misserfolg. Während der Plenartagungen in Strassburg vom 15.–18. Dezember 2003 wurde deutlich, dass die Parlamentarier weitaus energischer die Wiederaufnahme der Verhandlungen anstreben. In einem Entschließungsantrag vom 18.12.03 wird der irische Vorsitz aufgefordert, bereits im Januar eine Regierungskonferenz auf Außenministerebene einzuberufen, um sich über Verfahren des weiteren Vorgehens zu einigen und alle Texte, die die Regierungskonferenz bislang gebilligt habe, zu konsolidieren. Des Weiteren wird in dem Antrag gefordert noch im Januar dem Europäischen Parlament einen Aktionsplan für einen erfolgreichen Abschluss der Regierungskonferenz vorzulegen und eine Tagung der Regierungskonferenz auf Ebene der Staats- und Regierungschefs vor dem 1. Mai festzusetzen. Bei einem vorbereitenden Treffen des Parlamentspräsidenten Pat Cox mit der irischen Präsidentschaft fanden diese Forderungen keinen positiven Wiederhall.

Der Vorsitzende der stärksten Fraktion (EVP-ED) im Europäischen Parlament, Hans-Gert Pöttering, drängte auf einen baldigen Abschluss der Regierungskonferenz noch unter irischer Ratspräsidentschaft. Er plädierte dafür, im Februar 2004 einen Sondergipfel einzuberufen.

Der Vorsitzende der SPE-Fraktion im Europäischen Parlament, Enrique Baron Crespo, sah die Union in einer fundamentalen Krise, da ihre Basis in Frage gestellt sei: Die Fähigkeit, Kompromisse zu finden. Eine Einigung müsse, wenn möglich, noch vor dem Beitritt der zehn neuen Mitgliedstaaten erreicht werden.

Der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Europäischen Parlament, Daniel Cohn-Bendit, wertete das Scheitern des Gipfels als keine Katastrophe. Allerdings dürfe nun nicht angehalten werden. Stattdessen fordern die Grünen eine Einberufung des Konvents, um einen Weg aus der Sackgasse zu finden. Er kündigte an, europaweit, und insbesondere in Polen und Spanien, eine Kampagne zu starten.

Für die EVP, SPE, Liberale und die Grünen bleibt der Verfassungsentwurf des Konvents Grundlage jeder weiterer Diskussion. Die beiden Vertreter des Europäischen Parlaments in der Regierungskonferenz, Elmar Brok (EVP-ED) und Klaus Hänsch (SPE), sprachen sich dafür aus, die Ratifizierungsklausel des Verfassungsvertrages so zu ändern, dass diejenigen Länder, die der neuen Verfassung zustimmten, diese auch in Kraft setzen können, ohne erforderlich Einstimmigkeit. Für mehrere Vertreter der CDU (Karl von Wogau und Hartmut Nassauer) sowie der CSU (Ingo Friedrich und Markus Ferber) scheint ein „harter Kern“ in Europa unausweichlich zu sein. Der Fraktionsvorsitzende Hans-Gert Pöttering sieht die Lösung der Probleme jedoch nicht in einem Kern mit Vorreiterstaaten, sondern in gemeinsam entschlossenen Bemühungen. Schliesslich sei Kompromissfähigkeit schon immer eine Stärke Europas gewesen

IV. Mitgliedstaaten

Bewegung in der Frage muss zunächst einmal von den nationalen Akteuren ausgehen : Madrid, Warschau, Paris, Berlin sowie Dublin und danach Den Haag. Die irische Präsidentschaft hat bereits begonnen, Gespräche mit den einzelnen Regierungschefs zu führen. Das Treffen mit dem polnischen Regierungschef ist für Ende Januar geplant.

Der spanische Premierminister Aznar betonte, dass sein Land für eine Einigung gekämpft habe. Er hält eine Verabschiedung des Verfassungsvertrages noch in diesem Jahr für möglich.

Polnische Regierungsstellen ließen verlauten, dass Warschau die Verfassung generell unterstütze. Premierminister Miller selbst kann sich aber auch vorstellen, dass man die Idee der Verfassung aussetzt. Polen habe Zeit bis 2009 (Änderung der Regelungen im Nizza-Vertrag). Beim sogenannten Brief der Sechs (Forderung der Nettozahler in der EU zur Begrenzung der Ausgaben auf 1% des EU-BSP) sah er keine Verbindung zur Verfassungsdiskussion sondern eine Widerspiegelung der finanziellen Probleme in diesen Ländern.

Der deutsche Bundeskanzler hatte in einer ersten Reaktion Madrid und Warschau scharf kritisiert. Sie stellten nationale Interessen über die Bemühungen zur europäischen Integration. Zugeständnisse bei der Stimmgewichtung im Rat, so ließ er wissen, werde es von Deutschland nicht geben. Der deutsche Kanzler erwartet allerdings, dass man sich noch 2004 auf einen Verfassungsentwurf einigen könne.

Die französische Regierung hat unmittelbar nach dem Gipfel das Augenmerk sofort auf die Option einer Pioniergruppe gelenkt, ohne Vorschläge zum weiteren Procedere auf dem bisherigen Weg zu machen. Ministerpräsident Raffarin bezeichnete die Pioniergruppenlösung sogar als die echte Alternative. Mittlerweile hat Frankreich diese Position etwas zurückgenommen. Außenminister Villepin hat in einem vielbeachteten Zeitungsartikel (FAZ vom 19.12.2003) klargestellt, dass die Verfassung der Sockel bleibt, und in ihrem Rahmen „ergänzende Integration“ einiger Avantgardisten angestrebt werden könne.

Der britische Premierminister Blair zog eine positivere Bilanz der Regierungskonferenz als Deutschland und Frankreich. Für ihn war es vor allen Dingen wichtig, dass die Vorschläge Frankreichs, Deutschlands und Großbritanniens zur europäischen Verteidigungspolitik positive Resonanz gefunden hätten. Eine Woche nach dem gescheiterten Gipfel hatten Chirac, Schröder und Blair angekündigt, im Februar 2004 einen Gipfel der Drei abzuhalten, in dem es vor allem um europäische Verteidigungspolitik gehen soll.

Der niederländische Premierminister Balkenende hat sich in ersten Reaktionen dahingehend geäußert, dass man am Verfassungsvertrag festhalten wolle. Er hofft, dass unter seiner Ratspräsidentschaft eine Einigung erzielt werden kann. Ein Kerneuropa lehnt man in Den Haag ab, auch wenn die niederländischen Europapolitiker in der Vergangenheit für eine „coopération renforcée“ im Rahmen des Vertrages offen waren. Für den neuen Außenminister Bot ist eine gut funktionierende deutsch-französische Achse von großer Wichtigkeit.

V. Fazit

Mit dem Scheitern der Regierungskonferenz Mitte Dezember in Brüssel ist das Projekt einer Europäischen Verfassung zwar gefährdet, aber noch nicht selbst gescheitert. Es zeichnet sich noch keine endgültige Linie ab wie es weitergehen soll, aber zwei Fixpunkte sind doch erkennbar :

a)Es nicht zu erwarten, dass vor dem nächsten Gipfel Ende März und vor den Wahlen in Spanien große Initiativen ergriffen werden. Die irische Präsidentschaft wird sich darauf konzentrieren zunächst einmal eine Bestandsaufnahme zu machen. Sie will kein zweites Scheitern riskieren.

b)Alle wichtigen Akteure wollen an dem Projekt einer Verfassung festhalten. Die etwas aufgeregten Diskussionen um eine „Europäische Avantgarde“ oder „Kerneuropa“ können vorerst zurückgestellt werden.

Die Europäische Union hat mit dem Vertrag von Nizza eine sichere rechtliche Grundlage, die sie auch nach dem 01. Mai handlungsfähig macht mit den politischen Einschränkungen, die die Wahl zum Europäischen Parlament und die Veränderungen in der Zusammensetzung der Kommission (10 neue Kommissare ab 01. Mai; nur noch wenige Monate bis zum Ende der Amtszeit) mit sich bringen.

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