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Think Tank Newsletter - Q2 2016

Neues aus den Brüsseler Think Tanks

Zentrale Themen der Brüsseler Think Tanks waren im zweiten Quartal des Jahres das Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union (EU) und China und das EU-Türkei-Abkommen zur Begrenzung der Flüchtlingsströme. Letzteres nimmt hier vor allem Bezug auf die Wahrung der Menschenrechte.Weiterhin befassten sich die Think Tanks mit dem möglichen Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union und den Beziehungen der EU zu Russland bzw. der Entwicklung der Eurasischen Wirtschaftsunion.

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NEUES AUS DEN BRÜSSELER THINK TANKS

Zentrale Themen der Brüsseler Think Tanks waren im zweiten Quartal des Jahres das Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union (EU) und China und das EU-Türkei-Abkommen zur Begrenzung der Flüchtlingsströme. Letzteres nimmt hier vor allem Bezug auf die Wahrung der Menschenrechte.

Weiterhin befassten sich die Think Tanks mit dem möglichen Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union und den Beziehungen der EU zu Russland bzw. der Entwicklung der Eurasischen Wirtschaftsunion.

1.Populismus und der „Brexit“

Eines in den Medien seit dem 23. Juni 2016 dauerpräsentes Thema ist der mögliche Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union, kurz: „Brexit“. Aus verschiedensten Blickwinkeln werden die Auswirkungen des „Brexits“ auf europapolitische sowie internationale Debatten, die Auswirkungen auf Großbritannien selbst und natürlich auch die Beweggründe der Aus-trittsbefürworter, der „Brexiter’s“ beleuchtet. Geschockte Bürger, geschockte Politiker, geschockte Welt: „Wie konnte das passieren?“ hört man in allen europapolitischen Ballungszentren. Die Antwort ist eine seit Jahren vor sich hin brodelnde Mischung aus mehreren Faktoren: Politikverdrossenheit vor allem bei den jüngeren Generationen, immer präsenter werdende antieuropäische Bewegungen, eine tiefe Spaltung Europas bezüglich der Migrationsfrage und nicht zuletzt schlicht und ergreifend falsche Versprechungen der Rechtspopulisten.

So führt Sophie Heine in der Veröffentlichung des Egmont Institutes: “The rise of euroscepticism in the United Kingdom or the failure of Europeanism” die „partiellen Europeanisation“ vieler nationaler politischer Felder als einen der Gründe für die stetig ansteigende Euroskepsis an. Gemeint ist, dass die europäische Integration die meisten Bereiche der nationalen Souveränität zumindest berührt und sogar teilweise vereinnahmt. Als Beispiele dienen hier Wirtschaft, Währung und natürlich Demokratie: Durch Europas Eingreifen in Themen wie Freihandelsabkommen, Grenzsicherung und Flüchtlingsverteilung fühlen sich Bürger ihrer nationalen Souveränität und damit ihrer nationalen Identität beraubt. Daher kommt der Gegentrend einer nationalistisch orientierten und europaskeptischen Bewegung, die durch den „Brexit“ zum ersten Mal maßgebliche Auswirkungen auf die EU haben könnte. Heine deutet als Ursache mitunter auf das Fehlen eines positiven Bildes der Europäischen Union hin, da selbst die EU-Befürworter im eigenen Lager zerstritten sind und keine gemeinsame, klare Linie einer zukünftigen Europapolitik aufzeigen.

Als Gegenmaßnahme zum Trend der Europaskepsis sei ein erhöhtes Mitspracherecht der Bürger im europapolitischen Prozess denkbar; beispielsweise durch eine Um-strukturierung der europäischen Exekutive und der Direktwahl eines europäischen Präsidenten, in welcher Form ist noch unklar. Auch der früherer NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer führt in dem auf der Plattform Friends of Europe publizierten Beitrag „BREXIT – Britain, NATO, and the EU will now be diminished on the global stage“ den unglücklichen Ausgang des Referendums mitunter auf die Polarisierung und unmöglich haltbaren Versprechen der Rechtspopulisten zurück. Er sieht darin eine gefährliche Entwicklung, die auch schon in Frankreich, Russland und der Türkei Niederschlag findet und keineswegs zu unterschätzen ist. Er betont ebenfalls die daraus resultierenden zentrifugalen Kräfte, die die EU destabilisieren und Beziehungen zu NATO-Mitgliedstaaten außerhalb der EU überschatten. Aufgrund des Brexit-Weckrufes gibt es aber immerhin einen kleinen Lichtblick bezüglich umfassender EU-Reformen, deren Notwendigkeit von keinem der verbleibenden 27 EU-Staaten mehr angezweifelt werden kann. Einer kürzlich durchgeführten Umfrage des Pew Research Center mit über 10.000 Befragten aus zehn EU-Mitgliedsstaaten zufolge, stehen durchschnittlich 47% der Europäer der EU äußert kritisch gegenüber – angeführt von Griechenland (73%) und Frankreich (61%), aber auch in Deutschland sieht es alles andere als rosig aus (48%). Mit diesen Zahlen in Konsensus stehen die Forderungen nach weiteren EU-Referenden von Staaten wie Frankreich und den Niederlanden, sowie Andeutungen vonseiten Österreichs. Ob diese Forderungen jedoch tatsächlich durchgesetzt werden, ist fraglich.

Steven Blockmans und Stefani Weiss resümieren in dem für das Centre for European Policy Studies (CEPS) verfassten Kommentar “Estrangement Day: The implications of Brexit for the EU”, dass als nächster, präventiver Schritt eine Art Post-Referendum-Consensus über die Zukunft der Europäischen Union gebraucht wird: Ein konstruktiver, gemeinsamer Plan, der die Eingliederung in die Rechtsgemeinschaft der EU für die Bürger Europas ansprechender macht und ihnen eine realistische Vorstellung von dem gewaltigen Potential gibt, das die ver-netzten Regierungen der EU-Mitgliedsstaaten in sich tragen. Als ersten Schritt in eine stabile Zukunft sollen dadurch mit Positivität und Aufklärung die verbleibenden Mitgliedsstaaten zur Unter-stützung der europäischen Sache animiert werden.

Egmont Institute (14.07.2016): “The rise of euroscepticism in the United Kingdom or the failure of Europeanism” https://www.opendemocracy.net/brexitdivisions/sophie-heine/rise-of-euroscepticism-in-united-kingdom-or-failure-of-europeanism

Friends of Europe (14.07.2016): “BREXIT – Britain, NATO, and the EU will now be diminished on the global stage” http://www.friendsofeurope.org/security-europe/brexit-britain-nato-and-the-eu-will-now-be-diminished-on-the-global-stage/

Centre for European Policy Studies (CEPS) (14.07.16): “Estrangement Day: The implications of Brexit for the EU” https://www.ceps.eu/publications/estrangement-day-implications-brexit-eu

2.Das Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und China

In Zeiten der Globalisierung sind starke Handelspartner eines der wichtigsten Elemente um die Wirtschaft zu fördern. Seit dem Jahr 2006 zeigt die Europäische Union (EU) verstärkt Interesse Freihandelsabkommen abzuschließen und dies vor allem mit ostasiatischen Ländern. Somit gilt China als nächster potentieller Handelspartner. Anlass dieser Idee war ein Treffen im Frühjahr 2014 zwischen dem chinesischen Staatspräsident Xi Jinping in Brüssel und mehreren Spitzenpolitikern der Europäischen Union. Dabei sprach sich Xi Jinping für ein EU-China Freihandelsabkommen aus.

In einer vom Centre for European Policy Studies (CEPS) durchgeführten Studie mit dem Titel: „Tomorrows’s silk road: Asses-sing an EU-China Free Trade Agreement“ soll der Stand des bilateralen, wirtschaftlichen Austauschs sowie vorhandene Handelshindernisse zwischen China und der Europäischen Union aufgezeigt werden. Zudem soll sie als Basis für eine öffentliche Debatte dienen. Dabei werden die Vorteile eines derartigen Abkommens thematisiert. Es gibt fünf Punkte, die für ein Freihandels-abkommen mit China sprechen:

1. Ein größeres wirtschaftliches Potential,

2. der Marktzugang,

3. die entstehenden Anreize durch „Mega-Regionals“,

4. die Verbindung zwischen chinesischen Reformen und den Kontakt zur ausländischer Konkurrenz und

5. die strategischen und geopolitischen Vorteile.

Diese Studie verdeutlicht den positiven Einfluss auf das EU-BIP: Prognosen erwarten, dass Chinas BIP bis 2030 um 1,16% wachsen würde, das europäische um 0,43%. Das Ergebnis führe zu einem Gewinn von 55,8 Billionen Euro für China und 48,5 Billionen Euro für die Europäische Union. Die Wachstumsprognosen deuten auf eine positive Entwicklung hin. So werden Steigerungen von 0,27% für Portugal bis 1,34% für Slowenien erwartet. Somit wäre das Freihandelsabkommen ein Profit für alle Mitgliedsstaaten.

Durch ein Freihandelsabkommen mit China wird eine Arbeitsmarktanpassung von geringqualifizierten Arbeitnehmern stattfinden. Viele Branchen müssen aufgrund der chinesischen Konkurrenz umstrukturiert werden. Dies führt zu einer negativen Nebenerscheinung, die zu einer temporären Arbeitslosigkeit führen kann.

Die politischen Entscheidungsträger und Interessensgruppen müssen die Wahrscheinlichkeit dieses Risikos genau berechnen und mögliche Gegenmaßnahmen treffen, um temporäre „Verlierer“ zu entschädigen oder diesen neue Möglichkeiten aufzuzeigen. Ein Instrument wären bspw. Umschulungen. China hat sein Status aufkommende Wirtschaftsmacht verfestigt. Chinas Strategie basiert auf vier Schlüsselprinzipien: Erneuerung, Kreation, Integration und Innovation. Die EU-China Kooperation stellt das von der Europäischen Union am meisten entwickelte und dynamischste Verhältnis zu einem asiatischen Land und einer aufkommenden Wirtschaftsmacht dar. Die Entscheidungsträger der beiden Seiten sollten nun den letzten, großen Schritt wagen, um die Handelsbeziehungen zwischen den beiden Regionen zu verfestigen. Die EU kann nun eine zentrale Rolle in der Umstrukturierung von China spielen. Als Basis hierfür dienen die soliden Beziehungen zu Peking. Innovation und Umweltbewusstsein stehen auf der chinesischen Agenda ganz oben. Bei der Umsetzung dieser Ziele kann die Europäische Union durch Bereitstellung von Technologie und Fachkenntnissen eine Hilfe sein.

Auf politischer Ebene wird die Möglichkeit eines EU-China Abkommens verstärkt diskutiert. Die Europäische Union stellt zwei Bedingungen an seinen chinesischen Partner: Der Abschluss eines umfassendes Investitionsabkommen und die Umsetzung bedeutender Reformen zur Intensivierung der Marktöffnung. Die Europäische Union kann diese Verhandlungen nutzen, um der chinesischen Regierung Druck zu machen, die seit Ende 2013 versprochenen, inländische Reformen umzusetzen. Diese betreffen vor allem die Bereiche der staatlichen Unternehmen und der öffentlichen Auftragsvergabe. Zudem wird die Bezeichnung Chinas als „Marktwirtschaft“ immer wieder in Frage gestellt. Somit wird der Dialog zwischen den beiden Seiten durch gelegentliche Meinungsverschiedenheiten erschwert. Sie sind aber durch eine wachsende Wirt-schaft und ein gegenseitiges, ökonomisches Interesse verbunden.

Wie Shada Islam in ihrem Artikel „EU-China Relations - New directions, new priorities“ in „Friends of Europe“ betont, dürfen in einer wirtschaftlich und politisch unberechenbareren und gespaltenen Welt solche Verbindungen nicht unterschätzt werden. Diese können sich als wichtig und wertvoll herausstellen. Die Annäherungen zwischen der Europäischen Union und China werden durch Projekte und Initiativen gestärkt, wie z.B. die Einigung im Juni 2015 über den Ausbau der strategischen Agenda 2020 für die Zusammenarbeit zwischen der EU und China auf dem EU-China Gipfel. Diese wurde mit den folgenden Schwerpunkten angenommen: Frieden und Sicherheit, Wohlstand, nachhaltige Entwicklung und Kontakte zwischen den Menschen.

Es ist nicht zu unterschätzen, dass China von einem möglichen Freihandelsabkommen am meisten profitieren würde. Dies erweckt den Anreiz die geplanten Reformen durch-zuführen. Peking kann dieses Abkommen als Chance nutzen, um seinen politischen Einfluss zu stärken, indem es zeigt, dass es neue multilaterale Beziehungen ins Leben rufen kann und diese auch pflegt. Für die Europäische Union hingegen würde ein EU-China Freihandelsabkommen die logische Fortsetzung einer internationalen Handelsstrategie im dynamischen Ostasien bedeuten.

CEPS (20. April 2016): “Tomorrow’s Silk Road: Assessing an EU-China Free Trade Agreement”

https://www.ceps.eu/system/files/EUCHINA_FTA_Final.pdf

Friends of Europe (3. Juni 2016): “EU-China Relations – New directions, new prorities”

http://www.friendsofeurope.org/global-europe/foreword-eu-china-relations-new-directions-new-priorities/

Egmont Institute (1. Juni 2016): “The European Union and the China-led transformation of global economic governance”

http://www.egmontinstitute.be/wp-content/uploads/2016/06/ep85.pdf

3.Das EU-Türkei-Abkommen

Auf dem Europäischen Ratsgipfel am 17 und 18. März 2016 wurde das EU-Türkei-Abkommen unterschrieben. Das Ziel dieser Vereinbarung ist die Bekämpfung von irregulärer Migration aus der bzw. über die Türkei in die Europäische Union. Gleichzeitig soll diese mit legalen Wegen der Neuansiedlung von Flüchtlingen in der Europäischen Union ersetzt werden. So soll das Geschäftsmodell der Schleuser zerschlagen und den Migranten eine nicht lebensbedrohende Alternative geboten werden. Inhalt des Abkommens ist, dass für jeden von den griechischen Inseln in die Türkei rückgeführten Syrer ein anderer Syrer aus der Türkei in der EU neu angesiedelt wird, wobei die Kriterien der Vereinten Nationen der Schutzbedürftigkeit berücksichtigt werden. Mit Unterstützung der Europäischen Kommission, der EU-Grenzschutz-Agentur Frontex und anderen Mitgliedstaaten sowie des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) wurde ein Mechanismus eingeführt, durch den die Anwendung dieses Grundsatzes seit dem 20. März, dem Tag des Inkrafttretens des Abkommens, sichergestellt wird. Vorrang erhalten Migranten, die vorher noch nicht irregulär in die Europäische Union eingereist sind.

Durch dieses Abkommen stellen sich viele Fragen, die hauptsächlich die Beachtung der Menschenrechte in Frage stellen. Das Ziel war aber genau das Gegenteilige: Europa will seiner Verantwortung aus der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 gegenüber den Flüchtlingen gerecht werden und somit deren Menschenrechte stärken. Die Europäische Union und die Türkei versprachen ausdrücklich, dass das EU-Recht und das Völkerrecht uneingeschränkt gewahrt werden, sodass jegliche Art von Massenabschiebungen ausgeschlossen sind. Alle Migranten werden nach den einschlägigen internationalen Standards und in Bezug auf den Grundsatz der Nicht-Zurückweisung geschützt. Es handelt sich hierbei um eine vorübergehende und außerordentliche Maßnahme, die zur Beendigung des menschlichen Leids und zur Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung erforderlich ist. Der technische Ablauf ist wie folgt: Migranten, die auf den griechischen Inseln ankommen, werden ordnungsgemäß registriert und alle Asylanträge werden von den griechischen Behörden gemäß der Asylverfahrensrichtlinie auf Einzelfallbasis bearbeitet. Dies geschieht in Zusammenarbeit mit dem UNHCR. Migranten, die kein Asyl beantragen oder deren Antrag gemäß der genannten Richtlinie als unbegründet oder unzulässig abgelehnt wird, werden in die Türkei rückgeführt.

Für manche Beobachter wie bspw. François Crépeau and Anna Purkey in der CEPS Publikation „Facilitating Mobility and Fostering Diversity: Getting EU Migration Governance to Respect the Human Rights of Migrants“ erscheint dieses Abkommen wie ein „pushback-agreement“. Es erweckt den Anschein, dass sich die Europäische Union einen Deal erkauft hat, damit die Türkei den Flüchtlingsstrom nach Europa stoppt. Somit umgehe die Europäische Union ihre humanitären Schutzverantwortung gegenüber den Flüchtlingen und wälzt diese auf die Türkei ab. Diese ist aber schon mit den dort lebenden drei Milli onen Flüchtlingen eindeutig überfordert. Die Flüchtlinge werden ohne anständige und individuelle Begutachtung des Asylverfahrens in die Türkei abgeschoben. Dies alles widerspreche internationalen Menschenrechten, die in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union übernommen wurden. Die UNHCR, der UN Special Rapporteur der Menschenrechte für Migranten und Human Right Watch sowie Amnesty International, haben ihre Bedenken hinsichtlich der Übereinstimmung des Ab-kommens mit der Genfer Konvention von 1951 geäußert. Die Berücksichtigung der Prinzipien der Nicht-Zurückweisung, des Verbots von Massenabschiebungen, des Schutzes von Kindern und Menschen mit Behinderungen sowie das Prinzip des Rechtsschutzes i.V.m. Gleichbehandlung vor der Justiz sei sehr fraglich.

Nicht nur der Aspekt der Menschenrechtsbeachtung, sondern auch die Wirksamkeit einer solchen Vereinbarung wird in Frage gestellt. Die Erhöhung von Sicherheitsmaßnahmen und die Schließung von Grenzen erhöht die Gefahr, dass die Flüchtlinge sich dazu entschließen eine gefährlichere Route in Kauf zu nehmen, um Europa zu erreichen.

Es existieren noch viele unbeantwortete Fragen, die für die Beurteilung der Legitimität und Rechtmäßigkeit entscheidend sind. Der Europäischen Union wird vorgeworfen dieses Abkommen zu benutzen, um die Türkei dafür zu bezahlen Gewalt anzuwenden, die auf europäischen Boden nicht erlaubt bzw. nicht erwünscht wäre. Zudem muss der Europäische Gerichtshof noch überprüfen, ob die Türkei als sicherer Staat anerkannt werden kann.

Die Türkei profitiert durch dieses Abkommen über das von der EU abgegebene Versprechen, das Verfahren für die Visaliberalisierung zu beschleunigen. Geplant war, dass die Visumpflicht für türkische Staatsangehörige spätestens Ende Juni 2016 aufgehoben werden kann, sofern alle Benchmarks erfüllt werden. Am 2. Mai wurden nur 65 der 72 Kriterien zur Umsetzung der Visafreiheit erfüllt. Der größte Streitpunkt stellt die Änderung der Anti-Terror-Gesetze dar. Die Europäische Union verlangt eine Überarbeitung der Definition von „Terrorismus“. Die türkische Gesetzgebung sollte deswegen ihre Regelungen den Standards der Europäischen Union, des Europarates und dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte angleichen. Zudem bestehen noch Bedenken bezüglich der Themen Datenschutz, der Behandlung von Flüchtlingen und die Anwendung von internationalen Sicherheitsrichtlinien. Somit entschied sich die Europäische Union Anfang Mai gegen die Vi-saliberalisierung für türkische Staatsbürger.

Die Verhandlungen werden aber weiter geführt. Inwieweit die aktuellen Entwicklungen nach dem Militärputsch eine Rolle maßgebliche Rolle spielen, bleibt abzuwarten.

EPC (3. Mai 2016): EU visaliberation for Turks: just around the corner? http://www.epc.eu/pub_details.php?cat_id=4&pub_id=6501&year=2016

Carnegie (31, Mai 2016): Crunch Time in the EU-Turkey Relationship

http://carnegieeurope.eu/strategiceurope/?fa=63690

CEPS (4. Mai 2016): Facilitating Mobility and Fostering Diversity: Getting EU Migra-tion Governance to Respect the Human Rights of Migrants

https://www.ceps.eu/publications/facilitating-mobility-and-fostering-diversity-getting-eu-migration-governance-respect

4.Russlands Machtkampf

Seit der zeitweilig gewaltsamen Annexion der Halbinsel Krim im März 2014, hat Russland fortwährend mit Gegenwind aus der EU sowie den Vereinigten Staaten zu kämpfen. Als scheinbarer Lichtblick trat am 1. Januar 2015 die lang geplante Eurasische Wirtschaftsunion (EAWU) zwischen Armenien, Kasachstan, Kirgistan, Russland und Weißrussland in Kraft. Doch auch das ging nicht gänzlich problemfrei über die Bühne und sorgt in den vier kleineren Mitgliedstaaten weiterhin für Aufruhr gegenüber der Übermacht Russland.

In Form der Publikation “The Eurasian Union: rising or shooting star?” des European Union Institute for Security Studies (EUISS) veröffentlichte Martin Breitmaier Ende Juni 2016 einen zusammenfassenden Bericht über die bisherigen Vorgänge in Zusammenhang mit der Eurasischen Wirtschaftsunion. Demzufolge gestaltete sich schon der Start des Projekts als holprig, da die Rezession der russischen Wirtschaft den Handel der EAWU ins Stolpern brachte und damit die kleineren Mitgliedsstaaten beeinträchtigte. Durch die unproportionierten Machtverhältnisse der Mitgliedsstaaten fungiert Russland als ökonomischer, wirtschaftlicher und auch politischer Motor der EAWU und ist somit als Hauptregulator den vier anderen beteiligten Staaten weit überlegen. Infolgedessen kam es zu Anti-Russland Bewegungen und Protesten in Armenien, Kasachstan und Kirgistan. Darauf reagierend verbesserten alle drei Staaten ihre Beziehungen zu den USA, der EU und China als alternative Handelspartner. Zwischen den fünf Unionsstaaten divergieren außerdem die Vorstellungen einer gemeinsamen Außenhandelspolitik. Ebenso fehlt es an einer Einigung bezüglich einer realisierbaren EAWU-Integration: Alle fünf Mitglieder zögern, ihre Märkte gänzlich in die Union einzugliedern und müssen noch einige Hürden in Form von Standardisierungen, Embargos und Normenangleichungen überwinden. Diese und weitere interne sowie externe Faktoren überschatten die Anfänge der EAWU sichtlich und führen zu massivem Vertrauensverlust Russland gegenüber. Martin Breitmaier‘s Bericht für die EUISS zufolge, gibt es aber auch einige Erfolgserlebnisse für die Union: nichttarifäre, zollfremde Handelshemmnisse werden zunehmend abgebaut, der Dialog mit Serbien über einen möglichen Beitritt wurde initiiert und der Rechtsstatus der unionsinternen Arbeitsmigranten verbesserte sich. Somit gäbe es zwar noch durchaus einige Hürden zu überwinden, aber dennoch könnte sich die Eurasische Wirtschaftsunion als vielversprechendes Bündnis etablieren, resümiert Breitmaier. Ob und inwiefern die wirtschaftlichen Sanktionen vonseiten der EU gegenüber Russland eine Auswirkung auf die russische Wirtschaftssituation haben, eruieren Daniel Gros und Federica Mustilli im Rahmen der Veröffentlichung des Kommentars “The Effects of Sanctions and Counter-Sanctions on EU-Russian Trade Flows” für das Centre for European Policy Studies (CEPS). Als Antwort auf Russlands Invasion in die Ukraine Anfang 2014 leitete die EU gemeinsam mit den USA wirtschaftliche Sanktionierungsmaßnahmen ein: begrenzter Zugang zu EU-Primär- und Sekundärkapitalmärkten für russische Finanzinstitute und Energie- und Verteidigungsunternehmen, Aus- und Einfuhrverbote für den Waffenhandel, ein Exportverbot für Güter mit doppeltem Verwendungszweck und die Verringerung des russischen Zugangs zu sensiblen Technologien und Dienstleistungen in Bezug auf die Ölproduktion. Darauf reagierend boykottierte Russland den Import verderblicher und roher Waren (Fleisch, Fisch, Gemüse) aus den an den Sanktionen beteiligten Ländern. Das dieses Maßnahmenpaket tatsächlich Russlands Wirtschaft beeinträchtigt, wird im vorgenannten Kommentar als fragwürdig konkludiert. Die harten Fakten zeigen, dass sich Russlands Import- und Exportverhalten kaum geändert hat und auch die europäischen Märkte nur peripher tangiert werden.

Das Ausmaß der Sanktionen selbst sei also auf beiden Seiten minimal, da der Rückgang russischer Importe ausschließlich auf die Rezession zurückzuführen sei. Dass trotzdem ein deutlicher Rückgang der europäischen Exporte nach Russland zu erkennen ist (teilweise bis zu 40%), läge einzig und allein an der russischen Wirtschaftskrise. Daher hätten die Sanktionen auf EU-Seite so gut wie keine Folgekosten verursacht aber auch ihr Ziel, die russische Wirtschaft zu beeinträchtigen, (noch) nicht erfüllt.

EUISS (15.07.2016): “The Eurasian Union: rising or shooting star?” http://www.iss.europa.eu/publications/detail/article/the-eurasian-union-rising-or-shooting-star/

CEPS (15.07.2016): “The Effects of Sanc-tions and Counter-Sanctions on EU-Russian Trade Flows” https://www.ceps.eu/publications/effects-sanctions-and-counter-sanctions-eu-russian-trade-flows

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