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Assemblée Nationale und Sénat verabschieden Fiskalpakt und Schuldenbremse (règle d‘or)

von Dr. Norbert Wagner

Abstimmung dokumentiert die Uneinigkeit des linken Lagers

Die französische Regierung hat sich in den ersten Monaten ihrer Amtszeit verhalten, als existierte die Staatsschuldenkrise nicht. Unmittelbar nach den Parlamentswahlen machte sie wichtige Reformen der Vorgänger-Regierung rückgängig (Renteneintrittsalter, Abgabenbefreiung für Überstunden) und setzte kostenträchtige Wahlversprechen um (Erhöhung des Mindestlohns, staatlich geförderte Beschäftigungsprogamme).

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Mit Beginn der französischen Sommerpause hatte man den Eindruck, nicht nur die Staatsschuldenkrise sei verschwunden, sondern auch die französische Regierung. Erst Ende August schienen Präsident François Hollande und seine Regierung plötzlich zu erkennen, daß sich das Land mitten in einer ernsten Wirtschaftskrise befindet. „Une crise d‘une gravité exceptionelle“ (Präsident Hollande am 31. August 2012).

Trotz dieser (verspäteten) Einsicht sind die Maßnahmen der französischen Regierung zur Bekämpfung der Krise völlig unzureichend. Die Wachstumsprognosen für 2013 liegen bei 0%. Die Arbeitslosigkeit erreicht 10% (25% unter den Jugendlichen). Dennoch legte die französische Regierung in der vergangenen Woche einen Haushaltsentwurf 2013 vor, dessen Schwerpunkt auf Steuererhöhungen für private Haushalte und für Unternehmen liegt. Nur ein Drittel der Anstrengungen zur Haushaltssanierung sollen durch Reduzierung der Ausgaben aufgebracht werden. Vor allem Unternehmen sollen noch stärker belastet werden. Schon haben zahlreiche Unternehmer (v.a. aus dem in Frankreich ohnehin sehr schwachen Mittelstand) eine Protestwelle gestartet. Die Regierung sucht nun nach einem Kompromiß. Da vor den Wahlen eine Erhöhung der Mehrwertsteuer ausgeschlossen wurde, ist deren Erhöhung jetzt (noch) tabu. Dagegen suchen Regierung und die linke Parlamentsmehrheit verzweifelt nach neuen Steuerquellen. Selbst wertvolle Kunstgegenstände sollen deshalb zukünftig der Vermögenssteuer unterworfen werden. Am Mittwoch, 10. Oktober 2012, setzte der sozialistische „Rapporteur Général du Budget“ im Finanzausschuß einen Ergänzungsantrag durch, wonach zukünftig auch Kunstgegenstände ab einem Wert von 50.000 € in die Bemessungsgrundlage bei der Veranlagung zur Vermögenssteuer einbezogen werden sollen. Ursprünglich hatte er in seinem Vorschlag sogar Kunstgegenstände ab einem Wert von 5.000 € einbeziehen wollen. (Seit der Einführung der Vermögenssteuer im Jahre 1982 sind Kunstgegenstände von der Vermögenssteuer ausgenommen.) Präsident Hollande und Premierminister Ayrault erklärten zwar, sie seien gegen diesen Änderungsvorschlag. Auch wenn der Nettoertrag einer solchen Steuer auf weniger als 100 Mio. € geschätzt wird, findet er in der linken Parlamentsmehrheit große Zustimmung. Dagegen hebt der Budgetminister, der im Jahr 1998 noch einen ähnlichen Änderungsantrag unterstützt hatte, nun die „technischen Schwierigkeiten“ einer solchen Besteuerung hervor.

Mit oder ohne Besteuerung von Kunstgegenständen: Mit dem vorgelegten Haushalt wird Frankreich auch im Jahr 2013 das Ziel von 3% Haushaltsdefizit nicht erreichen. Ebensowenig einen ausgeglichenen Haushalt im Jahr 2017.

Der Anteil des Staates am BSP lag im Jahr 2012 bei 56%. Mit dem vorgelegten Haushalt bestätigt sich die Tendenz: steigend. Kaum ein Land in Europa weist eine höhere Quote auf. Hier müßte der Hebel zum Haushaltsausgleich angesetzt werden. Dagegen tut die französische Regierung alles, den Unternehmen und den privaten Haushalten weitere Lasten aufzubürden, potentielle Investoren zu vertreiben, die Arbeitskosten zu erhöhen und damit jegliche Wachstumsaussichten zunichte zu machen.

Aber nicht nur die Steuer- und Haushaltspolitik behindert das Wirtschaftswachstum in Frankreich. Die neue Regierung hat auch kein Rezept zur Flexibilisierung des Arbeitsmarktes und zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der französischen Wirtschaft. Entweder setzt sie Kommissionen bzw. Experten ein, die Vorschläge erarbeiten sollen, wie die Wettbewerbsfähigkeit der französischen Wirtschaft verbessert werden kann (z.B. Louis Gallois, ex-President von EADS). Oder sie hofft, daß sich die Arbeitgeber und Gewerkschaften auf eine Flexibilisierung des Arbeitsmarktes einigen.

Langsam scheint sich auch unter den Beobachtern in Frankreich die Einsicht durchzusetzen, daß beispielsweise Italien bei seinen Reformanstrengungen bereits weiter vorangeschritten ist als Frankreich. Es ist zu vermuten, daß dies auch sehr bald den internationalen Kapitalmärkten bewußt wird. Dann könnte die Situation für Frankreich schnell noch schwieriger werden.

Nachdem François Hollande auf dem EU-Gipfel Ende Juni seinen medialen Erfolg damit erzielt hatte, daß der Gipfel sich auch mit dem Thema Wachstum befaßte, scheinen sich Präsident und Regierung nicht mehr sehr für den weiteren Fortgang der EU-Integration zu interessieren. Die Absenz der französischen Regierung in der Debatte um die Zukunft der EU ist auffällig. Vorschläge aus Deutschland oder aus anderen Ländern zur Vertiefung der Union und der zukünftigen Vermeidung ähnlicher Krisen weckten in Frankreich nur verhaltene Reaktionen. Das scheint nun auch dem Europaminister Bernard Cazeneuve aufgefallen zu sein, denn er verkündete vor wenigen Tagen, er wolle der Debatte über die Zukunft der EU wieder frischen Wind verleihen („redonner du souffle au débat européen“).

Indes, alleine die Verabschiedung des Fiskalpaktes in der Assemblée Nationale in dieser Woche geriet für die Regierungsmehrheit zur Zitterpartie. Denn neben den Kommunisten hatte auch der grüne Koalitionspartner angekündigt, dagegen zu stimmen (ohne allerdings die Regierung verlassen zu wollen). Und trotz zahlreicher Telephonate von Präsident und Premierminister und erheblichem Druck der Fraktionsführung stimmten 20 Mitglieder der sozialistischen Fraktion gegen den Vertrag (und sieben enthielten sich). Nur knapp verfügte die Regierung Hollande in dieser entscheidenden Frage über eine eigene Mehrheit und blieb ihr die Demütigung erspart, auf die Stimmen der UMP-Fraktion angewiesen zu sein.

Die UMP-Fraktion stimmte (mit Ausnahme von immerhin 17 Abweichlern) ebenfalls für den Fiskalpakt. Sie betonte auch immer wieder, daß der nun beschlossene Vertrag „bis auf das Komma genau“ dem Vertrag entspricht, den Präsident Nicolas Sarkozy beim EU-Gipfel verhandelt hatte. Daß also von Nachverhandlungen durch Präsident Hollande keine Rede sein könne.

Am Donnerstag (11. Oktober 2012) stimmte dann der Sénat über den Fiskalpakt ab. Zwar verfügt die Linke im Sénat über eine knappe Mehrheit, die Kommunisten und ein Teil der Grünen hatten aber schon zuvor angekündigt, den Vertrag ablehnen zu wollen. So fehlten der Linken im Sénat ca. 30 Stimmen für eine eigene Mehrheit. Und nur mit Hilfe der Senatoren der UMP und der Zentristen wurde der Fiskalpakt auch im Sénat angenommen.

Einen Tag nach der Abstimmung über den Fiskalpakt in Assemblée Nationale beschloß die Assemblée (unter breiter Zustimmung, einschließlich vieler Dissidenten aus der Sozialistischen Fraktion) auch die Schuldenbremse (règle d‘or). Bezeichnend ist allerdings, daß François Hollande davon absah, die Schuldenbremse in Verfassungsrang heben zu lassen. Noch im Wahlkampf war er ohnehin grundsätzlich gegen die Schuldenbremse eingestellt. Nun wurde sie lediglich im Rahmen eines Haushaltsbegleitgesetztes (loi organique) verabschiedet. Auch im Sénat wurde (am 11. Oktober 2012) die Schuldenbremse mit einer breiten Mehrheit angenommen.

Ohnehin ist in Frankreich indes die Meinung verbreitet, daß Fiskalpakt und Schuldenbremse „deutsche“ Projekte seien, die man wohl oder übel akzeptieren müsse, ohne deren Sinn und Notwendigkeit wirklich einzusehen und zu akzeptieren.

Das nicht gerade überzeugende Bild, das die Regierung Ayrault und ihre linke Parlamentsmehrheit bei der Abstimmung über den Fiskalpakt und die Schuldenbremse abgaben, hat einer in Frankreich sehr beliebten Diskussion neue Nahrung gegeben: der Rolle und Durchsetzungsfähigkeit des Premierministers. Schon seit einer Weile werden Zweifel an der Amtsführung von Premierminister Ayrault gestreut und Fragezeichen gesetzt. Das Unvermögen die linke Mehrheit in der Assemblée Nationale beisammen zu halten wird vor allem ihm als dem Chef der Mehrheit angelastet. Schon werden die Namen mögliche Nachfolger gestreut (z.B. jener von Innenminister Manuel Valls, einem sozialistischen Minister, der wegen seiner Politik der inneren Sicherheit im linken wie im rechten politischen Spektrum gleichermaßen beliebt ist).

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3. September 2012
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