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Länderberichte

Erneute Kabinettsumbildung in Frankreich

von Joerg Wolff, Mathilde Durand, Katharina Wolf

Vorstellung und Analyse

Der französische Präsident Nicolas Sarkozy hat am 27. Februar 2011 eine Regierungsumbildung vorgenommen. Es ist nach dem vierten Revirement vom November 2010 nunmehr die fünfte Veränderung des Kabinetts in seiner Amtszeit seit 2007. Die durch eine Tunesien-Affäre im Kreuzfeuer stehende Außenministerin Michèle Alliot-Marie trat zurück. Sie wurde durch Alain Juppé ersetzt, dem Gérard Longuet als Verteidigungsminister folgt.

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Überrascht hat in den politischen Zirkeln die Ablösung von Innen- und Immigrationsminister Brice Hortefeux, der von Claude Guéant ersetzt wurde. Mit der Kabinettsumbildung reagierte der französische Staatschef auch auf die sich in jüngster Zeit verstärkende Kritik an seiner Außenpolitik.

In einer TV-Ansprache von gestern Abend begründete Staatspräsident Nicolas Sarkozy persönlich die Kabinettsumbildung mit den weltpolitischen Veränderungen in Nordafrika. Er erwähnte dabei jedoch nicht die Demissionen von Innenminister Brice Hortefeux und Michèle Alliot-Marie, sondern machte stattdessen die Entwicklungen in der arabischen Welt für die Umstrukturierungen im Innern der französischen Regierung verantwortlich. Es gelte nun, die Außenpolitik neu zu fassen, vor allem mit Vorschlägen die Mittelmeerunion neu zu beleben. Um auf die Herausforderungen der Zukunft und die Sicherheitslage angemessen reagieren zu können, habe er „mit dem Premierminister François Fillon entschieden, die Ministerien, die Diplomatie und Sicherheit betreffen, neu zu besetzen.“

So gehören zu den wichtigsten Veränderungen der Regierungsumbildung die Ablösung von Außenministerin Michèle Alliot-Marie und von Innen- und Immigrationsminister Brice Hortefeux sowie die Ernennung von Alain Juppé als neuer Außenminister.

Die französische Außenpolitik in der Diskussion

Angesichts einer zunehmenden Kritik der Öffentlichkeit an der Außenministerin vor dem Hintergrund der Situation in Tunesien und ihren persönlichen Beziehungen zu dem alten Regime, blieb der bislang angesehenen Ministerin keine andere Wahl als der Rücktritt: „Obwohl ich das Gefühl habe, keinen Fehler begangen zu haben, habe ich entschieden meine Funktionen niederzulegen“.

Ihr Rücktritt, und damit auch das Kabinettrevirement, ist im Zusammenhang mit der sehr ungewöhnlichen öffentlichen Kritik an der französischen Außenpolitik zu sehen, die in letzter Zeit Aufsehen erregte. Eine anonyme Gruppe von Diplomaten und Experten bemängelte den sinkenden Einfluss Frankreichs in der Welt, verurteilte die vom Elysée aus gesteuerte Außenpolitik und bewertete sie als amateurhaft und impulsiv. Genauso ungewöhnlich war eine ebenso anonyme öffentliche Replik, welche die Außenpolitik der Regierung verteidigte und weitreichende außenpolitische Initiativen der gegenwärtigen Regierung lobte.

Dies zeigt, dass gegenwärtig Frankreichs Außenpolitik nicht konsensfähig ist und unter einem Autoritätskonflikt zwischen Elysée und Quai d’Orsay leidet. Insoweit zeigte der Umbruch in den Ländern Nordafrikas nicht nur ein unglückliches Verhalten der Außenministerin, sondern legte auch Mängel in der französischen Außenpolitik durch falsche Einschätzungen offen. Letzteres zentrierte sich um eine Mittelmeerpolitik, welche allzu lange auf die Säulen Tunesien, Ägypten und Libyen baute und zu lange zögerte, auf die historischen Veränderungen realpolitisch zu reagieren.

Das Revirement dürfte daher insgesamt beabsichtigen der Außenpolitik Frankreichs ein neues Gewicht, ein neues Gesicht und mehr Glaubwürdigkeit zu geben.

Die neuen Minister

Außenminister Alain Juppé: Er bekleidete den Posten des Außenministers bereits von 1993 bis 1995. Von 1995 bis 1997 war Juppé zudem Premierminister. Damit kommt ihm eine Schlüsselrolle im Kabinett zu und er dürfte die beherrschende politische Figur der neuen Regierung werden. So soll nach einem in Paris zirkulierenden Gerücht die Entfernung des bisherigen außenpolitischen Beraters Claude Guéant aus dem Elysée auf seine Bedingung zurückgehen.

Verteidigungsminister Gérard Longuet: Der derzeitige Vorsitzende der UMP-Fraktion im Sénat, einst ein rechtspopulistischer Politiker und ehemaliger Minister für Industrie, Telekommunikation und Außenhandel, übernimmt das Ressort von Alain Juppé. Auch er hatte, wie Juppé, eine Parteispendenaffäre mit begrenzter politischer Auszeit zu durchlaufen. Longuet gilt als erfahrener Politiker.

Innen- und Immigrationsminister Claude Guéant: Der langjährige Generalsekretär des Elysées und Leiter der Wahlkampagne Sarkozys im Jahre 2007 folgt Brice Hortefeux nach, der im Elysée neue Funktionen erhält. Als enger Weggefährte des Präsidenten galt seine Abberufung im politischen Paris als Überraschung. Die von ihm verfolgte Innenpolitik war allerdings in die Kritik geraten und er befindet sich wegen angeblicher rassistischer Äusserungen in einem Gerichtsverfahren. Guéant folgt sein bisheriger Stellvertreter als Generalsekretär, Xavier Musca, im Amt nach.

Eine Gesamtübersicht der Regierungsumbildung findet sich im beigefügten PDF in Anlage 1, die Lebensläufe der neuen Minister und Staatssekretäre in Anlage 2.

Reaktionen des Ministerpräsidenten

Premierminister Francois Fillon erläuterte am Montagmorgen auf RTL den Rücktritt der Außenministerin Alliot-Marie. Sie habe keinen Fehler begangen. „Es war keine moralische Entscheidung, sondern eine politische.“ „Die Polemik hat eine Situation geschaffen, die für die Stimme Frankreichs gefährlich wurde. Wir hätten es vorgezogen uns nicht von ihr zu trennen, aber es gab keine andere Lösung,“ so Fillon weiter.

Die Ernennung Alain Juppés zum Außenminister kommentierte Fillon mit der Bemerkung, dass dieses Amt eine große moralische und politische Autorität erfordere. Mit Blick auf die Präsidentenwahlen 2012 begründete Fillon die Weiterverwendung von Brice Hortefeux. Der Präsident wünsche sich eine bessere Organisation und könnte sich ihn dabei als politischen Berater neben sich vorstellen. Zur Wahl Claude Guéants als Innenminister sagte Fillon: „Es bestehen zu bewältigende Herausforderungen im Bereich der Immigration und Sicherheit. Er erschien uns als der Beste, um eine neue Etappe der Sicherheits- und Immigrationspolitik zu steuern.“

Reaktionen der Parteien

Die Vorsitzende des Front National, Marine Le Pen, zeigte sich besorgt über die Ernennung Guéants und sah in der Regierungsumbildung keine großen Veränderungen der bisherigen Politik.

Der ehemalige Verteidigungsminister Hervé Morin (Nouveau Centre) sagte Le Monde: „Wir haben eine unter Hausarrest stehende Außenpolitik, zu einer Zeit, in der wir in allen arabischen Hauptstädten präsent sein müssten, in der wir die Stimme Frankreichs laut werden lassen müssten.“

„Die Umbildung bestraft vor allem das komplette Scheitern der Außen- und Verteidigungspolitik“, so Laurent Fabius, ehemaliger sozialistischer Premierminister. Die Sozialisten hatten die Regierungsumbildung, sowie die Ansprache Sarkozys hart kritisiert. Weder die Abberufung Alliot-Maries, noch der Rücktritt von Hortefeux werde ausreichen, die Regierungspolitik zu ändern. „Dieser bestürzende Fehlschlag ist demütigend für Frankreich und die Franzosen“, hob der Sprecher der PS, Benoît Hamon, hervor.

Heuchelei warf unterdessen die Nouveau Parti anticapitaliste von Olivier Besancenot dem Staatspräsidenten vor, der mit den Ängsten vor einem unkontrollierbaren Migrationsstrom aufgrund der Revolutionen in der arabischen Welt, gespielt habe.

Reaktionen der Medien

In Anbetracht der Ereignisse spricht die Tageszeitung Le Monde von einer „Regierungsumbildung unter Druck“. Die Ernennung von Guéant zum Innenminister scheine ein Anzeichen von Fieberhaftigkeit hinsichtlich der Präsidentschaftswahlen 2012 zu sein. Umfragen zeigten, dass der Präsident im Bereich der Sicherheit wenig glaubwürdig sei. Sowohl im Falle von Hortefeux, als auch von Longuet macht Le Monde auf deren Verwicklungen mit der französischen Justiz aufmerksam und mutmaßt, dass die Ernennung Longuets zum Verteidigungsminister eher dem Streben nach politischem Gleichgewicht innerhalb der UMP geschuldet sei, als dessen Interesse an der Verteidigungspolitik. Darüber hinaus wolle Sarkozy mit der Regierungsumbildung die Versäumnisse der Regierungspolitik nachholen.

Mit der Besetzung des Quai d’Orsay durch Alain Juppé sei ein starker Mann der UMP zurückgekehrt, der Einzige, der wahrscheinlich in der Lage sei, eine Niederlage 2012 zu verhindern, so die Zeitung des linken Spektrums Libération. Darüber hinaus mutmaßt sie, dass sich Sarkozy wohl unter dem Druck des Umfragetiefs zu der Regierungsumbildung gezwungen gesehen und seine bisherige Rückendeckung Alliot-Maries aufgegeben habe. Wie Chirac 2005 nach dem Scheitern des Referendums zum EU-Verfassungsvertrag habe nun auch Sarkozy die Kontrolle verloren. Er wolle aufgrund eines drohenden Aufstandes in seiner Partei seine Kandidatur für 2012 mit der Regierungsumbildung sichern. Der Präsident nutze die Dramatisierung der internationalen Situation, wie die Angst vor immensen Migrationströmen, um die Kabinettsumbildung und Regierungskrise zu verstecken. Letztlich gelänge es dem französischen Staatschef aber nicht die Franzosen zu täuschen.

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