Klares Votum, gespaltenes bürgerlich-konservatives Lager
Die Regierung von Premierminister François Bayrou verlor mit 364 Gegenstimmen bei nur 194 Ja-Stimmen und 15 Enthaltungen deutlich das Vertrauen des Parlaments.
Das Ergebnis spiegelt eine breite Ablehnung der Regierung in nahezu allen politischen Lagern wider. Geschlossen gegen das Kabinett stimmten die Abgeordneten des Rassemblement National (123 Stimmen), der linkspopulistischen Linken La France Insoumise (LFI) (71), der Sozialisten (66), der Grünen (38), der Kommunisten (17), der Fraktion des ehemaligen Les Républicains-Chefs Eric Ciotti, Union des droites pour la République (15), sowie der Mehrheit der Oppositionsfraktion Liot (Libertés, indépendants, outre-mer et territoires) (15 von 23 Abgeordneten), die mehrere Abgeordnete aus dem Mitte-Links-, Mitte- und Mitte-Rechts-Spektrum vereint. Auch sechs fraktionslose Abgeordnete sprachen Bayrou nicht das Vertrauen aus.
Bemerkenswert war in Hinblick auf die bisherige Regierungsbeteiligung die Uneinigkeit innerhalb der konservativen Fraktion der Républicains. Während sich viele Fraktionen geschlossen positionierten, zeigte sich bei den Républicains ein stark gespaltenes Bild: 13 ihrer Abgeordneten stimmten gegen das Vertrauen, 27 dafür und 9 enthielten sich. Fraktionschef Laurent Wauquiez hatte im Vorfeld des Votums den Abgeordneten eine freie Entscheidung eingeräumt und in seiner Rede vor der Abstimmung so viel Kritik geäußert, dass man vergessen konnte, dass seine Partei einige Minister stellt.
Auf Regierungsseite stimmten neben fast allen Abgeordneten des Präsidentenlagers Ensemble pour la République (90 von 91 Stimmen) auch die Partner der Allianz MoDem (36 Stimmen) und Horizons (34 Stimmen) für das Vertrauen. Unterstützung kam außerdem von 27 Abgeordneten der Républicains, vier Mitgliedern der Liot-Gruppe sowie drei fraktionslosen Abgeordneten. Enthaltungen kamen neben den neun LR-Abgeordneten unter anderem von vier Liot-Mitgliedern, einer fraktionslosen Abgeordneten und Violette Spillebout der Präsidentenmehrheit.
Reaktionen der Parteien und Handlungsoptionen
Der Sturz von Premierminister François Bayrou spiegelt die anhaltende politische Instabilität in Frankreich wider. Staatschef Emmanuel Macron, der durch die Auflösung der Nationalversammlung im Sommer 2024 für die Krise selbst in seinem eigenen Lager verantwortlich gemacht wird, steht unter dem Druck, einen neuen Kandidaten oder eine Kandidatin für das Amt des Premierministers vorzuschlagen. Dabei erscheinen alle Parteien in ihren Positionen gefangen und zeigen wenig Kompromissbereitschaft.
Emanzipation der Präsidentenmehrheit von Staatschef Emmanuel Macron
Der ehemalige Premierminister und derzeitige Vorsitzende der Fraktion Ensemble pour la République, Gabriel Attal, kritisierte einen „Zustand permanenter Instabilität“, der seiner Ansicht nach durch vorgezogene Neuwahlen nicht behoben werden könne. Eine Auflösung der Nationalversammlung sei „die schlechteste Lösung“, erklärte er. Die eigentliche Herausforderung liege nicht beim Wählervotum: „Die Franzosen haben vor einem Jahr gewählt. Das Problem sind nicht die Bürger, sondern eine politische Klasse, die unfähig ist, sich auf einen gemeinsamen Weg zu verständigen.“
Gabriel Attal, bekräftigte daher am 9. September seinen Wunsch, Präsident Emmanuel Macron möge zunächst einen „Verhandlungsführer“ ernennen, bevor die Entscheidung über die Besetzung des Premierministeramts getroffen werde. Diese Person solle, so Attal, „nicht aus der unmittelbaren aktiven Politik stammen“, jedoch in der Lage sein, „alle Akteure an einen Tisch zu bringen“.
Während der Élysée-Palast mitteilte, Präsident Macron werde „in den kommenden Tagen“ einen neuen Premierminister ernennen, betonte Attal, dass die einzig relevante Frist der 31. Dezember sei – das Datum, bis zu dem der Haushalt für das Jahr 2026 verabschiedet sein muss und dessen Entwurf spätestens am 7. Oktober im Parlament eingebracht werden soll.
Im Umfeld von Staatspräsident Emmanuel Macron geht man davon aus, dass er niemanden ernennen wird, den er nicht gut kennt oder dessen Überzeugungen nicht mit seinen eigenen übereinstimmen. Die Ernennung eines Ministers aus der Bayrou-Regierung ist also nicht komplett ausgeschlossen. Dabei hört man die Namen des Verteidigungsministers Sébastien Lecornu, ein enger Vertrauter Macrons, sowie Catherine Vautrin, Ministerin für Arbeit und Gesundheit, die Macron bereits 2022 fast zur Premierministerin ernannt hätte, sich dann aber doch für Elisabeth Borne entschied. Besonders oft wird ebenso der Name Gérald Darmanin genannt, der als Justizminister und ehemaliger Innenminister ursprünglich aus den Reihen der Républicains stammt. Allerdings könnte seine Ernennung schnell auf Widerstand seitens der Linken stoßen. Auch der Name der derzeitigen Präsidentin der Nationalversammlung Yaël Braun-Pivet kursiert.
Sturz des Präsidenten als logische Folge des Wahlergebnisses für die linkspopulistische France Insoumise
Der Vorsitzende von La France Insoumise (LFI), Jean-Luc Mélenchon, nannte das Ergebnis der Vertrauensabstimmung einen „klaren Sieg“ und erklärte, Emmanuel Macron stehe nun „an vorderster Front gegenüber dem Volk”. Der Parteigründer der extremen Linkspartei forderte den sofortigen Rücktritt des Staatschefs. Unmittelbar danach kündigte die Fraktionsvorsitzende von LFI, Mathilde Panot, die Einreichung eines Amtsenthebungsantrags gegen den Präsidenten der Republik an.
Gesprächsbereitschaft seitens LFI, um gemeinsam mit den ehemaligen Verbündeten des Nouveau Front Populaire, namentlich den Sozialisten, einen Premierminister vorzuschlagen, besteht nicht. „Die einzige Regierung, die wir unterstützen werden, ist unsere eigene, also diejenige, die auf einem Programm des Umbruchs basiert“, betonte Mathilde Panot bereits am 2. September. Eine Regierung mit sozialistischen Vertretern könnte, sollte sie zustande kommen, keine Unterstützung von La France Insoumise erwarten.
Die Sozialisten sehen ihre Chance
Der Vorsitzende der Sozialistischen Partei, Olivier Faure, spricht sich dafür aus, dass Präsident Emmanuel Macron einen Premierminister aus dem linken Lager ernennt. Sein Name wurde bereits vor dem Votum der Vertrauensfrage als potenzieller Kandidat genannt und er signalisierte Bereitschaft zur Verfügung zu stehen.
Auf die Frage, wie die Sozialistische Partei auf die mögliche Ernennung eines Macron-nahen Premierministers wie Sébastien Lecornu oder Catherine Vautrin reagieren würde, wich Faure einer klaren Antwort aus. „Ich werde mich nicht an Spekulationen beteiligen, was ich mit diesem oder jenem tun würde. Im Moment geht es darum, den Anspruch auf Regierungsverantwortung zu erheben und die Voraussetzungen dafür zu schaffen“, erklärte er. Angesichts der 66 Abgeordneten, über die die sozialistische Fraktion verfügt, käme ihr in der aktuellen Zusammensetzung der Nationalversammlung eine zentrale Rolle zu.
„Was wir heute brauchen, ist Veränderung“, betonte Faure weiter. „Wir müssen den Bürgerinnen und Bürgern, die ihre Unzufriedenheit deutlich zum Ausdruck bringen, endlich eine politische Perspektive eröffnen – eine, die nicht in der bloßen Fortsetzung dessen besteht, was wir seit Jahren erleben.“
Sollte der nächste Premierminister nicht aus dem linken Lager kommen, stellt sich die Frage, ob Emmanuel Macron zumindest den Dialog mit diesem ermöglichen wird, um eine erneute Ablehnung durch die Sozialisten zu vermeiden und die gesuchte Person müsste ebenso für das bürgerlich-konservative Lager „akzeptabel“ sein, was schwierig werden dürfte.
Als möglicher Kandidat aus den Reihen der Sozialisten gilt Bernard Cazeneuve, ehemaliger Premierminister unter François Hollande. Doch seine Distanz zur Partei erschwert eine breite Unterstützung von links. Schon nach der Parlamentsauflösung im Juni 2024 war sein Name im Gespräch – doch Macron verzichtete auf seine Ernennung. Weitere Namen, die ebenfalls genannt werden, sind Finanzminister Éric Lombard, ehemals Mitglied der sozialistischen Partei, oder Raphaël Glucksmann, Vorsitzender von der sozialdemokratischen Place publique.
Der Rassemblement National setzt auf Neuwahlen
Bereits bei der Debatte rund um die Vertrauensabstimmung in der Nationalversammlung hat Marine Le Pen Emmanuel Macron dazu aufgerufen die Nationalversammlung aufzulösen und Neuwahlen gefordert. Marine Le Pen wörtlich: „Die Auflösung ist für ihn [Emmanuel Macron] eine Verpflichtung“.
Für den Fall, dass ein neuer Premierminister aus der Präsidentenmehrheit oder dem linken Lager ernannt wird, kündigte der Vorsitzende der rechtspopulistischen Partei, Jordan Bardella, an, dass seine Fraktion diesem das Vertrauen verweigern werde. Hinsichtlich des von der France Insoumise angekündigte Amtsenthebungsverfahren gegen Emmanuel Macron übte Jordan Bardella scharfe Kritik an Jean-Luc Mélenchon. Diesem warf er vor, er strebe „Unordnung, den Zusammenbruch des Landes und die Zerstörung des sozialen Zusammenhalts“ an.
Die Position der Partei erscheint auf den ersten Blick widersprüchlich, da gegen die Fraktionschefin Marine Le Pen eine vorläufige Unwählbarkeit verhängt wurde, deren Rechtsmittel jedoch noch nicht ausgeschöpft sind. Le Pen hat nun bereits angekündigt, im Falle vorgezogener Parlamentswahlen eine Question Prioritaire de Constitutionnalité (QPC) einzureichen, die die Verfassungsmäßigkeit der vorläufigen Vollstreckung der Unwählbarkeit infrage stellt.
Uneinigkeit bei den Républicains über die eigene Rolle im Parteiengefüge
Bruno Retailleau, Vorsitzender der Républicains und noch Innenminister, unterstrich, die dringende Notwendigkeit, umgehend einen neuen Premierminister zu ernennen. Angesichts bevorstehender Demonstrationen und eines „für Ausschreitungen besonders heiklen Septembers“ dürfe es keine Machtvakanz geben. „Wir brauchen schnellstmöglich einen Premierminister, der die Regierungsgewalt verkörpert. Das ist von entscheidender Bedeutung – gerade auch im Hinblick auf die Sicherung der öffentlichen Ordnung“, betonte Retailleau.
Retailleau macht deutlich, dass das bürgerlich-konservative Lager keinesfalls die Ernennung eines Premierministers aus den Reihen der Sozialistischen Partei akzeptieren werde. Für ihn ist klar: „Es kommt nicht in Frage, eine Regierung zu akzeptieren, die Minister der Linken oder gar der France Insoumise einschließt.“ Nur so könne man eine klare Abgrenzung zur linken Opposition gewährleisten. Damit setzt sich Retailleau von dem Fraktionsvorsitzenden Laurent Wauquiez ab, der vor vorschnellen Verurteilungen warnt und keine „automatische Zensur“ gegen eine Regierung mit sozialistischer Beteiligung anstrebt. Er hält eine Ablehnung nur dann für gerechtfertigt, wenn die Exekutive tatsächlich „Minister von La France Insoumise umfasst oder das Programm des Nouveau Front Populaire umsetzt.“
Der Wunschkandidat des Fraktionsvorsitzenden Wauquiez ist Xavier Bertrand, der kurzweilig die Partei verlassen hatte und erfolgloser Kandidat der Präsidentschaftswahlen 2022 war, dann aber wieder zur Partei zurückfand und seit 2016 in der Region Haut-de-France der Vorsitzende des Regionalrats ist.
Fazit und Ausblick
Der Druck auf den Élysée-Palast steigt, und die verschiedenen politischen Parteien verfolgen unterschiedliche Strategien – entweder sie drängen auf eine Auflösung (der Nationalversammlung) oder auf den Rücktritt (des Präsidenten). Für Teile von ihnen hat die politische Stabilität mittlerweile keinen Wert mehr und der Wille zu Reformen scheint nicht nachhaltig vorhanden zu sein, im Gegenteil, bereits erfolgte Reformen, wie zur Rente, sollen wieder aufgerollt und neu verhandelt werden.
Inzwischen werden auch wieder die Stimmen lauter, die eine Wahlrechtsreform einfordern – radikale Stimmen sehen gar das Ende der Fünften Republik gekommen. Klar ist jedoch auch, dass die Verfassung der Fünften Republik und ihre Institutionen nicht für die politische Polarisierung verantwortlich ist, sondern die aktuellen Mehrheitsverhältnisse. Die Dreiteilung der politischen Landschaft reflektiert das Empfinden der französischen Wählerinnen und Wähler, an dem sich, laut Umfragen, auch durch Neuwahlen nichts wesentlich verändern würde.
Es bleibt zu hoffen, dass sich die demokratischen Parteien der Mitte dazu aufraffen können, eine Regierung mit klar definiertem Arbeitsplan aufzustellen, der das Land aus der Krise holen kann. Dazu müsste man zu Kompromissen bereit sein und über Parteigrenzen hinweg, ohne Beteiligung der Extreme, verhandeln. Leider geben die aktuellen Signale der Parteispitzen wenig Hoffnung auf eine Einigung im Sinne der politischen (und wirtschaftlichen) Stabilität Frankreichs. Dem Land stehen unruhige Tage bevor, nicht nur durch die verzweifelte Suche nach einer stabilen Regierung, sondern auch durch die angekündigten Protestwellen von Gewerkschaften und linke Gruppierungen, die das Land lahmzulegen drohen.