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Erstmals ist die Arbeitslosenquote leicht unter die 10 Prozent Marke gesunken; von Le Monde befragte Wirtschaftsexperten sehen in de Villepins Arbeitsmarktpolitik den "Schritt in die richtige Richtung", die jedoch durch den Rohölpreis und allgemeine Haushaltszwänge gebremst würden. Nachdem de Villepin Anfang Juni die erste Phase im "Kampf gegen die Arbeitslosigkeit" eingeläutet hatte, rief er am 1. September die zweite Phase unter dem Motto "plan de relance de la la croissance" (Plan zur Ankurbelung des Wachstums) ins Leben. Im Unterschied zu seinem Vorgänger Raffarin ist de Villepin stets bemüht, seine Politik messbar und für den einzelnen transparent zu machen - sicherlich eine der Lehren, die aus dem gescheiterten Referendum gezogen wurde. Dazu tragen seine monatlichen Pressekonferenzen, bei, in denen er öffentlich Rechenschaft über seine Amtshandlungen ablegt, seine monatlichen Sitzungen mit den Vorsitzenden aller politischen Parteien sowie regelmäßige interministerielle Zusammenkünfte mit den jeweiligen Europaexperten unter Leitung der Europaministerin, um Missverständnisse und mögliche Fehlperzeptionen über europäische Sachverhalte – wie zum z.B. die Diskussion über die Bolkestein-Richtlinie – in Zukunft zu vermeiden.
Die jüngsten Meinungsumfragen bieten folgendes Bild: BVA für den "Express" und IPSOS für die Zeitschrift "Le Point" zeigen einen deutlichen Popularitätsanstieg von Jaques Chirac und Dominique de Villepin im Vergleich zum Vormonat. Der Staatspräsident konnte laut BVA-Umfrage 10 Punkte im Vergleich zum Juli in der Beliebtheitsskala der Politiker zulegen (von 36 Prozent auf 46 Prozent ), laut dem Institut IPSOS im Vergleich zum August 3 Punkte (von 39 Prozent auf 42 Prozent ). Vor allem der Premierminister ist in diesem Monat in der Popularität gestiegen – laut BVA konnte er gegenüber Juli 11 Punkte (von 36 Prozent auf 46 Prozent ) zulegen, laut IPSOS gegenüber Ende August 5 Punkte (von 45 Prozent auf 50 Prozent ). Aufschlussreich sind ebenfalls die Umfragewerte in bezug auf die Frage, wer der geeignete Präsident in 2007 sein könnte: hier liegen de Villepin und Sarkozy bei BVA auf gleicher Höhe bei 31 Prozent , während bei IPSOS Sarkozy mit 57 Prozent immer noch einen Vorsprung gegenüber de Villepin mit 51 Prozent aufweisen kann – beide liegen weit vor Chirac (lediglich 36 Prozent ).
Parallel zur positiven Bilanz der ersten drei Monate Amtszeit de Villepins sorgte der plötzliche Krankenhausaufenthalt des französischen Staatspräsidenten Jaques Chirac für Schlagzeilen und versetzte de Villepin unerwartet in die Lage, erstmals den Ministerrat zu leiten – eine Rolle, die sonst ausschließlich dem Präsidenten vorbehalten ist. Bei dieser Kabinettssitzung hat Nicolas Sarkozy verbal keine Gelegenheit ausgelassen, de Villepins Autoriät anzufechten und ihn insbesondere in der Türkei-Frage zur Verteidigung der Chirac-Linie gedrängt, um die Unterschiede deutlich zu machen.
In Vertretung für Präsident Chirac hat de Villepin Frankreich in der letzten Woche ebenfalls bei den Vereinten Nationen in New York repräsentiert, was Sarkozy wiederum bei seiner jüngsten Warschau-Reise veranlasste, für eine Vergrößerung der G5 auf G6 - unter Einbeziehung Polens - zu plädieren, um so ebenfalls sein internationales Image zu pflegen.
Seitdem de Villepin und Sarkozy die neue politische Doppelspitze in der französischen Regierung bilden, schwelt der Machtkampf zwischen beiden unaufhörlich im Hintergrund. Als de Villepin beispielsweise nach 30 Tagen Amtszeit seine erste Pressekonferenz gab, hatte Sarkozy es geschickt lanciert, dass er am gleichen Tag mit ganzseitigen Interviews über die Zukunft des Landes und Coverphotos in insgesamt 8 Zeitungen und Zeitschriften erschien, um seine mediale Omnipräsenz erneut zu manifestieren. Mit der temporären krankheitsbedingten Abwesenheit von Chirac trat der Konkurrenzkampf endgültig in den Vordergrund. Während de Villepin Anfang September auf der Sommeruniversität der "Jeunes Populaires" - der Jugendorganisation der UMP - für sanfte Reformschritte im Sinne einer "Erneuerung des französischen Modells"" warb und damit den für seine Politik geprägten Begriff des "sozialen Wachstums" darlegte, möchte Sarkozy "den totalen Bruch mit den letzten 30 Jahren traditionalistischer Politik" ("une stratégie de rupture avec les trentes dernières années") und strebt die Schaffung eines "neuen französischen Sozialmodells" an. "Nichts und Niemand könne ihn aufhalten, bis ans Ende seiner Ziele in 2007" zu gelangen ("rien, vraiement rien, personne, vraiment personne, ne m’empechera d’aller jusqu’au bout et de tenter d’etre à la hauteur des rendez-vous de 2007") – und jeder weiß, was damit gemeint ist.
Um seinen Plänen noch mehr Ausdruck zu verleihen, vor allem aber um bei der Erklärung de Villepins anlässlich seiner ersten 100 Tage Amtszeit medial nicht an der Seite zu stehen, hat der Parteichef es geschickt verstanden, am 7. September (genau einen Tag vor Ablauf der 100 Tage-Frist de Villepins) einen großen öffentlichkeitswirksamen Parteikonvent genau zu dieser Thematik zu organisieren. Bereits im Titel seines Eröffnungsvortrages auf dem Konvent wurde der Unterschied zur Politik de Villepins deutlich: " Das neue französische Modell: für jeden eine Arbeit, Kaufkraft für Alle. Die Ziele, die er dabei in seiner Politik verfolgen will sind
- Vollbeschäftigung: die Arbeitslosenquote soll innerhalb von 10 Jahren auf 5 Prozent reduziert werden;
- Frankreich muss zu einem Wirtschaftsstandort umgebaut werden, der die Schaffung und Entwicklung von Unternehmen fördert;
- Der Staatshaushalt muss als Wachstumshebel dienen.
Es ist anzunehmen, dass nach dem gescheiterten Referendum, der Niederlage in der Olympiastandortbewerbung und dem Krankenhausaufenthalt Chiracs, der Staatspräsident nicht nur deutlich geschwächt ist, sondern als ernstzunehmender Kandidat für 2007 ausscheidet. Die Eröffnung einer "Agentur für industrielle Innovation" in Reims Ende August, welches er gegenüber der französischen Öffentlichkeit als "grandes orientations de la nouvelle politique industrielle et d’innovation de la France" erklärte, war nur noch ein verzeifelter Versuch der Imagepflege nach der Sommerpause.
Es bleiben derzeit de Villepin und Sarkozy als potentielle Kandidaten, da die Opposition gänzlich zersplittert ist und sich damit selbst ausgeschaltet und paralysiert hat – hier könnte nur noch der Parteitag der Sozialisten im November eine unerwartete Wende bringen.
In dem Rennen um die Präsidentschaft 2007 hat Sarkozy weiterhin zwei Vorteile – er regiert über das Ressort Innenpolitik, welches ihm die Möglichkeit verleiht, in den nächsten Monaten insbesondere in dem Bereich innere Sicherheit in der Bevölkerung zu punkten und er hat die Partei hinter sich. Ob es ihm gelingen wird, diese Vorteile zu nutzen, bleibt abzuwarten. Denn eines steht fest – nach der ersten positiven 100-Tage-Bilanz de Villepins und den damit gestiegenen Werten in den Meinungsumfragen sowie seiner bestandenen Feuerprobe in den Fußstapfen Chiracs ist dieser politisch nicht zu unterschätzen. In den nächsten Tagen finden die "journées parlementaires" der UMP statt, die in diesem Jahr der Thematik "Arbeit und Beschäftigung – wirtschaftliche und soziale Dynamik" gewidmet sind – man darf bereits jetzt auf den nächsten verbalen Schlagabtausch zwischen Sarkozy und de Villepin gespannt sein.