„Der Nationalstaat kann nicht länger Freiheit, Ordnung und friedliches Zusammenleben in Europa sichern. Die Aufgaben von Gegenwart und Zukunft verlangen das Überwinden der klassischen nationalstaatlichen Strukturen. Die uns gegenüberstehenden Probleme erfordern die Schaffung der Vereinigten Staaten von Europa. Ein europäischer Bundesstaat als Partner der USA ist die Grundlage einer gesicherten Zukunft.“ (Klepsch, 1965)
Kindheit und Jugend im Sudetenland
Egon Klepsch wuchs als Sohn eines kaufmännischen Angestellten im Sudetenland auf und besuchte die Volksschule in Bodenbach an der Elbe, später die Oberschule in Tetschen. Seine Eltern waren gläubige Katholiken, politisch nicht aktiv. Geboren 1930, gehörte Klepsch im Zweiten Weltkrieg zu jenen Jahrgängen, die noch in den letzten Kriegstagen zum Volkssturm einberufen wurden. Nach Kriegsende arbeitete Klepsch auf dem Bau, um seine Familie zu unterstützen. Im Herbst 1945 kam er in ein tschechisches Zwangsarbeiterlager, im Sommer 1946 wurde die Familie schließlich vertrieben und kam nach Lostau in der Nähe von Magdeburg.
Widerstand und Flucht nach Westdeutschland
In Burg bei Magdeburg konnte er wieder die Oberschule besuchen. 1948 trat Klepsch in die Freie Deutsche Jugend (FDJ) ein, wurde Schulgruppenvorsitzender, schloss sich jedoch schon bald einer FDJ-internen Widerstandsgruppe an. Für ein Geschichts- und Geographiestudium ging er nach Rostock und war – wieder als Mitglied einer internen Widerstandsgruppe – führend in der FDJ-Hochschulgruppe tätig. Die Widerständler flogen jedoch auf. Klepsch sollte am 13. Juli 1950 verhaftet werden, bekam aber Wind davon und floh sofort nach West-Berlin. Seine spätere Frau Anita Wegehaupt folgte ihm. Gemeinsam gelangten sie nach Hessen und bauten sich dort eine neue Existenz auf.
Um sich sein weiteres Studium, das er in Marburg fortsetzte, zu finanzieren, arbeitete Klepsch hart, zuerst in einer Packerei, später in einer Schwefelkiesgrube. Neben Geographie und Geschichte studierte er nun auch Politikwissenschaft und wurde 1954 mit einer Arbeit über die deutsche Russlandpolitik unter Außenminister Gustav Stresemann promoviert.
Einstieg in die Politik
In diesen Jahren hatte Klepsch bereits erste Karriereschritte in der Jungen Union gemacht. Unmittelbar nach seiner Flucht wurde er 1950 Mitglied der JU, ein Jahr später auch der CDU. 1955 wählten die Delegierten Klepsch zum Vorsitzenden der JU-Hessen und 1959 in den JU-Bundesvorstand, wo er Beauftragter für internationale Beziehungen wurde. In dieser Funktion hatte Klepsch Kontakt zu anderen europäischen christdemokratischen Jugendorganisationen und baute sich ein europäisches Netzwerk auf, von dem er später profitieren sollte.
Beruflich lockte nach seiner Promotion zuerst eine wissenschaftliche Karriere, er entschied sich jedoch dagegen und ging nach Bonn. Dort arbeitete er als Referent für das Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen. Von 1959 an lehrte Klepsch internationale Politik an der Koblenzer Schule für Innere Führung der noch im Aufbau befindlichen Bundeswehr. Als er jedoch 1964 als Planungsreferent im Bundeskanzleramt an der Organisation des Wahlkampfes von Bundeskanzler Ludwig Erhard beteiligt wurde, gab Klepsch seine Dozententätigkeit auf und wechselte endgültig in die Politik.
Parallel dazu war sein weiterer Aufstieg in der Jungen Union verlaufen: Bereits 1961 trat er auf dem Deutschlandtag in Oldenburg gegen den Rheinländer Bert Even an, um JU-Bundesvorsitzender zu werden. Er unterlag jedoch seinem Konkurrenten knapp und wurde Schatzmeister. Der zweite Versuch zwei Jahre später war dann erfolgreich: 1963 wurde Klepsch im Alter von 33 Jahren Bundesvorsitzender der Jungen Union. Unter seinem Vorsitz erarbeitete die JU 1965 das erste Jugendprogramm und setzte sich dafür ein, das Wahlalter auf 18 abzusenken. 1964 wurde Klepsch Präsident der neugegründeten "Internationalen Union Junger Christlicher Demokraten Europas" (IUJCD) und setzte sich in dieser Funktion für eine verstärkte Zusammenarbeit der europäischen christlich-demokratischen und konservativen Jugendverbände ein.
Verteidigungsexperte im Deutschen Bundestag
Die 1960er Jahre waren für die CDU eine Phase des Umbruchs. Bis zuletzt hatte sich Klepsch gegen die Große Koalition gestellt, da sie das Verhältnis von Koalition und Opposition zerstöre. 1965 zog er erstmals für Koblenz in den Bundestag ein und etablierte sich dort als Experte für Verteidigungs- und Sicherheitspolitik. Als Vorsitzender der Arbeitsgruppe Verteidigung der CDU/CSU-Fraktion war er federführend an der Ausarbeitung der sicherheitspolitischen Leitsätze der Fraktion (1970) und einem Entwurf der Fraktion zur Verbesserung der Wehrgerechtigkeit (1971) beteiligt. 1970 wurde Klepsch stellvertretender Bundesvorsitzender des Fachausschusses Sicherheitspolitik der CDU und 1973 dessen Vorsitzender. Daneben war er eine Zeit lang Mitglied des Europarats und Vizepräsident des verteidigungspolitischen Ausschusses der Westeuropäischen Union (WEU).
1973 entsandte ihn die Fraktion erstmals in das Europäische Parlament. Auch hier entwickelte er zunehmend Initiativen auf europapolitischem Gebiet. Die von ihm mitinitiierte Arbeitsgruppe Europapolitik der CDU/CSU-Bundestagsfraktion leitete er von 1976 bis zu seinem Ausscheiden aus dem Bundestag. 1980 kandidierte er nicht erneut für den Bundestag, nachdem die CDU 1979 auf ihrem Parteitag in Kiel beschlossen hatte, Doppelmandate künftig zu vermeiden.
Karriere im Europäischen Parlament im Zeichen der ersten Direktwahl 1979
Nach nur vier Jahren im Europäischen Parlament wurde er am 5. Mai 1977 zum Fraktionsvorsitzenden der Christlich-demokratischen Fraktion gewählt. Als Vorsitzender reorganisierte Klepsch zunächst die Arbeitsweise der Fraktion. Nach dem Vorbild des Bundestages richtete er Arbeitskreise ein und berief Koordinatoren zur Abstimmung der Positionen in den einzelnen Politikbereichen in der Fraktion.
Sein Antritt als Fraktionsvorsitzender fiel auch in die Zeit der Gründung der Europäischen Volkspartei (EVP), die er maßgeblich unterstützte und deren Vizepräsident er wurde, und der Vorbereitungen auf die ersten Direktwahlen des Europäischen Parlaments. Von der Direktwahl versprach sich Klepsch mehr Legitimität für die Europäischen Gemeinschaften und neue Impulse für deren Weiterentwicklung zur Politischen Union.
Klepschs Wiederwahl zum EVP-Fraktionsvorsitzenden 1979 war unumstritten. Dieses Amt sollte er – mit nur kurzer Unterbrechung, als er Vizepräsident des Parlaments war – bis 1992 innehaben. Unter seiner Regie wurde die Organisation der EVP-Fraktion weiter professionalisiert, das Sekretariat ausgebaut und die Zahl der Fraktionsmitarbeiter aufgestockt. So schaffte er es, aus der EVP-Fraktion eine straff geführte, effektive Kraft zu machen.
Klepsch galt dabei als guter Netzwerker. Er pflegte Kontakte zwischen der Fraktionsführung und den EVP-Mitgliedern in der Kommission und nahm an den Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs teil, die seit Beginn der 1980er Jahre regelmäßig zur Vorbereitung der Sitzungen des Rates stattfanden. Auch wenn sein Führungsstil nicht unumstritten war, so war er doch immer bemüht, Konflikte schon im Vorfeld auszuräumen oder erst gar nicht entstehen zu lassen, er setzte auf Absprachen und Interessenausgleich.
Eine gute Zusammenarbeit entwickelte sich auch mit dem früheren Frankfurter Oberbürgermeister, Rudi Arndt, der von 1979 bis 1989 Mitglied des Europäischen Parlaments und von 1984 bis 1989 Vorsitzender der Sozialistischen Fraktion war. Einig waren sie in der Ansicht, dass die Fraktionen zusammenhalten müssten und sich das Parlament gegenüber dem Ministerrat nur behaupten könne, wenn Beschlüsse mit absoluter Mehrheit gefasst würden.
Stärkung des Parlaments – auf dem Weg zur Einheitlichen Europäischen Akte
Die Ausweitung der Gesetzgebungsbefugnisse des Parlaments und der damit erhoffte Abbau des Demokratiedefizits der Europäischen Gemeinschaften gehörten während seiner gesamten europapolitischen Karriere zu Klepschs wichtigsten Anliegen. Entsprechend setzte er sich nach der ersten Direktwahl 1979 dafür ein, dass das Parlament seinen neuen Geltungsanspruch gegenüber Ministerrat und Kommission zum Ausdruck brachte. Sichtbarstes Zeichen dafür war die Ablehnung des Gemeinschaftshaushalts für 1980. Das Europaparlament, das seit 1975 den Gesamthaushalt billigen musste, erzwang eine Neuvorlage.
Die Einheitliche Europäische Akte (EEA) von 1986 führte denn auch zu einem Ausbau der parlamentarischen Rechte. Das Parlament erhielt in einigen Bereichen legislative Kompetenzen, etwa bei der Gesetzgebung zur Errichtung des europäischen Binnenmarktes. Für die Außenpolitik war es bedeutsam, dass dem Parlament ein Zustimmungsrecht zu Beitritts- und Assoziierungsverträgen eingeräumt wurde. Dennoch wurde die EEA sehr unterschiedlich bewertet. Insgesamt war man im Parlament der Ansicht, dass die EEA nur ein erster Schritt sein könne und keine echte Reform der Gemeinschaft darstelle. Auch Klepsch stellte fest, dass die EEA das Parlament wohl gestärkt habe, die Fortschritte hinsichtlich der Befugnisse des Parlaments jedoch nicht ausreichten. Vielmehr müsse das Parlament zu einer dem Ministerrat ebenbürtigen Institution werden.
Präsident des Europäischen Parlaments
Anfang Oktober 1991 nominierte die EVP-Fraktion bei ihrer Sitzung am Gardasee Klepsch als Kandidat für das Amt des Parlamentspräsidenten. Für ihn war es der zweite Versuch, in dieses Amt zu gelangen. Schon für die anstehende Neuwahl des Parlamentspräsidenten im Januar 1982 hatte die EVP-Fraktion Klepsch nominiert. Seine Wahl galt eigentlich als sicher, doch stellten die britischen Konservativen entgegen vorheriger Absprachen mit Sir James Scott Hopkins einen eigenen Kandidaten auf. Ohne die Unterstützung der britischen Konservativen hatte Klepsch keine Chance auf eine Mehrheit. Im vierten Wahlgang gewann der niederländische Sozialdemokrat Piet Dankert. Klepsch wurde daraufhin für zweieinhalb Jahre stellvertretender Parlamentspräsident. Bei der zweiten Kandidatur blieb ihm eine solche Niederlage erspart: Am 14. Januar 1992 wurde er mit den Stimmen der Sozialisten zum neuen Präsidenten des Europäischen Parlaments gewählt. Er war der erste deutsche Abgeordnete in diesem Amt.
Klepschs Wahl zum Parlamentspräsidenten fiel in eine für das Parlament bewegte Zeit. Am 7. Februar 1992 wurde der Vertrag über die Europäische Union in Maastricht unterzeichnet, der dem Parlament eine weitere Stärkung seiner Rechte brachte. Die Einführung des sogenannten Mitentscheidungsverfahrens machte das Parlament in zahlreichen Politikbereichen zum gleichberechtigten Mitgesetzgeber neben dem Rat. Bei unterschiedlichen Auffassungen konnte jetzt ein Vermittlungsausschuss einberufen werden. Außerdem wurden die Legislaturperioden von Parlament und Kommission angeglichen. Der Maastrichter Vertrag machte zudem die Ernennung des von den Mitgliedstaaten designierten Präsidenten sowie der Mitglieder der Kommission von der vorherigen Zustimmung des Parlaments abhängig. Der Abschluss von internationalen Übereinkommen setzte nach dieser Reform die Einwilligung des Europaparlaments voraus. Auch fand in den Vertrag Eingang, was schon längst Praxis war, aber dadurch eine rechtliche Absicherung erhielt: Das Europäische Parlament bekam das Recht, Untersuchungsausschüsse einzusetzen.
Die Abgeordneten waren zwar an den Maastrichter Verhandlungen nicht beteiligt gewesen, doch war das enge und vertrauensvolle Verhältnis zwischen Klepsch und dem deutschen Bundeskanzler Helmut Kohl hilfreich, den Interessen des Parlaments Geltung zu verschaffen. Im Vertrag von Maastricht sah Klepsch eine wichtige Grundlage, die demokratischen Kontrollbefugnisse und Kompetenzen des Parlaments zu stärken und auszubauen. Dennoch war der Forderungskatalog längst nicht erfüllt. Wesentliche Ziele, für die Klepsch sich einsetzte, blieben ein umfassendes Mitentscheidungsrecht des Parlaments in der gesamten Gesetzgebung, das volle Haushaltsrecht sowie ein Zustimmungsrecht bei Vertragsänderungen. Auch kritisierte er, dass das Parlament von der Außen- und Sicherheitspolitik sowie der Innen- und Justizpolitik im Wesentlichen ausgeschlossen blieb.
Überschattet wurde Klepschs Amtszeit von dem Zerfallsprozess Jugoslawiens und den damit verbundenen Kriegen. Er prangerte die zögerliche Haltung und Unentschlossenheit der Mitgliedstaaten an und forderte eine gemeinsame europäische Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik. Der Konflikt, so Klepsch, habe darüber hinaus die Notwendigkeit eines wirksamen Instruments gemeinsamer Außen- und Sicherheitspolitik deutlich gemacht.
In Bezug auf die mittel- und osteuropäischen Staaten engagierte er sich schon früh für eine Beitrittsperspektive, plädierte aber gleichzeitig dafür, ihnen zunächst mit Hilfe von Assoziationsverträgen beim Aufbau gesunder Volkswirtschaften und stabiler Strukturen zu helfen. Darüber hinaus förderte er in den zweieinhalb Jahren seiner Präsidentschaft die Erweiterung der Europäischen Union um Österreich, Schweden und Finnland.
Seine Amtszeit als Parlamentspräsident markierte den Höhe- und Schlusspunkt seiner politischen Karriere. Mit den Wahlen zum Europäischen Parlament 1994 schied Klepsch aus dem Amt des Parlamentspräsidenten aus und verzichtete auf eine erneute Kandidatur für das Europäische Parlament. Es folgte eine Tätigkeit als Berater für die Deutsche Vermögensberatung.
Die Fortsetzung des europäischen Einigungswerks blieb sein wichtigstes Anliegen. Sein Amt als Präsident der Europa-Union Deutschland, das er 1989 angetreten hatte, behielt er noch bis 1997.
Am 18. September 2010 verstarb Klepsch im Kreis seiner Familie in Koblenz.
Lebenslauf
- Geboren am 30. Januar 1930 in Bodenbach (Elbe), gestorben am 18. September 2010 in Koblenz
- 1945 Vertreibung nach Lostau bei Magdeburg
- 1950 Flucht über Berlin nach Marburg/Lahn
- Studium der Geschichte, politischen Wissenschaften und Geographie in Rostock und Marburg/Lahn
- 1950 Eintritt in die Junge Union
- 1951 Eintritt in die CDU
- 1954 Promotion
- 1955–1964 Dozent für internationale Politik
- 1963–1969 Bundesvorsitzender der Jungen Union
- 1964–1965 Planungsreferent im Bundeskanzleramt
- 1965–1980 MdB
- 1969–1989 Vorsitzender des CDU-Kreisverbands Koblenz-Stadt
- 1973–1994 Mitglied des Europäischen Parlaments
- 1977–1982 und 1984–1992 Vorsitzender zuerst der CD- und dann der EVP-Fraktion
- 1977-1992 Vizepräsident der Europäischen Volkspartei
- 1982-1984 Vizepräsident des Europäischen Parlaments
- 1989-1997 Präsident der Europa-Union Deutschland, seit 1997 Ehrenpräsident
- 1992–1994 Präsident des Europäischen Parlaments
Veröffentlichungen
(Auswahl):
- Klepsch, Egon: Das direktgewählte Europäische Parlament (1979–1997), in: Europa als Auftrag. Die Politik deutscher Christdemokraten im Europäischen Parlament 1957–1997. Von den Römischen Verträgen zur Politischen Union, Köln 1997.
- Klepsch, Egon: Reden bei den Treffen des Europäischen Rats. Ausgewählte Vorträge, Erklärungen und Interviews 1992/93, Lahr 1994.
- Klepsch, Egon/Reister, Erwin: Der europäische Abgeordnete. Ein Leitfaden für die ersten europäischen Wahlen, Baden-Baden 1978.
Literatur
- Michael Borchard (Hrsg.), Deutsche Christliche Demokraten in Europa. Sankt Augustin/Berlin 2020.
- Fontaine, Pascal: Herzenssache Europa. Eine Zeitreise 1953-2009. Geschichte der Fraktion der Christdemokraten und der Europäischen Volkspartei im Europäischen Parlament, Brüssel 2009.
- Jansen, Thomas: Deutsche Christliche Demokraten im Europäischen Parlament, in: Küsters, Hanns Jürgen (Hg.): Deutsche Europapolitik Christlicher Demokraten. Von Konrad Adenauer bis Angela Merkel (1945–2013), Bonn 2014.
- Liber Amicorum. Für Egon Klepsch zum 70. Geburtstag am 30. Januar 2000, Trier 2000.
- Wahl, Jürgen: Gefragt: Egon Klepsch, Bornheim 1992.