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Ein „Kulturkampf“ in Israel? Die Stellung der Frauen in der israelischen Gesellschaft

Fragen an und Antworten von Dr. Galit Desheh, Direktorin des Israel Women’s Network

Nach den Demonstrationen des Sommers 2011 hat ein weiteres Thema die Proteststimmmung in Israel genährt: die Rolle der Frau im öffentlichen Leben. Insbesondere einige ultra-orthodoxe jüdische Gruppierungen, sog. Haredim, geraten mit säkularen Israelis aneinander. Haben wir damit einen weiteren Beleg dafür, dass Israels Gesellschaft auf einen "Kulturkampf" zusteuert, der die soziale Struktur des Landes gefährdet? Nadine Mensel hat Dr. Galit Desheh vom Israel Women's Network zu diesem Thema befragt.

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In jüngster Zeit scheinen sich die Versuche gehäuft zu haben, auf unterschiedlichen Wegen Frauen aus dem öffentlichen Leben zurückzudrängen. Wie bewerten Sie allgemein die Situation der Frauen und ihren Status im öffentlichen Leben Israels?

Die Stellung der Frauen im heutigen Israel ist nicht einfach zu definieren. Zunächst ist Israel eine gespaltene Gesellschaft, die aus einer Vielzahl von Gruppen besteht; unterschiedliche ethnische Hintergründe, Kulturen, Religionen und verschiedene sozioökonomische Ebenen. Man muss die Stellung der Frau von einer generellen und größeren Perspektive heraus beurteilen. Diese Perspektive betrachtet Israel als eine militärische, machohafte und patriarchalische Gesellschaft. Gleichzeitig berücksichtigt sie aber auch die verschiedenen Gruppen, die Israel ausmachen.

Israel vereint eine sowohl weitreichende als auch moderne Gesetzgebung, die der Stellung der Frau zu Gute kommt. Ein Beispiel dafür sind Gesetze, die sexuelle Belästigung vorbeugen, die sexuelle Gewalt definieren sowie Frauenrechte am Arbeitsplatz unterstützen. Andererseits ist der vollständige Ausschluss bzw. die Zurückdrängung von Frauen aus dem öffentlichen Raum, wie in einigen ultra-orthodoxen Gemeinden (Haredim), offensichtlich. Israel befindet sich heute am Scheideweg, an dem sich das Land entscheiden muss, ob es in die Richtung einer fortschrittlichen gerechten Gesellschaft geht oder zurück zu einer diskriminierenden.

Was motiviert bestimmte Gruppierungen aus dem jüdisch-ultraorthodoxen Umfeld, die Geschlechtertrennung zu fordern?

Diese Frage ist schwierig zu beantworten. Einige behaupten, es sei schlichtweg ihr tief sitzender Hass gegenüber Frauen; andere meinen, es sei eine Reaktion auf die im Sommer stattgefundenen Proteste, bei denen Frauen Führungsrollen eingenommen haben und ganz vorne mit dabei waren. Man hat ihre Stimmen weit und breit vernommen. Möglich ist, dass wir mit einem Versuch zu tun haben, der der darauf zielt, bestimmte Modelle der Trennung von Männern und Frauen aufrechtzuerhalten. Denkbar ist, dass viele Menschen Angst vor den vielen Veränderungen haben, die Israel derzeit durchläuft.

Glauben Sie, dass es eine strukturelle Ungleichbehandlung von Mann und Frau in Israel gibt, die tiefer sitzt, als es die Ereignisse der vergangenen Wochen erahnen lassen?

Absolut. Die israelische Gesellschaft ist wie jede andere Gesellschaft eine patriarchalische. Darüber hinaus identifiziert sich die Gesellschaft mit machohaften und militärischen Eigenschaften und definiert Männlichkeit und Weiblichkeit aus nationaler und manchmal auch aus nationalistischer Sicht. All diese Aspekte begünstigen eine tiefe strukturelle Ungleichheit.

Wie bewerten Sie die Antwort der Öffentlichkeit, aber auch die Reaktion der Medien und Politiker auf die Ereignisse wie in Beit Shemesh?

Wir glauben, dass es noch immer zu früh ist die öffentlichen Reaktionen zu beurteilen und zu definieren – dies sollte über längere Sicht hin geschehen. Die israelischen Medien haben ein Kurzzeitgedächtnis und sind stets auf neue spektakuläre Geschichten aus. Das ist der Grund für solche dramatischen Reaktionen auf die Vorkommnisse in Beit Shemesh. Die Medien haben jedoch Schwierigkeiten damit, Ereignisse längerfristig zu verfolgen. Somit gestaltet es sich für die Medien schwierig, die Kontinuität der verschiedenen Ereignisse zu belichten. Da wir uns vermutlich am Anfang eines Wahljahres befinden, werden Politiker aller Lager dieses Thema für sich nutzen und auch ausnutzen.

Was unternimmt eine Frauenrechtsorganisation wie das Israel Women’s Network, um Frauenrechte zu stärken und Versuche, Frauen diskriminieren, zu bekämpfen?

Wir sind insbesondere in drei Gebieten aktiv:

  • Gesetzgebung, Rechtsstreite und Gerichtsverfahren
  • Sensibilisierung für Frauenrechten und öffentliche Tätigkeiten
  • Gemeinsame Aktivitäten von Frauenorganisationen.

Vielen Dank Dr. Desheh.

Die Fragen stellte Nadine Mensel. Übersetzung von Maren Herter.

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20. Dezember 2011
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Dr. Galit Desheh, Director Israel Women's Network KAS Israel

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