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Veranstaltungsberichte

Proportionalität in asymmetrischen Konflikten

Internationale Expertenrunde

Gemeinsam mit dem Israel Democracy Institut organisierte die KAS Israel vom 30. bis 31. Juni 2016 einen internationalen Roundtable zum Thema „Proportionality and Civilian Casualties in Asymmetrical Armed Conflicts: An Interdisciplinary Approach“. Dazu waren Experten unterschiedlicher Disziplinen aus Deutschland, Schweiz, Großbritannien und Israel angereist, um ihre Perspektive und ihr Wissen in den Bereichen Völkerrecht, Sozialforschung, Politikwissenschaften und Philosophie zum Thema einzubringen.

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Autor: David Dessauer

Fast alle Staaten, die in bewaffneten Konflikten involviert sind, erkennen das Prinzip der Proportionalität als eine rechtmäßige und ethisch-moralische Stütze für ihre militärischen Aktivitäten und Handlungen an. Eine angreifende Einheit kann einen Kollateralschaden jedoch nicht rechtfertigen, wenn die Anzahl der zivilen Opfer das konkrete militärische Ziel übersteigt. Nichtsdestotrotz führt die exakte Interpretation des Proportionalitätsprinzips vor dem Hintergrund moderner asymmetrischer Konflikte in letzter Zeit immer häufiger zu Debatten auf philosophischer, diplomatischer und rechtlicher Ebene. Kontroversen werden vor allem dann laut, wenn es um asymmetrische Konflikte geht, bei denen Staaten, unter denen auch viele liberale Demokratien sind, in bewaffnete Konflikte gegen nicht-staatliche Akteure, nicht selten terroristische Organisationen, eintreten. Dieses Thema rückte in das Zentrum der israelischen Öffentlichkeit, als der finale Bericht der „UN Independent Commission of Inquiry“ über den Gaza-Konflikt 2014 (Operation „Protective Edge“) vermutete, dass viele israelische Attacken auf Ziele im Gazastreifen während des Konfliktes das Proportionalitätsprinzip verletzten.

Vor diesem Hintergrund veranstaltete die Konrad-Adenauer-Stiftung Israel (KAS Israel) in Kooperation mit dem Israel Democracy Institut (IDI) vom 30. bis 31. Juni 2016 einen internationalen Roundtable zum Thema „Proportionality and Civilian Casualties in Asymmetrical Armed Conflicts: An Interdisciplinary Approach“. Dazu waren Experten unterschiedlicher Disziplinen aus Deutschland, Schweiz, Großbritannien und Israel angereist, um ihre Perspektive und ihr Wissen in den Bereichen Völkerrecht, Sozialforschung, Politikwissenschaften und Philosophie zum Thema einzubringen. Zudem waren hochrangige Vertreter des israelischen Militärs sowie Repräsentanten von NGOs eingeladen, um die Thematik aus ihrer jeweiligen Sicht zu beleuchten. Da es sich um einen geschlossenen Roundtable handelte, wird der Inhalt im Folgenden nur im Groben wiedergegeben.

Die erste Panel-Diskussion begann mit der Einordnung des Proportionalitätsprinzips in den normativen, religiösen und philosophischen Kontext. Dabei war für die Diskussion die Definition der „Gezielten Tötung“ und die damit einhergehenden Herausforderungen an das demokratische System von besonderer Relevanz. Während der Einführungsrunde wurde dargestellt, dass das Prinzip der Proportionalität zwar ein oft bewährtes Instrument ist, jedoch gerade vor der Herausforderung des globalen Terrorismus politische Entscheidungsträger immer wieder vor schwere (moralische) Entscheidungen stellt. Daraufhin wurde der Frage nachgegangen, wie zuverlässig Instrumente entwickelt werden können, um Proportionalität zu garantieren. Es wurde außerdem darauf hingewiesen, dass in der Realität oft Fakten mit Vermutungen vermischt werden und vor allem bei Kollateralschäden weitere Radikalisierungen in der Umgebung des vermeintlichen Ziels wahrscheinlich sind. Der christlich-religiöse Aspekt wurde ebenfalls analysiert, wobei in der weiteren Diskussion die Frage gestellt wurde: Gilt das Prinzip „Auge um Auge, Zahn um Zahn“?

Ferner wurde konstatiert, dass die Bewertung der Proportionalität vor allem bei dem Akt des „Gezielten Tötens“ („Targeted killing“) häufig von den Emotionen der verantwortlichen Person beeinflusst wird. Deshalb ist es enorm wichtig, Mechanismen zu etablieren, die rationale Entscheidungen wahrscheinlicher machen. Ziel bei gezielten Tötungen ist es, den Frieden wiederherzustellen. Die juristische Unterscheidung zwischen „ius ad bellum“ und „ius in bello“ spielten bei der folgenden Diskussion eine wichtige Rolle.

Das anschließende Panel zum Thema „Morality and Reciprocity in Proportionality Analysis“ begann mit einer Darstellung der Handlungen, die moralisch richtig und derer, die moralisch verwerflich sind. Hierbei wurde das „International Humanitarian Law“ betrachtet, das besagt, dass zivile Schäden zu vermeiden sind. Die Gesprächsrunde beschäftigte sich darauf mit der Auslegung des internationalen Rechts und es wurde offenkundig, dass es keine Standardentscheidungen in Bezug auf „Gezieltes Töten“ gibt, sondern in der jeweiligen Situation immer wieder neu die Tatsachen und Fakten abwägen muss. Die Definition der asymmetrischen Kriegsführung wurde erläutert und analysiert. Bei militärisch-strategischen Operationen ist es von zentraler Bedeutung, dass die Armee den übergeordneten Zielen zustimmt und auch in diesem Sinne handelt.

Das anschließende Podium widmete sich der nicht immer leicht zu beantwortenden Frage nach der Rechtfertigung von zivilen Opfer („Casualties“). Die Experten widmeten sich der Frage, inwieweit Präventionsschläge zu rechtfertigen sind und nicht gegen internationales Recht verstoßen. Sie beschäftigten sich ferner damit, welche Rolle der Schutz der Soldatenleben spielt und wann präventive Angriffe gerechtfertigt sind. Diesen Fragen wurde ausführlich nachgegangen mit dem Ergebnis, dass Prävention immer „konkret“ sein muss und nicht vage formuliert sein kann. Die folgende Diskussionsplattform stellte die strategischen Überlegungen des Militärs und die damit einhergehende Frage nach übergeordneten strategischen Zielen dar. Sind militärisch-strategische Ziele gegen Feinde, wie bewaffnete Gruppierungen und terroristische Organisationen legitim und wie sind Verhandlungen mit Vertretern dieser Gruppen zu führen? Wie wird das Leben einzelner Soldaten geschützt und welchen Einfluss hat das „Gezielte Töten“ auf Soldaten, die Befehle geben und auf jene, die den Auslöser tätigen? Darauffolgend wurde der Unterschied zwischen einem bewaffneten Konflikt von geringer militärischer Intensität und einem großen, lang andauernden Gefecht dargestellt. Während der Diskussionen wurde detailliert analysiert, was „konkreter militärischer Fortschritt“ bedeutet und Bezug auf die juristische Ist-Situation in der Rechtsprechung genommen.

Der zweite Seminartag begann mit einer Auseinandersetzung über die Situation in Israel und Europa bezogen auf die Häufung von terroristischen Attacken. Die Art und Weise, wie eine Demokratie ihre Werte erhalten und trotzdem Terrorismus bekämpfen kann, wurde diskutiert. Es wurde außerdem angemerkt, dass der Charakter der Kriege sich hin zu einem „new kind of war“ verändere. Durch die sozialen Medien und die mobilen Geräte sind die Rezipienten oft Teil der Kriegshandlungen, sogar fast in Echtzeit. Die Konsumenten von Kanälen, die zum Beispiel „geleaktes“ Material verbreiten, sind damit in der Position zu entscheiden, wer „gut“ und wer „böse“ ist. Dabei wird jedoch in vielen Fällen nicht beachtet, wie das Gesamtbild einer militärischen Auseinandersetzung zu bewerten ist und welche Informationen in den aufgenommenen Sequenzen fehlen. Des Weiteren wurde festgehalten, dass sich Israel zurzeit nicht im Krieg befindet, sondern in einer andauernden Konfrontation mit einer sich verändernden Intensität. Außerdem spielen strategische Ziele und Erfolge eine wichtige Rolle und nicht mehr die Implementierung eines neuen „politischen Systems“ oder einer „politischen Verbesserung“. Diese strategischen Ziele sind allerdings nur schwer zu quantifizieren und deshalb ist eine Bewertung immer individuell unterschiedlich. In den weiteren Ausführungen wurde dargestellt, dass in vielen Konfliktsituationen keine Lösung mit militärischer Stärke zu erzielen und deshalb in der Armee teilweise eine Frustration zu beobachten ist. Die hybride Kriegsführung wurde beschrieben und auch die Ausrichtung in Cyberkriegen kurz diskutiert.

Die Podiumsdiskussion am Nachmittag stand unter dem Thema der veränderten Kriegsführung und der Konflikte, am Beispiel des Gefangenenaustauschs des Soldaten Gilad Shalit, der während des Gaza-Kriegs gegen 1000 Gefangene ausgetauscht wurde. Die Konflikte bewegen sich weg von politischen Konflikten hin zu ideologischen Auseinandersetzungen, in denen Symbole und Bilder wichtiger werden als militärische Fakten. Das verändert ebenfalls die Definition von Kampf und militärischem Sieg. Im Anschluss daran wurde festgestellt, dass militärische Entscheider in stressigen Situationen nicht an philosophische, moralische und normative Aspekte denken können. Dies muss viel mehr Aufgabe der Politiker und Forschungseinrichtungen der Institutionen und Universitäten sein. Die verschiedenen Einschätzungen und Perspektiven zwischen den militärischen Verantwortlichen und Theoretikern erklären teilweise die Herkunft der Debatten und Diskussionen über Proportionalität und „Gezieltes Töten“.

Der Roundtable bot eine Plattform zum interdisziplinären Austausch zum Proportionalitätsprinzip in asymmetrischen Konflikten. Es wurde resümiert, dass die Diskussionen der Veranstaltungen auf internationalen Ebene intensiviert werden sollten und dass weitere Analysen der Thematik notwendig sind. Zudem stimmten die Teilnehmer zu, an einer gemeinsamen Publikation, inklusive der Diskussionsergebnisse, zu arbeiten, die im Laufe des Jahres veröffentlicht wird.

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