Plan der Regierung
Internet Gateways sind Netzwerkknoten, die den Datenaustausch zwischen dem Internet (als autonomes System, zusammengesetzt aus Teilnetzen) und einem privaten, lokalen Netzwerk ermöglichen. Dem geplanten Gesetz zufolge besteht das Ziel des Gateways darin, Internetverbindungen zu erleichtern und zu verwalten, um die Effektivität und Effizienz der nationalen Steuererhebung, den Schutz der nationalen Sicherheit sowie die Wahrung der sozialen Ordnung, der Kultur und der nationalen Tradition zu fördern. Zudem soll laut der Regierung Cyberkriminalität, illegales Online-Glücksspiel und Internetbetrug mittels des Gateways entgegengewirkt werden.[i] Das NIG soll privatwirtschaftlich betrieben werden. Die Betreiberfirmen bekommen die Zulassung auf Antrag an das Ministerium für Post und Telekommunikation (MPTC).[ii] Die NIG-Betreiber übernehmen zum einen die Aufgabe, den Zugang zur nationalen und internationalen Internetinfrastruktur Kambodschas zu verwalten und zu erleichtern. Zum anderem arbeiten sie mit dem MPTC, Telecom Cambodia (das wichtigste Telekommunikationsunternehmen Kambodschas) und den zuständigen Behörden zusammen, um Netzwerkverbindungen zu unterbrechen, wenn die oben genannten Ziele für mehr Sicherheit gefährdet sind. Mit dem weltweiten Technologiefortschritt, insbesondere der rapiden Entwicklung des Internets, gingen auch immer mehr Gefahren einher – daher klingen die Inhalte des Gesetzes vorerst plausibel. Die kambodschanische Regierung verweist deshalb darauf, dass es solche Gateways auch in anderen Ländern wie zum Beispiel Singapur gibt. Wichtig sind aber transparente Mechanismen zur Umsetzung und ein System von „Checks and Balances“, die Willkür verhindern. Es ist zweifelhaft, ob dies in Kambodscha umgesetzt werden kann.
Worauf bezieht sich die Kritik?
Im Zentrum der Kritik steht eine weitere Beeinträchtigung der Meinungsfreiheit und der damit zusammenhängenden Informationsfreiheit – ein unabdingbares Grundrecht, das zumindest in der demokratischen Verfassung Kambodschas verankert ist. Das Gesetz wird dem MPTC ermöglichen, Online-Aktivitäten von Nutzerinnen und Nutzern zu verfolgen und deren Browserdaten für mindestens ein Jahr über die Betreiber zu speichern. Dies bedeutet eine große Machtfülle für die Regierung in einem Land, in dem die Gewaltenteilung nicht richtig funktioniert. In den letzten Jahren kam es bereits zu dutzenden Verhaftungen aufgrund von Beiträgen in den sozialen Medien. Im Jahr 2021 wurden laut dem Cambodian Center for Human Rights (CCHR) 39 Kambodschanerinnen und Kambodschaner wegen Veröffentlichungen im Internet, die den Ansichten der Regierung widersprachen, ins Gefängnis gebracht oder es wurden Haftbefehle gegen sie erlassen.[iii] Einer dieser Verhafteten ist Kea Sokun, ein Rapper, der Lieder über Ungerechtigkeit und Korruption auf YouTube veröffentlichte. Im September 2020 wurde er deshalb von der Polizei festgenommen. Durch das National Internet Gateway ist eine Verschlechterung der Situation zu erwarten.
Laut Human Rights Watch werde das NIG der Regierung die verstärkte Möglichkeit für Onlineüberwachung und Zensur in Form von Nachzensur (Zensur nach der Veröffentlichung eines Inhalts) bieten. Damit erhöht sich die Kontrolle des Internets durch Regierungsbehörden wie dem MPTC, womit das Recht auf freie Meinungsäußerung und Privatsphäre gefährdet wird.[iv] Insbesondere regierungskritische Stimmen könnten durch das Gesetz noch stärker zum Schweigen gebracht werden, betonten Aktivistinnen und Aktivisten. Die Regierung kann dann den Betreiberfirmen sogar anordnen, alle Netzwerkverbindungen zu unterbrechen, die ein oben genanntes Sicherheitsrisiko darstellen. Auch die Vereinten Nationen gehen aus diesem Grund von verheerenden Auswirkungen auf die Meinungsfreiheit und die Privatsphäre aus. Das Cambodian Center for Human Rights befürchtet, dass das Gesetz zur Umsetzung des NIG auch als Vorteil für die Regierung bei den bevorstehenden Wahlen im nächsten Jahr genutzt werden könnte. Denn es bietet die Möglichkeit, Nutzerinnen und Nutzer zu sperren, die abweichende Meinungen in sozialen Medien und Online-Foren posten – dies könnte Kandidaturen von Oppositionsparteien zusätzlich erschweren.[v]
Gefahren für Journalistinnen und Journalisten sowie soziale Medien
Laut Nop Vy von der kambodschanischen Journalistenvereinigung stellt das Gesetz auch eine Gefahr für den Journalismus dar. Ein Grund dafür ist, dass die Behörden Journalistinnen und Journalisten beschuldigen könnten, mit ihren Inhalten gegen Ethik und Kultur zu verstoßen. Durch das NIG besteht somit die Möglichkeit, Webseiten ohne richterliche Entscheidung zu sperren. Die Internationale Journalisten-Föderation (IFJ) kritisierte eine mögliche Einschränkung der Internetfreiheit und appellierte an die Regierung, der kambodschanischen Bevölkerung einen offenen und freien Zugang zu Informationen zu gewährleisten.[vi] Die Nichtregierungsorganisation Reporter ohne Grenzen (RSF) bezeichnete das NIG sogar als Kopie der „Großen Firewall”, die 2019 in China eingeführt wurde (ein Gesetz zur Kontrolle der Informationen für chinesische Internetnutzerinnen und Nutzer).[vii] Laut Chhan Sokunthea, Direktor für Medienentwicklung des Cambodian Center for Independent Media (CCIM), sind auch die Nutzerinnen und Nutzer sozialer Medien seit der Ankündigung des Gesetzes vorsichtiger beim Verfassen ihrer Internetbeiträge geworden.[viii]
Wie geht es weiter?
Eigentlich sollte das NIG am 16. Februar 2022 in Betrieb gehen. Die Implementierung wurde jedoch ausgesetzt. Die Regierung nannte als Begründung eine Kombination aus Verzögerungen durch Covid-19 und Bedenken, dass das NIG den Online-Verkehr stören könnte. Ein Regierungssprecher bestritt, dass die Verschiebung des NIG mit der nationalen und internationalen Kritik zusammenhängt. Auch das Außenministerium hat betont, dass das Gesetz immer wieder falsch interpretiert worden sei und die Meinungsfreiheit nicht beeinträchtigen werde. Es wies darauf hin, dass die freie Meinungsäußerung und der Schutz personenbezogener Daten in der Verfassung und in mehreren internationalen Menschenrechtsverträgen verankert sei.[ix] Meas Po, Sprecher des Ministeriums für Telekommunikation, hat die technischen Schwierigkeiten betont, die eine Implementierung mit sich bringt – an jedes Unternehmen müssen Lizenzen vergeben werden, um das Gateway einzurichten, dies kann sich auf den Internetverkehr auswirken. Auch er sagte, dass die Verspätung nichts mit der Kritik von außen zu tun hätte und dass das Gateway nicht gegen Freiheitsrechte verstoßen werde.[x] Ein Branchenexperte äußerte zudem, dass die Betreiberfirmen Schwierigkeiten hätten, erschwingliche Mittel zur Speicherung der riesigen Menge an Internetverkehrsdaten zu finden, die in dem Gesetz gefordert werden. Des Weiteren wurde auf einen Mangel an qualifiziertem Personal im Ministerium für Post und Telekommunikation (MPTC) hingewiesen, der möglicherweise zu dem Verzug der Implementierung führte.[xi] Augenscheinlich stehen sich hier zwei Erklärungen für die Verschiebung des NIG gegenüber: einerseits technische, andererseits die breite Kritik an einer möglichen Einschränkung der Freiheit der Bürgerinnen und Bürger Kambodschas. Noch ist nicht klar, wie sich das Gateway tatsächlich auf die Meinungsfreiheit auswirken wird, eine eindeutige Bewertung kann erst erfolgen, wenn das Gesetz tatsächlich umgesetzt wurde. Jedoch herrscht derzeit Unklarheit, wann dies soweit ist. Gerade das internationale Rampenlicht durch Kambodschas ASEAN-Vorsitz im Jahr 2022 kann hier bremsend wirken.[xii]
[i] SUB-DECREE On Establishment of National Internet Gateway, The Royal Government
[ii] SUB-DECREE On Establishment of National Internet Gateway, The Royal Government
[iii] Cambodia steps up surveillance with new internet gateway, VOA News, 14. Februar 2022, zuletzt aktualisiert am 12.04.2022, 10:21.
[iv] Cambodia: Internet censorship, control expanded, Human Rights Watch, 12. Februar 2022, zuletzt aktualisiert am 12.04.2022.
[v] JOINT STATEMENT - Discard the Sub-Decree on the Establishment of the National Internet Gateway, set to detrimentally impact human rights online in Cambodia, Cambodia Center for Human Rights, 18. Februar 2021
[vi] Decree on internet control in Cambodia threat to freedom of expression, Radio Free Asia, 17. Februar 2021, zuletzt aktualisiert am 12.04.2022, 10:33 Uhr.
[vii] RSF decries Cambodian plan for Chinese-style “Great Firewall”, Reporters Without Borders, 24.02.2022, zuletzt aktualisiert am 12.04.2022 um 10:03 Uhr.
[viii] Cambodia's internet gateway ushers in silence, Media Say, VOA News, 12. April 2022, zuletzt aktualisiert am 12.04.2022 um 10:27 Uhr.
[ix] Freedom of expression, United Nations High Commissioner for Refugees, zuletzt aktualisiert am 12.04.2022 um 10:06 Uhr.
[x] Government puts controversial internet gateway on hold, VOD English, 15. Februar 2022, zuletzt aktualisiert am 18.04.2022 um 10:16 Uhr.
[xi] Cambodia’s internet gateway debut leaves analysts in the dark, South East Asia Globe, 15. Februar 2022, zuletzt aktualisiert am 18.04.2022 um 10:46 Uhr.
[xii] ASEAN Chairmanship 2022 – Cambodia, ASEAN, 31. Dezember 2021, zuletzt aktualisiert am 12.04.2021 um 10:36 Uhr.
Themen
Werkzeuge für eine smarte Stadtentwicklung: Urbane Digitale Zwillinge
Nach der Nationalratswahl steht Österreich ein langer, schwieriger Regierungsbildungsprozess bevor
Sorgen und Ängste der Wählerschaft – Ergebnisse aus repräsentativen Umfragen
Die Zukunft der NATO nach den US-Wahlen
Zentralamerika: Russland auf Expansionskurs