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Länderberichte

Krisen, Kontroversen, „Meilensteine“

Die 72. Gesundheitsversammlung (WHA) vom 20. bis 28. Mai in Genf

Die 72. Weltgesundheitsversammlung (WHA) vom 20. bis 28. Mai 2019 in Genf fand vor dem Hintergrund unterschiedlicher Entwicklungen statt: Auf der einen Seite wurden in den letzten Jahren in vielen Ländern positive Entwicklungen bei der Allgemeinen Gesundheitsversorgung und bei der Bekämpfung von Krankheiten wie Malaria erzielt, andererseits bot die nach wie vor schwelende Ebola-Krise in der DR Kongo Anlass zur Sorge. Zudem gab es eine Reihe kontroverser Debatten, u.a. zu einer Resolution zur Transparenz von Arzneimittelpreisen. Auch (geo)politische Konflikte warfen ihre Schatten auf die Diskussionen bei der WHA.

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Die jährlich im Mai stattfindende Weltgesundheitsversammlung ist das höchste Entscheidungsgremium der WHO. Die Versammlung, die sich aus den Ministern der 194 Mitgliedstaaten zusammensetzt, legt politische Prioritäten der WHO fest, verabschiedet ihr Arbeitsprogramm, ihr Budget und ist für die Wahl des Generaldirektors verantwortlich. Von deutscher Seite nah Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) an der WHA teil.

Ebola-Krise im Fokus – zusätzliche Hilfe aus Deutschland

Die Ebola-Epidemie, die sich vor allem auf die Region Nord-Kivu in der DR Kongo konzentriert, ist weiterhin nicht unter Kontrolle[1]: Zu den wichtigsten Hindernissen gehören die nach wie vor instabile Sicherheitssituation im Allgemeinen und die prekäre Lage des Gesundheitspersonals vor Ort im Besonderen. So gab es seit Januar Dutzende Attacken und inzwischen auch Todesopfer zu beklagen. Der Generalsekretär der WHO, Tedros Adhanom Ghebreyesus, kritisierte in seiner Eröffnungsrede die Politisierung der Krise. Konkret wurde nun eine Impfoffensive beschlossen, die bereits in den vergangenen Wochen unternommenen Bemühungen sollen intensiviert werden. Zudem wurde mit dem US-Amerikaner David Gressly ein Koordinator für die UN-Aktivitäten zur Bekämpfung der Krise ernannt.[2] Gressly soll umgehend in Gespräche mit Schlüsselakteuren in der Region treten, mit dem Ziel einer Verbesserung der Sicherheitssituation für Gesundheitspersonal vor Ort.

Deutschland ist eines der Länder, das sich am stärksten im Kampf gegen Ebola engagiert. Die Bundesregierung sagte am Rande der Weltgesundheitsversammlung zusätzliche Gelder von rund 10 Millionen Dollar zu. Die Mittel werden dringend benötigt, denn eine Finanzierungslücke von rund 60 Millionen Dollar bedroht den Erfolg der Ebola-Mission grundsätzlich. Neben Deutschland engagieren sich beim Kampf gegen Ebola vor allem auch Japan, Australien, Südkorea und Großbritannien, aber auch andere Akteure wie die Impfallianz Gavi und die Gates-Stiftung. Trotz positiver Entwicklungen in der vergangenen Woche (höhere Impfzahlen, Abnahme gemeldeter Fälle) ist es noch zu früh, von einer Trendwende zu sprechen.

Politisierung der Diskussion

Obgleich sich die Weltgesundheitsversammlung grundsätzlich als „sachorientiertes“ Forum versteht, spielten (geo)politische Konflikte bei der WHA eine sichtbare Rolle:

China vs. Taiwan

Zum dritten Mal in Folge hatte – auf Druck Chinas – Taiwan keine Einladung zur Weltgesundheitsversammlung erhalten. Diskussionen über eine Wiederherstellung von Taiwans Beobachterstatus bei der Versammlung blieben ergebnislos. Der US-Vertreter Alex Azar bedauerte explizit den Ausschluss Taiwans. Auch andere Länder (u.a. Australien, Japan, Kanada) wünschen eine Einbindung Taiwans. Indirekt nahm auch Gesundheitsminister Spahn Bezug auf das Thema: Gesundheit für alle bedeute, dass es keine weißen Flecken auf der Landkarte geben dürfe. Pikant dabei ist, dass Taipeh im Vorfeld seine Bereitschaft erklärt hatte, den Kampf gegen Ebola mit einer Million Dollar unterstützen zu wollen.

USA (u.a.) vs. Venezuela

In den ersten Tagen gab es immer wieder heftige Wortgefechte zwischen dem venezolanischen und dem US-Vertreter bei der WHA mit gegenseitigen Schuldzuweisungen für die prekäre Gesundheitssituation im Land. Aus Protest gegen den venezolanischen Vertreter des Maduro-Regimes verließ zwischenzeitlich eine Gruppe von 20 Delegationen die Versammlung, darunter neben den USA auch Brasilien, Argentinien, Chile und Peru.

Umstrittene gegen Israel gerichtete Resolution

Wie schon vergangenes Jahr brachten die Palästinensischen Gebiete – unterstützt u.a. von einer Gruppe arabischer Länder – eine umstrittene Resolution zur Gesundheitssituation in den Palästinensischen Gebieten und den Golanhöhen ein. Diese Resolution macht de facto Israel für die Defizite in der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung u.a. im Gazastreifen verantwortlich. Trotz hitziger Diskussion wurde die Resolution mit großer Mehrheit von 96 zu 11 angenommen (bei 21 Enthaltungen und 56 Abwesenden). Neben Israel stimmten die USA, Australien, Kanada, Brasilien, Guatemala und Honduras gegen den Entwurf ebenso wie die vier EU-Länder Tschechien, Ungarn, das Vereinigte Königreich und – nachdem es sich letztes Jahr noch enthalten hatte – auch Deutschland. Andere EU-Mitgliedstaaten enthielten sich oder stimmten gar für die Resolution, wie etwa Frankreich, Belgien oder Schweden. Deutschland, Kanada und Großbritannien kritisierten im Rahmen der Debatte deutlich die Politisierung der WHA. Schließlich war dies während der WHA die einzige Resolution, die sich gegen ein bestimmtes Land richtete, trotz gleichzeitig schwerer wiegender humanitärer Katastrophen etwa in Syrien, im Jemen und in Venezuela. Bereits zwei Wochen zuvor, anlässlich des 70. Jahrestags der Aufnahme Israels in die Vereinten Nationen, hatte Deutschland bedauert, dass Israel heute noch in den Gremien der Vereinten Nationen in „unangemessener Form kritisiert, einseitig behandelt und ausgegrenzt“ werde.[3]

Transparenzresolution – Kontroverse über Inhalt und Prozess

Das vielleicht umstrittenste Thema war die u.a. von Italien eingebrachte so genannte „Transparenzresolution“ zu mehr Transparenz von Arzneimittelkosten. Unterstützer der Resolution bezeichneten diese als wichtiges Mittel für fairere Medikamentenpreise. Befürworter waren neben den Initiatoren auch mehrere EU-Staaten (etwa Portugal, Slowenien oder Spanien), die afrikanische Gruppe sowie Staaten aus Lateinamerika und Südostasien ebenso wie verschiedene Hilfsorganisationen (etwa Ärzte ohne Grenzen oder Brot für die Welt). Kritiker der Resolution – vor allem Großbritannien, Deutschland und die skandinavischen Länder – verwiesen hingegen auf mögliche negative Konsequenzen für Forschung und Entwicklung. Im Falle Deutschlands kam noch hinzu, dass die Resolution als inkompatibel mit der deutschen Regelung zu Arzneimittelrabatten angesehen wurde. Nach zähen Verhandlungen wurde am letzten Tag der WHA eine auch von den USA unterstützte entschärfte Version verabschiedet. Großbritannien, Deutschland und Ungarn „dissoziierten“ sich gleichwohl auch von der finalen Version – ein für die WHA unüblicher Vorgang. Anderen Ländern wie Thailand ging die Resolution hingegen nicht weit genug. Die Mehrzahl der Länder und WHO-Generaldirektor Ghebreyesus feierten die Resolution gleichwohl als „Meilenstein“.

Bedenklich waren gleichwohl die Begleitumstände, selbst von einigen Unterstützern gab es Kritik am Prozedere: Bemängelt wurde zum einen die als zu kurz empfundenen Vorlaufzeit – gerade angesichts der Komplexität des Themas und der weitreichenden Konsequenzen der Resolution. Kritisiert wurde zudem, dass Initiator Italien nicht vorab die übliche Abstimmung mit Deutschland, Großbritannien und anderen Ländern gesucht habe: Dies wäre etwa im Exekutivrat der WHO möglich gewesen, in dem auch Italien vertreten ist. Sowohl für Berlin als auch London, die grundsätzlich zu den besonders engagierten Akteuren im Bereich Globale Gesundheit zählen, waren gerade auch diese prozeduralen Defizite wesentlicher Grund für ihre Distanzierung von der Resolution. Für Unmut sorgte auch die Intensität der Kampagnen aus dem Nichtregierungslager vor und während der Verhandlungen. So beklagten einige Länder, ihre Verhandler seien in inakzeptabler Form unter Druck gesetzt worden, etwa durch die Verbreitung von Gerüchten und Halbwahrheiten über den Verhandlungsstand und die Veröffentlichung der Namen der Verhandler im Internet. Beobachter sehen darin den Grund, dass einige grundsätzlich skeptisch eingestellte Länder letztlich nicht mehr wagten, sich als Gegner der Initiative zu exponieren. Dies führte im Rahmen des Exekutivrats der WHO am 30./31. Mai auch zu einer Diskussion, wie künftig die Interaktion mit Nichtregierungsakteuren im Rahmen der WHA ausgestaltet werden soll[4].

Weitere Themen: Allgemeine Gesundheitsversorgung, Haushalt

Darüber hinaus wurden zahlreiche weitere Resolutionen verabschiedet, u.a. drei zur Verwirklichung des ehrgeizigen Ziels einer allgemeinen Gesundheitsversorgung (UHC, engl.: Universal Health Coverage), eine davon zur Stärkung der medizinischen Grundversorgung. Im Rahmen der Nachhaltigen Entwicklungsziele (SDGs) hatten sich die Mitgliedstaaten verpflichtet, bis 2030 eine Allgemeine Gesundheitsversorgung anzustreben.

Fortschritte bei der Gesundheitsversorgung konnten in den letzten Jahren erzielt werden: So lobte Ghebreyesus in diesem Kontext Beispiele aus Ländern wie Kenia, Indien, Südafrika, Ägypten, El Salvador, Griechenland und den Philippinen[5]. Die Herausforderungen bleiben gleichwohl enorm: So würden weltweit nach wie vor rund 18 Millionen Fachkräfte im Gesundheitswesen fehlen. Zudem habe mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung keinen Zugang zu einer grundlegenden Gesundheitsversorgung. Im Laufe des letzten Jahres konnten zudem Erfolge bei der Bekämpfung von Krankheiten wie Malaria erzielt werden.

Überdies verabschiedete die WHA den Programmhaushalt für 2020/21, der eine etwa 11%-Erhöhung vorsieht. Deutschland ist weltweit viertgrößter Beitragszahler.

Weitere Themen waren die Unterstützung für die lokale Herstellung von Medikamenten, eine globale Strategie zu Gesundheit, Umwelt und Klimawandel sowie ein Aktionsplan zum Thema Gesundheit und Migration. Der von Generaldirektor Ghebreyesus angestoßene Reformprozess innerhalb der WHO zur Verbesserung ihrer Handlungsfähigkeit spielte eher am Rande eine Rolle. Viele Länder, so auch Deutschland, unterstützen die grundsätzliche Forderung nach einer Reform der WHO. Die von Generaldirektor Ghebreyesus angestoßenen zahlreichen Veränderungen sorgen bisweilen gleichwohl für Reibungen und Klärungsbedarf. Bei einigen Vertretern innerhalb wie auch außerhalb der WHO sind mehrere Maßnahmen umstritten.

Rolle Deutschlands und der EU

Unabhängig von der Kontroverse um die Transparenzresolution wird Deutschland nach wie vor als zentraler Akteur beim Thema „Globale Gesundheit“ perzipiert: als Initiator neuer Initiativen, als Unterstützer von Reformprozessen, aber nicht zuletzt auch durch seine dringlich benötigte finanzielle Unterstützung. Gerade letzteres ist für die Arbeit der WHO von entscheidender Bedeutung, nicht zuletzt auch in der Ebola-Krise.

Bemerkenswert: Üblicherweise koordinieren die EU-Mitgliedstaaten in Genf ihre Positionen. Auch bei dieser WHA gab es eine Reihe von gemeinsamen EU-Statements. Zu zwei der umstrittensten Fragen fand man gleichwohl keine gemeinsame EU-Linie: zum einen bei der Resolution zur gesundheitlichen Lage in den Palästinensischen Gebieten, zum anderen bei der Transparenzresolution, bei der nach Ansicht mehrerer Teilnehmer Italien als Initiator im Vorfeld nicht alle Dialogmöglichkeiten ausgeschöpft hatte.

Ausblick

Die nächste Weltgesundheitsversammlung findet im Mai 2020 in Genf statt, dabei könnte auch ein neuer Impfaktionsplan auf der Tagesordnung stehen.

Aus deutscher Sicht bleibt Globale Gesundheit ein zentrales Thema: Noch im Laufe des Jahres soll eine deutsche Strategie zur globalen Gesundheitspolitik vorgestellt werden. Fragen globaler Gesundheit sollen auch im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft im 2. Halbjahr 2020 eine Rolle spielen.

[1] Siehe hierzu auch Müchler, Benno (2019) in den KAS-Ausandsinformationen: Ebola im Kongo – eine hausgemachte Krise https://www.kas.de/web/auslandsinformationen/artikel/detail/-/content/ebola-im-kongo-eine-hausgemachte-krise

[2] https://www.healthpolicy-watch.org/new-plan-for-ebola-outbreak-response-to-ensure-safety-of-respondents/

[3] Erklärung der Bundesregierung zum 70. Jahrestag der Aufnahme Israels in die Vereinten Nationen, 11. Mai 2019: https://www.auswaertiges-amt.de/de/newsroom/70-jahre-israel-vereinte-nationen/2217504

[4] WHO’s EB Considers New Ways To Work With NGOs – Some Countries Criticise Activists’ Role At WHA 72: https://www.healthpolicy-watch.org/whos-eb-considers-new-ways-to-work-with-ngos-some-countries-criticise-activists-role-at-wha72/

[5] 72nd World Health Assembly Opening speech by Dr Tedros Adhanom Ghebreyesus, 20 Mai 2019: https://www.youtube.com/watch?v=qUO7isPfroU

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Kontakt

Andrea Ellen Ostheimer

Andrea Ostheimer

Leiterin des Multilateralen Dialogs Genf

andrea.ostheimer@kas.de +41 79 318 9841

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