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OSCE / Mikhail Evstafiev

Länderberichte

Die OSZE in Geiselhaft des russischen Angriffskrieges

von Claudia Crawford
Am 1. und 2. Dezember 2022 findet die Ministerratssitzung der OSZE, in der Polen in die-sem Jahr den Vorsitz innehat, in Łódź unter außergewöhnlichen Umständen statt - und ohne den russischen Außenminister.

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Dieser erhielt von den polnischen Behörden keine Einreisegenehmigung mit der Begründung, dass er auf der Sanktionsliste der EU stünde. Der russische Außenminister Sergei Lawrow kritisierte dies scharf mit dem Hinweis, dass dieses Verhalten die Prinzipien der OSZE verletzen würde. In Anbetracht der Tatsache, dass Russland mit seinem Angriffskrieg auf die Ukraine alle Werte und Prinzipien der OSZE mit Füßen tritt, ist Lawrows Argument fast schon überraschend.


Schwieriges Fahrwasser für die OSZE als Normalität

Seit Jahren ist die wichtigste regionale Sicherheitsorganisation Europas in ihrer Arbeit blockiert. In Folge des Jugoslawienkrieges der 90er Jahre aufbauend auf dem KSZE-Prozess 1995 gegründet, sollte die OSZE Sicherheit und Kooperation in Europa ermöglichen. Was im Kalten Krieg funktionierte - dass mit Dialog kleine Schritte der Öffnung und Zusammenarbeit gegangen wurden - sollte, so die Hoffnung, erst recht nach dem Fall des Eisernen Vorhangs möglich sein. Schon sehr früh zeigte sich, dass diese Hoffnung nicht aufging. Blockaden gibt es bereits seit vielen Jahren, das Budget der Organisation erfährt keinen Aufwuchs mehr und wird häufig erst sehr spät verabschiedet und die sogenannten ‚frozen conflicts‘ sind bis heute nicht gelöst.
Blockaden sind deshalb so leicht möglich, weil die OSZE mit ihren 57 teilnehmenden Staaten auf dem Konsensprinzip beruht. Jeder Staat hat also ein Veto. Von diesem machen einige wenige regen Gebrauch – in der Regel nicht, weil sie den Beschlussinhalten widersprechen würden, sondern um ihrem spezifischen Anliegen Gehör zu verschaffen. Deutlich ist dies beispielsweise bei den Konfliktparteien des Bergkarabach-Konflikts zu beobachten.


Instrumente der OSZE

So ernüchternd die festgefahrene Situation ist, die sich bereits an den formalisierten Abläufen bei Sitzungen sehen lässt, so hat die OSZE dank vieler Organe und Instrumente trotzdem wichtige Aufgaben mit Erfolg wahrgenommen. Dazu zählen vor allem die Feldmissionen, die in den Kri-senherden Europas tätig sind. Sie leisten konkrete Unterstützung vor Ort und stellen sicher, dass die dortigen Entwicklungen Sichtbarkeit erlangen. Das gilt ebenso für die beiden Ämter des Hohen Kommissars für nationale Minderheiten und den Beauftragten der OSZE für Medienfrei-heit. Mit ihren Berichten lenken sie die Blicke der Öffentlichkeit auf kritische Entwicklungen und sie werden bei den entsprechenden Regierungen vorstellig. Noch mehr gilt das für das Büro der OSZE für demokratische Institutionen und Menschenrechte (ODIHR). Regelmäßig organisiert das Büro Wahlbeobachtungen und scheut nicht vor kritischen Berichten zu Menschenrechtsverletzungen zurück. Dass diese Institutionen ihre Aufgaben so gut wie möglich erfüllen, beweist die Kritik, die sie regelmäßig von bestimmten Regierungen erfahren. Und auch die Parlamentarische Versammlung der OSZE erfüllt ihren Auftrag, in dem sie offene Aussprache pflegt und die Mitglieder die Themen in die nationalen Parlamente tragen.
Schwieriger stellt sich die Arbeit im Sekretariat dar, das in seinem Freiheitsgrad sehr eingeschränkt ist. Wie jede multilaterale Organisation, kann auch die OSZE nur so weit gehen, wie es die teilnehmenden Staaten ihr erlauben.


Russlands Krieg gegen die Ukraine und die Folgen für die OSZE

In den letzten Jahren war es für jeden Teilnehmerstaat, das den einjährigen Vorsitz innehatte, eine große Herausforderung, das Funktionieren der OSZE sicherzustellen. Das Budget muss verhandelt werden, häufig gilt es, Mandate zu verlängern bzw. neu zu erteilen, sei es für die Spitzenpositionen der Organe der OSZE oder die Feldmissionen. Und ebenso müssen die Beschlüsse vorbereitet werden, die am Ende des Jahres im Ministerrat verabschiedet werden.
Mit dem 24. Februar 2022 sind diese Aufgaben allerdings zur Unmöglichkeit geworden. Der russische Angriffskrieg stellt eine solche Ungeheuerlichkeit dar, dass ‚business as usual‘ für die teilnehmenden Staaten nicht mehr akzeptabel war. Russland hat in dieser Organisation nur wenige Staaten auf seiner Seite - und das auch nur auf-gund derer großen Abhängigkeit von Russland, wie Belarus. Infolgedessen ist ein neuer Grad an Handlungsunfähigkeit erreicht. Bis heute gibt es kein Budget und es ist auch nicht zu erwarten, dass es noch eins für das Jahr 2022 geben wird. Für das Jahr 2024 gibt es bislang noch keinen Vorsitz, der aufgrund der nötigen Vorlaufzeit schon längst hätte entschieden sein müssen. Das Tagesgeschäft wird auf Grundlage monatlich fortgeschriebener Haushaltszahlen vollzogen. Neue Programme sind auf diese Weise nicht möglich, es können nur bestehende Projekte durchgeführt werden. Wenn es neue Initiativen gibt, dann können diese nur über außerplanmäßige Finanzierungen einzelner Staaten durchgeführt werden. Zur Ministerratssitzung jetzt im Dezember gibt es keine Entscheidungsvorschläge. Inhaltliche Vereinbarungen ließen sich in so einer Situation nicht verhandeln.
Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass Russlands Krieg die Frage nach dem Fortbestand der OSZE aufwirft. Ist es sinnvoll, eine Organisation auf-rechtzuerhalten, die in dem Moment, wo man sie am nötigsten braucht, handlungsunfähig ist? Schon die Tatsache, dass die OSZE in den zurück-liegenden Kriegsmonaten nur in Fachkreisen ein Thema war, macht deutlich, dass sie nicht als eine entscheidende Instanz wahrgenommen wird. Es wird diskutiert, ob es besser wäre, Russland auszuschließen oder das Konsensprinzip aufzugeben – wobei es dafür einer konsensualen Entscheidung bedürfte. Doch trotz allem: Es gibt keine Anzeichen, dass die OSZE ernsthaft infrage gestellt wird und auch nicht das Konsensprinzip oder Russlands Teilnahme. Bei allen Mängeln gibt es das gemeinsame Verständnis, das das Anliegen eines Ortes für Dialog, der von Vancouver bis nach Wladiwostok reicht, als wertvoll betrachtet.
Es wird vom Ausgang des russischen Krieges abhängen, welche Zukunft die OSZE hat. Das flächenmäßig größte Land der Welt muss erst seine imperiale Haltung, die das Existenzrecht der Nachbarländer also souveräne Staaten infrage stellt, verlieren. Bis dahin wird eine Organisation, die auf dem Verständnis gleichberechtigter souveräner Staaten aufbaut, keine Organisation mit Wirkungsmacht sein.

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