Nordmazedonien gegen die russische Aggression in der Ukraine
Im Februar 2022 griff Russland die Ukraine an. Diese militärische Aggression, die der größte kriegerische Konflikt nach Ende des Zweiten Weltkriegs auf europäischem Boden ist, hat bereits unzählige Opfer gefordert. Die Aggression gegen die Ukraine wurde umgehend vom Großteil der Internationalen Gemeinschaft verurteilt und Sanktionen gegen Russland verhängt.
Auch Nordmazedonien schloss sich dieser Haltung sehr schnell an. Die Institutionen sowie der Großteil der politischen Parteien im Land erklären ausdrücklich ihre entschiedene Ablehnung. Gleichzeitig und im Verlauf der Ereignisse sowie im Einklang mit den Positionen der NATO- und EU-Mitgliedstaaten unternahm das Land entsprechende Schritte wie die Verhängung von Sanktionen gegen Russland, die Hilfe für die Ukraine in Form von Waffen und Ausrüstung und die Aufnahme von ukrainischen Flüchtlingen.
Die allgemeine Zustimmung zu diesen Maßnahmen werden durch die Ergebnisse der KAS-Untersuchung bestätigt: 55,2 % der Befragten haben kein Verständnis für die Motive Russlands, Krieg in der Ukraine zu führen. Allerdings unterscheiden sich die Befragten bei der Ablehnung der russischen Aggression und der Zustimmung zu Sanktionen. Kleine Unterschiede ergaben sich entlang Parteienpräferenzen zwischen mazedonischen und albanischen Parteien: Die albanischen Parteien lehnen den Krieg Russlands tendenziell stärker ab als die der ethnischen Mazedonier. Allerdings ist der Unterschied bei der Ablehnung nicht sehr groß: Die Ablehnungsquoten liegen zwischen etwas mehr als 50 bei den Mazedoniern und etwas mehr als 60 % bei den Albanern. Einen Ausreißer stellt die mazedonische LEVICA (LINKE) dar, welche antiwestlich ideologisch einen Mix aus Links- und Rechtspopulismus propagiert. Deren Anhänger befürworten die russische Aggression zu 56%.
Bei der Frage, ob Nordmazedonien Wirtschaftssanktionen gegen Russland verhängen und Waffen und militärische Unterstützung für die Ukraine bereitstellen soll, ergab sich jedoch eine ablehnende Haltung von knapp 62% über alle Bevölkerungsgruppen sowohl für Waffenlieferungen als auch Sanktionen. Neben klassischen ökonomischen Erwägungen und höheren Kosten der Lebenshaltung in einem immer noch wirtschaftlich schwachen Land mag hier auch die Politik der Blockfreiheit des früheren Jugoslawiens nachwirken, die bei der älteren Generation noch präsent ist.
Sicherheit und Lebensstandard verschlechtert
Bei konkreten Fragen nach gefühlter Sicherheit gaben 49,5 % der Befragten an, dass sie ihre persönliche Sicherheit und die Sicherheit des Staates aufgrund des Krieges in der Ukraine verschlechtert sehen. In Bezug auf die Auswirkungen betrachten nahezu 70 % der Befragten den Krieg als Ursache für große Inflation mit Preissteigerungen bei Lebensmitteln, Energie als auch bei vielen anderen Produkten. Die drastischen Auswirkungen auf die Bürgerinnen und Bürger zeigen sich bei der Preisentwicklung des durchschnittlichen Warenkorbs für eine vierköpfige Familie, der im Februar 2022 36.146 Denar (bzw. rund 590 Euro) betrug, während für den gleichen Warenkorb im November 2022 mit 51.714 Denar (bzw. rund 840 Euro) bezahlt werden musste, was einer Steigerung von 42 % im Vergleich zum Zeitraum Februar bis November 2022 entspricht. Die Inflation in Nordmazedonien stieg von 3,2 % in 2021 auf 14,2 % im Dezember 2022.
Berichten der Weltbank und des Staatlichen Statistischen Amts zufolge, erfährt der Lebenshaltungskostenindex für Oktober 2022 im Vergleich zum Oktober 2021 eine Steigerung von 19,8 %, wobei besonders besorgniserregend ist, dass die Preise für Grundnahrungsmittel um mehr als 30 % gestiegen sind.
OSZE-Vorsitz Nordmazedoniens - militärische Aggression in der Ukraine im Fokus
Am 1. Januar 2023 übernahm die Republik Nordmazedonien den Vorsitz der OSZE. Gerade der Konflikt in der Ukraine und die Abfederung der weitreichenden Folgen der Krise werden einen zentralen Platz auf der Agenda des OSZE-Vorsitzes im Jahr 2023 einnehmen.
In diesem Kontext führte der mazedonische Premierminister Dimitar Kovachevski am 9. Januar ein Telefongespräch mit dem Präsidenten der Ukraine, Wolodymyr Selenskyj, in dem er Nordmazedoniens Unterstützung für das ukrainische Volk bei der militärischen Aggression Russlands gegen die Ukraine zum Ausdruck brachte. Während des Gesprächs sagte Kovachevski Präsident Selenskyj auch, dass er als Premierminister des Landes, das den Vorsitz der OSZE innehat, einen Ukrainebesuch plane. Ebenso betonte er, dass gerade der Konflikt in der Ukraine und die Linderung der Folgen der Krise einen zentralen Platz auf der Agenda der Ratspräsidentschaft einnehmen werden.
Nach dem Gespräch twitterte der ukrainische Präsident Selenskyj: „Ich hatte ein wichtiges Gespräch mit Ministerpräsident Kovachevski. Wir haben die Risiken einer Eskalation an der Front, eine weitere Verteidigungszusammenarbeit und die Vertiefung der bilateralen Beziehungen zwischen unseren Ländern besprochen.“
Die Regierung Nordmazedoniens informierte nach dem Telefonat, dass das Land als NATO-Mitglied die Hilfe für die Ukraine in jeder erdenklichen Weise fortsetzen werde.
Flüchtlingszahl aus der Ukraine ist gering
Seit Kriegsbeginn wurden in Nordmazedonien keine Menschen mit Flüchtlingsstatus aus der Ukraine registriert. 300 Personen erhielten aus humanitären Gründen eine zeitweilige Aufenthaltserlaubnis. Sie werden in Bezug auf humanitäre Hilfe und Unterstützung sowie gesundheitlicher Versorgung in ihren Bedürfnissen vollständig vom Roten Kreuz Nordmazedoniens versorgt. Inoffizielle Informationen besagen, dass sich im Land zudem ca. 1.000 ukrainische Staatsangehörige aufhalten, die überwiegend bei Freunden oder Verwandten wohnen. Ein Großteil der ukrainischen Staatsangehörigen, die nach Nordmazedonien einreisten, nutzte es als Transitland für die Weiterreise in einen Drittstaat.
NATO-Mitglied Nordmazedonien
Nordmazedonien hat bisher drei Pakete an militärischer Hilfe in die Ukraine geschickt, wobei die Regierung sich jedoch nicht in Details zum Inhalt geäußert hat. Dem Verteidigungsministerium und der Armee zufolge beeinträchtigt die geleistete Ausstattungshilfe für die Ukraine die Kampfbereitschaft des Landes nicht und ist von einer Art, mit der die ukrainischen Streitkräfte umzugehen wissen. Daher kann davon ausgegangen werden, dass es sich um Altbestände sowjetischer Bauart handelt, welche ohnehin im Rahmen der Modernisierung innerhalb der NATO ausgemustert worden wären. Das Verteidigungsministerium erklärte, dass Vorbereitungen für ein weiteres Kontingent militärischer Hilfe für die Ukraine in Absprache mit den NATO-Verbündeten laufen.
Zustimmung zur EU nimmt ab
Mit Beginn des Krieges in der Ukraine bekräftigte die mazedonische Regierung neben der vorbehaltlosen Unterstützung und Hilfe erneut ihre Forderung nach einem reibungslosen Ablauf der EU-Beitrittsverhandlungen Nordmazedoniens. So erklärte Premier Kovachevski auf einem Treffen der Regierungschefs der NATO-Mitglieder der Region, dass „sich in Ermangelung einer glaubwürdigen europäischen und euro-atlantischen Perspektive negative Tendenzen böswilliger Beeinflussung durch Dritte vervielfachen werden und das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Union sinkt.“ 17 Jahre nach Erhalt des Kandidatenstatus, nach Unterzeichnung des Prespa-Abkommens und nach Annahme des sog. französischen Vorschlags hat Nordmazedonien im Juli 2022 schließlich mit Abhaltung der ersten Regierungskonferenz in Brüssel die Beitrittsgespräche über eine Vollmitgliedschaft in der Europäischen Union begonnen. Es ist wohl einzigartig, dass in einem Land, in welchem die Beitrittsgespräche gerade begannen, die Zustimmungswerte zur EU gesunken sind. So führte Staatspräsident Stevo Pendarovski auf einer gemeinsamen Veranstaltung mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier während dessen Besuchs in Skopje im November 2022 aus, dass lediglich 48 % der ethnischen Mazedonier noch den EU-Beitritt unterstützen. In der Wahrnehmung der meisten ethnischen Mazedonier über Parteigrenzen hinweg, hat man dem Land kein gutes Angebot gemacht. Dabei geht es nicht darum, dass man nicht bereit wäre die laut Volkszählung 3.500 Bulgaren als anerkannte Minderheit in die Verfassung aufzunehmen. Vielmehr hat man Zweifel, dass Bulgarien im Verlauf des Beitrittsprozesses nicht noch weitere Hürden und Blockaden aufbaut. Dass die Oppositionsparteien, allen voran VMRO-DPMNE, zur Verfassungsänderung, die von 2/3 des Parlaments bestätigt werden muss, nicht die Zustimmung geben, ist insofern kein alleiniger Regierungs-Opposition-Dualismus, sondern tatsächlich Ausdruck der Stimmung unter der Mehrheit der ethnischen Mazedonier. Die Parteien der albanischen Minderheit haben hier kein Zustimmungsproblem, da nicht ihre Identität im Streit mit Bulgarien betroffen ist. Dieses Faktum wurde bei der Ausarbeitung des Beitrittsrahmens unterschätzt, zumal Bulgarien vor dem Hintergrund der Blockademöglichkeit als EU-Mitglied sehr selbstbewusst auftritt.
Innenpolitisch ist dies ebenfalls in einer steigenden Zustimmung für die antiwestlich ausgerichteten Populisten von LEVICA (LINKE) ablesbar. Dass die Unterstützung für die EU abnimmt, geht auch aus der Umfrage des Internationalen Republikanischen Instituts (IRI) hervor, laut der die Unterstützung für eine EU-Mitgliedschaft von November 2021 bis Dezember 2022 um 11 % zurückgegangen ist.
Positive Wahrnehmung von China und der Türkei
Die hier beschriebenen Entwicklungen können nicht im geopolitischen Interesse des Westens sein, denn die für viele Mazedonier nicht wirklich begonnenen Beitrittsgespräche mit der EU bleiben im Kontext der aktuellen bulgarischen Haltung eine unsichere Perspektive. Stattdessen erfahren andere Akteure stärkere Zustimmung.
Dies geht ebenfalls aus den Ergebnissen der IRI-Umfrage hervor. So stimmen 87 % der Befragten der Aussage zu, dass starke Beziehungen zur Türkei den Interessen Nordmazedoniens am besten dienen, während 65 % dasselbe über China denken.
Auch die Ergebnisse einer KAS-Umfrage vom August 2022 ergeben ein ähnliches Bild. Dort wurden die positivsten Zustimmungswerte für ausländische Partner bei der Türkei (71,6 %) angegeben. China ist mit 42,1 % genannt worden. Darüber hinaus bleibt auch Serbien für viele Mazedonier weiterhin ein Orientierungspunkt mit positiver Wahrnehmung. Nicht zu unterschätzen ist dabei, dass serbische Medien auch in Nordmazedonien konsumiert werden, wodurch auch russische Narrative Einfallstore finden. Im Anbetracht der geopolitischen Entwicklungen im Zuge des Krieges in der Ukraine sollte dies Beachtung finden.
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1 Positionen und Wahrnehmungen zum Krieg in der Ukraine (Analyse und Umfrage zur öffentlichen Meinung)“. Konrad-Adenauer-Stiftung-Skopje, 2022
2 „30 Jahre Außen- und Verteidigungspolitik (Analyse und Umfrage zur öffentlichen Meinung)“. Konrad-Adenauer-Stiftung-Skopje, 2022